BT-Drucksache 17/5548

Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - Aufgaben an ökologischer Flusspolitik ausrichten

Vom 14. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5548
17. Wahlperiode 14. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Dr. Dagmar
Enkelmann, Dr. Barbara Höll, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Ralph
Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Dorothee Menzner,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja
Seifert, Raju Sharma, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Kein Personalabbau bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – Aufgaben an
ökologischer Flusspolitik ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Pläne der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP zum Umbau der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) würden zu einer weite-
ren Privatisierung von Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge und Per-
sonalabbau führen. Der Umbau von einer Ausführungs- zu einer Gewährleis-
tungsverwaltung würde bedeuten, dass wesentliche Aufgaben nicht mehr selbst
erledigt, sondern zunehmend privat vergeben würden. Obwohl seit 1993 schon
mehr als ein Viertel (fast 5 000) aller Stellen abgebaut wurde, will die Bundes-
regierung bis zum Jahr 2020 weitere 2 800 Stellen abbauen. Dies lehnt der
Deutsche Bundestag ab.

Der Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
(BMVBS) vom 24. Januar 2011 stellt den von den Koalitionsfraktionen ge-
wünschten Umbau der WSV von einer Ausführungs- zu einer Gewährleistungs-
verwaltung begründet in Frage. Die eigenen Beschäftigten zunächst zu entlassen
und sich anschließend die fehlende Kompetenz wieder teuer einzukaufen ist we-
der sozialpolitisch noch ökonomisch vertretbar. Das Personal ist zur Aufrechter-
haltung des Betriebs und zur Erledigung der umfangreichen Aufgaben notwen-
dig und von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung.

In seinem Bericht schlägt das BMVBS ferner eine Klassifizierung der Bundes-
wasserstraßen vor, deren wesentlichstes Element es ist, dass sich der Großteil
der Investitionen für Baumaßnahmen zukünftig auf die am stärksten befahrenen
und genutzten Wasserstraßen beschränken soll. Bis zum 30. April 2011 will die
Bundesregierung die Wasserstraßen abschließend klassifizieren.

Eine Klassifizierung der Bundeswasserstraßen anhand der Transportleistung
wird der multifunktionalen Bedeutung der Wasserstraßen für die öffentliche Da-
seinsvorsorge jedoch nicht gerecht. Sie würde bei der geplanten Mittelkürzung
dazu führen, dass auf den wenig befahrenen Wasserstraßen durch Vernachlässi-
gung des Unterhalts in Kürze keine Schifffahrt mehr möglich ist. Deswegen sind

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für das Wasserstraßen-Nebennetz flussbezogene Verkehrskonzepte unter Be-
rücksichtigung alternativer Verkehrsträger zu entwickeln. Zu berücksichtigen ist
dabei, dass sich Spezial- und Schwertransporte nicht auf andere Verkehrsträger
verlagern lassen.

Nach dem Bericht des BMVBS sollen laufende Infrastrukturprojekte vollendet
werden. Um zu verhindern, dass Fakten geschaffen werden, die einer ökologi-
schen Flusspolitik zuwiderlaufen, ist ein Moratorium für laufende Ausbaumaß-
nahmen zu erlassen. Nach der vom Deutschen Bundestag zu bestätigenden Klas-
sifizierung sind die Ausbaumaßnahmen entsprechend anzupassen.

Die verfügbaren Ressourcen (Personal- und Sachmittel) sollen nach Plänen der
Bundesregierung zukünftig umverteilt werden. Dabei sind die Ressourcen neben
den Ausbaumaßnahmen, die durch das jetzige und künftig zu erwartende Ver-
kehrsaufkommen gerechtfertigt sind, zur Förderung eines naturnahen Wasser-
tourismus und für Renaturierungsmaßnahmen einzusetzen. Den deutschen Ver-
pflichtungen aus EU-Vorgaben wie der Wasserrahmenrichtlinie, dem Natura-
2000-Netzwerk und der Hochwasserrahmenrichtlinie muss entsprochen werden.
Die Klassifizierung der Wasserstraßen muss mit einer ökologisch orientierten
Gewässerpolitik einhergehen, durch entsprechende Erlasse konkretisiert und die
Bereitstellung ausreichender Ressourcen gewährleistet werden.

Eine Aufgabenkritik und Prozessoptimierung für die WSV ist sinnvoll, sofern
die Aufgaben der WSV an einer ökologisch nachhaltigen Flusspolitik ausgerich-
tet werden. Dieser Wandel der WSV zu einer Institution, die sich neben dem
Erhalt und dem Betrieb wichtiger Wasserstraßen auch dem naturnahen Wasser-
tourismus und der Renaturierung vieler Fließgewässer verschreibt, kann lang-
fristig Beschäftigung sichern.

