BT-Drucksache 17/7476

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/6051, 17/7453 - Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts

Vom 25. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7476
17. Wahlperiode 25. 10. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Caren Lay, Karin Binder, Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin Kunert,
Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/6051, 17/7453 –

Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler-
und Vermögensanlagenrechts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Graue Kapitalmarkt hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bereits
seit den 70er-Jahren entwickelt. Zum Grauen Kapitalmarkt gehören zum Bei-
spiel Beteiligungen an geschlossenen Fonds zur Finanzierung von einzelnen
Schiffen, Immobilien oder Windkraftanlagen. Im Gegensatz zu offenen Fonds
besteht kein Recht auf Rückgabe der Anteile, sondern es handelt sich um unter-
nehmerische Beteiligungen mit entsprechenden Risiken. Auch etwa der Handel
mit Schrottimmobilien oder Schneeballsysteme fallen unter den Grauen
Kapitalmarkt. Da der Verkehrswert einer Schrottimmobilie geringer ist als der
vom Anleger aufgenommene Finanzierungskredit, drohen bei vorzeitigem
Verkauf zum Teil existenzgefährdende Verluste. Bei Schneeballsystemen wie-
derum wird die Rendite aus den Einzahlungen von Neukunden geleistet. Das
System bricht zusammen, sobald nicht genügend Neukunden zusammenkom-
men. Daneben kreieren windige Geschäftemacher immer wieder weitere seriös
klingende „Finanzinnovationen“, die sich im Nachhinein für die Geschädigten
als reine Verlustgeschäfte herausstellen. Verbraucherinnen und Verbraucher
erleiden jährlich einen Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe durch Produkte
des Grauen Kapitalmarkts – aufgrund legaler Risiken oder aus betrügerischer

Absicht. Neben dem Grauen Kapitalmarkt gibt es einen Grauen Kreditmarkt.
Dazu zählen unter anderem – schufafreie – Kreditangebote auch bei fehlender
Bonität. Vor allem im Internet blüht ein Grauer Kreditmarkt, der Kredite für
jede und jeden verspricht.

Hauptmerkmal des Grauen Kapital- und Kreditmarkts ist deren Regulierungs-
und Aufsichtsgefälle gegenüber dem regulären Markt, der im Wesentlichen
durch das Kreditwesen- und das Wertpapierhandelsgesetz (KWG, WpHG)

Drucksache 17/7476 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bestimmt ist. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des
Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts ändert an diesem Ge-
fälle nur wenig. Indem die freien Vermittler der Gewerbe- statt der Finanzauf-
sicht unterstellt werden sollen, wird der Flickenteppich der Aufsicht fortge-
führt. Interessenkonflikte und Rückvergütungen müssen nicht offengelegt wer-
den. Es gibt auch weiterhin keine Pflicht zu einer umfänglichen Anlagebera-
tung, bei der alle Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kunden
berücksichtigt werden müssen. Der Graue Kreditmarkt bleibt komplett außen
vor. Dem neu geschaffenen Vermögensanlagengesetz, wie auch dem KWG und
dem WpHG, ist als Webfehler zu eigen, dass im Grundsatz alle Formen der
Geldanlage erlaubt sind, die nicht ausdrücklich verboten sind.

Die Regulierungs- und Aufsichtsdefizite auf dem Graumarkt sind in hohem
Maße verbraucherschädlich. Das gilt umso mehr, als die Angebote oft hoch-
riskant sind und der Vertrieb stark durch Provisionen von bis zu 20 Prozent
angetrieben wird. Zudem bietet das Regulierungs- und Aufsichtsgefälle ein Ein-
fallstor für Betrug. Leidtragende sind insbesondere Kleinanleger ohne aus-
geprägte Anlageerfahrung sowie in Geldnot geratene Menschen auf der Suche
nach Kredit: Erstens sind sie zu einer Hauptzielgruppe auf dem Grauen Kapital-
und Kreditmarkt geworden, zweitens sind sie von Anlageverlusten, zusätzlichen
Kosten und überteuerten bis betrügerischen Kreditangeboten sehr schnell exis-
tenzbedrohend betroffen. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, konse-
quente Maßnahmen zu ergreifen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. durch weitere Maßnahmen den Grauen Kapitalmarkt vollständig zu über-
winden. Insbesondere gilt es,

