BT-Drucksache 17/9581

Keine Schließung des einzigen deutschen Schienenherstellers TSTG Schienen Technik in Duisburg - Übernahme des Unternehmens durch die Deutsche Bahn AG

Vom 8. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9581
17. Wahlperiode 08. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Roland Claus, Sevim Dag˘delen, Andrej Hunko, Ulla Jelpke,
Katrin Kunert, Caren Lay, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Paul Schäfer (Köln),
Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Schließung des einzigen deutschen Schienenherstellers TSTG Schienen
Technik in Duisburg – Übernahme des Unternehmens durch die Deutsche Bahn AG

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der einzige verbliebene Schienenhersteller auf deutschem Boden, die TSTG
Schienen Technik GmbH & Co. KG in Duisburg, soll nach dem Beschluss
der Muttergesellschaft, der voestalpine AG in Wien, Ende 2012 geschlossen
und damit knapp 500 Arbeitsplätze vernichtet werden. Die Aufgabe jeglicher
Fertigung in diesem Bereich widerspricht einer wohl verstandenen Standort-
politik.

2. Als Begründung für die beschlossene Werksschließung nennt voestalpine AG
„Unwirtschaftlichkeit“ und „Überkapazitäten“. Tatsächlich fertigt das Werk
in Duisburg seit 130 Jahren Schienen und war in diesem Zeitraum fast immer
gut ausgelastet. TSTG Schienen Technik ist auch im Frühjahr 2012 gut aus-
gelastet, es werden Überstunden gefahren. Innerhalb des voestalpine-Ver-
bunds sollen, u. a. in Österreich, neue Kapazitäten aufgebaut werden, mit
denen die bestehenden Kapazitäten in Duisburg ersetzt werden.

3. Mitte 2011 flog das seit den 90er-Jahren zu Lasten fast aller europäischen
Eisenbahnen wirkende Kartell „Schienenfreunde“ auf. Es wurde von den
Stahlkonzernen voestalpine AG und Thyssen bzw. ThyssenKrupp AG ange-
führt. Vieles spricht dafür, dass das Führungspersonal der Deutschen Bahn AG
über das Bestehen des Stahlkartells informiert war. Die voestalpine AG hat
erhebliche Rückstellungen für eine zu erwartende Kartellrechtsstrafe gebil-
det. Die Schließung von TSTG Schienen Technik ist somit auch Resultat von
Managementversagen bei der voestalpine AG und der Deutschen Bahn AG.

Der TSTG-Belegschaft kommt die Rolle eines Bauernopfers zu.

4. Die Deutsche Bahn AG ist mit der 100-prozentigen Tochter DB Netz Ober-
baustoffe Witten, dem führenden Hersteller von Schienenweichen, bereits im
produktiven Sektor Schienenbau engagiert. Dieses Unternehmen arbeitet seit
langer Zeit eng mit der TSTG Schienen Technik in Duisburg zusammen. Ein
Zusammengehen von TSTG Schienen Technik und der Deutschen Bahn AG

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macht auch vor diesem Hintergrund Sinn; eine zukünftige Anlieferung von
Schienen- und Weichenstahl über große Entfernungen (z. B. aus Österreich)
ist auch aus ökologischen Gesichtspunkten abzulehnen.

5. Die Deutsche Bahn AG hat seit Ende der 90er-Jahre und bis heute einen bei-
spiellosen Abbau der Schieneninfrastruktur betrieben. Es kam dabei zu einer
qualitativen Schwächung der Schiene. Es existiert heute ein gewaltiger Nach-
holbedarf im Bereich des Ersatzes und Ausbaus von Schienen und Weichen.
Die Finanzierung solcher Investitionen ist dann gesichert, wenn die Deutsche
Bahn AG ihre Gewinne in Deutschland reinvestiert. Allein der Jahresgewinn
der Deutschen Bahn AG 2011 entspricht dem Zehnfachen des Jahresumsatzes
der TSTG Schienen Technik in Duisburg.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in ihrer Funktion als Vertreterin der 100-prozentigen Eigentümerin der Deutschen
Bahn AG, der Bundesrepublik Deutschland, sich dafür einzusetzen, dass die
TSTG Schienen Technik in Duisburg durch die Deutsche Bahn AG übernommen
und mit dem Konzern voestalpine AG, der in erheblichem Maß von Aufträgen
der Deutschen Bahn AG profitiert, ein entsprechendes Einvernehmen erzielt
wird.

