BT-Drucksache 17/5776

Rekommunalisierung beschleunigen - Öffentlich-Private-Partnerschaften stoppen

Vom 10. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5776
17. Wahlperiode 10. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Katrin Kunert, Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Eva Bulling-
Schröter, Roland Claus, Harald Koch, Caren Lay, Sabine Leidig, Ralph Lenkert,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Dorothee Menzner, Kornelia
Möller, Jens Petermann, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Michael Schlecht,
Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten
Tackmann, Dr. Axel Troost, Johanna Voß, Sahra Wagenknecht und der Fraktion
DIE LINKE.

Rekommunalisierung beschleunigen – Öffentlich-Private Partnerschaften stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem ÖPP-Beschleunigungsgesetz (ÖPP: Öffentlich-Private Partnerschaften)
vom 1. September 2005 und der Einrichtung der „ÖPP Deutschland AG“ ver-
sucht die Bundesregierung, die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge
voranzutreiben. Die prekäre Haushaltslage auf allen Ebenen, für die nicht zuletzt
der Bund mitverantwortlich ist, befördert die Übertragung öffentlicher Infra-
struktur und öffentlicher Leistungen an Private. Dabei findet jedoch keine echte
Entlastung der Haushalte statt. Erfahrungen zeigen, dass ÖPP-Projekte die Pro-
bleme und die Verschuldung der öffentlichen Hand meist sogar verstärken. Den
privaten Partnern werden Gewinne garantiert, Risiken und Verluste verbleiben
bei der öffentlichen Hand. Ob projektbezogene oder institutionelle ÖPP, die
Kommune macht sich langfristig abhängig von den privaten Partnern. Sie ver-
liert Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Infrastruktur.

Die 2008 von der Bundesregierung ins Leben gerufene „ÖPP Deutschland AG“
verfolgt den einzigen Zweck, den Anteil von ÖPP-Projekten an öffentlichen In-
vestitionen zu erhöhen. Mit dieser Beratungsgesellschaft, in der neben dem
Bund auch die Firmen vertreten sind, die selbst ein wirtschaftliches Interesse an
ÖPP-Projekten haben, ist keine objektive Beratung möglich.

Anstelle der weiteren Privatisierung öffentlicher Aufgaben muss eine ver-
stärkte Rekommunalisierung treten. Investitionen kommunaler Unternehmen
fließen zu 80 Prozent in die regionale Wirtschaft. Jeder Arbeitsplatz in einem
kommunalen Unternehmen zieht 1,7 weitere Arbeitsplätze in der Region nach

sich, während das regionale Handwerk bei ÖPP-Projekten meist leer ausgeht.
Nur wenn klassische Bereiche der Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand blei-
ben, kann gewährleistet werden, dass alle Bürgerinnen und Bürgern über quali-
tativ hochwertige Dienstleistungen flächendeckend und zuverlässig verfügen
und dabei hohe Standards des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie der
Arbeitnehmerrechte gesichert werden. Da sich die kommunale Daseinsvor-
sorge am Gemeinwohl orientiert, kommt der gesellschaftlich erwirtschaftete

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Reichtum allen Menschen zugute, nicht nur den Kapitalanlegern und denjeni-
gen, die über die nötige Kaufkraft verfügen. Insofern sind kommunale Unter-
nehmen wichtige Garanten für soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche
Solidarität. Daher ist Rekommunalisierung ein begrüßenswerter Entwicklungs-
trend, der der Unterstützung bedarf.

Der Ausweg aus der prekären Haushaltssituation der öffentlichen Hand liegt
nicht in der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, sondern in einer Reform der
Kommunalfinanzen und der Landes- und Bundeshaushalte.

Die Kommunen stehen vor einem Umbau der technischen und sozialen Infra-
struktur. Demographischer Wandel, Anforderungen einer dezentralen Energie-
versorgung, Umstrukturierungen im Gesundheits- und Bildungssektor usw. füh-
ren zu neuen Ansprüchen an eine Infrastrukturplanung. Die einzelnen Sektoren
müssen künftig übergreifend geplant werden (Beispiel: Energiegewinnung aus
Abwasser). Eine solche Verknüpfung verschiedener Bereiche kann nur gelingen,
wenn diese nicht in unterschiedlichen privaten Unternehmen separiert sind, de-
ren Zweck allein die Gewinnmaximierung in ihrem eigenen Geschäftsfeld ist.
Deshalb ist eine Rekommunalisierung auch eine wichtige Basis für eine ver-
netzte, zukunftsgerichtete Städteplanung.