Neue Aufgaben für die WSV ergeben sich aus dem Ziel, einen guten ökologi-
schen Gewässerzustand entsprechend der europäischen Wasserrahmenrichtlinie
zu erreichen, und der Ausrichtung geeigneter Flüsse und Kanäle auf eine natur-
verträgliche touristische Nutzung. Zudem würde eine Kompetenz des Bundes
auch für den Hochwasserschutz eine ökologische Flusspolitik aus einer Hand er-
möglichen.

Flüsse und Kanäle sind multifunktional, sie dienen nicht nur dem Gütertransport,
sie sind auch ein ökologisch wertvoller Natur- und Erholungsraum. Neben der
Verkehrsfunktion wird die Bedeutung der Wasserwege für Umwelt, Fährverkehr,
Personenschifffahrt und Wassertourismus im Bericht zwar genannt, jedoch nicht
weiter ausgeführt. Darum sind weitere geeignete Kriterien wie Umweltstatus und
ökologische Ziele, Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer sowie touristische Wert-
schöpfung zu Grunde zu legen. Bei der Klassifizierung der Wasserstraßen ist
darauf zu achten, dass es einen nicht monetär bewertbaren ökologischen Wert der
Flüsse und Kanäle für Flora und Fauna gibt, dessen Bedeutsamkeit ebenfalls
berücksichtigt werden muss. Wertvolle Naturräume sind zu erhalten und zurück-
zugewinnen. Für das Wassertourismusnetz und das ökologische Netz sind unab-
hängig vom Güterverkehrsaufkommen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● die WSV als Ausführungsverwaltung zu erhalten,

● den geplanten Personalabbau von weiteren 2 800 Stellen bis 2020 aufzuge-
ben und die WSV durch interne Qualifizierung in die Lage zu versetzen, den
vielfältigen neuen Aufgaben für die touristische Nutzung, für den Natur-
schutz und eine ökologische Flusspolitik gerecht zu werden,

● das Wiederbesetzungsmoratorium und den Beförderungsstopp sofort aufzu-
heben und die ca. 1 250 Auszubildenden zu übernehmen,

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● durch eine ausreichende Ausstattung mit Fachpersonal das Vergabevolumen
zu senken,

● bei den zukünftigen Maßnahmen wie z. B. der Klassifizierung der Bundes-
wasserstraßen, Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation und
der Personalausstattung eine Aufgabenkritik und Geschäftsprozessoptimie-
rung (insbesondere auf Leitungsebene) unter Beteiligung der Beschäftigten
und ihrer Interessenvertretungen voranzustellen,

● zur Klassifizierung der Bundeswasserstraßen für den Gütertransport weitere
Kriterien wie z. B. Renaturierung von Wasserstraßen und naturnahen Wasser-
tourismus einzubeziehen. Dabei ist nicht nur die biologische Durchgängig-
keit der Flüsse und Kanäle in beide Richtungen für wandernde Tierarten zu
gewährleisten, sondern auch eine ökologische Durchgängigkeit für Ge-
schiebe,

● für laufende Ausbaumaßnahmen ein Moratorium zu erlassen, bis die Klassi-
fizierung vom Deutschen Bundestag bestätigt worden ist. Die Klassifizierung
ist mindestens alle fünf Jahre zu überprüfen und ggf. anzupassen,

● für das Wasserstraßen-Nebennetz sind flussbezogene Verkehrskonzepte un-
ter Berücksichtigung alternativer Verkehrsträger, insbesondere der Schiene,
spätestens zwei Jahre nach dem Beschluss der Klassifizierung vorzulegen,

● Wasserstraßen, die für eine touristische Nutzung vorgesehen sind, auf einen
naturnahen, vorwiegend nichtmotorisierten Wassertourismus auszurichten
und die erforderlichen Schleusen im Unterhalt aufrechtzuerhalten,

● keine Privatisierungen von Schleusen für touristische Wasserstraßen vorzu-
nehmen,

● als Restwasserstraßen eingestufte Flüsse ohne wassertouristische Bedeutung
vollständig zu renaturieren (Wiederherstellung der einzelnen Ufer- und Bo-
denzonen) und dabei den Rückbau von Schleusen zu prüfen,

● sämtliche Binnenwasserstraßen im Hinblick auf den Hochwasserschutz in
Zusammenarbeit mit den Ländern mit ausreichend Retentionsflächen auszu-
statten und so weit wie möglich am natürlichen Flussbett auszurichten,

● dafür Sorge zu tragen, dass die Binnenschifffahrt als umweltfreundliche, kos-
tengünstige und sichere Alternative erhalten bleibt und

● bis Ende 2011 einen Bericht vorzulegen über Lösungen zur Ausstattung der
Binnenschifffahrtsflotte mit AIS (Automatisches Identifikationssystem) oder
einer vergleichbaren technischen Lösung zur Erleichterung des Begegnungs-
verkehrs auf Wasserwegen, was einige geplante Ausbaumaßnahmen zum
Teil verzichtbar machen würde.