Berlin, den 8. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Schienenfertigung

Angesichts der allgemeinen Ausrichtung der Verkehrspolitik auf eine Stärkung
der Schiene zeichnet sich die Herstellung von Schienen nicht nur durch Nach-
haltigkeit und Zukunftsfähigkeit aus. Vor dem Hintergrund hoher Geschwindig-
keiten, höherer Achslasten, kürzerer Zugintervalle, kurzer Wartungszeiten und
spezifischer Anforderungen auch im Nahverkehr handelt es sich dabei um eine
Hightech-Fertigung, auf die eine auf Nachhaltigkeit abzielende Wirtschaftspoli-
tik nicht leichtfertig verzichten kann.

Schienenkartell

Das Kartell „Schienenfreunde“ wirkte spätestens ab Mitte der 90er-Jahre und bis
zum Jahr 2011. In dem Kartell waren 15 europäische Stahlunternehmen mit
Schienenfertigung zusammengeschlossen. Das Kartell verlangte von den euro-
päischen Eisenbahnen um 30 bis 50 Prozent überhöhte Preise für Schienen und
Weichen. Insgesamt entstand dabei allein für die Deutsche Bahn AG ein Scha-
den von 1 Mrd. Euro. Dieser Schaden trifft in erster Linie die Fahrgäste (wegen
mangelhafter Schieneninfrastruktur, Verspätungen usw.), die Bahnbeschäftigten
(in Form eines erhöhten Rationalisierungsdrucks) und die Steuerzahlenden, die
für ihr Geld beträchtlich weniger Leistung bekamen. Die Aufarbeitung des Kar-
tells „Schienenfreunde“ ist bisher völlig unzureichend. Die Deutsche Bahn AG
vergab bereits neue große Aufträge an einen der Kartellführer – an voestalpine
AG –, ohne dass bisher eine Bilanz des Kartells gezogen und Schadenersatzfor-
derungen konkretisiert worden wären.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9581

Öffentliche Gelder für Schieneninfrastruktur und Personalie Dieter H. Vogel

In der Öffentlichkeit wurde das Kartell „Schienenfreunde“ bisher ausschließlich
als eine Art Verschwörung der Stahlkonzerne gegen die Deutsche Bahn AG (und
gegen andere europäische Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen) präsentiert.
Tatsächlich sprechen bereits das lange Wirken des Kartells und die krass über
den Marktpreisen liegenden Schienen- und Weichenpreise, die das Kartell
durchsetzen konnte, dafür, dass die Führung der Deutschen Bahn AG Kenntnis
von dem Kartell hatte. Mit dem Kartell wurden in erster Linie die Bundesrepu-
blik Deutschland als Eigentümerin der Deutschen Bahn AG und die Fahrgäste
geschädigt, da faktisch in erster Linie Steuergelder, die in die Infrastruktur flos-
sen, in ihrer Wirkung drastisch geschmälert wurden. Interessanterweise vergab
die Deutsche Bahn AG bereits im Oktober 2011 einen neuen großen Auftrag an
die voestalpine AG für den Kauf von „Lagerschienen“, also noch bevor eine Ent-
scheidung in dem Kartellverfahren erfolgte. („Die Bahn verzeiht Voestalpine“,
in: Handelsblatt vom 19. Oktober 2011).

Dieter H. Vogel nahm im Zeitraum 1986 bis 1998 beim größten deutschen Stahl-
konzern, der Thyssen AG, führende Positionen im Management ein, zuletzt die-
jenige des Vorstandsvorsitzenden. Er schied im Mai 1998 bei der Thyssen AG
nach der Fusion zu ThyssenKrupp AG aus und engagierte sich in führender
Position in der Private Equity-Gesellschaft BVT Holding GmbH & Co. KG, die
2007 in der Lindsay Goldberg Vogel GmbH aufging. Unter anderem kontrolliert
dieses Unternehmen den weltweit größten unabhängigen Stahlhändler, Klöck-
ner & Co. SE, bei der Dieter H. Vogel seit 2005 Aufsichtsratsvorsitzender ist. Auf
Betreiben des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder übernahm Dieter H.
Vogel am 24. März 1999 bei der Deutschen Bahn AG als Nachfolger von Heinz
Dürr die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden, die er bis zum 7. März 2001 in-
nehatte. Dieter H. Vogel war damit Oberaufseher bei der Deutschen Bahn AG in
einer Zeit, in der das Schienenkartell die Deutsche Bahn AG pro Jahr um Dut-
zende Mio. Euro erleichterte. In diesem Kartell war von Anfang an der Thyssen-
Konzern führend aktiv.

