BT-Drucksache 17/5378

Ökosysteme schützen, Artenvielfalt erhalten - Kormoranmanagement einführen

Vom 6. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5378
17. Wahlperiode 06. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Kirsten Tackmann, Agnes Alpers, Jan van Aken,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Christine Buchholz, Dr. Martina Bunge, Roland Claus,
Werner Dreibus, Wolfgang Gehrcke, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein,
Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke, Harald Koch, Katrin Kunert, Caren Lay,
Sabine Leidig, Michael Leutert, Stefan Liebich, Ulla Lötzer, Dr. Gesine Lötzsch,
Thomas Lutze, Ulrich Maurer, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Petra Pau,
Jens Petermann, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Kersten Steinke, Alexander Süßmair, Frank Tempel, Dr. Axel Troost,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Ökosysteme schützen, Artenvielfalt erhalten – Kormoranmanagement einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im 19. Jahrhundert wurden Kormorane, wie andere Nahrungskonkurrenten des
Menschen, massiv bejagt. Zum Anfang des 20. Jahrhunderts war der Bestand
auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland nahezu ausgerottet.
Erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts existiert hier wieder ein nennenswerter
Bestand. Seit der Unterschutzstellung durch die europäische Vogelschutzricht-
linie (Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979) hat sich die Kormo-
ranpopulation erholt. Von einigen hundert Paaren Anfang der achtziger Jahre hat
sich der Bestand auf aktuell ca. 25 000 Brutpaare in der Bundesrepublik
Deutschland eingependelt (s. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 17/980). Bereits 1997
wurde der Kormoran aufgrund der Stabilisierung des Bestands aus dem Anhang
I der Vogelschutzrichtlinie gestrichen. Die geglückte Wiederansiedlung des
Kormorans ist ein respektabler Erfolg des Vogelschutzes. Zusammen mit ande-
ren Faktoren wie der Kanalisierung von Gewässern, deren Verschmutzung durch
Industrie und Abwässer sowie deren Versperrung mit Wasserkraftanlagen hat
die stark gestiegene Kormoranpopulation nicht zu vernachlässigende Auswir-
kungen auf die Artenvielfalt in den Gewässern, auf die kommerzielle Binnen-
und Seefischerei, die Freizeitfischerei und auf Teichwirtschaften als Teil der
ländlichen Kulturlandschaft.
Auf der Basis der von der Bundesregierung angenommenen Zahlen für Brutpaare
kann der Gesamtbestand des Kormorans, inklusive Jungvögel und erwachsene
Nichtbrüter, auf 140 000 Exemplare geschätzt werden. Bei einem Nahrungs-
bedarf von 300 bis 500 Gramm pro Tag und Tier resultiert daraus eine Fisch-
entnahme durch Kormorane zwischen 15 000 und 25 000 Tonnen pro Jahr. Sie ist
somit höher als der Gesamtfang der Binnenfischerei in der Bundesrepublik
Deutschland.

Drucksache 17/5378 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die negativen Auswirkungen der gestiegenen Kormoranpopulation auf Teich-
wirtschaften sind mittlerweile bekannt. Karpfenzüchter haben in den Alters-
klassen K1 und K2 nicht selten Verluste von 90 bis 100 Prozent zu beklagen.
Dies trifft vor allem bei großen Fischteichen zu, die nicht mit Netzen geschützt
werden können. Im Land Brandenburg beziffert der Landesfischereiverband
den außergewöhnlichen Verlust an Satzfischen, also den Verlust, der über das
natürliche Maß hinausgeht, mit über 1 Mio. Euro im Jahr 2009 bei einem Ge-
samtumsatz der brandenburgischen Fischereiwirtschaft von 3,9 Mio. Euro.

Während Kormorane üblicherweise an großen Standgewässern jagen, deren
Fischbestände die Verluste in Grenzen kompensieren können, weichen sie bei
der Nahrungssuche im Winter auf nicht zugefrorene Fließgewässer aus. Die Be-
jagung durch Kormorane hat gerade in kleineren Flussläufen bedrohliche Aus-
wirkungen auf den Fischbestand. Dies beklagen nicht nur Fischereiberechtigte,
die oft punktuelle Zählungen vornehmen, auch wissenschaftliche Untersuchun-
gen kommen zu diesem Ergebnis.