Kommunale Unternehmen sind eine Voraussetzung für eine dezentrale, bürger-
nahe, soziale und umweltverträgliche Energiepolitik, allerdings keine Garanten
dafür. Deshalb müssen Transparenz und demokratische Kontrolle ausgebaut
werden. In vielen gemischtwirtschaftlichen Unternehmen beschränken sich die
Kommunen auf ihre Rolle als Dividendenempfänger, ohne Mitentscheidungs-
rechte einzufordern. Die Kommunen sollten durch gutes und transparentes Ma-
nagement ihre Beteiligungen zur politischen Steuerung im Sinne des Gemein-
wohls nutzen, anstatt sie als reine Vermögensverwaltung zu verstehen. Darüber
hinaus bestehen jedoch auch rechtliche Hürden, die beseitigt werden müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein Rekommunalisierungs-Beschleunigungs-Gesetz mit folgenden Regelun-
gen vorzulegen:

– Das ÖPP-Beschleunigungsgesetz vom 1. September 2005 wird aufge-
hoben.

– Das Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) dahingehend zu
ändern, dass klargestellt wird, dass die Interkommunale Zusammenarbeit
vergaberechtsfrei ist.

– Das Wasserhaushaltsgesetz in § 56 dahingehend zu ändern, dass die Bun-
desländer die Abwasserbeseitigungspflicht ausschließlich an juristischen
Personen öffentlichen Rechts übertragen können. Die Übertragung der
Pflicht an andere als juristische Personen öffentlichen Rechts muss künf-
tig ausgeschlossen werden. Die Übertragung der Aufgabenerfüllung der
Abwasserbeseitigungspflicht an Dritte bleibt davon unberührt.

– Bei der Formulierung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes
(KrW-/AbfG) sicherzustellen, dass die bewährten, gewachsenen kommu-
nalen Entsorgungsstrukturen, die Verpflichtung der Kommunen zur Ge-
währleistung der Daseinsvorsorge und ihre Verantwortung gegenüber den
Abfallgebührenzahlerinnen und -zahlern berücksichtigt werden. Den
Kommunen dürfen keine Abfallströme entzogen werden, für die sie bisher
verantwortlich waren. Insbesondere ist die im Entwurf des neuen KrWG
vorgesehene Regelung zu streichen, eine „neutrale Stelle“ zu schaffen, die
über die Zulässigkeit einer gewerblichen Sammlung entscheiden soll.

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– Im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) bei der anstehenden Novellie-
rung keinen Vorrang kommerzieller Verkehre einzuräumen. Stattdessen ist
der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 so breit wie
möglich zu gestalten, um Selbsterbringung der Verkehrsleistungen durch
interne Betreiber zu bevorzugen und die Vorgabe von Umwelt- und so-
zialen Kriterien bei allen Vergaben verbindlich vorschreiben zu können.

– Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) dahingehend zu ändern, dass für
die Ermittlung von Netzrückkaufkosten der tarifkalkulatorische Rest-
buchwert zugrunde zu legen ist und der bisherige Nutzungsberechtigte
dem neuen Netzbetreiber die „für den Betrieb der Netze der allgemeinen
Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen“ eigen-
tumsrechtlich übertragen muss. Um eine objektive Prüfung sicherzustel-
len, muss der Konzessionsnehmer der Gemeinde vier Jahre vor Ende des
Konzessionsvertrages sämtliche Informationen zur Ermittlung des Wertes
der Netze und der Anlagen, zu möglichen Grundstücksrechten, über die
Netzpläne zur Beurteilung der Entflechtung und über die Absatzmengen
im Versorgungsgebiet übermitteln;

2. im Zusammenwirken mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass

– die Einschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen in
den Gemeindeordnungen zurückgenommen wird;

