BT-Drucksache 18/1457

Für ein starkes Primat der Politik - Für fairen Handel ohne Demokratie-Outsourcing

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1457
18. Wahlperiode 21.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Britta Haßelmann, Kerstin
Andreae, Renate Künast, Annalena Baerbock, Dr. Franziska Brantner,
Dr. Thomas Gambke, Dieter Janecek, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden,
Uwe Kekeritz, Peter Meiwald, Nicole Maisch, Dr. Harald Terpe, Matthias
Gastel, Christian Kühn (Tübingen), Ekin Deligöz, Harald Ebner, Anja Hajduk,
Katja Keul, Sylvia Kotting-Uhl, Stephan Kühn (Dresden), Markus Kurth,
Steffi Lemke, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Özcan Mutlu,
Dr. Konstantin von Notz, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Claudia Roth
(Augsburg), Dr. Gerhard Schick, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Markus Tressel, Jürgen Trittin, Doris Wagner, Dr. Valerie
Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein starkes Primat der Politik – Für fairen Handel
ohne Demokratie-Outsourcing

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit Erteilung des Verhandlungsmandats am 14. Juni 2013 steht das geplante trans-
atlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership,
TTIP) in der öffentlichen Kritik. Lauter werdende Stimmen in der Zivilgesellschaft
und in den Parlamenten haben wiederholt Kritik sowohl am intransparenten Ver-
handlungsverfahren als auch an den geplanten Inhalten geäußert. Neben dem Ab-
bau von tarifären Handelshemmnissen in Form von Zöllen soll es insbesondere um
den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse und eine Harmonisierung sowie ge-
genseitige Anerkennung von Standards in zahlreichen Sektoren gehen. Daneben ist
ein umfassendes Investitionsschutzkapitel geplant, auf dessen Grundlage Staaten
von Investoren in außergerichtlichen Schiedsgerichtsverfahren verklagt werden
könnten.

Die Kritik erstreckt sich inzwischen auch auf das fast ausverhandelte europäisch-
kanadische Freihandelsabkommen (Comprehensive Economic and Trade Agree-
ment, CETA). In CETA getroffene Regelungen könnten aufgrund der engen Ver-
flechtung der Wirtschaftsräume der USA und Kanadas schon vor Abschluss von
TTIP Fakten schaffen.

Im Fokus der inhaltlichen Kritik stehen sowohl bei TTIP als auch bei CETA die
geplanten Kapitel zum Investitionsschutz, insbesondere die außergerichtlichen
Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen (ISDS). Befürchtet wird, dass auf
Grundlage solcher Bestimmungen demokratisch legitimierte Entscheidungen im
Bereich Umwelt-, Verbraucher- oder Gesundheitsschutz vermehrt von Konzernen

Drucksache 18/1457 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

angegriffen werden. Auch ein möglicher „chilling effect“ wird diskutiert. Aus
Angst vor Klagewellen könnten Staaten davor zurückschrecken, in bestimmten
Bereichen überhaupt Regulierungen zu beschließen. Die Erfahrungen mit beste-
henden bilateralen Investitionsschutzabkommen offenbaren dabei die Miss-
brauchsanfälligkeit bestimmter Klauseln im Rahmen von außergerichtlichen
Schiedsgerichtsverfahren, wie zum Beispiel zu „fairer und gerechter Behandlung“
(fair and equal treatment – FET). Zunehmend nutzen Konzerne solche Bestimmun-
gen, um unliebsame Regulierungen zu Fall zu bringen oder hohe Schadenersatz-
forderungen, teilweise in Milliardenhöhe, geltend zu machen, für die dann die
SteuerzahlerInnen in Haftung genommen werden. Die Klage Vattenfall gegen
Deutschland, bei der 3,7 Mrd. Euro aufgrund des demokratisch beschlossenen
Atomausstiegs eingefordert werden, ist eines von vielen Beispielen. Auch der
Mangel an Transparenz und der zweifelhafte Rollentausch zwischen AnwältInnen
und RichterInnen in Schiedsgerichtsverfahren hat neben unklar definierten Rechts-
begriffen dazu geführt, dass das ursprüngliche und im Kern richtige Anliegen von
Investitionsschutzabkommen, nämlich der Schutz des Unternehmens vor Enteig-
nung, völlig ad absurdum geführt wurde.

