BT-Drucksache 17/7446

Umsetzung der Abschiebungsrichtlinie der Europäischen Union und die Praxis der Abschiebungshaft

Vom 19. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7446
17. Wahlperiode 19. 10. 2011

Große Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Sevim Dag˘delen, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Diana Golze,
Annette Groth, Heidrun Dittrich, Inge Höger, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Yvonne Ploetz,
Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Katrin Werner, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Abschiebungsrichtlinie der Europäischen Union und die Praxis
der Abschiebungshaft

Am 7. Juli 2011 beschloss der Deutsche Bundestag Gesetzesänderungen zur
Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union (EU) vom 16. Dezember
2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rück-
führung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (2008/115/EG, im Folgenden
Abschiebungsrichtlinie bzw. Richtlinie genannt). Die Richtlinie wurde mangels
rechtzeitiger gesetzlicher Umsetzung bis zum 24. Dezember 2010 unmittelbar
wirksam, das Bundesministerium des Innern (BMI) übermittelte den Bundeslän-
dern mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 vorläufige Anwendungshinweise.
Die Richtlinie regelt durch Mindestnormen EU-weit das Abschiebungsver-
fahren, sie enthält unter anderem Vorgaben zu Rückkehrentscheidungen, zum
Vorrang einer freiwilligen Ausreise, zur Abschiebungshaft, zu Wiedereinreise-
verboten nach einer Abschiebung sowie zu Verfahrensgarantien und Rechts-
behelfen.

Eine wirksame und koordinierte Abschiebungs- und Rückübernahmepolitik ist
nach dem Willen der EU und ihrer Mitgliedstaaten ein zentraler Bestandteil des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Die Abschiebungsrichtlinie wurde
national und international scharf kritisiert, unter anderem, weil sie auf Betreiben
der bundesdeutschen Regierung eine Abschiebungshaft für die Dauer von bis zu
eineinhalb Jahren zulässt und ein EU-weites Wiedereinreiseverbot für den Fall
vorsieht, dass einer Rückkehrverpflichtung nicht freiwillig nachgekommen
wurde. Die Richtlinie soll aber auch Mindestgarantien und Rechte der Betroffe-
nen im Abschiebungs- und Inhaftierungsverfahren sicherstellen. Diese Mindest-
standards sind in vielen Punkten jedoch unzureichend; so fehlt zum Beispiel ein
allgemeiner Richtervorbehalt im Zusammenhang mit der Abschiebungshaft.

Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Abschiebungen sind nach der Richt-
linie nur als „letztes Mittel“ und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig.
Die Vorgabe eines verhältnismäßigen Behördenhandelns war in Deutschland
allerdings bislang schon direkt aus dem Grundgesetz ableitbar.

Einer der umstrittensten Punkte bei der Richtlinienumsetzung, dies wurde auch
in der Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundes-

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tages vom 27. Juni 2011 deutlich (vgl. Anhörungsprotokoll 17/45), ist die Vor-
gabe des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie. Demnach muss eine Inhaftierung
von Abschiebungshäftlingen „grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen“
erfolgen. Nur für den Fall, dass „in einem Mitgliedstaat solche speziellen Haft-
einrichtungen nicht vorhanden“ sind, ist ausnahmsweise eine „Unterbringung in
gewöhnlichen Haftanstalten“ zulässig, jedoch „gesondert von den gewöhnlichen
Strafgefangenen“. Diese Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass Ab-
schiebungshäftlinge nicht etwa wegen eines kriminellen Vergehens inhaftiert
werden, sondern ausschließlich, um die ausländerrechtliche Verpflichtung zur
Ausreise gegebenenfalls leichter mit Zwangsmitteln durchsetzen zu können.

Die Europäische Kommission (im Folgenden Kommission) erläuterte in einem
Schreiben vom 11. Mai 2011 an den Jesuiten-Flüchtlingsdienst (vgl. Ausschuss-
drucksache 17(4)282 E, S. 16f), „dass der Wortlaut des Artikel 16(1) klar auf das
Gesamtterritorium eines Mitgliedstaates abstellt. Das Nichtvorhandensein spe-
zieller Hafteinrichtungen in einem regionalen Teilbereich eines Mitgliedstaats
– während in einem anderen regionalen Teilbereich solche vorhanden sind –
kann daher eine Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt nicht rechtfer-
tigen“. Diese Auslegung der Vorschrift durch die Kommission ist eindeutig, und
da es in der Bundesrepublik Deutschland spezielle Abschiebehafteinrichtungen
in mehreren Bundesländern gibt, ist eine Unterbringung in gewöhnlichen Straf-
anstalten europarechtswidrig. Der vom Deutschen Bundestag verabschiedete
Gesetzentwurf erlaubt den Bundesländern jedoch eine Unterbringung in „nor-
malen“ Haftanstalten, wenn in diesen keine speziellen Hafteinrichtungen vor-
handen sind (§ 62a Absatz 1 Satz 2 AufenthG – neu). Aus den Ausführungen des
als Sachverständiger benannten Vertreters des bayerischen Innenministeriums,
Dr. Hans-Eckhard Sommer, wird darüber hinaus deutlich, dass Bayern offenbar
nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft an der jetzigen Praxis des Vollzugs
von Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten (JVA) festhalten will (vgl.
Ausschussdrucksache 17(4)282 B, S. 6 und Anhörungsprotokoll 17/45, S. 22 f.
und 29 f.). Dies könne angeblich „für die Abschiebungshaftgefangenen mit be-
achtlichen Vorteilen verbunden sein“ (S. 22) und „durch die Nutzung der JVAs
für den Vollzug der Abschiebehaft“ seien „ganz erhebliche positive Effekte
sowohl zugunsten der Betroffenen als auch zugunsten des Staates festzustellen“
(S. 30). Damit wird ein wichtiges Anliegen der Richtlinie, der Vollzug von Ab-
schiebungshaft nur noch in speziellen Einrichtungen, in der Umsetzung durch
einzelne Bundesländer unterlaufen. Richtlinienvorgaben dürfen nach der ständi-
gen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) allerdings nicht mit
Hinweis auf die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland ausgehebelt
werden (vgl. z. B. Urteil des EuGH vom 15. Dezember 2005, C-67/05, Rn. 9).