– die Gemeinde- und Kreisordnungen Präferenzen in Bezug auf die wirt-
schaftliche Betätigung im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge zu-
gunsten der öffentlichen Hand enthalten und dass insbesondere die im
Gemeindewirtschaftsrecht zugunsten der Privaten bestehenden Subsi-
diaritätsklauseln abgeschafft werden;

– auf kommunaler Ebene Beiräte zur Kontrolle und Beratung kommunaler
und gemischtwirtschaftlicher Unternehmen gebildet werden müssen, an
denen insbesondere Umwelt- und Verbraucherverbände, Gewerkschaften
und kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger beteiligt werden;

– Regelungen geschaffen werden, die beim wirtschaftlichen Zusammen-
wirken von Kommunen und Privaten ein transparentes Verfahren ermög-
lichen, so dass Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie interessierte
Bürgerinnen und Bürger die für die öffentliche Hand zu erwartenden Kos-
ten und Nutzen von Privatisierungs- und Rekommunalisierungsprojekten
realistisch einschätzen können;

– in allen Bundesländern nach dem Beispiel des Landes Berlin Regelungen
zur Offenlegung von Privatisierungsverträgen im Bereich der Daseinsvor-
sorge geschaffen werden;

3. das Förderprogramm der KfW Bankengruppe „Kommunal investieren“ um-
zuwidmen. Anstatt ÖPP-Projekte zu fördern, wird ein Förderprogramm auf-
gelegt, das zinsgünstige Kredite für Kommunen bei Rekommunalisierungs-
projekten bereitstellt;

4. die ÖPP Deutschland AG aufzulösen und stattdessen in Zusammenarbeit mit
den kommunalen Spitzenverbänden eine Anlaufstelle zur Förderung von Re-
kommunalisierungsprojekten einzurichten. Aufgabe der Anlaufstelle ist es,
Kommunen bei der Umsetzung von Rekommunalisierungsprojekten zu bera-
ten und bei rechtlichen und wirtschaftlichen Problemen zu unterstützen und
die Erfahrungen mit solchen Projekten für die Kommunen auszuwerten;

5. zur besseren Transparenz und demokratischen Kontrolle einen Gesetzent-
wurf zur Änderung des Aktiengesetzes vorzulegen, um zu regeln, dass die
Aufsichtsratsmitglieder in Aktiengesellschaften und gemischtwirtschaft-

lichen Unternehmen an die Weisungen der entsendenden Gremien (Kom-

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mune, Betriebsrat etc.) gebunden sind, ihre Rechenschaftspflicht ausge-
weitet und ihre Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem entsendenden
Gremium aufgehoben werden. Der Vorrang des Unternehmensinteresses
vor der Gemeinwohlverpflichtung für aus Kommunen entsandte Aufsichts-
ratsmitglieder ist aufzuheben.

Berlin, den 10. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) lösen die finanziellen Probleme der
öffentlichen Hand nicht, sondern schaffen neue. Während „Wirtschaftlichkeits-
vergleiche“ von Beratern vor Vertragsabschluss Kosteneinsparungen von bis zu
25 Prozent ausweisen, zeigen die anschließenden Erfahrungen mit bisher durch-
geführten Projekten, dass diese „Effizienzvorteile“ meist Luftschlösser sind.
Den privaten Partnern werden Gewinne garantiert, während die Kosten und
Risiken einseitig bei der öffentlichen Hand zu Buche schlagen. Dies geschieht
über die „Vorfaitierung mit Einredeverzicht“ (Forderungsverkauf des Investors
an eine Bank, gegenüber der die öffentliche Hand unabhängig von der erbrach-
ten Leistung zahlungspflichtig wird), die Risikoverteilung zu Lasten der öffent-
lichen Hand sowie über die strikte Geheimhaltung der Verträge.