Aufgrund des zunehmenden Drucks aus der Zivilgesellschaft und aus den Parla-
menten hat die EU-Kommission am 27. März 2014 ein Konsultationsverfahren
zum Investitionsschutzkapitel in TTIP eingeleitet. Der von der Kommission im
Rahmen der TTIP-Konsultation veröffentlichte Text basiert auf dem aktuellen
Verhandlungsergebnis von CETA. Zu kritisieren ist allerdings, dass nur Auszüge
und nicht der vollständige Textentwurf zum Investitionsschutzkapitel von CETA
veröffentlicht wurde. Wenn die Kommission die Beteiligung ihrer Bürgerinnen und
Bürger in Europa ernst nehmen würde, dann hätte sie im Rahmen des Konsultati-
onsprozesses die vollständigen Informationen zur Verfügung stellen müssen. Nur
so ist eine angemessene Beurteilung des Sachverhaltes möglich.

Völlig unverständlich ist, dass das Ergebnis des Konsultationsverfahrens nicht
auch auf die Regelungen in CETA angewendet wird. Es ist unmöglich zu dem
Schluss zu kommen, dass die Regelungen zum Investitionsschutz in CETA für
TTIP abgelehnt werden sollen, sie im Rahmen von CETA aber einfach unverändert
bestehen bleiben. Die im Rahmen des Konsultationsverfahrens publizierten Auszü-
ge aus dem Entwurf des Vertragstextes zu CETA machen zudem deutlich, dass
CETA eine präjudizierende Wirkung auf TTIP und weitere Freihandelsabkommen
hätte. Auch ohne ein Investitionsschutzkapitel in TTIP könnten Unternehmen in
den USA und der EU über Tochterfirmen in Kanada eben diese Klageprivilegien
einfordern.

Eine nachvollziehbare Begründung, weshalb ein nahezu identisches Investitions-
schutzkapitel in einem Vertragstext nötig, in einem anderen aber nicht zielführend
sein soll, gibt es nicht. Wenn die Kommission das Konsultationsverfahren also
ernsthaft und ergebnisoffen betreibt, muss sie die Ergebnisse des Verfahrens im
Rahmen von TTIP ebenfalls auf die Verhandlungen zu CETA anwenden.

Es bleibt die Frage bestehen, weshalb zwischen der EU und den USA beziehungs-
weise Kanada überhaupt solche Investitionsschutzregelungen nötig sind. Alle Ver-
tragspartner verfügen über gewachsene, robuste und international anerkannte
rechtsstaatliche Strukturen, auf die sich auch Unternehmen aus anderen Staaten
verlassen können. Bereits jetzt bestehen intensive Investitionsbeziehungen zwi-
schen der EU und den USA sowie Kanada. Die große Anzahl der gegenseitig getä-
tigten ausländischen Direktinvestitionen zeugt von einem gewachsenen, stetigen
Vertrauen in die Investitionssicherung und die gesetzlichen Grundlagen.

Angesichts der großen politischen und finanziellen Risiken, die mit einem schlecht
ausgestalteten Investitionsschutzkapitel verbunden sind, und angesichts der Tatsa-
che, dass die EU und die USA sowie Kanada über ausreichend entwickelte Rechts-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1457

systeme verfügen, um etwaige Konflikte vor nationalen Gerichten zu lösen, müs-
sen die Verhandlungen zu Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen beendet
werden. Ein von der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN veranstalte-
tes Fachgespräch zum Thema hat gezeigt: Die Vorstellungen der EU-Kommission
zum Investitionsschutz weisen zwar an manchen Stellen Verbesserungen im Ver-
gleich zu bisherigen Abkommen auf; sie lösen aber nicht den Kern des Problems,
nämlich die Schaffung von Privilegien für internationale Konzerne, ihre Klage vor
privaten Schiedsgerichten vorbringen zu können und damit die staatliche Gerichts-
barkeit zu umgehen. Rechtsstaatliche Verfahren finden grundsätzlich öffentlich
und zwar vor dem gesetzlichen Richter statt, der in der Regel auf Lebenszeit er-
nannt und damit unabhängig ist. In Artikel 92 des Grundgesetzes heißt es: „Die
rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut“. Anders als bei einer Einigung
zwischen zwei Privatparteien kann sich der Staat nicht ohne weiteres einem gehei-
men Schiedsverfahren unterwerfen, bei dem möglicherweise subjektive Rechte
Dritter, nämlich der Bürgerinnen und Bürger verletzt werden könnten. Die Exeku-
tive ist an Recht und Gesetz gebunden und ist der öffentlichen Kontrolle durch
Parlament und Rechtsprechung unterworfen.

