BT-Drucksache 18/3841

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft

Vom 28. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3841
18. Wahlperiode 28.01.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kerstin Andreae, Katharina Dröge, Annalena Baerbock,
Dr. Thomas Gambke, Dieter Janecek, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden,
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Anja Hajduk,
Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Stephan Kühn (Dresden), Christian
Kühn (Tübingen), Dr. Tobias Lindner, Özcan Mutlu, Cem Özdemir, Lisa Paus,
Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Corinna Rüffer, Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Markus Tressel, Jürgen Trittin, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister
für Wirtschaft und Energie

Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Titel „Investieren in Deutschlands und Europas Zukunft“ betreibt die Regie-
rung Etikettenschwindel. Eine Koalition aus Union und SPD hat versäumt, die Wirt-
schaftskrise vor sechs Jahren zum Umsteuern zu nutzen. Die damalige Bundesregie-
rung unter Kanzlerin Merkel und Umweltminister Gabriel vergeudete die Chance, in
die Zukunft unseres Landes zu investieren. Damals hieß es Abwrackprämie statt Auf-
bruchprogramm.
Auch heute vergeudet die Bundesregierung die Chance für einen Aufbruch in eine so-
zialere und ökologischere Gesellschaft. Die große Aufgabe unserer Zeit ist, Gesell-
schaft, Wirtschaft und Umwelt in Einklang zu bringen. Doch statt mit Tatkraft eine
bessere Zukunft zu gestalten, gibt es Rentengeschenke an Stammwähler, Strompreis-
geschenke an die Industrie, Fremden-Maut für die Fans im Bierzelt. Es wird verteilt,
ohne dass die Bundesregierung die wachsende Vermögensungleichheit angeht und
ohne zu investieren. Dass zu viele Bürgerinnen und Bürger gar nichts besitzen und
wenige sehr viel, ist eine gesellschaftlich relevante Frage und auch ein wirtschaftliches
Hemmnis.
Statt Forschung, Innovation und Investitionen anzureizen, werden finanzielle Spiel-
räume verschleudert. Statt für den demografischen Wandel vorzusorgen und die Armut
zu bekämpfen, werden die Sozialkassen geplündert und zukünftige Kostensteigerun-
gen auf die Beitragszahler abgewälzt. Statt massiv in frühkindliche Bildung und Kita-
plätze zu investieren, wird mit dem Betreuungsgeld eine Daheimbleib-Prämie für