Die berechneten „Effizienzvorteile“ von ÖPP gehen vor allem zu Lasten der Be-
schäftigungsverhältnisse. Vertragspartner von ÖPP sind derzeit zu etwa zwei
Dritteln große Bau- und Dienstleistungsunternehmen, die die Leistungen dann
an national oder international tätige Anbieter als Subunternehmer vergeben, die
auch mit Dumpinglöhnen und prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten.
Ganz anders die öffentliche Hand. Investitionen kommunaler Unternehmen flie-
ßen zu 80 Prozent in die regionale Wirtschaft. Jeder Arbeitsplatz in einem kom-
munalen Unternehmen zieht 1,7 weitere Arbeitsplätze in der Region nach sich,
während das regionale Handwerk bei ÖPP-Projekten meist leer ausgeht. An-
stelle von Dumpinglöhnen und prekärer Beschäftigung bedeutet Rekommunali-
serung die Rückkehr zum Tariflohn. Deshalb liegt es im öffentlichen Interesse,
dass Bemühungen von Kommunen, ihre Leistungen zurück in die kommunale
Hand zu überführen, von der Bundesregierung unterstützt werden.

Aufgrund der negativen Erfahrungen mit der Privatisierung oder Teilprivatisie-
rung öffentlicher Aufgaben holen viele Kommunen die Aufgaben wieder in
kommunale Hand zurück oder denken intensiv darüber nach, dies zu tun. Die Er-
fahrungen mit der Rekommunalisierung, z. B. bei der Abfallentsorgung der
Stadt Bergkamen, der Gasversorgung in Ahrensburg oder der Wasserversorgung
in Potsdam, zeigen, dass die öffentliche Hand die Aufgaben besser und oft auch
preiswerter erbringen kann. Kommunale Unternehmen stehen nicht unter Profit-
erwartungen wie die Privatwirtschaft. Sie arbeiten aufwanddeckend, was nicht
ausschließt, dass sie Gewinne erwirtschaften. Wichtig ist, dass transparent dar-
über entschieden werden kann, wohin die Gewinne fließen. Gewinne können
beispielsweise wieder in die kommunale Infrastruktur und in das kommunale
Dienstleistungsangebot reinvestiert werden und bleiben so den Bürgerinnen und
Bürgern direkt erhalten.

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Zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Bereits bei der Vergaberechtsnovelle 2008 wollte die damalige Bundesregierung
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes folgend klarstellen, dass
die Interkommunale Zusammenarbeit vergaberechtsfrei ist. Der Bundesrat un-
terstützte diese Klarstellung ausdrücklich. Auf massiven Druck vor allem des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI) wurde dieser Satz aus dem
Gesetzentwurf gestrichen. Interkommunale Zusammenarbeit nimmt angesichts
der prekären finanziellen Situation von Kommunen einen immer größeren Stel-
lenwert ein. Insbesondere für kleinere und strukturschwächere Gemeinden ist
die Zusammenarbeit mit anderen Kommunen ein wichtiges Mittel, ihre Selb-
ständigkeit und Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Zum Wasserhaushaltsgesetz

Nach § 56 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes ist Abwasser von juristischen
Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen, die nach Landesrecht dazu ver-
pflichtet sind. Gleichzeitig gestattet es § 56 im Weiteren den Ländern, zu bestim-
men, unter welchen Voraussetzungen die Pflicht anderen als in Satz 1 genannten
Abwasserbeseitigungspflichtigen obliegt. Dieser Passus ist eine Einladung zur
Privatisierung einer hoheitlichen Aufgabe. Diese muss jedoch weiterhin klar bei
Kommunen und ihren Verbänden liegen, denn die Beseitigung von Abwasser,
welche in der Regel verbunden ist mit Anschluss- und Benutzungspflichten,
stellt ein natürliches Monopol dar. Überdies ist sie geschichtlich aus hygieni-
schen Gründen, insbesondere zur Seuchenvorbeuge, eine öffentliche Aufgabe.
Zudem kann ein flexibles, ökologisch und sozial nachhaltiges Management der
Wasserressourcen und der Abwasserbeseitigung nur mit hohen Kosten gegen
privatwirtschaftliche Widerstände erfolgen. Demzufolge muss die Abwasserbe-
seitigungspflicht in der öffentlichen Hand bleiben. Unberührt davon soll die
mögliche Übertragung der Aufgabenerfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht
oder Teilen davon an Dritte bleiben, sei es an Gesellschaften der öffentlichen
Hand oder an private Unternehmen.