Aus diesem Grunde ist das klare Signal notwendig, dass der Deutsche Bundestag
keinem Freihandelsabkommen mit den USA oder Kanada zustimmen wird, wel-
ches solche Schiedsverfahren vorsieht. Die Regierungsfraktionen haben im Koali-
tionsvertrag vereinbart, das Rechtsprechungsmonopol des Staates zu stärken. Wer
den Rechtsstaat aber stärken will, darf diesen nicht zur Disposition stellen.

Neben den Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren stehen die Pläne zur regulatori-
schen Kooperation und die Einrichtung von Regulierungsräten in der Kritik. Ähn-
lich wie in bestehenden Abkommen soll über den Vertragstext hinaus die Anglei-
chung von Zulassungsverfahren und Standards angestrebt werden. Solche Verfah-
ren haben sich in der Vergangenheit anfällig für Einflussnahme durch Lobbyinte-
ressen erwiesen, etwa im Fall von NAFTA. Diese Regulierungsräte arbeiten weit-
gehend intransparent und würden sich der parlamentarischen und öffentlichen Kon-
trolle weitgehend entziehen. Auch die Vereinbarungen zu vereinfachten und rein
wissenschaftsbasierten Zulassungsverfahren stellen in der jetzigen Form einen
klaren Angriff auf das europäische Vorsorgeprinzip dar.

Erklärtes Ziel amerikanischer Konzerne wie Monsanto ist die Aushebelung oder
Aufweichung europäischer Standards wie der Nulltoleranz bei Gentechnik in Le-
bensmitteln. Auch die in CETA getroffenen Vereinbarungen sehen vor, Interessen-
gruppen – de facto aber vor allem betroffene WirtschaftsteilnehmerInnen – schon
in einem sehr frühen Stadium Gelegenheit zur Stellungnahme und damit zur Ein-
flussnahme auf geplante Regulierungsvorhaben zu geben. Dass hieraus eine Ge-
fahr, zum Beispiel auch für die künftige Chemikalien- und Pestizidzulassung und
-regulierung erwächst, bestätigen zwei aktuelle Gutachten des Wissenschaftlichen
Dienstes des Bundestags.1

Von Seiten kommunaler Akteure, beispielsweise des Deutschen Städtetags, wurde
im Zusammenhang mit den geplanten Abkommen wiederholt auf die Risiken im
Bereich der Dienstleistungsliberalisierung hingewiesen. Die kommunale Gestal-
tungshoheit bei der Daseinsvorsorge darf nicht durch Handelsabkommen gefährdet
werden, lautet die Forderung an die Bundesregierung. Das gilt für Bereiche wie
Abfall und ÖPNV, soziale Dienstleistungen sowie alle Leistungen der öffentlichen
Daseinsvorsorge im Kulturbereich. Keinesfalls darf die Liberalisierung der Was-
serversorgung durch das Freihandelsabkommen wieder durch die Hintertür auf den
Tisch kommen.

1 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag: „Zulassung von Pflanzenschutzmitteln – Unterschiede zwischen der EU und den USA“
(WD 7 – 3000 – 056/014) und „Zulassung von Chemikalien – Unterschiede zwischen der EU und den USA“ (WD 7 – 3000 – 055/014)

Drucksache 18/1457 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Das Ansinnen der Kommission, eine so genannte „Negativliste“ aufzustellen, die
einmalig festlegen würde, welche Bereiche ausdrücklich von einer Liberalisierung
ausgenommen werden, ist nicht akzeptabel, weil eine solche Liste in Zukunft nur
sehr schwer erweiterbar ist. Einmal freigegebene Marktzugänge sind nur sehr
schwer oder nur zu immensen Kosten wieder rückgängig zu machen. Eine „Posi-
tivliste“ in der zunächst auch unter den kommunalen Akteuren unstrittige Bereiche
genannt werden, für die Marktzugänge möglich sein sollen, würde Flexibilität auch
für Re-Kommunalisierungen eröffnen und die kommunale Gestaltungs- und Orga-
nisationshoheit am besten schützen.