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Frauen gezahlt. Statt dringend notwendige Sanierungsinvestitionen beim Bestand von
Straßen und Schienen vorzunehmen, wird auf Neubau gesetzt. Die vom Finanzminister
Schäuble bisher angekündigten zusätzlichen Investitionen von pro Jahr 3,3 Mrd. Euro
sind völlig unzureichend. Allein das „Rentenpaket“ kostet im Jahr 2015 10 Mrd. Euro,
ohne die Probleme der Altersarmut zu lösen.
Die Projektliste, welche die Bundesregierung im Rahmen des europäischen Investiti-
onsprogramms nach Brüssel geschickt hat, ist ein Armutszeugnis. Sie umfasst extrem
teure ÖPP-Projekte im Straßenbau, überflüssige Elbe- und Weservertiefung und Mil-
liardengräber wie die A 20. Die Liste ist ein Sammelsurium an Projekten, die in den
meisten Fällen weder zukunftsfähig noch neu noch europäisch sind. Derzeit immer
weiter auf ÖPP-Projekte zu setzen, ist ein teurer und gefährlicher Irrweg der Bundes-
regierung. Höhere Zinskosten und große Renditeerwartungen der privaten Unterneh-
men führen zu einer künstlichen Verteuerung von Investitionen. Dies hat auch der
Bundesrechnungshof jüngst ausführlich in seinem Bericht zu Milliardenmehrkosten
beim Autobahnbau durch ÖPP dargelegt. Anstatt ÖPP zu forcieren, sollte der Staat
vielmehr klare Prioritäten bei den Investitionen im Haushalt setzen und Anreize dafür
schaffen, das private und unternehmerische Investitionsklima in Deutschland zu ver-
bessern.
Nur wer eine klare Vorstellung von einer nachhaltigen Wirtschaft hat, die Ökologie
und Ökonomie und soziale Belange miteinander verbindet, kann eine Aufbruchstim-
mung in der Gesellschaft und auch in der Wirtschaft herbeiführen, die zusätzliche In-
vestitionen freisetzt. Wenn heute der Mittelstand nicht investiert, liegt es auch an der
Verunsicherung, welche Rahmenbedingungen mittel- und langfristig in Deutschland
die Politik bestimmen werden. Und genau an dieser Stelle bleibt die Regierung nebu-
lös, geführt von einer Kanzlerin, die kein klares Bild von der Zukunft entwickeln kann.
Auch wenn die Struktur der Wirtschaft sich auf einige, wenige große Unternehmen
konzentriert, ist der Wettbewerb und damit das Investitionsklima in Gefahr. Damit
auch kleinere und mittlere Unternehmen faire Investitionschancen vorfinden, ist eine
aktive Wettbewerbspolitik wichtig. Hier schaut die Bundesregierung nur zu, statt zu
handeln.
Diese Bundesregierung setzt auf Betonprojekte statt auf Zukunftsinvestitionen. Sie
fährt auf Sicht, wo der Horizont weit ist. Und sie betreibt lieber nationale Nabelschau
anstatt für eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Investitionspolitik zu kämp-
fen. Das Billionenprogramm der EZB zum Ankauf von Staatsanleihen ist kein Ruhe-
kissen für die Kanzlerin. Es ist ein dringlicher Appell, endlich zu handeln. Die zusätz-
liche Liquidität muss in sinnvolle Investitionen fließen, damit mehr wirtschaftliche
Dynamik in Europa entsteht. Auch mehr Investitionen in Deutschland würden unseren
europäischen Nachbarn helfen. Doch die Bundesregierung verweigert bisher die Ver-
antwortung für Europa: Anstatt sich finanziell am europäischen Investitionsprogramm
zu beteiligen und Investitionen im Inland selbst zu finanzieren, will sie europäisches
Geld in eigene Projekte umleiten, das in anderen Mitgliedstaaten der EU viel dringen-
der gebraucht wird.
Es ist Zeit für einen Aufbruch. Nie hatten wir so viel Wissen, nie waren wir weltweit
so gut vernetzt, nie hatten wir so viele Chancen. Auf die zweifellos gewaltigen sozialen
und ökologischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, müssen wir mit Tatkraft
reagieren, um eine bessere Zukunft zu gestalten.
Die Mittel sind vorhanden, um jetzt in unsere Zukunft zu investieren. Es braucht auch
den Willen. Ausgaben z. B. bei Rüstungsprojekten müssen in Zukunftsinvestitionen
umgeleitet werden. Die Mittel müssen zielgerichtet dort ankommen, wo sie am drin-
gendsten benötigt werden, etwa bei den Kommunen vor Ort. Die über 50 Mrd. Euro
klimaschädlichen Subventionen müssen konsequent angegangen und schrittweise und
zügig abgebaut werden. Kapitaleinkommen müssen wieder progressiv wie Arbeitsein-

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kommen besteuert werden. Die Abgeltungsteuer ist abzuschaffen. Auch könnten bei-
spielsweise durch eine zügige Reform der Erbschaftsteuer finanzielle Spielräume ge-
schaffen werden, um Zukunftsinvestitionen in Deutschland solide zu finanzieren,
wodurch auch der wachsenden Vermögensungleichheit begegnet würde. Die Bekämp-
fung der Vermögensungleichheit ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sie ist auch
ökonomisch notwendig. Wirtschaftliche Stabilität braucht Maßnahmen, die einer wei-
teren Vermögenskonzentration entgegenwirken und diese korrigieren.
Das gleiche Prinzip muss auch auf EU-Ebene gelten. Die Bundesregierung muss sich
dafür einsetzen, dass Mittel aus dem EU-Haushalt, die in Atomkraft oder die Agrarin-
dustrie fließen, in europäische Zukunftsinvestitionen umgeleitet werden. Auch müssen
Steuerflucht und Steuergestaltung durch eine gemeinsame europäische Initiative stär-
ker bekämpft werden, um zusätzliche Mittel für Investitionen zu heben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Investitions- und Handlungsprogramm aufzulegen, mit dem Deutschland und Eu-
ropa in eine moderne, gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft und Wirtschaft auf-
bricht:
Investitionen in Energieeffizienz und Klimaschutz