Im Gesetzgebungsverfahren gab es weitere Kritik an der Umsetzung der Richt-
linie, aber auch Forderungen, die über die Mindestvorgaben der Richtlinie
hinausgehen. So kritisierten Nichtregierungsorganisationen, das Deutsche
Institut für Menschenrechte, Kirchen, die Opposition und Sachverständige, dass
die Inhaftierung Minderjähriger in Einzelfällen weiterhin zulässig ist, dass es
keine wirksamen Schutzregelungen für besonders Schutzbedürftige gibt und
dass insbesondere die zeitliche Höchstdauer der Haft nicht deutlich herabgesetzt
wurde (mehrere Sachverständige nannten diesbezüglich drei Monate als Höchst-
grenze, in anderen EU-Ländern gelten noch strengere zeitliche Vorgaben).

Auch die Forderung nach einer gänzlichen Abschaffung der Abschiebungshaft
ist weiter aktuell. Die Einschränkung der Freiheit ist einer der stärksten rechts-
staatlichen Eingriffe in die individuellen Menschenrechte. Solche intensiven
Zwangsmaßnahmen sind nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller
kein legitimes Mittel zur Durchsetzung einer restriktiven Einwanderungspolitik.
Abschiebungshaft macht zudem krank, wie nicht zuletzt eine Studie des

Jesuiten-Flüchtlingsdienstes eindrucksvoll belegt („Becoming Vulnerable in
Detention“, Juni 2010, www.jrseurope.org, deutsche Zusammenfassung: „Quä-

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lendes Warten. Wie Abschiebungshaft Menschen krank macht“). Drei Viertel
der in Deutschland Befragten klagten über physische Beschwerden infolge der
Abschiebungshaft, 90 Prozent berichteten über negative Auswirkungen auf ihre
psychische Gesundheit. Die strafrechtlich meist unbescholtenen Betroffenen
wissen in der Regel nicht, warum und für wie lange sie inhaftiert sind. Diese Un-
gewissheit und häufig auch die sprachliche Isolation in der Haft führen in nicht
wenigen Fällen zu Verzweiflungstaten, Suiziden, Suizidversuchen, Selbstver-
stümmelungen, Hungerstreiks usw. Nach (unvollständigen) Informationen der
Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin (www.ari-berlin.
org/doku/titel.htm) töteten sich in den Jahren 1993 bis 2010 mindestens 62 Men-
schen in Abschiebungshaft, mindestens 541 Abschiebungshäftlinge verletzten
sich in diesem Zeitraum aus Angst vor ihrer Abschiebung oder versuchten, sich
umzubringen. Nicht zuletzt angesichts dieser Schreckensbilanz fordert die Frak-
tion DIE LINKE. eine Beendigung der Abschiebungshaft, wie z. B. auch die
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Niedersachsen (vgl. deren
Antrag vom 11. Januar 2011 auf Landtagsdrucksache 16/3214) sowie zahlreiche
unabhängige Initiativen wie die Bürener „Hilfe für Menschen in Abschiebungs-
haft“ oder die Berliner „Initiative gegen Abschiebungshaft“.

Da der Vollzug von Abschiebungen und Abschiebungshaft in die Zuständigkeit
der Länder fällt und die Bundesregierung über keine entsprechenden Informa-
tionen verfügt (vgl. die Bundestagsdrucksachen 16/1757 und 16/2434), bitten
die Fragestellerinnen und Fragesteller um eine entsprechende Bundesländeran-
frage durch die Bundesregierung und gegebenenfalls erforderliche Nachfragen,
um diese Große Anfrage umfassend beantworten zu können. Ein möglichst um-
fassender und genauer Überblick über die Umsetzung der Abschiebungsricht-
linie und über die aktuelle Inhaftierungspraxis im Abschiebungs- und Dublin-
Verfahren liegt nicht nur im allgemeinen wissenschaftlichen und politischen
Interesse, sondern auch im Interesse der Bundesregierung, weil sie gegenüber
der Kommission rechenschaftspflichtig in Bezug auf die Umsetzung der Ab-
schiebungsrichtlinie ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie setzen die einzelnen Bundesländer konkret die Vorgabe der Richtlinie
(vgl. insbesondere die Artikel 7 und 8 der Richtlinie) um, vorrangig auf eine
freiwillige Ausreise der Betroffenen zu setzen und nur „als letztes Mittel“
von Zwangsmaßnahmen zur Durchführung von Abschiebungen Gebrauch zu
machen und dabei verhältnismäßig vorzugehen, welche Regelungen, An-
weisungen, Rundschreiben, Modelle usw. gibt es diesbezüglich, etwa zu
Alternativen zur Abschiebungshaft usw. (bitte differenziert nach den einzel-
nen Bundesländern beantworten)?

2. Wie begründet die Bundesregierung die – von den Fragestellerinnen und Fra-
gestellern begrüßte – Klarstellung in § 62 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG), wonach Abschiebungshaft nur zulässig ist, wenn kein „milderes“
Mittel zur Verfügung steht, vor dem Hintergrund einer gegenteiligen Antwort
auf Bundestagsdrucksache 16/2434 zu Frage 6a, wonach für eine solche Re-
gelung „kein Erfordernis“ bestehe, „weil der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
von Verfassungs wegen Richtschnur für jegliches staatliches Handeln ist“,
und welche Folgen wird die Gesetzesänderung vor diesem Hintergrund in der
Praxis also haben?

3. Wie setzen die einzelnen Bundesländer konkret die Vorgabe der Richtlinie
einer grundsätzlichen Unterbringung in speziellen Hafteinrichtungen (Arti-
kel 16 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie) um, welche Regelungen, Anweisungen,
Rundschreiben, Modelle usw. gibt es diesbezüglich, welche praktischen

Schritte wurden bereits unternommen oder sind geplant, und wird von den

kung), dass zumindest in Bayern (je nach Ergebnissen der Länderabfrage je-
doch noch in weiteren Bundesländern) nicht einmal mittel- oder langfristig
angestrebt wird, spezielle Hafteinrichtungen zu schaffen, weil die Abschie-
bungshaft in JVAs grundsätzlich für vorteilhafter gehalten wird, und inwie-
weit ist dies mit der Richtlinie vereinbar?
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einzelnen Bundesländern zumindest als Zielvorgabe eine Abschiebungshaft
nur noch in speziellen Hafteinrichtungen angestrebt, und wenn ja, in wel-
chem Zeitraum, wenn nein, warum nicht (bitte differenziert nach den ein-
zelnen Bundesländern beantworten)?