a) alle Formen der Geldanlage als Vermögensanlagen zu definieren und
damit einer wirksamen Finanzaufsicht zu unterstellen sowie Ausnahmen
von der Anwendung des Gesetzes zu streichen;

b) Vermögensanlagen jedweder Art einem Zulassungsverfahren durch einen
„Finanz-TÜV“ zu unterziehen. Die Erarbeitung von verbraucherpoliti-
schen sowie betriebs- und gesamtwirtschaftlichen Kriterien für ein sol-
ches Zulassungsverfahren muss mit breiter gesellschaftlicher und wissen-
schaftlicher Beteiligung erfolgen;

c) Finanzanlagenvermittler der Finanzaufsicht zu unterstellen statt der Ge-
werbeaufsicht und konkrete Anforderungen an den Sachkundenachweis
für die Finanzanlagenvermittler darzulegen;

d) den provisionsgetriebenen Verkauf von Finanzprodukten vollständig zu
überwinden und stattdessen die Honorarberatung und die Finanzberatung
durch Verbraucherzentralen zu stärken;

e) Verkaufsprospekte und Informationsblätter standardisieren zu lassen und
von der Finanzaufsicht sowohl auf Kohärenz und Verständlichkeit als
auch inhaltlich prüfen zu lassen sowie unseriöse Werbung zu untersagen.
Spätere Nachträge zu Verkaufsprospekten und Informationsblättern sind
ebenfalls von der Finanzaufsicht prüfen zu lassen, Anlegerinnen und An-
legern ist ein Widerrufsrecht einzuräumen. Weiterhin sind Vertriebsbe-
schränkungen einzuführen, so dass Vermögensanlagen mit Nachschuss-
pflichten und damit unkalkulierbaren Auswirkungen nicht an Kleinanle-
ger vertrieben werden dürfen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7476

2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, um den Grauen Kreditmarkt zu über-
winden und hierzu insbesondere freie Kreditvermittler der Finanzaufsicht zu
unterstellen und ein Vorleistungsverbot bei der Kreditvermittlung einzufüh-
ren, so dass Vermittlungsvergütungen und Auslagenerstattungen erst nach
erfolgter Kreditvermittlung anfallen.

Berlin, den 25. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das Regulierungs- und Aufsichtsgefälle zwischen Grauem und regulärem
Kapital- und Kreditmarkt widerspricht dem Versprechen des Koalitionsvertrags
zwischen CDU, CSU und FDP: „Wir wollen ein konsistentes Finanzdienstleis-
tungsrecht schaffen, damit Verbraucher in Zukunft besser vor vermeidbaren
Verlusten und falscher Finanzberatung geschützt werden. Kein Anbieter von
Finanzprodukten soll sich der staatlichen Finanzaufsicht entziehen können.“

Zu Nummer 1

Zu Buchstabe a

Die Anlageformen auf dem Grauen Kapitalmarkt sind vielfältig und es entste-
hen immer wieder neue. Um eine flächendeckende Finanzaufsicht und eine
durchgängige Verbraucherinformation zu gewährleisten, ist daher alles, was zur
Geldanlage angeboten wird, als Vermögensanlage zu definieren. Von Ausnah-
men einschließlich für vermeintlich sichere Sparbriefe ist abzusehen, um eine
größtmögliche Information über alle Anlageformen für alle Anleger zu gewähr-
leisten. Je nach individueller Situation kann auch die Entscheidung für einen
Sparbrief suboptimal sein. Schrottimmobilien, Anlagen in Gold oder Bank-
garantien fallen ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Auch
sollen nach dem Willen der Bundesregierung Angebote von der Anwendung
des Gesetzes ausgenommen werden, wenn nicht mehr als 20 Anteile angeboten
werden oder die Mindestanlagesumme 200 000 Euro pro Anleger beträgt. Das
bietet ein Einfallstor für Umgehungsmöglichkeiten. Auch Anlagen, die vor
dem 1. Juli 2005 erstmals angeboten wurden, sollten unter die gesetzliche
Regelung fallen, wenn sie nach wie vor auf dem Markt sind.

