BT-Drucksache 17/4192

Für eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4192
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Heidrun Dittrich, Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jan Korte,
Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Dr. Gesine Lötzsch,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers,
Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten
Tackmann, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auch 20 Jahre nach der deutschen Einheit gilt in Ost und West ein unterschied-
liches Rentenrecht, wird die gleiche Lebensleistung nicht in gleicher Weise in
der Rente anerkannt. Dieser Zustand muss auf schnellem Wege und in gerech-
ter Weise beendet werden.

CDU, CSU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag „WACHSTUM. BIL-
DUNG. ZUSAMMENHALT.“ versprochen, noch in dieser Legislaturperiode
ein einheitliches Rentensystem in Ost und West einzuführen. Allerdings gibt es
bisher keinerlei Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung tatsächlich tätig
werden will. Auch sind nicht alle Vorschläge geeignet, die Angleichung der
Renten in den neuen Bundesländern an das Westniveau in einer gerechten Art
und Weise zu leisten.

Ein Vorschlag für eine gerechte Angleichung der Renten in Ostdeutschland
muss sich an drei Kernforderungen orientieren: Er muss erstens für die Be-
standsrentnerinnen und -rentner echte Verbesserungen mit der Zielperspektive
der gleichen Anerkennung ihrer Lebensleistung bringen, darf aber gleichzeitig
zu keinen Verschlechterungen für die Rentnerinnen und Rentner im Westen
führen. Zweitens muss er der nach wie vor bestehenden Notwendigkeit des
Ausgleichs der Lohnunterschiede zwischen Ost und West Rechnung tragen.
Zudem sollte er die Perspektive auf eine wirtschaftliche Angleichung der
Lebensverhältnisse im Osten an die im Westen aufrechterhalten und von ver-
stärkten Bemühungen zu ihrer Herstellung flankiert werden. Und drittens muss
die Angleichung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe auch gesamtgesellschaft-
lich, d. h. über Steuern finanziert werden. Das von der Vereinten Dienstleis-

tungsgewerkschaft ver.di vorgeschlagene und mittlerweile von einem breiten
Bündnis aus Gewerkschaften und Sozialverbänden getragene Modell eines
Angleichungszuschlags ist in der Lage, diese Anforderungen zu erfüllen und
einen gerechten Umgang mit dem Problem unterschiedlicher Rentensysteme zu
leisten.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem beginnend mit dem 1. Januar 2012
ein steuerfinanzierter, stufenweise steigender Zuschlag eingeführt wird, mit
dem für bis zu diesem Zeitpunkt im Osten erworbene Rentenanwartschaften
der Wertunterschied zwischen den Rentenwerten in Ost und West bis zum Jahr
2016 sukzessive ausgeglichen wird. Der Zuschlag wird solange gezahlt, bis
sich der Unterschied zwischen dem Rentenwert Ost und dem Rentenwert
(West) im Zuge der Angleichung erübrigt haben wird. Die Hochwertung der
Entgelte im Osten bleibt bestehen.

Berlin, den 15. Dezember 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Prozess der Rentenangleichung vollzieht sich aufgrund der schleppenden
Angleichung der Einkommensverhältnisse in den ostdeutschen Bundesländern
an die im Westen wesentlich langsamer als in den zu Beginn des Einigungspro-
zesses angenommen fünf Jahren. Seit Ende der 90er-Jahre ist die Angleichung
weitgehend zum Erliegen gekommen. Laut einer kürzlich veröffentlichten Stu-
die des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW Berlin) sind die
Einkommensunterschiede zwischen Ost und West seitdem sogar wieder größer
geworden (DIW-Wochenbericht Nr. 44/2010). Die Angleichung der Renten-
werte stagnierte zwischen 2003 und 2008 völlig (vgl. Sachverständigenrat zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2008/09
„DIE FINANZKRISE MEISTERN – WACHSTUMSKRÄFTE STÄRKEN“,
S. 370, Tabelle 33). Auch für die kommenden Jahre wird nur eine geringe wei-
tere Angleichung erwartet (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales
– BMAS: Rentenversicherungsbericht 2010, Übersicht C1, S. 69).

