BT-Drucksache 17/7195

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP -17/6916, 17/7067- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus

Vom 28. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7195
17. Wahlperiode 28. 09. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin, Fritz Kuhn,
Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, Kerstin Andreae,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Katja Keul, Sven-Christian Kindler,
Ute Koczy, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Brigitte Pothmer,
Claudia Roth (Augsburg), Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
– Drucksachen 17/6916, 17/7067 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von
Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die europäische Integration hat Europa Frieden und Wohlstand, der Euro
Wechselkurs- und Geldwertstabilität gebracht. Der Euro ist nicht nur ökono-
misch in einer zunehmend globalisierten Weltwirtschaft von zentraler Bedeu-
tung. Er ist auch ein täglich sichtbares Zeichen der erfolgreichen europäischen
Integration und der Einbindung Deutschlands darin.

Der Weg aus der Eurokrise kostet Geld und erfordert nachhaltige Entscheidun-
gen. Aber die Kosten des Nichthandelns wären größer. Die politischen und
wirtschaftlichen Kosten eines Scheiterns des Euro wären gerade für Deutsch-
land enorm. Deutschland profitiert wie kein anderes Land von Binnenmarkt
und gemeinsamer Währung. Deutschland braucht die Europäische Union. Viel
zu eng ist inzwischen die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitglied-
staaten, als dass ein Herausbrechen einzelner Staaten ohne massiven Schaden
für alle Beteiligten möglich wäre. Politisch wird eine starke und handlungs-
fähige EU gebraucht, um den globalen Herausforderungen Finanzmarktkrise,
Klima- und Armutskrise begegnen zu können. Denn Europa kann in einer glo-
balen Welt seine Interessen nur wirksam wahrnehmen, wenn es geeint ist und
nicht zerfällt. Deshalb ist eine gemeinsame Antwort auf die Schuldenkrise nicht

nur ein Akt europäischer Solidarität. Sie liegt auch und gerade im deutschen
Interesse.

Die Krise, die seit 2007 die Weltwirtschaft beutelt, hat sich zuletzt erneut zuge-
spitzt. In Europa wie in den USA und Japan steht jetzt vor allem die Verschul-
dung der Staaten im Fokus. Aber auch die Gefahr einer neuen Rezession droht.
Die wichtigste Schwachstelle sind aber immer noch die instabilen Banken. Sie
beschleunigen die Übertragung der Probleme eines Landes auf die anderen

Drucksache 17/7195 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Länder. Nach wie vor ringt die Europäische Union um die Stabilität der Euro-
zone und eine tragfähige Lösung der Schuldenkrise.

Mit den Beschlüssen der EU-Gipfel vom März und Juli 2011 wurde vereinbart,
dass die derzeitige Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF – der so
genannte Euro-Rettungsschirm) aufgestockt und mit wichtigen Instrumenten
ausgestattet werden soll. Umgesetzt wird die EFSF mit dem Gesetz zur Über-
nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungs-
mechanismus (Stabilisierungsmechanismusgesetz – StabMechG). Zukünftig
kann die EFSF nicht nur Kredite an notleidende Euro-Staaten vergeben, sondern
auch zur Vermeidung von Ansteckungseffekten, Staatsanleihen am Sekundär-
und Primärmarkt aufkaufen sowie Kredite zur Rekapitalisierung von Banken
und vorsorglichen Kreditlinien zur Verfügung stellen. Diese neuen Instrumente
machen die EFSF und den auf ihr aufbauenden dauerhaften Europäischen Stabi-
litätsmechanismus (ESM) handlungsfähiger. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN hat sowohl diese zusätzlichen Instrumente als auch einen dauerhaften
Krisenmechanismus (ESM) seit Einführung der Rettungsmechanismen im Mai
2010 gefordert. Wieder handelte die Bundesregierung viel zu spät und viel zu
zögerlich. Mit einer Politik der kleinen Schritte lässt sich diese Krise nicht lösen.
Das unerlässliche Bekenntnis zur Stabilität des Euro hat die Bundesregierung
viel zu lange blockiert und damit zur Zuspitzung der Schuldenkrise beigetragen.

Weil aufgrund mangelnden Krisenmanagements die notwendigen Instrumente
fehlen, wurde die Europäische Zentralbank (EZB) von den Euro-Staaten in die
Rolle des Retters gedrängt. Dies ist die intransparenteste und schlechteste
Lösung eines Rettungsmechanismus. Damit die EZB bei weiteren zu erwarten-
den Zuspitzungen an den Finanzmärkten nicht erneut zu einer Intervention ge-
zwungen ist und Staatsanleihen aufkaufen muss, sollte die EFSF über die jetzt
vorhandene Möglichkeit hinaus in die Lage versetzt werden, dieses zu leisten.