Zu Buchstabe b

Graumarktprodukte sollten wie auch alle anderen Formen der Geldanlage mit-
telfristig einer Zulassungspflicht – als Teil eines „Finanz-TÜV“ – unterliegen.
Eine offene Definition von Vermögensanlagen allein entfaltet noch keine aus-
reichend präventive Wirkung – eine abschließende Definition erst recht nicht.
Nur eine eingehende Zulassungsprüfung kann in diesem Zusammenhang einen
spürbaren und dauerhaften Beitrag für mehr Sicherheit auf den Kapitalmärkten
leisten. Da eine solche Zulassung nicht allein für den Verbraucherschutz, son-
dern auch im Interesse der Finanzstabilität und der Volkswirtschaft erforderlich
ist, ist eine breite und eingehende Beteiligung von Gesellschaft und Wissen-
schaft an der Erarbeitung von Kriterien hierfür unabdingbar.

Drucksache 17/7476 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Zu Buchstabe c

Ebenso wie die Produkte müssen auch die Vermittler einer fachlich kompeten-
ten und einheitlichen Finanzaufsicht unterstellt werden, um flächendeckend
verbrauchergerechte Standards zu gewährleisten. Die Gewerbeaufsicht hin-
gegen ist fachfremd und in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer zer-
splittert. Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist
unter den derzeitigen personellen und strukturellen Bedingungen wenig geeig-
net, Finanzmärkte verbrauchergerecht zu beaufsichtigen. Mittelfristig sollte es
eine eigene Verbraucherschutzbehörde für Finanzmärkte geben. Die Sachkunde
der Finanzvermittler muss insbesondere Kenntnisse in Bedarfserhebung und
Produktauswahl umfassen statt vor allem Vertriebstechniken. Das darf nicht
durch einen Bestandsschutz für bereits tätige Vermittler unterlaufen werden,
selbst wenn schon erworbene Kenntnisse und Zertifikate angerechnet werden
sollten.

Zu Buchstabe d

Beratung kann nur dann unabhängig sein, wenn sie frei von Provisionsdruck er-
folgt. Deshalb müssen die unabhängige Honorarberatung, bei der Kunden ein
Honorar statt Provisionen zahlen, und die Beratung durch Verbraucherzentralen
gestärkt werden.

Zu Buchstabe e

Der Anspruch auf Transparenz erfordert eine standardisierte Anlegerinformation,
die deutlich auf Risiken hinweist. Doch noch immer unterliegen Vermögensan-
lageninformationsblätter keiner Aufsicht und Verkaufsprospekte keiner inhalt-
lichen Prüfung. Ebenfalls widersprüchlich ist es, dass Nachträge zu Prospekten
auf dem Graumarkt im Gegensatz zum regulären Kapitalmarkt keiner Prüfung
unterliegen sollen. Im Zuge der Finanzkrise waren etwa Schwierigkeiten bei
Schiffsfonds durch Nachträge geschönt worden. Vermögensanlagen mit Nach-
schusspflichten wiederum sollten überhaupt nicht an Kleinanleger vertrieben
werden, denn diese können sich in aller Regel keinen Totalverlust und erst recht
keine unkalkulierbare Nachschussverpflichtung leisten.

Zu Nummer 2

In der freien Kreditvermittlung ist die Betrugsanfälligkeit ein bisher ungelöstes
Problem. Zum Beispiel werden Vorleistungen in Rechnung gestellt, ohne dass
am Ende ein Kredit vermittelt wird. Oder aber der vermittelte Kredit offenbart
überteuerte Konditionen. Die Verbraucherschutzministerkonferenz hatte sich
bereits am 17. September 2010 einstimmig für ein Vorleistungsverbot ausge-
sprochen und die bisherige Rechtslage für unzureichend erklärt.

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