Die Differenz der Rentenwerte liegt immer noch bei über 11 Prozent. Der ak-
tuelle Rentenwert Ost beträgt derzeit 24,13 Euro, während sich der aktuelle Ren-
tenwert, der für den Westen gilt, auf 27,20 Euro beläuft. Dies führt dazu, dass
eine Standardrente (45 Beitragsjahre zum Durchschnittsverdienst) im Osten 138
Euro weniger wert ist als im Westen. Dies empfinden viele Menschen im Osten
zu Recht als ungerecht. Denn ihre Lebensleistung wird in der Rentenberechnung
nicht in gleicher Weise anerkannt. Das gilt unabhängig von der Hochwertung.

Es ist deshalb auch nicht zielführend, in diesem Zusammenhang auf die im
Durchschnitt höheren Rentenzahlbeträge im Osten zu verweisen. Denn erstens
beruhen diese in der Regel auf durchgehende Erwerbsbiografien – auch bei
Frauen –, was sich im deutschen Rentensystem automatisch positiv auf die
Rentenhöhe auswirkt. Zweitens verzerrt der Blick auf die Durchschnittsrenten
der gesetzlichen Rentenversicherung das tatsächliche Bild der Alterseinkünfte
in Deutschland (vgl. auch Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der
Deutschen Einheit 2010, Bundestagsdrucksache 17/3000, S. 52): Denn während
im Zuge der Einheit alle Berufsgruppen – auch die mit zu DDR-Zeiten ver-
gleichsweise hohen Einkommen – in die gesetzliche Rentenversicherung einge-
gliedert wurden, sind besserverdienende Berufsgruppen in der Bundesrepublik
Deutschland häufig in anderen Versorgungssystemen (z. B. der Beamtenversor-
gung) für das Alter abgesichert und gehen mit ihrem Alterseinkommen nicht in

die Rentenstatistik ein. Schließlich verfügt die Mehrheit der Menschen im Osten
im Alter fast ausschließlich über Einkommen aus der gesetzlichen Rentenver-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4192

sicherung (vgl. BMAS: Rentenversicherungsbericht 2010, Übersicht A6, S. 24
sowie die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. „Beschäftigungssituation Älterer, ihre wirtschaftliche und soziale Lage
und die Rente ab 67“ auf Bundestagsdrucksache 17/2271, Frage 69, S. 42),
während viele Menschen im Westen Einkünfte aus Vermögen, Vermietung und
Verpachtung oder anderen Altersvorsorgesystemen beziehen. Dementsprechend
liegt auch das Einkommen von Rentnerhaushalten im Westen deutlich über dem
im Osten (bei Ehepaaren um etwa 400 Euro, bei alleinstehenden Männern um
gut 300 Euro, vgl. BMAS: Rentenversicherungsbericht 2010, S. 23). Die nomi-
nal höheren Durchschnittsbezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind
deshalb kein Grund, die verbliebenen Ungerechtigkeiten im Rentenrecht beizu-
behalten.

Die Fortführung des jetzigen Anpassungsprozesses hätte zur Folge, dass die An-
gleichung des aktuellen Rentenwerts Ost an den Rentenwert (West) nicht vor
dem Jahr 2030 – und damit erst mehr als 40 Jahre nach der deutschen Einheit –
erreicht würde. Viele Rentnerinnen und Rentner würden dann die Vollendung
der deutschen Einheit im Rentenrecht nicht mehr erleben. Es ist daher geboten,
politisch in den Angleichungsprozess einzugreifen und die bestehende Wertdif-
ferenz auszugleichen.

Ein gerechter und in beiden Teilen Deutschlands Akzeptanz findender Vor-
schlag muss dabei materielle Verbesserungen für die Bestandsrentnerinnen und
-rentner im Osten bringen, darf aber gleichzeitig zu keinen Verschlechterungen
für die Rentnerinnen und Rentner im Westen führen. Wegen der nach wie vor
starken regionalen Lohnunterschiede zwischen Ost und West ist außerdem die
Fortführung der Hochwertung der ostdeutschen Entgelte nicht nur aus Gründen
des rentenrechtlichen Ausgleichs, sondern auch sozialpolitisch dringend gebo-
ten. Dies scheint erfreulicherweise auch die Bundesregierung so zu sehen (vgl.
ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. „Löhne und
Gehälter in Ost- und Westdeutschland und die Debatte um die Vereinheit-
lichung des Rentenrechts“ auf Bundestagsdrucksache 17/2572, S. 13/14).
Würde den Beschäftigten im Osten die Hochwertung der Entgelte genommen,
würde die Gefahr von künftiger Altersarmut, die aufgrund der verbreiteten
Langzeitarbeitslosigkeit und von Niedriglöhnen im Osten ohnehin in besonde-
rem Maße besteht (vgl. DIW-Wochenbericht 11/2010 sowie IHW-Diskussions-
papiere Nr. 8 vom April 2010), noch einmal verschärft. Die Beibehaltung der
Hochwertung ist deshalb – neben anderen Maßnahmen wie der Verbesserung
der Rentenanwartschaften von Langzeiterwerbslosen und der Bekämpfung von
Niedriglöhnen – zentral für die Vermeidung künftiger Altersarmut im Osten
Deutschlands.