4. Wie setzen die einzelnen Bundesländer konkret die Vorgabe der Richtlinie
einer getrennten Unterbringung von Abschiebungshäftlingen und gewöhn-
lichen Strafgefangenen (Artikel 16 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie) um, wel-
che Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben, Modelle usw. gibt es dies-
bezüglich, welche praktischen Schritte wurden bereits unternommen oder
sind geplant, und in welchem Zeitraum soll die strikte Trennung verwirklicht
werden (bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern beantworten)?

5. Inwieweit hält die Bundesregierung eine gemeinsame Unterbringung von
Abschiebungs- und Untersuchungsgefangenen für vereinbar mit Artikel 16
Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie, wie begründet sie bzw. wie begründen
Bundesländer, die dies gegebenenfalls für zulässig halten, ihre Auffassung,
und wie ist dies gegebenenfalls vereinbar mit Nummer 10 Absatz 4 der
„20 Guidelines on Forced Return“ des Ministerkomitees des Europarates
vom 4. Mai 2005, auf die in Erwägung 3 der Richtlinie Bezug genommen
wird?

6. Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung die Regelung nach § 62a
Absatz 1 AufenthG (neu) für eine ausreichende Umsetzung von Artikel 16
Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie vor dem Hintergrund, dass die Kommission
in dem in der Vorbemerkung zitierten Schreiben vom 11. Mai 2011 an den
Jesuiten-Flüchtlingsdienst klargestellt hat, „dass der Wortlaut des Artikel
16(1) klar auf das Gesamtterritorium eines Mitgliedstaates abstellt“ und
„das Nichtvorhandensein spezieller Hafteinrichtungen in einem regionalen
Teilbereich eines Mitgliedstaats – während in einem anderen regionalen
Teilbereich solche vorhanden sind – […] daher eine Unterbringung in einer
gewöhnlichen Haftanstalt nicht rechtfertigen“ kann (bitte ausführlich darle-
gen)?

7. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht des von einer Regierungs-
fraktion benannten Sachverständigen Prof. Dr. Daniel Thym, der in seiner
Stellungnahme auf Ausschussdrucksache 17(4)282 F ausführte (S. 6), dass
es jedenfalls „eine Verpflichtung zur vorrangigen Unterbringung in speziel-
len Hafteinrichtungen“ gebe, und inwieweit ergibt sich diese Verpflichtung
nach Ansicht der Bundesregierung aus der Richtlinie selbst bzw. aus der Re-
gelung in § 62a Absatz 1 Satz 1 AufenthG (neu)?

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht des von einer Regierungs-
fraktion benannten Sachverständigen Prof. Dr. Daniel Thym, der in seiner
Stellungnahme auf Ausschussdrucksache 17(4)282 F ausführte (S. 6 f.),
dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie verlange, „dass die Mit-
gliedstaaten tatsächliche Schritte zum Ausbau spezieller Hafteinrichtungen
unternehmen“, und inwieweit kommt der Mitgliedstaat Deutschland nach
Ansicht der Bundesregierung dieser Verpflichtung nach?

9. Wie bewertet es die Bundesregierung und welche Konsequenzen zieht sie
hieraus, dass aus den Äußerungen des als Sachverständiger benannten Ver-
treters des bayerischen Innenministeriums hervorgeht (siehe Vorbemer-
10. Wie können einzelne Bundesländer gegebenenfalls dazu gezwungen oder
dazu angehalten werden, einen Ausbau spezieller Hafteinrichtungen zu

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unternehmen, und wie wirkt die Bundesregierung auf die Bundesländer ein,
um dem Anliegen der Richtlinie einer grundsätzlichen Unterbringung in
speziellen Hafteinrichtungen Geltung zu verschaffen, auch angesichts der
ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. z. B. Urteil
vom 15. Dezember 2005 – C-67/05, Rn. 9), wonach „sich ein Mitgliedstaat
nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechts-
ordnung einschließlich solcher, die sich aus seinem bundesstaatlichen Auf-
bau ergeben, berufen [kann], um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie
festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen“?

11. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zur Sicherungsverwahrung in
Bezug auf eine getrennte und qualitativ andere Unterbringung von Abschie-
bungshäftlingen (Abstandsgebot), welche Grundsätze hält sie für übertrag-
bar, und inwieweit stimmt sie der Auffassung des von einer Regierungsfrak-
tion benannten Sachverständigen Prof. Dr. Winfried Kluth zu, bei der
„Umsetzung der Maßgaben für die Sicherungsverwahrung“ sollte „die An-
passung bei der Abschiebungshaft mit auf den Weg“ gebracht werden (An-
hörungsprotokoll, S. 55)?

12. Inwieweit ist nach Ansicht der Bundesregierung die Regelung nach § 62a
Absatz 4 AufenthG (neu) mit den Bestimmungen des Artikels 16 Absatz 4
der Richtlinie zum Besuchsrecht für nationale und internationale bzw.
nichtstaatliche Organisationen vereinbar vor dem Hintergrund, dass

a) die Richtlinie einen uneingeschränkten Besuchsanspruch vorsieht („wird
ermöglicht“), während das Besuchsrecht nach § 62a Absatz 4 einschrän-
kend nur als Regelanspruch („soll“) ausgestaltet ist (bitte begründen);

b) die Richtlinie ein Besuchsrecht in Bezug auf die Hafteinrichtung (als sol-
che) vorsieht, während das Besuchsrecht nach § 62a Absatz 4 einschrän-
kend nur als Besuchsrecht in Bezug auf konkrete Abschiebungshäftlinge
ausgestaltet ist und dies zudem in der Weise eingeschränkt wird, dass ein
Besuch nur „auf deren Wunsch hin“ möglich sein soll (bitte begründen)?