Zum Kreislaufwirtschaftsgesetz

Der private Aufbau von Wertstoffsammlungen – parallel zu der kommunalen
Wertstoffsammlung – soll durch das geplante KrW-/AbfG nahezu unbeschränkt
ermöglicht werden. Damit versucht die Bundesregierung, das Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichtes vom 18. Juni 2009 auszuhöhlen, das eindeutig klar-
gestellt hat, dass Abfall, der in privaten Haushalten anfällt, grundsätzlich der
Kommune zu überlassen ist. Das sei eine Grundvoraussetzung für eine gemein-
wohlorientierte Abfallwirtschaft, die auch den Belangen der Ökologie, der
öffentlichen Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung Rechnung trägt, so das Bun-
desverwaltungsgericht. Wenn das KrW-/AbfG den Kommunen keine Möglich-
keit einräumt, gegen die Aufstellung von Wertstofftonnen durch Private vorzu-
gehen, müssen letztlich nur die Bürgerinnen und Bürger die Kosten tragen. Die
lukrativen Bestandteile des Abfalls werden dann auf eigene Rechnung durch
Private verwertet und die Kommunen haben lediglich die unverwertbaren Ab-
fälle zu entsorgen. Das würde in der Folge zu stark erhöhten Abfallgebühren für
die Bevölkerung und den Ruin von kommunalen Entsorgungsbetrieben führen.
Eine „neutrale“ Stelle, die über die Zulässigkeit einer gewerblichen Sammlung
entscheiden soll, verstößt gegen die grundgesetzlich gesicherte kommunale
Selbstverwaltungsgarantie und ist daher verfassungsrechtlich bedenklich.

Zum Personenbeförderungsgesetz

Derzeit steht eine Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) an,
das an die EU-Verordnung (VO) (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personen-

verkehrsdienste auf Schiene und Straße zur Beseitigung von Rechtsunsicher-

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heiten angepasst werden soll. Kommerzielle (also rein marktwirtschaftliche)
Verkehre werden von der EU-Verordnung nicht erfasst. Einen etwaigen Vorrang
für kommerzielle oder gemeinwirtschaftliche Verkehre enthält die EU-Verord-
nung nicht, es gibt lediglich in Erwägung 8 die Aussage, dass deregulierte Märkte,
in denen keine ausschließlichen Rechte gewährt werden, von der Anwendung
dieser VO ausgenommen sind. Diese Erwägung, auf die sich die Koalition (CDU,
CSU und FDP) wie die entsprechenden Forderungen der Interessenverbände be-
rufen, lässt sich aber nicht auf das deutsche System übertragen. In Deutschland
gibt es keinen Wettbewerb auf gleichen Linien, wie in Großbritannien, auf die sich
diese Erwägung bezieht. Dennoch soll diese zum – wackligen – Kronzeugen einer
entsprechenden Regelung im PBefG werden. Ziel eines durch den nationalen
Gesetzgeber eingeräumten Vorrangs kommerzieller Verkehre ist, den Anwen-
dungsbereich der EU-Verordnung so weit wie möglich einzuschränken. Dies
widerspricht eindeutig der Intention des europäischen Gesetzgebers. Die Koali-
tion bestätigt damit auch auf diesem Feld den Vorwurf der Klientelpolitik, da
hiermit der Forderung des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer
e. V. (bdo) und des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (VDV) ent-
sprochen werden soll. Dies würde jedoch dazu führen, dass sich private
Verkehrsunternehmen ertragreiche Verbindungen unter den Nagel reißen
könnten und die öffentliche Hand noch mehr Eigenmittel für die Bedienung der
übrig bleibenden, nicht ertragreichen Verkehre aufbringen müsste. Eine solche
Rosinenpickerei zu Lasten der Daseinsvorsorge und der öffentlichen Hand muss
unterbunden werden.

Die EU-Verordnung erlaubt in Artikel 4 bei der Vergabe öffentlicher Dienstleis-
tungsaufträge die Vorgabe der Einhaltung konkreter Qualitäts- und Sozialstan-
dards, also auch von Tarifverträgen. Auch die Möglichkeit, bei einem Betreiber-
wechsel eine Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
vorzuschreiben, sieht die EU-Verordnung vor, inklusive der Möglichkeit, dies
als Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG zu definieren, was für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer günstig ist. Die Sicherung der Be-
schäftigten und die Verhinderung von Lohndumping sind aber nur möglich,
wenn die Verkehrsleitung unter die EU- Verordnung fällt.