Berlin, den 14. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die WSV ist für die hoheitliche Verwaltung des Binnenwasserstraßennetzes von
über 7 300 km sowie die Sicherheit und Regelung des Schiffsverkehrs auf
23 000 km² Seewasserstraßenflächen zuständig. Dazu gehören auch rund
450 Schleusenkammern und 290 Wehre. Es ist eines der am stärksten befah-
renen Wasserstraßennetze der Welt. Auf dem Seewege werden jährlich über

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350 Millionen Tonnen, auf den Binnenwasserstraßen über 250 Millionen Ton-
nen Güter transportiert. Die WSV ist neben dem Ausbau und dem Unterhalt der
Infrastruktur auch für die Erreichung ökologischer Ziele zuständig, dazu gehö-
ren ein guter ökologischer Gewässerzustand und die Durchgängigkeit von Stau-
anlagen. Es sind Aufgaben der Daseinsvorsorge, die im gesamtwirtschaftlichen
Interesse liegen und in öffentliche Hand gehören.

Die WSV unterhält und betreibt zudem eine der weltweit modernsten und leis-
tungsfähigsten Flotten an Schadstoffunfallbekämpfungsschiffen (Öl- und Che-
miebekämpfung, Notschleppen und Schiffsbrandbekämpfung). Nur das Zusam-
menspiel von erfahrenen Technikern, Nautikern, Ingenieuren und Wasserbauern
ermöglicht es, auf schwere und unvorhersehbare Havarien rasch und fundiert zu
reagieren. Der WSV unterstehen 549 Schiffe, die zukünftig zunehmend privat
bereedert werden sollen. Dadurch würde weiteres Personal abgebaut und wert-
volles Fachwissen verloren gehen, das wiederum extern eingekauft werden
müsste. Befristete Charterverträge wie am Beispiel der kürzlich in Dienst ge-
stellten Hochseeschlepper „Nordic“ und „Baltic“ zeigen, dass der finanzielle
Aufwand der externen Erbringung die Kosten für Schlepper im Eigenbetrieb
übersteigt. Das Projekt der „Maritimen Notfallvorsorge“ kostet nun jährlich ca.
19,6 Mio. Euro, während es 2005 noch 15 Mio. Euro waren. Eine dauerhafte Be-
reitstellung ist wegen der Befristung der Verträge – bei den Notschleppern sind
es zehn Jahre – nicht gegeben. Dadurch entsteht eine einseitige Abhängigkeit
des Bundes von privaten Reedern, die bei Auslaufen der Verträge in den Ver-
handlungen über Anschlussverträge den Preis maßgeblich bestimmen könnten.
Gewässerschutz ist eine hoheitliche Aufgabe und darf nicht an Dritte abgetreten
werden.

Am 27. Oktober 2010 beschloss der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundes-
tages auf Antrag der Koalitionsfraktionen, dass das BMVBS einen Bericht vor-
zulegen habe, der im Wesentlichen den Umbau der Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung des Bundes von einer Ausführungs- zu einer Gewährleistungsver-
waltung darstellen sollte. Diesen Bericht legte das BMVBS mit Datum vom
24. Januar 2011 vor (Ausschussdrucksache 17(15)165). Darin erteilt das
BMVBS den beiden Kernforderungen aus dem Beschluss des Haushaltsaus-
schusses eine klare Absage:

1. Die Vergabe von Leistungen an Dritte über das bisher erreichte Niveau hi-
naus sei weder möglich noch wünschenswert, da der Betreuungsaufwand für
Vergabeverfahren so stark angestiegen sei, dass er nahezu auf dem Niveau
der Eigenerledigung liege und zudem die Ausführungsqualität bei externen
Vergaben nachgelassen habe. Vergaben seien gegenüber der Eigenerledigung
bestenfalls kostenneutral, zum Teil sogar deutlich teurer.

2. Im Bericht werden keine Angaben zum Umbau von Stellen gemacht, die ein
Konzept einer Gewährleistungsverwaltung nach sich zögen.

Deswegen erneuerte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am
9. Februar 2011 in einem Beschluss die Aufforderung an die Bundesregierung,
einen Bericht über den Umbau der WSV von einer Ausführungs- zu einer Ge-
währleistungsverwaltung bis zum 30. April 2011 vorzulegen.

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