BT-Drucksache 18/1093

Die Verhandlungen zum EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP stoppen

Vom 8. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1093
18. Wahlperiode 08.04.2014

Antrag
der Abgeordneten Thomas Nord, Klaus Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, Karin
Binder, Matthias W. Birkwald, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Diana
Golze, Dr. Rosemarie Hein, Andrej Hunko, Sigrid Hupach, Susanna
Karawanskij, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Katrin
Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Thomas Lutze, Cornelia
Möhring, Harald Petzold (Havelland), Richard Pitterle, Michael Schlecht,
Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Dr. Kirsten Tackmann, Azize Tank, Frank
Tempel, Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Dr. Sahra
Wagenknecht, Harald Weinberg, Katrin Werner, Birgit Wöllert, Sabine
Zimmermann (Zwickau), Pia Zimmermann, und der Fraktion DIE LINKE.

Die Verhandlungen zum EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 2013 verhandeln die EU-Kommission und die US-Administration im kleinen
Kreis ausgesuchter Bürokraten über die „Transatlantic Trade and Investment
Partnership“ (TTIP). Mittlerweile steht die 5. Verhandlungsrunde bevor, die am
19. Mai 2014 beginnt. Laut EU-Kommission wurden in der 4. Verhandlungsrun-
de bestehende Konflikte nicht ausgeräumt. Darüber hinaus werfen zahlreiche
offizielle Positionen der EU-Kommission und der Bundesregierung zu sensiblen
Politikbereichen erhebliche Zweifel auf. So behauptet die Bundesregierung in
Anlehnung an die EU-Kommission stets, über TTIP würden keine Standards,
Normen und Regeln gesenkt und es gebe keine qualitativen Verschlechterungen
u. a. im Verbraucher- und Umweltschutz, bei Arbeitnehmerrechten und beim
Datenschutz. Laut Ergebnisbericht der EU-Kommission zur 4. Verhandlungsrun-
de, der über das kritische Netzwerk deutscher Nichtregierungsorganisationen
(ttip-unfairhandelbar) veröffentlicht wurde, hat sie insbesondere das für den eu-
ropäischen Verbraucher- und Umweltschutz essentielle Vorsorgeprinzip nur sehr
halbherzig verteidigt. Erwogen wird vielmehr eine gleichwertige Anerkennung
der US-amerikanischen wissenschaftlich basierten Risikoabschätzung (science-
based risk assesment), was die Beweislast für ein Verbot bestimmter Produkte
und Verfahren umkehrt und das Vorsorgeprinzip aushebeln kann. Ebenso pocht
die US-Seite für zentrale Dokumente weiter auf strengste Geheimhaltung, was
die EU-Kommission widerspruchslos akzeptiert. Für die EU-Delegation hatten
Fragen zur Regulation der Finanzmärkte und zum Marktzugang für Finanzpro-
dukte erneut oberste Priorität, während die US-Seite kategorisch Verhandlungen
ablehnt und ihre zum Teil strengere Regulierung nicht in Frage stellen lassen
will. Ähnliche Unterschiede gibt es bei der öffentlichen Beschaffung und Auf-

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tragsvergabe. Die EU will eine weitgehende Liberalisierung, den die US-
Delegation für die Bundesstaaten schon aus Verfassungsgründen nicht anbieten
kann. Die Ratifizierung aller Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorga-
nisation (ILO) als minimaler Schutz der Arbeitnehmerrechte ist für die US-Seite
nach wie vor irrelevant. Schließlich gibt es insgesamt großes Interesse, die Berei-
che Kultur und Dienstleistungen einer weitgehenden Liberalisierungsagenda zu
unterwerfen.

Der Verlauf der 4. Verhandlungsrunde zum TTIP bestätigte erneut zentrale Be-
fürchtungen zivilgesellschaftlicher Akteure in der EU und den USA, kritischer
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, vieler Abgeordneter nationaler Par-
lamente und des Europaparlaments bis hin zu Gewerkschaften wie ver.di und der
IG Metall. Selbst Teile der Bundesregierung, wie das SPD-geführte Umweltmi-
nisterium, formulierten starke Vorbehalte gegen das TTIP und der bayerische
Finanzminister Markus Söder (CSU) plädierte für einen europaweiten Volksent-
scheid (Handelsblatt, 8.3.2014). Die immer wieder behaupteten Chancen des
TTIP und dessen Vorteile für die Bevölkerung sind mehr als vage – selbst nach
den Zahlen der EU-Kommission sind keine nennenswerten Wachstums- und
Beschäftigungseffekte zu erwarten – dafür werden die Risiken und Gefahren
klarer. Entschiedenen Zuspruch findet das Freihandelsabkommen bei zahlreichen
europäischen und US-amerikanischen Unternehmen, Konzernen und Banken.
Denn BMW, Siemens und Monsanto, die Deutsche Bank und JP Chase Morgan,
BASF und Google, Bertelsmann, ExxonMobil und viele andere würden profitie-
ren. Dafür sorgten viele Unternehmensvertreter und deren Lobbygruppen bereits
im Vorfeld der Erstellung des Verhandlungsmandats und durch ihren engen
Draht in die EU-Kommission und US-Administration. Ihnen wird ermöglicht,
was demokratisch gewählten Parlamentariern und der Öffentlichkeit verwehrt ist:
Einblick in relevante Dokumente, exklusiver Zugang zu den Delegationen und
zeitnahe Information über den Verhandlungsstand.