Abbau der Schieneninfrastruktur

Im Zeitraum des Wirkens des Schienenkartells wurde das Schienennetz auf
deutschem Boden wie folgt abgebaut: Die Netzlänge („Betriebslänge“) betrug
1994 40 385 km und 2010 33 723 km; es erfolgte ein Abbau um 16,5 Prozent.
Die Länge der Gleise betrug 1994 78 073 km; 2010 waren es noch 64 077 km;
es erfolgte eine Reduktion um 17,9 Prozent. Die Zahl der Weichen und Kreuzun-
gen betrug 1994 131 968; 2010 waren es noch 66 875. Die Reduktion beträgt
49 Prozent. Die Zahl der Privatgleisanschlüsse (Anschlüsse einzelner Unterneh-
men direkt ans Schienennetz) betrug 1994 11 742; 2010 waren es noch 8 029.
Der Abbau liegt bei 31 Prozent. (Angaben jeweils nach Deutsche Bahn AG bzw.
Deutsche Bundesahn und Deutsche Reichsbahn).

Gewinne der Deutschen Bahn AG und von DB Netz

Die Deutsche Bahn AG weist seit dem Jahr 2002 Gewinne (EBITDA) in stei-
gender Höhe aus. Insgesamt waren es im Zeitraum 2003 bis 2011 15,5 Mrd.
Euro Gewinne. 2009, 2010 und 2011 lag der jeweilige Jahresgewinn bei 1,685,
1,866 und 2,309 Mrd. Euro. Zu diesem Gewinn trug in wachsendem Umfang der
Gewinn der Tochtergesellschaft DB Netz AG bei, der allein 2010 bei 601 Mio.
Euro und 2011 bei 715 Mio. Euro lag. Der Umsatz und der Gewinn von DB Netz
AG wird in erheblichem Maß durch die staatlichen Unterstützungszahlungen für
die Schieneninfrastruktur generiert. 2011 flossen rund 4 Mrd. Euro an staat-
lichen Geldern in das Netz (über die in der Leistungs- und Finanzierungsverein-

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barung – LuFV – vereinbarten Summen zum Erhalt der Infrastruktur und in
Form von Zuschüssen für Neu- und Ausbaustrecken).

Die Gewinne der Deutschen Bahn AG werden zu einem großen Teil für den Auf-
kauf von Unternehmen im Ausland eingesetzt. Auf der Bilanzpressekonferenz
vom 27. März 2012 verkündete Bahnchef Dr. Rüdiger Grube als Ziel, den Um-
satz der Deutschen Bahn AG bis zum Jahr 2020 zu verdoppeln, überwiegend
durch den Aufkauf weiterer Unternehmen im Ausland. Die expansive und
aggressive Unternehmenspolitik der Deutschen Bahn AG auf den Auslands-
märkten und überwiegend außerhalb des Kerngeschäftes Schienenverkehr steht
in krassem Gegensatz zum beschriebenen Abbau der Schieneninfrastruktur im
Inland.

Übernahme durch die Deutsche Bahn AG – auch eine CDU-Forderung

,Riesenbeifall für einen CDU-Politiker von Stahlarbeitern – das gibt’s nicht
allzu oft, aber das gab’s gestern. Eine neue Weichenstellung für das von Schlie-
ßung bedrohte TSTG-Schienenwerk […] regte gestern CDU-Ratsherr Frank
Heidenreich an: Die Deutsche Bahn […] soll prüfen, ob sie die Duisburger
Schienenfertigung übernehmen kann. „Wir sollten keinen Weg ausschließen“,
forderte der Christdemokrat in der Marxloher Kreuzeskirche, wohin der TSTG-
Betriebsrat zur Diskussion über die Zukunft des Schienenwerkes und seiner
knapp 500-köpfigen Belegschaft eingeladen hatte.‘ (WAZ vom 18. April 2012).

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