13. Wird mit der Regelung des § 62a Absatz 4 AufenthG (neu) nicht unzuläs-
sigerweise das Besuchsrecht von Organisationen in ein Besuchsrecht der
Inhaftierten umgewandelt, und wie ist dies mit der beabsichtigten Kontroll-
wirkung durch den Besuch unabhängiger Organisationen vereinbar (bitte
ausführen)?

14. Ist es zutreffend, dass sich die Bundesrepublik Deutschland bei den Bera-
tungen der Richtlinie auf europäischer Ebene vergeblich dafür eingesetzt
hat, die Besuchsregelung für Organisationen im Ermessen der Mitgliedstaa-
ten auszugestalten, wenn ja, weshalb, und wenn nein, wofür hat sich die
Bundesregierung in der Frage des Besuchsrechts eingesetzt?

15. Wie ist das Besuchsrecht für nationale und internationale bzw. nichtstaat-
liche Organisationen in der Praxis der Bundesländer bislang konkret ausge-
staltet, welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben, Modelle usw.
gibt es diesbezüglich, wie soll es künftig unter Beachtung von Artikel 16
Absatz 4 der Richtlinie ausgestaltet werden, und welche Bundesländer
sehen insbesondere weitergehende Besuchsrechte für Organisationen als
die nach § 62a Absatz 4 AufenthG (neu) vorgesehenen vor (bitte differen-
ziert nach den einzelnen Bundesländern beantworten)?

16. Welche Bundesländer haben ein System zur Erkennung besonders Schutz-
bedürftiger eingerichtet, erprobt oder in Planung, wie sieht dieses jeweils
genau aus, und mit welcher Begründung streben einzelne Bundesländer ge-
gebenenfalls kein solches System an trotz der Vorgaben der Richtlinie in

Artikel 16 Absatz 3 einer „besonderen Aufmerksamkeit“ für die Situation

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„schutzbedürftiger Personen“ und in Artikel 5 einer gebührenden Berück-
sichtigung des Kindeswohls, familiärer Bindungen und des Gesundheits-
zustands der Betroffenen, bzw. wie werden diese Vorgaben von den Bundes-
ländern in der Praxis im Übrigen umgesetzt (bitte differenziert nach den
einzelnen Bundesländern beantworten und auf die besonderen Regelungen
für einzelne Gruppen eingehen, etwa: ältere, minderjährige, kranke, trau-
matisierte, schwangere Personen und Menschen mit Behinderungen)?

17. In welcher Weise berücksichtigen die Bundesländer den Gesundheitszu-
stand der Betroffenen im Abschiebungs- und Abschiebungshaftverfahren
entsprechend der Vorgabe nach Artikel 5c der Richtlinie, welche Regelun-
gen, Anweisungen, Rundschreiben, Modelle usw. gibt es diesbezüglich,
und wie ist die medizinische Versorgung in den Abschiebungshaftanstalten
im Detail geregelt (z. B. die Frage der freien Arztwahl, tatsächliche zeit-
liche Verfügbarkeit der medizinischen oder psychotherapeutischen Versor-
gung, Leistungsumfang, gibt es bei Inhaftnahme ärztliche Aufnahmeunter-
suchungen, und wenn ja, innerhalb welcher Frist; bitte differenziert nach
den einzelnen Bundesländern beantworten)?

18. Welche Auswirkungen hat Artikel 5c der Richtlinie in den Bundesländern
auf die Praxis der „Reisefähigkeitsuntersuchungen“ im Rahmen von
Abschiebungen, wie ist die derzeitige Praxis solcher „Reisefähigkeitsunter-
suchungen“ in den jeweiligen Bundesländern (welche Ärzte werden in wel-
chem Verfahren und in welchem quantitativen Umfang konsultiert/beauf-
tragt usw.), und welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben,
Modelle usw. gibt es diesbezüglich (bitte differenziert nach den einzelnen
Bundesländern beantworten)?

19. In welcher Weise berücksichtigen die Bundesländer die familiären Bindun-
gen im Abschiebungs- und Abschiebungshaftverfahren entsprechend der
Vorgabe nach Artikel 5b der Richtlinie, welche Regelungen, Anweisungen,
Rundschreiben, Modelle usw. gibt es diesbezüglich, und inwieweit hält die
Bundesregierung bzw. halten die Bundesländer es für mit der Richtlinie ver-
einbar, Familien zu trennen, indem „nur“ einzelne Familienmitglieder (häu-
fig der Vater) abgeschoben bzw. inhaftiert werden (bitte gegebenenfalls
genau angeben, unter welchen Umständen solche Praktiken für zulässig
gehalten werden; bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern
beantworten)?

20. In welcher Weise berücksichtigen die Bundesländer die besonderen Bedürf-
nisse von Betroffenen mit Behinderungen im Abschiebungs- und Abschie-
bungshaftverfahren entsprechend der UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen (BRK), welche Regelungen, Anweisungen,
Rundschreiben, Programme usw. gibt es diesbezüglich, um eine diskrimi-
nierungsfreie Versorgung in den Abschiebungshaftanstalten zu gewährleis-
ten (z. B. Barrierefreiheit, Hilfsmittel, Mitnahme von Assistenzkräften wie
unter anderem Gebärdendolmetscher; bitte differenziert nach den einzelnen
Bundesländern beantworten)?

21. Wie wird die nach Artikel 16 Absatz 5 Satz 2 der Richtlinie vorgesehene
Informationspflicht über den Anspruch auf Kontaktaufnahme mit Organi-
sationen nach Länderangaben konkret umgesetzt (bitte differenziert nach
den einzelnen Bundesländern beantworten)?

22. Welche Regelungen bestehen in den Bundesländern zu Geldbeträgen
(„Handgeld“), die den Betroffenen bei der Abschiebung belassen bzw. aus-
gehändigt werden, um z. B. die Weiterfahrt vom Flughafen an den Her-
kunftsort zu ermöglichen, und welche sonstigen Regelungen bestehen zu
Gepäck und anderen Dingen, die im Rahmen einer Abschiebung mitgenom-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7446

men werden dürfen (bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern
beantworten)?