So wurde in einer Studie des Instituts für Gewässerökologie und Fischereibio-
logie Jena aus dem Jahr 2006 der winterliche Einfluss des Kormorans auf die
Fischbestandssituation in der Ilm in Thüringen untersucht. Anhand von Elektro-
befischungen im gesamten Flusslauf wurde der Fischbestand der Ilm im Früh-
jahr 2006 gezählt. Die erhobenen Daten wurden mit den Ergebnissen des im
Herbst 2005 erfolgten lokalen Monitorings zur Umsetzung der EU-Wasser-
rahmenrichtlinie verglichen. Im harten Winter 2005/2006 war eine große Präsenz
von Kormoranen entlang der gesamten Ilm festzustellen. Der Vergleich ergab
einen erheblichen Rückgang der Fischarten, die in das Beutespektrum des Kor-
morans passen. Fische über 25 cm Größe waren kaum noch vorhanden, der
Großteil der Fischpopulation war unter 13 cm groß. Im gesamten Untersuchungs-
bereich konnten nur 60 Äschen nachgewiesen werden, davon lediglich ein Ex-
emplar in laichfähigem Alter. Als Ursache für den Bestandsrückgang konnten
Einflüsse durch veränderte allgemeine Umweltbedingungen ausgeschlossen
werden ebenso wie eine Änderung des Reproduktionsverhaltens, Einflüsse
durch Veränderungen der Gewässerqualität, des Nahrungsangebots oder Ent-
nahmen durch Fischer. Auch eine Verschlechterung der Wasserqualität hätte zu
einem Bestandsrückgang bei allen Fischarten und Größenklassen geführt. Im
gesamten Flussverlauf – ob innerhalb von Ortschaften oder in naturnahen Ab-
schnitten – wurden keine Refugien mit abweichend höheren Fischdichten vor-
gefunden. Die Studie kommt daher zu dem Schluss, dass es keinen effektiven
natürlichen Schutz vor der Bejagung durch Kormorane gibt.

Die gestiegene Kormoranpopulation ist an natürlichen Gewässern nicht die
alleinige Ursache für kleine Fischbestände und für in ihrem Fortbestand be-
drohten Fischarten. An kleinen Fließgewässern muss aber konstatiert werden,
dass durch die winterliche Bejagung kaum noch laichfähige Exemplare heran-
wachsen können und eine natürliche Reproduktion verhindert wird. Dies wird
ohne Korrekturmaßnahmen zum Aussterben vieler Fischarten auf lokaler
Ebene und zum Scheitern von Schutzprogrammen für den europäischen Aal
und der Erhaltung der Äsche führen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage
der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/11590) beziffert die Bun-
desregierung die jährliche Entnahme von Aalen durch Kormorane mit
340 Tonnen. Damit ist das Ausmaß der kormoranbedingten Mortalität von
Aalen zu vergleichen mit der Mortalität in Wasserkraftwerken (ca. 400 Tonnen)
oder der Berufsfischerei (ca. 470 Tonnen). Wobei Letztere, zusammen mit der
Freizeitfischerei, durch Besatzmaßnahmen überhaupt dafür sorgt, dass der euro-
päische Aal auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch
existiert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5378

Eine der Artenvielfalt verpflichtete Politik darf den Fraßdruck durch die über-
große Kormoranpopulation nicht vernachlässigen. Wiederansiedlungsprogramme
für die Äsche, den Aal, den Lachs oder den Stör werden ohne ein abgestimmtes
Kormoranmanagement sinnlos sein ebenso wie Maßnahmen zur Renaturierung
von Gewässern, zur technischen Verbesserung der Auf- und Abstiegsmöglich-
keiten an Wasserkraftwerken oder zur Gewässerqualität.

Obwohl das Europäische Parlament am 4. Dezember 2008 die Erstellung eines
europäischen Kormoranmanagementplans zur Reduzierung der zunehmenden
Schäden durch Kormorane für Fischbestände, Fischerei und Aquakultur be-
schlossen hat, sieht die Europäische Kommission keine Handlungsmöglichkei-
ten, solange es nur ein Mitglied der Europäischen Union gibt, das sich einem
Kormoranmanagement verweigert. Außerdem argumentiert die EU-Kommis-
sion, es sei unverhältnismäßig, lokale Probleme auf europäischer Ebene zu
regeln. In Anbetracht dieser Aussagen ist es noch optimistisch, zu behaupten,
dass ein europäisches Kormoranmanagement in weite Ferne gerückt sei. Diese
Fakten sind auch der Bundesregierung bekannt (vgl. Bundestagsdrucksache 17/
980), daher sind die Beschlüsse der Koalition im Juni 2010, weiterhin lediglich
ein gemeinsames Kormoranmanagement auf europäischer Ebene anzustreben,
nicht nur ein Abschieben von Verantwortung sondern ein bewusster Beschluss
gegen ein in absehbarer Zeit umsetzbares Kormoranmanagement.