Unklar ist zudem sowohl bei TTIP als auch bei CETA die Frage des Charakters der
Abkommen. Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf die Kleine Anfrage
(Bundestagsdrucksache 18/828) der antragstellenden Fraktion bestätigt, dass es
keine Einigkeit zwischen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission
darüber gibt, ob die Abkommen auch durch die EU-Mitgliedstaaten ratifiziert wer-
den müssen. Dass hier keine Klarheit besteht ist bei CETA besonders bedenklich.
Am 18. Oktober 2013 wurde eine politische Einigung für das Abkommen erzielt
und die Verhandlungen sollen Anfang Mai 2014 zu einem Abschluss gebracht
werden.

Die Auffassung der Mitgliedstaaten, es handle sich jeweils um gemischte Abkom-
men, steht hier gegen die Auffassung der EU-Kommission, sie könne auch alleine
Vertragspartnerin werden. In diesem Fall würden beide Abkommen ausschließlich
auf EU-Ebene geschlossen, ohne eine Ratifizierung durch die 28 Mitgliedstaaten.
Die grundsätzliche Frage, wer jeweils Vertragspartner wird, muss dringend geklärt
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich unverzüglich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass
weder CETA noch TTIP Regelungen beinhalten, die die Handlungs- und
Gestaltungsspielräume der demokratisch legitimierten Gesetzgeber zu-
künftig einschränken, Gemeinwohlinteressen hinter den Partikularinteres-
sen großer Konzerne zurücktreten lassen oder nationale Rechtssysteme un-
terlaufen;

2. sich unverzüglich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass
weder in CETA noch in TTIP ein Mechanismus zu außergerichtlichen
Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten aufgenommen wird be-
ziehungsweise ein Abkommen, das einen solchen Streitbeilegungsmecha-
nismus vorsieht, abzulehnen;

3. im Rat der Europäischen Union gegen ein Abkommen zu stimmen, wenn
darin Regelungen zur regulatorischen Kooperation getroffen werden, die
kurz- oder langfristig zu einer Absenkung von Umwelt-, Verbraucher- und
Datenschutz- oder Sozialstandards führen könnten, die das Vorsorgeprin-
zip in Frage stellen oder in Zukunft gesetzgeberische Handlungsmöglich-
keiten, bspw. im Urheberrecht, einschränken könnten;

4. im Bereich der Dienstleistungen in CETA und TTIP für so genannte Posi-
tivlisten einzutreten, die zunächst nur Marktzugänge für wenige, auch un-
ter kommunalen Akteuren unstrittige Bereiche schaffen und explizit nicht
für die kommunale Daseinsvorsorge, insbesondere Bereiche, wie die öf-
fentliche Wasserver- und Abwasserentsorgung, Abfall und ÖPNV, soziale
Dienstleistungen sowie alle Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge
im Kulturbereich;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1457

5. sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, dass CETA und TTIP
als gemischte Abkommen abgeschlossen werden und der CETA-
Vertragstext bereits zum jetzigen Zeitpunkt entsprechend angepasst wird.

Berlin, den 20. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Bei den Verhandlungen zu TTIP und CETA geht es nicht in erster Linie um die Absenkung von Zöllen. Zwar
spielen Zölle für eine kleine Gruppe von Branchen eine wichtige Rolle, im Durchschnitt liegen sie aber bei
nur 3 Prozent. Der Schwerpunkt in der Zielsetzung von TTIP und CETA liegt eindeutig in der Schaffung
eines umfassenden Investitionsschutzes und der Angleichung regulatorischer Standards.

Um die Angleichung regulatorischer Standards zu erreichen, sollen bestehende Zulassungsverfahren und
Standards harmonisiert bzw. als äquivalent betrachtet werden. Die Abstimmung über in Zukunft abzuschlie-
ßende Regulierungen soll im Rahmen von Regulations- bzw. Kohärenzgremien erfolgen, die im Anschluss an
die Ratifizierung von TTIP bzw. CETA ihre Arbeit aufnehmen sollen.