Völlig unzureichend ist die bisherige Ausgestaltung der Gläubigerbeteiligung.
Der Marktwert der Griechenland-Anleihen liegt zum Teil bei nur noch 50 Pro-
zent ihres Nennwerts. Die privaten Gläubiger (vor allem Banken) sollen nach
der getroffenen Vereinbarung aber nur auf 21 Prozent ihrer Forderungen ver-
zichten und erhalten im Gegenzug auch noch die gemeinschaftlich besicherten
EFSF-Anleihen. Im Vergleich mit dem eigentlichen Marktwert ihrer Anleihen
machen die Banken sogar ein gutes Geschäft.

Von zentraler Bedeutung ist ein Gleichgewicht zwischen weitgehenden Mitbe-
stimmungs- und Kontrollrechten für den Deutschen Bundestag und einem hand-
lungsfähigen Euro-Rettungsschirm. Dies hat das Bundesverfassungsgericht
jüngst in seinem Urteil zum Euro-Rettungsschirm bestätigt. Das Haushaltsrecht
des Parlaments muss gewahrt sein und gleichzeitig muss der Deutsche Bundes-
tag der Verantwortung für die europäische Integration und einen stabilen Euro
gerecht werden können. Die EFSF und der ESM sind wichtige Schritte zur
Lösung der Eurokrise und zur dauerhaften Stabilisierung des Euro.

Für eine dauerhafte Lösung der Krise wird sich die Europäische Union weiter-
entwickeln müssen. Denn eines hat die Krise deutlich gemacht: Mit wirtschafts-
und haushaltspolitischer Kleinstaaterei muss endlich Schluss sein. In der Ver-
gangenheit konnten die Regierungen von ihren europäischen Partnern mehr oder
weniger unbeachtet rein national geprägte Wirtschafts-, Finanz- und Haushalts-
politiken betreiben. So haben sich gravierende Unterschiede in der Wirtschafts-
struktur, der Wettbewerbsfähigkeit und dem Zustand öffentlicher Finanzen auf-
gebaut. Die EU braucht daher Instrumente mit Durchschlagskraft, die EU
braucht mehr Integration, um die Ursachen dieser Krise nachhaltig und sozial-
verträglich zu bekämpfen:

● Die EU braucht eine demokratisch legitimierte Wirtschaftsunion, die eine

aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik
möglich macht.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7195

● Die EU wird nur aus der Krise kommen, wenn Schulden und Defizite auf ein
nachhaltiges Maß reduziert werden. Das ist mit Sparen allein aber nicht zu
schaffen. Europa braucht trotz aller Konsolidierungsbemühungen Investitio-
nen und Investitionsanreize in den ökologischen und sozialen Umbau der
Wirtschaft, die neue wirtschaftliche Dynamik schaffen und den Menschen
vor Ort eine Perspektive geben. Herausforderungen wie die Harmonisierung
von Steuern, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer müssen ebenso
umgesetzt werden wie gemeinsame soziale Mindeststandards.

● Verteilungsgerechtigkeit muss bei der Formulierung und der Umsetzung der
Anpassungsprogramme gewährleistet sein.

● Der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt und das neue Verfahren zur Ver-
meidung makroökonomischer Ungleichgewichte müssen künftig einen
wichtigen Beitrag zur stärkeren Abstimmung der nationalen Politiken leis-
ten. Viel zu lange hat die Bundesregierung aufgrund nationaler Engstirnig-
keit die Verhandlungen auf europäischer Ebene blockiert. Die Bundesregie-
rung muss ihren Widerstand gegen die symmetrische Betrachtung von Leis-
tungsbilanzungleichgewichten endlich aufgeben. Als weiteren Schritt muss
das Europäische Semester unter stärkerer Beteiligung des Europäischen Par-
laments zum verbindlichen Koordinierungsverfahren nationaler Haushalts-
und Wirtschaftspolitiken weiterentwickelt werden.

● Die EU braucht zügig den ESM als dauerhaften Krisenmechanismus. Der
ESM stabilisiert den Euro, weil er klare Regeln für Finanznotfälle schafft,
und er unterbindet spekulative Wetten gegen die Euro-Staaten.

● Um die Probleme von Staaten und Banken endlich zu trennen, braucht Eu-
ropa einen europäischen Bankenrettungsfonds, der Banken direkt kapitalisie-
ren kann und über eigene Abwicklungskompetenzen auf Basis eines europä-
ischen Insolvenzrechts für Banken verfügt. Als Vorsichtsmaßnahme sollte
baldmöglichst ein verbessertes Finanzmarktstabilisierungsgesetz (SoFFin-
Gesetz) vorgelegt werden, damit Deutschland zur Not in der Lage ist, Banken
zu stabilisieren. Außerdem sollte die direkte Kapitalisierung von Banken
durch die EFSF ermöglicht werden.