Es ist eine kluge Investition, Geld ins Energiesparen zu stecken. Denn eine kon-
sequente Effizienzstrategie ist gleich vierfach gewinnbringend: Sie senkt die Ener-
giekosten von Privathaushalten, Gewerbe und Industrie, sie senkt die Abhängig-
keit von teuren Brennstoffimporten, sie fördert Innovation und private Investitio-
nen und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und sie schützt oben-
drein das Klima. Die völlig unzureichenden Fördermittel in diesem Bereich sollen
im Rahmen eines Investitionsprogramm Energieeffizienz auf 6 Mrd. Euro aufge-
stockt und zusammengefasst werden. Davon sollen 3 Mrd. Euro in einen neuen
Energiesparfonds zur Förderung des Energiesparens fließen, für soziale energeti-
sche Quartierssanierung in Wohngebieten mit hohem Anteil von Haushalten mit
niedrigem Einkommen, die energetische Sanierung kommunaler Liegenschaften
sowie Energieeffizienzinvestitionen in Unternehmen, 2 Mrd. Euro jährlich für die
verstetigte KfW-Förderung verwendet und zusätzlich steuerliche Anreize zur Ge-
bäudesanierung mit einem Volumen von 1 Mrd. Euro neu eingeführt werden.

Investitionen in ein zusammenwachsendes Europa
Deutschland soll sich mit 12 Mrd. Euro am geplanten EU-Investitionsfonds betei-
ligen. Europäische Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, Energienetze, Bildung,
Forschung und schnelles Internet sind genauso dringend notwendig wie die Un-
terstützung von kleinen und mittleren Unternehmen. Dabei muss sich die Bundes-
regierung neben Anreizen für private Investitionen auch für die Finanzierung öf-
fentlicher Projekte einsetzen.
Wichtige Probleme wie die Nachfrageschwäche oder auch die mancherorts massiv
eingebrochenen Investitionen der öffentlichen Hand müssen darüber hinaus gelöst
werden. Daher kann der Juncker-Plan auch nur ein Baustein einer europäischen
Antwort auf die Krise sein.

Investitionen in Forschung und Innovation
Für kleine und mittlere Unternehmen bis 250 Mitarbeiter soll eine Steuergutschrift
für alle Forschungs- und Entwicklungsausgaben eingeführt werden, die die bishe-
rige Projektförderung ergänzt und einen unbürokratischen, berechenbaren und
breiten Zugang zur Forschungsförderung bietet, der auch für kleinere Unterneh-
men und Gründungen geeignet ist.

Drucksache 18/3841 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Investitionen in die Infrastruktur der Zukunft

Forschung und Wissenschaft sind Zukunftsvorsorge und Basis für sozial-ökologi-
sche Innovationen. Wir müssen gezielt in Infrastrukturen des Wissens investieren.
Der Nachhol- und Modernisierungsbedarf der Universitäten und Fachhochschulen
bei Bauten, Technik und Geräten für Forschung und Lehre aus den letzten Jahren
muss aufgefangen und verlässliche Rahmenbedingungen bei der baulich-techni-
schen Infrastruktur geschaffen werden. Um mehr Teilhabe zu ermöglichen und
Wissen von unten miteinander zu vernetzen, müssen wir gezielt in offene digitale
Plattformen investieren, die öffentlich verfügbares Datenmaterial für alle zugäng-
lich und nutzbar machen (Open Data). Für die wirtschaftliche und gesellschaftli-
che Teilhabe brauchen wir eine flächendeckende, leistungsfähige Breitbandinfra-
struktur für alle. Über die Breitbandversorgung hinaus sollen öffentliche wie pri-
vate Vorhaben, die den Ausbau von kostenfrei nutzbaren und öffentlich zugängli-
chen WLAN-Netzwerken zum Ziel haben, aktiv unterstützt werden.