Vorschläge wie der, den die Fraktion der FDP in der vergangenen Legislatur-
periode vorgelegt hat, und der in ähnlicher Form auch vom Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung befürwortet wird,
sind nicht geeignet, die Anforderungen an einen gerechten Umgang mit dem
Problem unterschiedlicher Rentensysteme zu erfüllen. Denn sie sehen lediglich
eine Umbasierung der rentenrechtlichen Rechengrößen auf einheitliche Werte
vor, die für die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland keinen materiellen
Zugewinn bringt – im Gegenteil wird ihnen durch die Festschreibung der Wert-
differenz zum Zeitpunkt der Umrechnung jegliche Perspektive auf eine künftige
Angleichung und einen entsprechenden materiellen Zugewinn genommen.
Beide Vorschläge sehen außerdem vor, dass die Hochwertung der Entgelte im
Osten entfällt. Diese ist gerade mit Blick auf die jüngeren Generationen und die
drohende Verbreitung von Altersarmut im Osten unverantwortlich.

Da eine vorzeitige Angleichung des Rentenwerts Ost an den aktuellen Renten-

wert, der im Westen gilt, die Beibehaltung der Hochwertung gefährden würde,
ist auch dieses Vorgehen problematisch. Zugleich ergäben sich – selbst bei

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einer Steuerfinanzierung des erhöhten Rentenvolumens – negative Folgewir-
kungen für die Rentnerinnen und Rentner im Westen. Denn der Nachhaltig-
keitsfaktor würde infolge des steigenden Rentenvolumens zu einer Minderung
der jährlichen Rentenanpassung in beiden Landesteilen führen. Auch würde
rentenpolitisch damit die Perspektive auf ein Wiederanlaufen des wirtschaft-
lichen Aufholprozesses aufgegeben. Dies würde auch die diesbezüglichen Be-
mühungen von Politik und Tarifparteien schwächen.

Aus Gerechtigkeitsgründen und mit Blick auf das Festhalten am Ziel der wirt-
schaftlichen Angleichung ist daher dem von der Vereinten Dienstleistungs-
gewerkschaft ver.di entwickelten und mittlerweile von einem breiten Bündnis
aus Gewerkschaften und Sozialverbänden getragenen Vorschlag eines „Anglei-
chungszuschlags im Stufenmodell“ der Vorzug zu geben.

Dieses sieht vor, für die im Osten vor einem Stichtag erworbenen Renten-
anwartschaften einen Erhöhungsbetrag zu zahlen, der den Trägern der gesetz-
lichen Rentenversicherung aus Steuermitteln des Bundes zu erstatten ist. Dieser
Angleichungszuschlag soll die Differenz zwischen den Rentenwerten sukzes-
sive ausgleichen und so lange gezahlt werden, bis sich aufgrund der wirtschaft-
lichen Angleichung eine Vereinheitlichung der Rentenwerte ergibt. Er vermin-
dert sich entsprechend, wenn der wirtschaftliche Aufholprozess dazu führt,
dass sich der Wertunterschied zwischen einem Entgeltpunkt Ost und einem
Entgeltpunkt West im Zuge der regulären jährlichen Anpassungen verringert.
Dann verringern sich auch die Kosten für den Zuschlag.

Da die Zeit wegen des Alters der Betroffenen drängt und wertvolle Zeit für die
Umsetzung einer Lösung bereits verstrichen ist, soll der Zuschlag sich inner-
halb von fünf Jahren – beginnend ab 2012 – so aufbauen, dass Ende 2016 der
Wertunterschied zwischen den Rentenwerten Ost und West vollständig ausge-
glichen ist.

Dieser Vorschlag würde den Bestandsrentnerinnen und -rentnern im Osten
materielle Verbesserungen und endlich eine gleiche Anerkennung ihrer Lebens-
leistung bringen, ohne zu Verschlechterungen für andere Gruppen zu führen
und die Perspektive auf ein Fortschreiten des wirtschaftlichen Aufholprozesses
aufzugeben.

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