23. Welche Erkenntnisse der Bundesländer gibt es zu der Zahl seit 2008 gestell-
ter Abschiebungshaftanträge bzw. dazu, wie viele dieser Anträge von den
Gerichten zurückgewiesen wurden (bitte nach Jahren und Bundesländern
differenziert und in absoluten und relativen Zahlen angeben), und in wel-
chen Bundesländern sind Ermittlungsrichterinnen und Ermittlungsrichter
mit der Anordnung von Abschiebungshaft befasst?

24. Inwieweit kann die von Kirchen, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten
und Verbänden vorgetragene Kritik, Abschiebungshaft werde zu oft, zu
leicht und zu lange verhängt, nach Auffassung der Bundesregierung bzw.
der Bundesländer unter anderem damit erklärt werden, dass

a) Ermittlungsrichterinnen und Ermittlungsrichter es gewohnt sind, sich
auf von Staatsanwaltschaften gründlich vorgeprüfte Haftanträge zu stüt-
zen, während Ausländerbehörden nicht zur umfassenden Sachverhalts-
aufklärung verpflichtet sind?

b) den Gerichten die Ausländerakten häufig nicht vorliegen?

25. Wie kann die Bundesrepublik Deutschland der Verpflichtung nach Artikel 8
Absatz 6 der Richtlinie nachkommen, wonach „die Mitgliedstaaten […] ein
wirksames System für die Überwachung von Rückführungen“ schaffen,
wenn es keine gesetzlichen Vorgaben und keine entsprechenden Über-
wachungssysteme in allen Bundesländern gibt (nicht einmal in allen Bun-
desländern mit Abschiebeflughäfen), und mit welcher Begründung hält die
Bundesregierung gegebenenfalls bereits das bestehende Rechtsschutzsystem
und behördeninterne Kontroll- und Aufsichtsregelungen für ausreichend an-
gesichts der Entstehungsgeschichte des Artikels 8 Absatz 6, der eine solche
Interpretation ausschließt, und angesichts des Umstands, dass Rechtsschutz-
und Beschwerdewege im Falle von Konflikten, Problemen oder auch Men-
schenrechtsverletzungen im konkreten Abschiebungsverfahren allenfalls
im Nachhinein (und mangels unabhängiger Zeugen zumeist nur mit gerin-
gen Erfolgsaussichten) genutzt werden können, während ein System der
Überwachung solche Vorkommnisse (auch präventiv) verhindern helfen
soll (bitte ausführlich begründen)?

26. Wie begründet die Bundesregierung ihr Festhalten an der maximalen
Höchstdauer einer Abschiebungshaft von bis zu 18 Monaten, die die
Höchstgrenzen der meisten anderen EU-Mitgliedstaaten deutlich über-
steigt, angesichts des Ziels eines gemeinsamen europäischen Asylsystems
mit einheitlichen Standards und Regeln und angesichts der fraglichen Ver-
hältnismäßigkeit einer so langen Freiheitsbeschränkung zur Durchsetzung
einer Verwaltungsmaßnahme, etwa im Vergleich zu Regelungen der Beuge-
haft, Ordnungshaft oder Erzwingungshaft (bitte auf beide Teilaspekte ge-
sondert eingehen)?

27. Wie hat sich seit dem unmittelbaren Inkrafttreten der Richtlinie Ende 2010
die Zahl der Zurückschiebungen entwickelt, die nach den Vorgaben der
Richtlinie nur noch in eingegrenzten Fällen möglich sind, und wie bewerten
die Bundespolizei, die Bundesregierung und die Bundesländer diese Ent-
wicklung?

28. In welchen Zeiträumen und räumlichen Dimensionen sind Zurückschiebun-
gen nach Inkrafttreten des Zweiten EU-Richtlinienumsetzungsgesetzes in
welchen Fällen und unter welchen sonstigen Bedingungen nach Ansicht der
Bundesregierung noch möglich?
29. Wie werden die Vorgaben des EuGH-Urteils C-61/11 PPU vom 28. April
2011, das ein nach Verhältnismäßigkeitserwägungen abgestuftes Verfahren

Drucksache 17/7446 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

vorschreibt (vgl. Rn. 34 bis 43), von den Bundesländern in der Praxis be-
rücksichtigt und umgesetzt (bitte nach Bundesländern differenziert ange-
ben), und welche Abstimmungen gab es diesbezüglich bislang zwischen
Bund und Ländern?

30. Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung vor dem Hintergrund
des EuGH-Urteils C-61/11 PPU vom 28. April 2011 eine Inhaftierung
illegal eingereister Personen, die jedoch nicht in Verbindung mit einem
EU- Außengrenzenübertritt aufgegriffen werden (vgl. Artikel 2 Absatz 2a
der Richtlinie), ohne vorherige Rückkehrentscheidung bzw. unter welchen
sonstigen Bedingungen noch zulässig (bitte ausführen)?

31. Inwieweit hält die Bundesregierung angesichts der Rechtsprechung (vgl.
z. B. BGH, Beschluss V ZB 148/09 vom 16. Dezember 2009, in: Informa-
tionsbrief Ausländerrecht 3/2010, S. 118 f.) und angesichts der Kritik von
Sachverständigen (vgl. z.B. Ausschussdrucksache 17(4)282 D, S. 3 f.) ge-
setzliche Klarstellungen zu den einschränkenden Bedingungen der Anord-
nung von Zurückschiebungshaft für erforderlich, etwa zur Frage der Ver-
hältnismäßigkeit einer Haft oder der Unzulässigkeit von Haft bei glaubhaft
gemachter, mangelnder Fluchtgefahr bzw. bei Nichtdurchführbarkeit der
Abschiebung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (bitte ausführen)?

32. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung bzw. haben die Bundes-
länder aus dem Melki-Urteil des EuGH (C-188/10 und 189/10) vom
22. Juni 2010 gezogen, die sicherstellen, dass Kontrollen im Binnengrenz-
raum nicht die Wirkung von Grenzkontrollen haben?

33. Wie wird von der Bundesregierung bzw. wie wird von den Bundesländern
(bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern beantworten) die
neue Parallelzuständigkeit für Abschiebungen im grenznahen Raum (Bun-
despolizei/Ausländerbehörden) bewertet, und welche praktischen Erfah-
rungen gibt es?