Investition in moderne Mobilität
Straßen ohne Schlaglöcher und intakte Eisenbahnbrücken sind eine Grundvoraus-
setzung für Mobilität und die Wirtschaft. Hier sind Investitionen in Instandhal-
tung und Sanierung dringend notwendig. Die Energiewende sowie die Digitalisie-
rung unserer Lebenswelt werden aber die Art und Weise, wie wir Entfernungen
überwinden, massiv verändern. Die Mobilität der Zukunft ist vernetzt und in der
Regel elektrisch oder durch eigene Muskelkraft betrieben. Wir brauchen eine Of-
fensive für einen umweltfreundlichen, öffentlichen Personennahverkehr, einen
konsequenten Ausbau der Schieneninfrastruktur und gezielte finanzielle Anreize
für den Kauf von Elektroautos. Der Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfra-
struktur, ein bundesweites Parkvorrecht für Elektroautos an Ladepunkten und der
Ausbau von Radschnellwegen für Pedelecs und E-Bikes ebnen den Weg für die
Mobilität von morgen.

Investitionen in Kommunen
In den Kommunen werden ca. 60 Prozent der öffentlichen Investitionen getätigt,
d. h. ohne umfangreiche kommunale Investitionen leidet die Zukunftsfähigkeit.
Der aktuelle kommunale Investitionsstau in Höhe von 118 Mrd. Euro zeigt, Kom-
munen leben von der Substanz. In vielen Kommunen gehören Schlaglöcher, sa-
nierungsbedürftige Schulturnhallen und marode öffentliche Gebäude zur All-
tagserfahrung der Bürgerinnen und Bürger. Für die energetische Gebäudesanie-
rung fehlt das Geld. Jahrelang musste den Kosten notwendiger kommunaler In-
vestitionen der Haushaltskonsolidierung Priorität eingeräumt werden. Deshalb be-
nötigen die Kommunen finanziellen Spielraum zur Steigerung ihrer Investitions-
tätigkeit und zur Überwindung des Investitionsstaus. Die versprochene Entlastung
bei den sozialen Pflichtausgaben (Eingliederungshilfe) von 5 Mrd. Euro für diese
Legislaturperiode muss endlich eingelöst werden. Darüber hinaus wollen wir 1
Mrd. Euro jährlich zur Unterstützung der Flüchtlingshilfe vor Ort bereitstellen.

Kinder fördern – die offene Gesellschaft stärken
Ein fortschrittliches Betreuungs- und Bildungssystem legt den Grundstein für den
Wohlstand künftiger Generationen und ist Voraussetzung für Chancengleichheit
und Teilhabe. Länder und Kommunen müssen vom Bund finanziell unterstützt
werden, um das Bildungs- und Betreuungssystem an den Herausforderungen des
21. Jahrhunderts neu auszurichten. Der Kita-Ausbau muss vorangetrieben und
qualitative Standards in der frühkindlichen Bildung und Förderung bundesgesetz-
lich verankert und gewährleistet werden, damit alle Kinder ihre Potentiale voll
entfalten können. Das Kooperationsverbot in der Bildung muss aufgehoben wer-
den. Dann müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam dafür Sorge tragen,
dass alle Kinder individuell gefördert werden und alle Schulen Lernorte für die
offene und inklusive Gesellschaft werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3841
Moderne Einwanderungsbedingungen für einen weltoffenen und innovativen

Standort Deutschland
Angesichts des demografischen Wandels und des sich für die Zukunft abzeichnen-
den breiten Fachkräftemangels braucht es ein Einwanderungsgesetz, das unter an-
derem mit gesellschaftlich vereinbarten Kriterien die Arbeitsmigration steuert.

Berlin, den 27. Januar 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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