BT-Drucksache 18/12137

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu 27. am 29. April 2017 in Brüssel

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12137

18. Wahlperiode 26.04.2017

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Annalena Baerbock,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Franziska Brantner, Omid Nouripour,
Katharina Dröge, Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Uwe
Kekeritz, Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir,
Claudia Roth (Augsburg), Jürgen Trittin, Doris Wagner, Dr. Thomas Gambke,
Britta Haßelmann, Anja Hajduk, Sven-Christian Kindler, Markus Kurth,
Dr. Gerhard Schick und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu 27 am 29. April 2017 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die britische Regierung hat am 29. März 2017 gegenüber dem Europäischen Rat ge-
mäß Art. 50 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) offiziell den
Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU erklärt. Der Bundestag nimmt zur
Kenntnis, dass die britische Regierung damit dem demokratischen Willen einer knap-
pen Mehrheit der Menschen im Vereinigten Königreich nachkommt, die sich in dem
Referendum vom 23. Juni 2016 gegen den Verbleib des Vereinigten Königreiches in
der EU entschieden hat. Der Bundestag bedauert diesen Schritt zutiefst. Er bedeutet
einen historischen Einschnitt für Europa und den europäischen Einigungsprozess.
Nach Jahrzehnten der fortschreitenden Integration und Erweiterung möchte erstmals
ein Mitgliedstaat die Gemeinschaft europäischer Staaten verlassen. Dieser Schritt be-
deutet aber vor allem eine neue Zeit der Unsicherheit für die Menschen in Großbritan-
nien.

Der Zusammenhalt der EU-27 hat oberste Priorität in den anstehenden Verhandlungen.
Deutschland ist nun in einer Schlüsselrolle, den Zusammenhalt der Europäischen
Union, die Integrität des Binnenmarkts und die Einheitlichkeit des Europarechts in den
Verhandlungen zu wahren. Verhandlungen mit einem zukünftigen Drittstaat dürfen
nicht dazu führen, dass Errungenschaften der europäischen Einigung infrage gestellt
oder gar rückgängig gemacht werden. Das gemeinsame, übergeordnete Ziel der Ge-
meinschaftsinstitutionen wie auch der 27 EU-Mitgliedstaaten in den Verhandlungen
muss sein, den Zusammenhalt zu stärken. Es darf kein Verhandlungsergebnis mit dem
Vereinigten Königreich geben, das auf Kosten der Europäischen Union geht. Alle Vor-
schläge, die die Fliehkräfte innerhalb der EU erhöhen, hätten unabdingbare Folgen für
uns alle. Dem muss entschlossen entgegengetreten werden.

Drucksache 18/12137 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Der nachhaltige Zusammenhalt der EU-27 muss ausschlaggebend sein, wenn Europä-
ischer Rat, Rat und Kommission die Verhandlungsleitlinien und -richtlinien sowie das
Verhandlungsmandat festlegen. Die Europäische Union muss deutlich machen, dass
in den Verhandlungen die europäischen Interessen oberste Priorität haben. Großbri-
tannien muss erkennen, dass es eine Rolle spielt, ob ein Land Mitglied der Familie der
Europäischen Union sein möchte oder nicht. Bis zum tatsächlichen Austritt sind von
britischer und EU-Seite gleichermaßen alle Rechte und Pflichten, die sich aus der EU-
Mitgliedschaft ergeben, vollständig zu achten und einzuhalten. Erst nach Abschluss
des Austrittsvertrages kann die EU die neuen vertraglichen Beziehungen, dann mit
dem „Nichtmitglied“ Großbritannien vereinbaren.

Die Verhandlungen werden von unterschiedlichen Interessenlagen bestimmt werden.
Die EU und ihre 27 Mitgliedstaaten müssen im Rahmen der Verhandlungen ihre Inte-
ressen kohärent und solidarisch bündeln und gegenüber dem Vereinigten Königreich
gemeinsam vertreten.