Wie weit dieser Einfluss reicht, belegt u. a. ein Artikel der „New York Times“
vom 8. Oktober 2013 (Danny Hakim: European Officials Consulted Business
Leaders on Trade Pact), der aus internen Dokumenten zitiert, in denen die Vor-
schläge der europäischen Lobbygruppe BusinessEurope und der American
Chamber of Commerce (AmCham) analysiert wurden. Die Vorschläge behandel-
ten den Bereich der künftigen „regulatorischen Kooperation“. Offensichtlich war
die EU-Kommission bereit, das entsprechende TTIP-Kapitel nach den Wünschen
der Konzernlobbies zu strukturieren. BusinessEurope und AmCham forderten mit
Erfolg, dass im TTIP ein Verfahren der „regulatorischen Verhandlung“ festgelegt
wird und der Vertrag als „living agrement“ zu konzipieren sei. D. h. künftige
Regularien, Normen und Gesetze wären vorab einer noch zu schaffenden Regu-
lierungsinstanz (regulatory board) vorzulegen, in denen Unternehmensvertreter
exklusiven Zugang und Mitspracherechte hätten. Nach dem Willen der EU wür-
den damit künftig Interessengruppen mit Regulierern zusammensitzen, um über
Gesetze zu befinden. So entmachtet sich Politik. Das Europaparlament und alle
nationalen Parlamente wären stark in ihrer Souveränität beschnitten.

Eine bessere Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA ist angesichts un-
zähliger Probleme überfällig. Denn schon heute sind ökologische, soziale und
wirtschaftliche Krisen nur gemeinsam unter dem Dach der Vereinten Nationen zu
lösen. Der Bundestag muss die Demokratien stärken, für soziale Gerechtigkeit
sorgen, den Klimaschutz und eine effektive Regulierung der Finanzmärkte vo-
ranbringen. Zentrale Bausteine dafür sind u. a. eine solidarische Ökonomie, der
Schutz bäuerlicher und gemeinwohlorientierter (Land-)Wirtschaft sowie ein
wirksamer Verbraucher-, Daten- und Rechtsschutz gegenüber Unternehmen,
Konzernen, Banken und Staaten. Mit einem Freihandelsabkommen zwischen der
EU und den USA sind diese Ziele nicht zu erreichen, im Gegenteil. Hier geht es

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allein um Marktfreiheit für Unternehmen und dazu werden „störende“ und kost-
spielige Normen, Standards und Vorschriften im Zweifel einfach fallen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, das Verhandlungs-
mandat der EU-Kommission zum TTIP aufzuheben und die laufenden Ver-
handlungen unverzüglich zu stoppen;

2. sich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, die weit fortgeschrit-
tenen und fast identischen geheimen Verhandlungen über das Freihandelsab-
kommen der EU mit Kanada (CETA) auszusetzen;

3. die Außenhandels- und Investitionsschutzpolitik der EU nachhaltig zu verän-
dern, u. a. Institutionen der Vereinten Nationen (u. a. UNCTAD, UNESCO,
ILO) einzubeziehen und sich dafür einzusetzen, dass
Verhandlungen mit so weitreichenden regionalen, nationalen und europäi-
schen Wirkungen nie wieder unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit und
ohne inhaltliche Mitentscheidungsrechte des EU-Parlaments und der gewähl-
ten Parlamentarier der Mitgliedstaaten stattfinden;
Unternehmen, Banken und Konzernen keine privilegierten Rechte durch
Investitionsschutzklauseln und Streitschlichtungsverfahren eingeräumt und
entsprechende Klauseln in bilateralen Abkommen und Abkommen der EU
überprüft, verändert und gestrichen werden;
europäische Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sowie der Schutz von
Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen erhalten und wei-
terentwickelt werden und es keine qualitative Verschlechterung durch An-
gleichung und gegenseitige Anerkennung von Methoden der Standard- und
Normsetzung und Regulierung über internationale Abkommen gibt;
im Zentrum aller Handels- und Investitionsabkommen rechtsverbindlich
Arbeits- und Menschenrechte geregelt werden und den Beschäftigten und ih-
ren Vertreterinnen und Vertretern entsprechende Rechte zur Durchsetzung
eingeräumt und für die Unternehmen sanktionsfähige Pflichten etabliert wer-
den;
die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von
allen Verhandlungspartnern ratifiziert, verbindlich in Handels- und Investiti-
onsabkommen aufgenommen werden und ein effektives Verfahren der Eva-
luation und Rechtsdurchsetzung festgeschrieben wird;
öffentliche, kommunale Dienstleistungen vor dem Zwang zur Liberalisierung
geschützt und Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge (Bildung, Ge-
sundheit, Kultur, öffentlicher Verkehr, Wasser-, Abwasser- und Energiever-
sorgung etc.) zu nicht handelbaren öffentlichen Gütern erklärt werden;
nationale bzw. regionale Wirtschaftsstrukturen gefördert und die Vorzugsbe-
handlung von Unternehmen mit der Maßgabe der Stärkung des Binnenmark-
tes möglich ist, entsprechende „local content Klauseln“ (Anteil der im Inland
erstellten Güter/Dienstleistungen etc.) eingeführt und wo vorhanden auf-
rechterhalten werden, und die Korruption und Verschwendung von Steuer-
mitteln im öffentlichen Beschaffungswesen und bei der öffentlichen Auf-
tragsvergabe zu bekämpfen;
die kulturelle Vielfalt effektiv geschützt wird und dazu u. a. die UNESCO-
Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Aus-
drucksformen von allen Verhandlungspartnern zu ratifizieren ist;
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der Schutz der informationellen Selbstbestimmung sowie ein qualitativ hoher
Datenschutz, die Datensicherheit und Freiheit der Kommunikation im Inter-
net zum Kernbestandteil von Handels- und Investitionsabkommen gehören;
alle Verhandlungspartner vorab ein „No Spy“-Abkommen aushandeln und
die Verletzung von Persönlichkeitsrechten effektiv unterbunden wird.

Berlin, den 8. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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