Lokale Maßnahmen, wie sie durch verschieden ausgestaltete Kormoranverord-
nungen der Bundesländer derzeit erlaubt sind, tragen wenig zur Lösung des
Problems bei. Die Kormoranverordnungen der Länder sind zeitlich und räum-
lich inkonsistent. So dürfen derzeit in verschiedenen Bundesländern unter-
schiedlich viele Kormorane geschossen werden: In Baden-Württemberg dürfen
von Mitte August bis Mitte März auf etwa der Hälfte der Gewässerflächen
Kormorane ohne Genehmigung geschossen werden, in Bayern gab es dagegen
z. B. 2008/2009 Ausnahmegenehmigungen zum Abschuss von 8 500 Kormora-
nen. Eine gemeinsame Koordinierung oder Bestandskontrolle erfolgt zwischen
den Ländern nicht; die hierzu auch nicht in der Lage sind, was ihnen durchaus
bewusst ist. Nicht umsonst haben die Agrarministerinnen und -minister der
Länder auf ihrer Konferenz in Lübeck die Bundesregierung gebeten, die exis-
tierenden Bestandsmanagements der Länder zu analysieren und zu bewerten
sowie wissenschaftliche Unterstützung bei der Ermittlung von Schäden durch
Kormorane zu leisten.

„Zusammensetzung, Abundanz und Altersstruktur der Fischfauna“ sind nach
der EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) Qualitätskomponenten für die
Einstufung des ökologischen Zustands eines Gewässers. Das Ziel der EU-Was-
serrahmenrichtlinie, den Zustand aquatischer Ökosysteme zu schützen und zu
verbessern, wird ohne eine deutliche Senkung der Kormoranbestände nicht zu
erreichen sein.

Solange eine europäische Lösung nicht möglich ist, ist ein Handeln auf Bundes-
ebene dringend erforderlich. Ziel eines bundesweiten Kormoranmanagements
muss es sein, ein gesichertes Bestandsniveau des Kormorans zu erreichen, das
seinem Status als besonders geschützte Art gerecht wird und erhebliche Schäden
an Fischpopulationen sowie daraus folgende wirtschaftliche Schäden in einem
erträglichen Rahmen hält.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Fischartenschutz den gleichen Stellenwert einzuräumen wie dem Vo-
gelschutz;

2. die Artenvielfalt in den Gewässern zu sichern und zu fördern;
3. die Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie einzuhalten;

Drucksache 17/5378 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
4. unter Beteiligung von Fischerei-, Naturschutz- und Anglerverbänden einen
bundesweiten Kormoranmanagementplan im Rahmen der europäischen
Vogelschutzrichtlinie zu erarbeiten und umzusetzen,

a) der eine ausgewogene Balance zwischen der Sicherung der natürlichen
Fauna, von Kormoranbeständen sowie der Interessen von Fischereiwirt-
schaft und Freizeitfischern herstellt,

b) der auf der Basis zu erarbeitender konsensfähiger Bestandszahlen und
ökologisch sinnvoller Bestandsziele für den Kormoran eine bundesweit
koordinierte Bestandskontrolle und -regulierung ermöglicht,

c) dessen Ziele vorrangig durch die Regulierung der Reproduktion zu errei-
chen sind;

5. mit dazu bereiten Nachbarländern im Nord- und Ostseeraum ein gemein-
sames Managementkonzept zu erarbeiten und einen wissenschaftlichen so-
wie methodischen Austausch zu fördern;

6. die finanzielle Förderung von Umbaumaßnahmen und Entschädigungs-
zahlungen für Teichwirte und Fischereirechtsinhaber einheitlich zu regeln,
dafür Mittel aus der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU zu akquirieren
sowie einheitliche Maßgaben zur Ermittlung von Schäden zu entwickeln;

7. die wissenschaftlichen Kapazitäten für grundlegende Untersuchungen zur
Erhaltung und Förderung der heimischen Fischbestände und zur Unter-
stützung der Fischerei zu erweitern sowie eine zentrale Stelle zur Erfassung
und Auswertung von Ergebnissen einzurichten;

8. das Ziel eines gemeinsamen europäischen Kormoranmanagements weiterhin
anzustreben.

Berlin, den 6. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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