34. Wie werden die Vorgaben nach Artikel 17 der Richtlinie zur Inhaftnahme
von Minderjährigen und Familien in der Praxis der Bundesländer umge-
setzt, welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben, Modelle usw.
gibt es diesbezüglich (bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern
und gegebenenfalls auch nach dem Alter der Kinder/Jugendlichen beant-
worten), insbesondere zu den Fragen,

a) wann liegt ein „äußerster Fall“ vor, in dem eine Inhaftierung ausnahms-
weise zulässig ist;

b) als was wird eine „kürzestmögliche angemessene Dauer“ angesehen,
welche Höchstdauern gibt es gegebenenfalls;

c) welche gesonderten Unterbringungen für Familien gibt es, und wie wird
ein „angemessenes Maß an Privatsphäre gewährleistet“;

d) wie und in welchem Umfang werden Freizeitbeschäftigungen und Spiel-
möglichkeiten und in welchem konkreten Umfang ein „Zugang zur Bil-
dung“ gewährleistet;

e) wie wird dem Vorrang des Kindeswohls bei einer Inhaftierung Minder-
jähriger Rechnung getragen, und wie sind entsprechende Einrichtungen
beschaffen, die zur Berücksichtigung der altersgemäßen Bedürfnisse
von Kindern in der Lage sind?

35. Bis zu welcher Höchstdauer hält die Bundesregierung Inhaftierungen von
Minderjährigen nach Maßgabe der Vorschriften des Artikels 17 der Richt-
linie gegebenenfalls überhaupt noch für zulässig (bitte begründen und ge-

gebenenfalls auch nach dem Alter der Kinder/Jugendlichen differenziert
antworten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/7446

36. Wie wird nach Länderangaben Artikel 10 der Richtlinie in der Praxis um-
gesetzt, welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben, Modelle usw.
gibt es diesbezüglich, welche „geeigneten Stellen“ werden in den Bundes-
ländern zur Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen beteiligt, wie
wird die Berücksichtigung des Kindeswohls in diesem Zusammenhang
näher konkretisiert, und inwieweit beinhaltet die Vergewisserung nach
Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie auch eine Prüfung, ob die Übergabe an
ein Mitglied der Familie, einen Vormund oder eine „geeignete Aufnahme-
einrichtung“ im Rückkehrstaat dem Kindeswohl entspricht (bitte nach den
einzelnen Bundesländern differenziert beantworten)?

37. Mit welchen Argumenten hält die Bundesregierung die Inhaftierung Minder-
jähriger zur Durchsetzung der Ausreisepflicht überhaupt für zulässig an-
gesichts der Verpflichtungen insbesondere aus den Artikeln 20, 37 Buch-
stabe b und Artikel 3 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention, was
entgegnet die Bundesregierung gegebenenfalls den Argumenten des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte e. V., das eine Abschiebungshaft bei
Minderjährigen mit der Kinderrechtskonvention für unvereinbar hält (vgl.
Policy Paper von Hendrik Cremer: „Abschiebungshaft und Menschen-
rechte“, März 2011), und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung
hieraus in Bezug auf den Umgang mit Minderjährigen im Flughafenverfah-
ren?

38. Wie setzen die einzelnen Bundesländer die Vorgabe von Artikel 11 der
Richtlinie um, insbesondere die Vorgabe einer einzelfallbezogenen Festset-
zung eines Wiedereinreiseverbots, das fünf Jahre nicht überschreiten soll,
welche Kriterien kommen hier zur Anwendung, und inwieweit wird diese
Vorgabe auch von Amts wegen rückwirkend angewandt, wie ist die Praxis
der SIS-Speicherung bzw. -Löschung (SIS = Schengener Informations-
system), und welche Änderungen gibt es, und welche Regelungen, An-
weisungen, Rundschreiben, Modelle usw. gibt es diesbezüglich?

39. Inwieweit ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Wiedereinreiseverbot
mit der Begründung einer fehlenden Begleichung der Abschiebungskosten
mit der Richtlinie vereinbar, da dies in vielen Fällen faktisch zu einer Über-
schreitung des im Regelfall maximal fünfjährigen Wiedereinreiseverbots
führen würde (vgl. Ausschussdrucksache 17(4)282 E, S. 9 f.), und wie ist
die diesbezügliche Praxis der Bundesländer (bitte differenziert nach den
einzelnen Bundesländern beantworten)?

40. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der von allen drei von
den Regierungsfraktionen der CDU/CSU und FDP benannten Sachverstän-
digen im Rahmen einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen
Bundstages am 27. Juni 2011 geäußerten Kritik, wonach die unmittelbare
Anwendung von EU-Recht ohne klare gesetzliche Regelungen im nationa-
len Recht schwierig bzw. erschwert sei und zu Intransparenz und zusätz-
licher Bürokratie führe, etwa in Hinblick auf die Verweisungsregelung in
§ 62a Absatz 3 AufenthG (neu) (vgl. Anhörungsprotokoll der 45. Sitzung,
S. 23 und 41 und Ausschussdrucksache 17(4)282 A, S. 5)?

41. Inwieweit teilt bzw. mit welchen Argumenten bestreitet die Bundesregierung
die Auffassung der Sachverständigen Heiko Habbe und Dr. Reinhard Marx
(Anhörungsprotokoll, S. 58 f., 61 f. und Ausschussdrucksache 17(4)282 E,
S. 6 f.), dass nach Inkrafttreten der Richtlinie eine Inhaftierung jedenfalls
von Asylerstantragstellenden unzulässig ist, wie beurteilt die Bundesregie-
rung dies insbesondere mit Bezug auf Asylerstantragstellende im Dublin-
Überstellungsverfahren, und welche Konsequenzen ergeben sich für das
Flughafenverfahren?

Drucksache 17/7446 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

42. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 10816/10 vom 20. Septem-
ber 2011, mit dem Ungarn zu je 10 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt
wurde, weil es zwei Männer aus der Elfenbeinküste, die ohne gültige
Papiere aufgegriffen worden waren, in Abschiebungshaft behielt, obwohl
sie dort Asylanträge gestellt hatten, in Bezug auf die deutsche Rechtslage
und Praxis (bitte detailliert darstellen), und in welchen EU-Mitgliedstaaten
ist es unter welchen Umständen rechtlich erlaubt bzw. Praxis, Asylsuchende
in Haft zu behalten?

43. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Artikels 13
Absatz 4 der Richtlinie zur Sicherstellung kostenloser Rechtsberatung bzw.
einer kostenlosen Rechtsvertretung die Vorschläge des Sachverständigen
Heiko Habbe (vgl. Ausschussdrucksache 17(4)282 E, S. 7 f.),

a) mittellosen Abschiebungshäftlingen einen Pflichtanwalt beizuordnen,
weil die derzeitige Prozesskostenhilferegelung eine Glaubhaftmachung
der Erfolgsaussichten eines Rechtsgesuchs verlangt, was den Inhaftier-
ten ohne ein umfassendes Tätigwerden von Anwälten und Anwältinnen
im Regelfall unmöglich ist, wozu diese aber ohne einen Vorschuss oder
ein Vorabhonorar im Regelfall nicht bereit sind, weil ansonsten sie das
wirtschaftliche Risiko der Ablehnung eines Prozesskostenhilfegesuchs
zu tragen haben (falls dem Vorschlag nicht gefolgt wird, bitte ausführlich
begründen);

b) Abschiebungshäftlingen den Rechtsweg zum Bundesgerichtshof ohne
Zulassungsschranke (speziell zugelassener Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte) zu ermöglichen, da es infolge des Gesetzes über das Ver-
fahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit zu einem erheblichen Rückgang der Rechtsbeschwerde-
verfahren gekommen sei, obwohl Abschiebungshäftlinge in der Vergan-
genheit aufgrund von Entscheidungen der Rechtsbeschwerdeinstanz
häufig entlassen werden mussten (falls dem Vorschlag nicht gefolgt
wird, bitte ausführlich begründen)?

44. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Sachverständigen
Dr. Reinhard Marx (Ausschussdrucksache 17(4)282 D, S. 8 f.), dass nach
Inkrafttreten der Richtlinie Rechtsmitteln im einstweiligen Rechtsschutz-
verfahren eine aufschiebende Wirkung zukommt, und welche Maßnahmen
bzw. welcher Gesetzesänderungsbedarf folgen hieraus gegebenenfalls (bitte
begründet darlegen)?

45. Wie viele Personen befanden sich nach Länderangaben zu den Stichtagen
31. Dezember 2008, 31. Dezember 2009, 31. Dezember 2010 und zum letz-
ten aktuellen Zeitpunkt in Abschiebehaft (bitte auflisten nach Bundeslän-
dern, Geschlecht und Altersgruppen in folgender Gliederung: bis 16 Jahre,
16 bis 18 Jahre, 18 bis 59 Jahre, 60 Jahre und älter und bitte – auch im Fol-
genden – stets nach Zurückweisungs-, Vorbereitungs- oder Sicherungshaft
unterscheiden, soweit möglich)?

46. Wie viele Personen waren nach Länderangaben in den Jahren 2008, 2009,
2010 bzw. im Jahr 2011 (soweit vorliegend) in Abschiebungshaft (bitte auf-
listen nach Bundesländern, Geschlecht und Altersgruppen in folgender
Gliederung: bis 16 Jahre, 16 bis 18 Jahre, 18 bis 59 Jahre, 60 Jahre und
älter)?

47. Welche Staatsangehörigkeiten hatten nach Länderangaben die zu den so-
eben benannten Stichtagen bzw. die in den genannten Jahren in Abschie-
bungshaft befindlichen Personen (bitte nach den zehn wichtigsten Staats-

angehörigkeiten differenzieren)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/7446

48. Wie viele Abschiebungshäftlinge sitzen derzeit bzw. saßen zum 30. Juni
2011, zum 31. Dezember 2010, zum 31. Dezember 2009 und zum 31. De-
zember 2008 in speziellen Einrichtungen, JVAs oder in anderen Einrichtun-
gen (welchen) ein (bitte nach Bundesländern und den jeweiligen Standorten
innerhalb der Bundesländer differenziert angeben und Standtorte der Ein-
richtungen sowie deren maximale Belegungszahl, Betreiber und etwaige
Besonderheiten benennen)?

49. Welche genaueren Vollzugsregelungen gelten nach Länderangaben in den
einzelnen Hafteinrichtungen für die Abschiebungshaft, etwa in Bezug auf
Einschlusszeiten, Besuchsregelungen (Zeiten, Häufigkeit usw.), Nutzung
von privaten Mobiltelefonen, sonstige Kommunikationsmöglichkeiten,
Tragen privater Kleidung, eigene Essenszubereitung, Beschäftigungs- und/
oder Freizeitmöglichkeiten usw. (bitte nach Hafteinrichtungen differenziert
angeben bzw. nach Bundesländern, soweit es übergreifende Regelungen für
mehrere Hafteinrichtungen gibt)?

50. In welchen Abschiebehaftanstalten werden nach Länderangaben einzelne
Aufgaben oder der Betrieb dieser Einrichtungen durch private Unterneh-
men in welchem Umfang und seit wann und mit welchen feststellbaren
Auswirkungen wahrgenommen?

51. Welche Kenntnisse haben die Bundesländer zur Rechtsgrundlage der bean-
tragten bzw. der vollzogenen Abschiebungshaft (z. B. Sicherungs- oder
Vorbereitungshaft, bitte differenzieren nach Bundesländern und den Jahren
2008, 2009, 2010 und 2011)?

52. Aufgrund welcher Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben usw.
wird die Abschiebungshaft in den einzelnen Bundesländern nach Länderan-
gaben und/oder Kenntnis der Bundesregierung geregelt (bitte nach Bundes-
ländern differenzieren)?

53. Wie viele Personen befanden sich nach Länderangaben seit 2008 für wie
lange in Abschiebungshaft (bitte differenzieren nach Bundesländern,
Jahren, Alter – differenziert wie oben –, Geschlecht sowie Zeitdauer: bis zu
zwei Wochen, von zwei bis sechs Wochen, von sechs Wochen bis drei
Monate, von drei bis sechs Monate, von sechs bis zwölf Monate, von zwölf
bis 15 Monate, von 15 bis 18 Monate)?