Der Bundestag nimmt die besonderen Interessen der Teile des Vereinigten König-
reichs zur Kenntnis, die im Referendum mehrheitlich für den Verbleib in der EU ge-
stimmt haben. Offensichtlich wünscht sich eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
in Nordirland, Gibraltar und Schottland auch in Zukunft eine enge Anbindung an die
EU. Grundlage hierfür kann aber nur eine friedliche und einvernehmliche innerbriti-
sche Lösung im Einklang mit internationalem und nationalem Recht sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert im Rahmen seiner Rechte gemäß Artikel 23 Ab-
satz 2 GG die Bundesregierung auf,

sich bei den Verhandlungen im Europäischen Rat und im Rat der EU über die Ver-
handlungsleitlinien und -richtlinien sowie das Verhandlungsmandat für folgende maß-
geblichen Punkte einzusetzen:

1. Oberste Priorität in den Verhandlungen muss eine starke Europäische Union sein.
Der Zusammenhalt der EU-27 und die Interessen der Mitgliedstaaten haben zwei-
felsfrei Priorität vor dem Einzelinteresse des Vereinigten Königreichs.

2. Einen britischen „Austritt à la carte“ gilt es auszuschließen. Ein freier Zugang
zum EU-Binnenmarkt darf wie bisher nur möglich sein, wenn die Einheitlichkeit
des Europarechts, die Rechtssetzung und Jurisdiktion der Gemeinschaftsorgane
und die Geltung aller vier Grundfreiheiten insbesondere der Personenfreizügig-
keit gewahrt bleiben.

3. Das Europäische Parlament ist frühzeitig und umfassend an dem Verhandlungs-
prozess zu beteiligen, um die demokratische Rückbindung auf europäischer
Ebene zu stärken und eine zügige Beschlussfassung des Austritts am Ende des
Prozesses zu gewährleisten.

4. Die Interessen der 26 weiteren verbleibenden Mitgliedstaaten der EU sind bei der
Festlegung der deutschen Verhandlungsposition zu berücksichtigen.

5. Die Kommission ist anzuhalten, die Verhandlungen so öffentlich wie möglich zu
führen und ihren Rechenschaftspflichten gegenüber dem Europäischen Parlament
nachzukommen. Nebenverhandlungen an der Kommission vorbei, beispielsweise
durch einzelne Mitgliedstaaten sind auszuschließen. Die Bevölkerung der Euro-
päischen Union ist fortlaufend und umfassend über den Stand der Verhandlungen
zu informieren.

6. Die informierte Mitwirkung des Deutschen Bundestages ist auf Grundlage von
Art. 23 GG i. V. m. dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung
und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
(EUZBBG) sicherzustellen. Er ist von der Bundesregierung umfassend, frühest-
möglich und fortlaufend über den Verhandlungsprozess zu informieren.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12137

7. Ein mögliches Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich kann erst
finalisiert werden, wenn Großbritannien rechtswirksam ausgetreten ist. Sollte es
schon während der Verhandlungen zu Gesprächen über ein Freihandelsabkom-
men oder sogar offiziellen Verhandlungen kommen, muss der Rat das Europäi-
sche Parlament vorher um Zustimmung zu den Grundlagen der Verhandlungen
bitten. Es ist deutlich zu machen, dass die Zuständigkeit für solche Verhandlun-
gen nach den Verträgen bei der EU-Kommission liegt.

8. Im deutschen und europäischen Interesse sollte die funktionierende Partnerschaft
mit dem Vereinigten Königreich im Rahmen der NATO und der OSZE gestärkt
werden. Die Bundesregierung muss deutlich machen, dass es für eine erfolgreiche
Zusammenarbeit im Rahmen des Europarates bei der Rechtsprechung des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine Ausnahmen für Großbritannien
geben kann. Gleichzeitig muss klar sein, dass Großbritannien die Option eines
eventuellen Wiedereintritts, nach den Regeln der europäischen Verträge, jeder-
zeit offen steht.

Berlin, den 25. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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