Die Angleichung bestehender Zulassungsverfahren und Standards darf in keinem Fall zu einer Senkung des
Schutzniveaus etablierter Standards führen. Dies gilt sowohl für europäische als auch für US-amerikanische
und kanadische Schutzstandards. Stattdessen sollten bewährte und hohe Standards auf eine mögliche Über-
nahme hin geprüft werden, etwa im Bereich der Finanzmarktregulierung oder bei der Kennzeichnung von
Lebensmitteln. Die Ex-ante-Harmonisierung von Zulassungsverfahren und Standards durch so genannte
„Regulatory Cooperation Councils“ hat sich bereits im Rahmen von NAFTA als enorm anfällig für die Ein-
flussnahme durch Lobbyisten erwiesen, die über die nötigen Mittel verfügen, um ihre Interessen massiv zu
vertreten. Vertreter der Zivilgesellschaft sowie NGOs würden dagegen vermutlich nicht oder nur unzurei-
chend über die Pläne informiert. Die Anbindung solcher Gremien an legislative Prozesse auf nationaler und
supranationaler Ebene bleibt unklar. Deshalb ist ein solches Demokratie-Outsourcing abzulehnen, insbeson-
dere dann, wenn es den Einfluss der demokratisch legitimierten Parlamente auch nur im Ansatz beschneidet.
Die Verlagerung von Entscheidungen über gesetzliche Regulierung von demokratisch gewachsenen und der
Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft schuldigen Institutionen in intransparente Gremien, die unter Aus-
schluss der Öffentlichkeit tagen, ist nicht hinnehmbar.

Die Probleme mit bestehenden Investitionsschutzbestimmungen resultieren insbesondere aus der Verwen-
dung unklar definierter Rechtsbegriffe, die eine weite und oft widersprüchliche Auslegung der Abkommen
ermöglichen. Laut UNCTAD werden ähnliche oder identische Rechtsbegriffe divergierend interpretiert. Am
anfälligsten hierfür sind so genannte FET-Klauseln, die Unternehmen faire und gerechte Behandlung garan-
tieren, aber meist kaum konkretisieren, wie diese zu verstehen ist. Hinzu kommen Klauseln zur indirekten
Enteignung, die nur in wenigen Fällen klar definiert sind. So genannte „Most Favoured Nation“-Klauseln, im
internationalen Handel generell ein gutes Prinzip, ermöglichen es darüber hinaus Investoren, sich in ihren
Klagen auf günstigere Bestimmungen in anderen Investitionsschutzabkommen zu berufen. Eine Präzisierung
der einschlägig als Klagegrund angeführten Rechtsbegriffe in einem Abkommen allein ist also nicht ausrei-
chend.

Zudem stehen auch die Streitbeilegungsverfahren selbst in der Kritik. Denn die entsprechenden Konzernkla-
gen erfolgen in der Regel nicht vor den nationalen Gerichten, sondern vor so genannten Investor-Staat-
Schiedsgerichten. Diesen Verfahren mangelt es massiv an Transparenz. Verhandlungen sind für die Öffent-
lichkeit im Regelfall nicht nachvollziehbar und die Option einer Berufung ist nicht vorgesehen. Zudem gibt
es keine klare Trennung zwischen der Person der Anwälte und der RichterInnen. Dieselbe Person kann in
einem Schiedsgerichtsverfahren als Anwalt einer Partei auftreten und in einem anderen Schiedsgerichts-

Drucksache 18/1457 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

verfahren als Richter fungieren, was zu Interessenskonflikten führen kann. Auch die Bezahlung pro Fall und
Verhandlungstag schafft Anreize, Klagen eher für rechtmäßig zu erklären bzw. durch eine weite Auslegung
der Investitionsschutzklauseln Unternehmen zu weiteren Klagen zu ermutigen.

Gleichzeitig ist der erwartete Nutzen für Firmen oder die Bürgerinnen und Bürger Europas aus dem Ab-
schluss solch eines Investitionsschutzabkommens in TTIP vernachlässigbar. Bereits jetzt bestehen intensive
Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA, das bilaterale Investitionsvolumen zwischen beiden
Partnern belief sich Ende 2012 auf 320 Mrd. US-Dollar.2 Das hohe Volumen der gegenseitig getätigten aus-
ländischen Direktinvestitionen zeugt von einem gewachsenen, stetigen Vertrauen in die Handelspartnerschaft
und die gesetzlichen Grundlagen, auf denen diese entstanden ist. Beide Seiten verfügen über gewachsene,
robuste und international anerkannte rechtsstaatliche Grundordnungen, auf die sich auch Unternehmen aus
anderen Staaten verlassen können. Etwaige Konflikte können vor den nationalen Gerichten sehr gut gelöst
werden. Der Nachweis, dass ein solches Kapitel in einem Freihandelsabkommen zwischen den USA und der
EU benötigt wird, konnte bisher nicht erbracht werden.

2 Quelle: Auswärtiges Amt: www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/UsaVereinigteStaaten/Bilateral_node.html

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