54. Wie viele der Abschiebungshaftfälle endeten nach Länderangaben

a) durch Entlassung aus der Haft aufgrund gerichtlicher Aufhebung des
Haftbefehls;

b) durch Entlassung aus der Haft aufgrund behördlicher Maßnahmen (wel-
che genaueren Angaben sind möglich, etwa Änderung des Sachverhalts,
Asylantragstellung, neue Erkenntnisse zu Aufenthaltsgründen, Undurch-
führbarkeit der Abschiebung, Abschiebestopperlass usw.);

c) durch freiwillige Ausreise;

d) durch Abschiebung;

e) aus sonstigen Gründen (welche);

(bitte nach Bundesländern und Jahren, seit 2008, differenzieren sowie ge-
gebenenfalls gesonderte Angaben zu den zehn wichtigsten Staatsangehörig-
keiten machen)?

55. Wie vielen Abschiebungen ging nach Länderangaben seit 2008 eine Ab-
schiebungshaft voraus (bitte nach Jahren und Bundesländern auflisten und
in absoluten und relativen Zahlen angeben)?

Drucksache 17/7446 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

56. Welche Geldbeträge wurden nach Länderangaben seit 2008 von Abschie-
bungshäftlingen zur Begleichung der Kosten für die Abschiebungshaft bzw.
für Abschiebungen einbehalten (bitte nach Jahren und Bundesländern
sowie Kosten für die Haft bzw. die Abschiebung differenziert auflisten)?

57. Wie hoch war nach Länderangaben seit 2008 der Anteil derjenigen Ab-
schiebungshäftlinge, die zur Durchsetzung einer Ausweisung infolge einer
Straftat nach Verbüßung einer Haftstrafe in Abschiebungshaft genommen
wurden (bitte nach Jahren und Bundesländern differenziert auflisten)?

58. Welche Länderangaben liegen vor zum Umfang und der Inanspruchnahme
ärztlicher bzw. psychotherapeutischer Behandlung in Abschiebungshaft
(bitte nach Bundesländern und, soweit möglich, nach Jahren und Staatsan-
gehörigkeiten differenzieren)?

59. Welche Formen der Rechtsberatung, Information und Betreuung gibt es in
den Abschiebungshafteinrichtungen nach Länderangaben, welche besonde-
ren Informationen in kinder- und jugendgerechter Sprache gibt es gegebe-
nenfalls, und welche Änderungen infolge des Inkrafttretens der Richtlinie
gab es bzw. sind geplant (bitte differenziert nach den einzelnen Bundeslän-
dern beantworten)?

60. Wie wird nach Länderangaben die Vorgabe des Artikels 13 Absatz 4 der
Richtlinie einer Sicherstellung

a) kostenloser Rechtsberatung sowie

b) einer kostenlosen Rechtsvertretung

umgesetzt, und welche Regelungen, Anweisungen, Rundschreiben, Mo-
delle usw. gibt es diesbezüglich (bitte nach Bundesländern differenziert
beantworten)?

61. Welche Länderangaben liegen vor zu den Kosten der Abschiebungshaft
(bitte nach Bundesländern, Haftanstalten und Jahren – seit 2008 – differen-
zieren sowie durchschnittliche tägliche Kosten der Abschiebungshaft pro
Person und Gesamtkosten der jeweiligen Anstalt im Jahr angeben)?

62. Welche Länderangaben liegen vor zu den übrigen Kosten der Abschie-
bungsverfahren im Allgemeinen?

63. Wie viele Personen in der Abschiebungshaft kamen seit 2008 nach Länder-
angaben durch Fremdeinwirkung bzw. eigenes Handeln zu Schaden oder
nahmen sich das Leben (bitte nach Jahren und Bundesländern und, soweit
möglich, nach konkreter Handlung differenzieren)?

64. Wie viele Personen wurden seit 2008 nach Länderangaben bzw. ergänzen-
der Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen des Dublin-Überstellungs-
verfahrens in Haft genommen, wie viele von ihnen wurden in welche
Länder rücküberstellt bzw. mussten entlassen werden, wie vielen Überstel-
lungen ging eine Inhaftierung, wie vielen ein Asylverfahren voraus (bitte
nach Jahren, Bundesländern und Haftanstalten differenziert antworten und,
soweit vorhanden, weitere Angaben zur Dauer der Inhaftierung, zur Rechts-
grundlage, zu den zehn wichtigsten Staatsangehörigkeiten, zu unter 18-
bzw. unter 16-Jährigen, zu den Gründen einer etwaigen Entlassung usw.
machen)?

65. Wie viele Personen befanden sich zu den Stichtagen 31. Dezember 2008,
31. Dezember 2009, 31. Dezember 2010 und zum letzten aktuellen Zeit-
punkt in Haft im Rahmen des Dublin-Überstellungsverfahrens (bitte nach
Bundesländern, Haftanstalten und den zehn wichtigsten Staatsangehörig-
keiten differenzieren)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13 – Drucksache 17/7446

66. Wie werden in der Praxis nach Länderangaben die besonderen Bedürfnisse
von Minderjährigen, älteren und kranken Personen in der „Dublin-Haft“
und im Rücküberstellungsverfahren berücksichtigt, und welche Regelun-
gen, Anweisungen, Runderlasse, -schreiben usw. gibt es diesbezüglich
(bitte differenziert nach den einzelnen Bundesländern beantworten)?

67. Welche Länderangaben gibt es dazu, wie viele geplante Überstellungen seit
2008 aus welchen Gründen nicht durchgeführt werden konnten (bitte nach
Bundesländern und Jahren differenziert beantworten und etwaige Beson-
derheiten in Bezug auf bestimmte Herkunftsländer oder Personengruppen
benennen)?

68. Wie wird nach Angaben der Bundesländer die Neuregelung in § 87 Ab-
satz 1 und 2 AufenthG (Ausnahme von der Übermittlungspflicht für Schul-,
Bildungs- und Erziehungseinrichtungen) umgesetzt, welche Änderungen
oder Klarstellungen von Gesetzen, Rundschreiben, -erlassen usw. gab es
bzw. sind geplant, und wie bewertet die Bundesregierung den Stand der
Umsetzung jeweils (bitte nach Bundesländern differenziert angeben)?

Berlin, den 19. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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