● Eurobonds, die bis zu einer stabilitätswahrenden Grenze der Staatsverschul-
dung ausgegeben werden, können ein richtiges Instrument für den langfris-
tigen Umgang mit Risiken für die Finanzstabilität des gesamten Euro-Wäh-
rungsgebiets werden. Eurobonds müssen mit einer Stärkung der finanzpoli-
tischen Disziplin einhergehen. Anreize für eine nachhaltige Finanzpolitik
müssen im Vorfeld gesichert werden und nicht durch Strafmaßnahmen, die
erst im Nachhinein greifen.

Langfristig werden Änderungen der europäischen Verträge nötig sein. Ein Eu-
ropäischer Konvent muss in den nächsten Jahren demokratisch, transparent und
unter Beteiligung der Parlamente und der europäischen Zivilgesellschaft ge-
meinsame Perspektiven für den nächsten Schritt in der Vertiefung der europäi-
schen Integration ausarbeiten. Es geht um die Zukunft der Wirtschaftsunion,
aber auch um die Zukunft der sozialen und demokratischen EU. Eine Konfe-
renz der nationalen Regierungen, die einen großen institutionellen Befreiungs-
schlag im diplomatischen Hinterzimmer auskungelt, würde dem Vertrauen der
Bürgerinnen und Bürger in den Fortbestand der Europäischen Union einen Bä-
rendienst erweisen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● endlich einen klaren proeuropäischen Kurs in der deutschen Europapolitik
einzuschlagen und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU wieder-

herzustellen;

Drucksache 17/7195 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
● die Politik der kleinen Schritte zu Gunsten von nachhaltig wirkenden, gro-
ßen Lösungen aufzugeben;

● bei den europäischen Partnern für einen Europäischen Konvent mit dem Ziel
einer stärkeren Europäischen Integration zu werben;

● sich für eine schnellstmögliche Ratifizierung und Inkraftsetzung des Euro-
päischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einzusetzen und damit die Schaf-
fung eines regelgebundenen Verfahrens zu forcieren, das künftig bei festge-
stellter Insolvenz von EU-Mitgliedstaaten eine Gläubigerbeteiligung des
Privatsektors vorsieht, um die Schuldenlast des betroffenen Staates auf ein
tragfähiges Niveau senken zu können;

● sich für eine umfassende und wirksame Regulierung der Finanzmärkte stark
zu machen, die Banken dazu zwingt, deutlich mehr Eigenkapital vorzuhalten
und bei der die Anforderungen mit der Größe der Bank steigen. Deutschland
braucht eine europäische Bankenaufsicht, die zukünftig auf Augenhöhe mit
der Branche ist und den politischen Auftrag wie die Ressourcen hat, um prä-
ventiv einzugreifen. Zudem müssen rein spekulative Finanzprodukte ver-
boten und endlich die Problematik zu großer Banken (too big to fail) systema-
tisch angegangen werden;

● die Beteiligung der privaten Gläubiger neu zu verhandeln;

● sich für Programme in den überschuldeten Mitgliedstaaten einzusetzen, wel-
che nachhaltige Wachstumsimpulse nicht „abwürgen“, diese Programme
sozialverträglich auszugestalten und dabei auch die Einnahmeseite verstärkt
in den Blick zu nehmen;

● sich für ein europäisches Investitionsprogramm für den ökologischen und
sozialen Umbau der Wirtschaft einzusetzen;

● die für Oktober 2011 von der EU-Kommission angekündigten Vorschläge
für Eurobonds konstruktiv zu begleiten, statt sie pauschal abzulehnen;

● das Europäische Semester (zur Abstimmung der jährlichen Haushaltspla-
nung) als wichtiges Instrument einer starken Koordinierung der nationalen
Wirtschafts- und Haushaltspolitiken ernst zu nehmen und sich für eine ver-
bindlichere Umsetzung sowie eine stärkere Beteiligung des Europäischen
Parlaments und der nationalen Parlamente einzusetzen;

● einer Finanztransaktionssteuer in der Eurozone oder in einem Verbund ein-
zelner Mitgliedstaaten zuzustimmen;

● ihren Widerstand gegen die Einbeziehung von Leistungsbilanzüberschüssen
im Rahmen des neuen makroökonomischen Überwachungsmechanismus
(symmetrisches Verfahren) aufzugeben;

● bei der Unternehmensbesteuerung auf einem Mindeststeuersatz in der EU zu
bestehen, um Steuerdumping zu verhindern und für mehr Transparenz eine
nach Ländern untergliederte Rechnungslegung multinationaler Unterneh-
men durchzusetzen und damit die Basis für eine Einführung einer obligatori-
schen, gemeinsamen, konsolidierten steuerlichen Bemessungsgrundlage zu
schaffen.

Berlin, den 28. September 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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