Zum Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)

Häufiger Streitpunkt bei netzgebundenen Rekommunalisierungsprojekten ist
der Rückkaufwert der Netze. Während die Verkäufer den Sachzeitwert, also den
Wiederbeschaffungswert, zugrunde legen, stellen sich die Kommunen auf den
Standpunkt, dass der tarifkalkulatorische Restwert anzulegen ist – also der Rest-
wert, der noch nicht über die Netzentgelte erstattet wurde. Der Gesetzgeber hat
sich die Auffassung der Kommunen insofern zu eigen gemacht, als er in der
Novellierung des Energiewirtschaftsrechts 2005 festgelegt hat, dass im Rahmen
der Netzentgeltkalkulation ausschließlich die kalkulatorischen Restwerte maß-
geblich sind. Ein Eigentümerwechsel ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
Das heißt, selbst wenn die Kommune das Netz zum Sachzeitwert kauft, kann sie
nur den tarifkalkulatorischen Restwert bei ihrer Netzentgeltkalkulation berück-
sichtigen. Um zu verhindern, dass damit ein Netzrückkauf unrentabel wird, ist
die Klarstellung über die Ermittlung des Netzkaufwertes in das EnWG einzu-
fügen.

Ein weiterer, oft juristisch ausgetragener Streitpunkt sind Art und Umfang der
Überlassung von Versorgungsanlagen. Mit der klaren Festlegung, dass es sich
um eine eigentumsrechtliche Überlassung handeln muss, sowie dass darunter
alle Anlagen gehören, die entweder ganz oder zu überwiegendem Teil für die
örtliche Verteilung im Gemeindegebiet genutzt werden müssen, entfällt dieser
Streitpunkt. Ist bei gemischt genutzten Netzen und Anlagen eine Einigung

unter den Nutzern möglich, so können durch eine messtechnische Entflechtung
die Netzentflechtungskosten gesenkt werden, da der Bau neuer Leitungen und

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5776

Anlagen vermieden werden kann. Deshalb sollte das EnWG eine solche Mög-
lichkeit vorsehen, sie aber ausdrücklich an die Zustimmung der Gemeinde
knüpfen.

Zu den Änderungen auf Landesebene

Wichtigste gesetzliche Rahmenbedingungen kommunalen Handelns sind die
Regelungen der Gemeindeordnungen. Diese eröffnen den Kommunen sehr un-
terschiedliche Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung je nach Bundesland.
Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, mit den Ländern in einen
Dialog zu treten, um die Regelungen dahingehend zu harmonisieren, dass die
Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kommunen aufgehoben und
eine Präferenz der kommunalen Dienstleistungserbringung festgeschrieben
werden.

Die Stärkung des öffentlichen Einflusses in der Versorgung muss unabdingbar
an die Herstellung von größerer Transparenz, demokratischer Kontrolle und tat-
sächlicher Mitbestimmung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern geknüpft sein. Das gilt auch für rein öffentliche Un-
ternehmen. Vor allem aus steuerlichen Gründen hat sich in den letzten Jahren die
Tendenz zur Ausgliederung und Verselbständigung öffentlicher Unternehmen
verstärkt. Das Beteiligungsmanagement wird zunehmend intransparent. Abhilfe
kann eine Änderung der Gemeindeordnungen schaffen, die die Bildung eines
Beirates für kommunale und gemischtwirtschaftliche Energieunternehmen unter
Beteiligung von Umwelt- und Verbraucherverbänden, Gewerkschaften und
Kommunalpolitikerinnen/-politikern zwingend vorschreibt. Die entsprechenden
gesetzlichen Grundlagen müssen jedoch durch die Länder geschaffen werden.

Zum Förderprogramm der KfW Bankengruppe

Die meisten Rekommunalisiserungsprojekte rechnen sich und bringen sogar Ge-
winne für den Stadthaushalt. Zum Problem können angesichts der klammen
Haushaltslage vieler Kommunen jedoch die Anfangsinvestitionen werden. Des-
halb muss das Förderprogramm „Kommunal investieren“ künftig für Rekom-
munalisierungsprojekte aufgelegt werden, anstatt für ÖPP-Projekte.

Zur Rekommunalisierungs-Agentur

Die ÖPP Deutschland AG (Partnerschaften Deutschland /PD) wurde 2008 unter
der Federführung des Bundesministeriums der Finanzen sowie des Bundesmi-
nisteriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gegründet. Über eine Beteili-
gungsgesellschaft können Private bis zu 49,9 Prozent an der ÖPP Deutschland
AG erwerben. Anteilseigner sind u. a. Banken, diverse Bietergemeinschaften
und andere potentielle Auftragnehmer. Selbst wenn es sich um indirekte Betei-
ligungen handelt, liegt es auf der Hand, dass es im Interesse der Beteiligungsge-
sellschaft liegt, möglichst viele ÖPP-Projekte zu realisieren, und keine Neutra-
lität erwartet werden kann. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/1824): „Die
PD berät die öffentliche Hand neutral und nicht interessengeleitet“ kann mit
wohlwollender Interpretation bestenfalls als realitätsfern bezeichnet werden.
Deshalb ist die ÖPP Deutschland AG aufzulösen.

Andererseits können die Kommunen bei ihren Rekommunalisierungsprojekten
durchaus Unterstützung gebrauchen. Sie stehen oft Unternehmen gegenüber, die
über große Rechtsabteilungen und erhebliche liquide Mittel verfügen, um eine
solche Entwicklung zu behindern oder aufzuhalten. Gerade bei den leitungsge-
bundenen Rekommunalisierungen kommt es immer wieder zu jahrelangen ge-
richtlichen Auseinandersetzungen zwischen Kommune und Privatwirtschaft.

Obwohl die Fälle oft so beschieden werden, dass die Privaten unterliegen oder
sich vergleichen müssen, ist dies eine hohe Hürde für die Verantwortlichen einer

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Gemeinde. Deshalb ist eine Rekommunalisierungsagentur auf Bundesebene, die
juristischen und ökonomischen Sachverstand und die Erfahrungen anderer Pro-
jekte bei sich bündelt und weitergeben kann, ein wichtiger und hilfreicher Schritt
für die Reaktivierung öffentlicher Leistungen.

Zum Aktiengesetz

Eine Aktiengesellschaft untersteht dem Aktiengesetz, auch wenn der Eigen-
tümer die öffentliche Hand ist. Die Interessen der Öffentlichkeit, also das so-
genannte Gemeinwohl, sind in die Entscheidungen des Aufsichtsrates zwar mit
einzubeziehen, allerdings nur insoweit Unternehmensinteressen nicht dagegen-
stehen. Gemäß einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 1984 sind Auf-
sichtsratsmitglieder im Falle vorliegender kollidierender Interessen in erster
Linie dem Wohl des Unternehmens verpflichtet. Spektakulärster Fall war die
Entlassung des schleswig-holsteinischen Energieministers Günther Jansen aus der
Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW). Er stünde als Atomkraftgegner
in einer „tiefgreifenden, andauernden und unlösbaren Pflichtenkollision“. Es
dürfe ihm aber nicht um das Gemeinwohl gehen, sondern ausschließlich um das
Wohl des Unternehmens (Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom
23. Januar 1990): Das Oberlandesgericht bestätigte die Entlassung, obwohl die
HEW zu 71 Prozent in öffentlicher Hand war. Hier ist dringend eine Änderung
des Aktiengesetzes notwendig. Das Eigentum der öffentlichen Hand muss dem
Gemeinwohl verpflichtet sein und als Möglichkeit zur sinnvollen energiepoliti-
schen Steuerung zugunsten von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Umwelt ge-
nutzt werden. Deshalb dürfen künftig die öffentlichen Aufsichtsratsmitglieder
nicht vorrangig dem Wohl des Unternehmens, sondern müssen dem der Bürge-
rinnen und Bürger verpflichtet sein. Bei der Gemeinwohlverpflichtung sind na-
türlich auch die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens mit zu berück-
sichtigen.

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