BT-Drucksache 17/4042

Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 in Deutschland wegen homosexueller Handlungen Verurteilten

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4042
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Kai Gehring, Ingrid
Hönlinger, Uwe Kekeritz, Maria Klein-Schmeink, Memet Kilic, Sven-Christian
Kindler, Tom Koenigs, Monika Lazar, Agnes Malczak, Jerzy Montag, Dr. Konstantin
von Notz, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth Scharfenberg,
Hans-Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 in Deutschland wegen
homosexueller Handlungen Verurteilten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bestrafung einver-
nehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen als Verstoß gegen
die Europäische Menschenrechtskonvention eingestuft, ebenso die Festlegung
unterschiedlicher strafrechtlicher Schutzaltersgrenzen für homo- und hetero-
sexuelle Handlungen.

In der Bundesrepublik Deutschland galt die nationalsozialistische Gesetzgebung
gegen Homosexuelle bis zum 31. August 1969 unverändert fort (§§ 175, 175a
des Strafgesetzbuchs – StGB). Sämtliche sexuellen Handlungen zwischen
Männern waren strafbar. Von 1969 bis 31. Mai 1994 galten unterschiedliche
Schutzaltersgrenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen.

Die DDR war 1950 zur vornazistischen Fassung des § 175 zurückkehrt, hat aber
Homosexualität zwischen Erwachsenen bis 1968 nicht vollständig entkriminali-
siert. Sie hielt auch bis dahin am nationalsozialistischen § 175a fest. Von 1968
bis 30. Mai 1989 galten mit § 151 StGB-DDR unterschiedliche Schutzalters-
grenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen.

Die im Nationalsozialismus ergangenen Urteile nach den §§ 175 und 175a des
Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) wurden 2002 mit dem Gesetz zur Änderung
des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Straf-
rechtspflege aufgehoben, die Verurteilten damit rehabilitiert. Für die nach dem
8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilte
steht eine Rehabilitierung noch aus.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine bereits am 7. Dezember 2000 einstim-
mig getroffene Bewertung, „dass durch die nach 1945 weiter bestehende Straf-
drohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.“
(Plenarprotokoll 14/140, Bundestagsdrucksache 14/4894). Es handelt sich um
Menschenrechtsverletzungen im großen Ausmaß. Eine Rehabilitierung und Ent-
schädigung ist längst überfällig.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die gesetzliche Rehabilitierung und Ent-
schädigung der Menschen vorsieht, die nach 1945 in Deutschland aufgrund
einer Strafbestimmung gegen homosexuelle Handlungen verurteilt wurden, die
nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
als menschenrechtswidrig anzusehen ist.

Die entsprechenden Urteile sind aufzuheben und die ihnen zugrunde liegenden
Verfahren einzustellen. Vorzusehen ist zudem eine Regelung zur teilweisen Auf-
hebung von Urteilen, sofern die oben genannten Tatbestände nicht der einzige
Grund für die Verurteilung waren.

Die Entschädigung soll mindestens den Umfang haben, wie sie im Gesetz für die
Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) für Schäden durch
eine ungerechtfertigte strafgerichtliche Verurteilung vorgesehen ist.

Mit der Organisation und Auszahlung der Entschädigung soll die von der Bun-
desregierung angekündigte „Magnus-Hirschfeld-Stiftung“ betraut werden.

Berlin, den 30. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die strafrechtliche Verfolgung von einvernehmlichen homosexuellen Handlun-
gen unter Erwachsenen verstößt gegen die Europäischen Menschenrechtskon-
vention. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits 1981 fest-
gestellt, dass entsprechende Strafnormen das in Artikel 8 der Europäischen
Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens ver-
letzen (Dudgeon v. Northern Ireland, no. 752/76, vgl. NJW 1984, 541). Diese
Feststellung hat der Gerichtshof seitdem in ständiger Rechtsprechung wieder-
holt. Bereits die Existenz einer solchen Strafnorm stellt einen permanenten und
direkten Eingriff in das Recht dar (Norris v. Ireland, no. 10581/83, vgl. EuGRZ
1992, 484; Modinos v. Cyprus, no. 15070/89). Nicht nur Verbote sämtlicher ho-
mosexueller Handlungen sind menschenrechtswidrig, sondern auch gesonderte
Schutzaltersgrenzen für homosexuelle Handlungen. Eine unterschiedliche straf-
rechtliche Behandlung von homo- und heterosexuellen Kontakten ist nicht ge-
rechtfertigt. Den Eingriff in die Menschenrechte sieht der Gerichtshof als so
schwerwiegend an, dass er Klägern, die von Verfolgung aufgrund diskriminie-
render Strafrechtsnormen betroffen waren, mehrfach Entschädigungen zuge-
sprochen hat (L. & V. v. Austria, nos. 39392/98 and 39829/98; S. L. v. Austria,
no. 45330/99; Woditschka and Wilfing v. Austria, no. 69756/01 and 6306/02;
Ladner v. Austria, no. 18297/03; Wolfmeyer v. Austria, no. 5263/03; H. G.
& G. B. v. Austria, no. 11084/02 and 15306/02; R. H. v. Austria, no. 7336/03).
Je nach Schwere der Beeinträchtigung durch das Strafrecht bewegten sich die
Entschädigungssummen zwischen 5 000 Euro und 75 000 Euro.

Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt zusammen mit den anderen Mit-
gliedstaaten der EU eine UN-Initiative zur weltweiten Entkriminalisierung von
Homosexualität. Ferner erklärt sie dieses Ziel zu einer der Prioritäten deutscher
Menschenrechtspolitik 2010 bis 2012 (Bundestagsdrucksache 17/2840, S. 112).
Dieses Engagement ist umso glaubwürdiger, je klarer sich die Bundesrepublik
Deutschland der Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen gegenüber

Homosexuellen in der deutschen Vergangenheit stellt und daraus Konsequenzen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4042

zieht. Dazu gehört die bisher ausstehende Rehabilitierung und Entschädigung
von Personen, die nach 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Kontakte
verurteilt wurden.

§ 175 RStGB, nach dem seit 1871 „widernatürliche Unzucht“ zwischen Män-
nern mit Gefängnis zu bestrafen war, wurde am 28. August 1935 von den
Nationalsozialisten verschärft. Durch Streichung des Wortes „widernatürlich“
konnten nicht mehr nur so genannte beischlafähnliche, sondern sämtliche
sexuellen Handlungen zwischen Männern verfolgt werden. Der Tatbestand der
Unzucht setzte nicht einmal eine Berührung voraus.

Der beispiellosen Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus
folgte nach Kriegsende keine Abkehr von der Strafverfolgung. Sowohl der
Wortlaut des § 175 als auch der 1935 eingefügte § 175a bestanden in der Bun-
desrepublik Deutschland bis 1969 unverändert fort. Zwischen 1945 und 1969
gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ca. 50 000 bis 60 000
Verurteilungen. Am 1. September 1969 trat ein Strafrechtsänderungsgesetz in
Kraft, das den § 175 StGB liberalisierte, aber nicht aufhob. Bis zu fünf Jahren
Freiheitsstrafe blieben vorgesehen für sexuelle Kontakte von Männern mit an-
deren Männern unter 21 Jahren. Die Altersgrenze wurde 1973 im Rahmen einer
Reform des Sexualstrafrechts auf 18 herabgesetzt. Völlig gestrichen wurde der
§ 175 erst am 31. Mai 1994. Seitdem gelten für homo- und heterosexuelle Hand-
lungen in der Bundesrepublik Deutschland gleiche Schutzaltersgrenzen. Zwi-
schen der Entkriminalisierung der Homosexualität unter Erwachsenen 1969 und
der Aufhebung des § 175 im Jahr 1994 gab es 3 545 Verurteilungen.

Auch in der DDR galt der § 175 RStGB zunächst fort. 1950 entschied das Ost-
Berliner Kammergericht jedoch mit Geltung für die gesamte DDR, dass er in der
Fassung anzuwenden sei, die vor 1935 bestand. Unverändert blieb dagegen auch
hier zunächst der nationalsozialistische § 175a in Kraft. 1968 gab sich die DDR
ein eigenes Strafgesetzbuch, in dem beide Paragraphen nicht mehr enthalten wa-
ren. Stattdessen bestimmte § 151 StGB-DDR, dass Erwachsene, die mit Jugend-
lichen des gleichen Geschlechts sexuelle Handlungen vornehmen, mit Freiheits-
strafe bis zu drei Jahren bestraft werden. Damit galten für homosexuelle Hand-
lungen – auch für lesbische – andere Altergrenzen als für heterosexuelle. Mit
Wirkung vom 30. Mai 1989 wurde § 151 aus dem Strafgesetzbuch der DDR
gestrichen. Es wird geschätzt, dass es in der DDR bis 1968 zu insgesamt
ca. 4 000 Verurteilungen kam und danach noch ca. 300 Verurteilungen nach
§ 151 StGB-DDR ausgesprochen wurden. Exakte Zahlen liegen nicht vor.

Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR ging die straf-
rechtliche Verfolgung einher mit einer gesellschaftlichen Ächtung von Homo-
sexualität. Letztere betraf neben Schwulen auch Lesben. In einem Klima der
Angst und der Einschüchterung fiel es zudem schwer, die von den Nazis zer-
störte homosexuelle Infrastruktur nach dem Krieg wieder aufzubauen. Manche
Homosexuelle, die den Naziterror im Gefängnis oder im KZ überlebt hatten,
waren im Nachkriegsdeutschland erneut mit Strafverfolgung konfrontiert.

Erst unter der rot-grünen Koalition wurde ab 1998 begonnen, die strafrechtliche
Verfolgung Homosexueller aufzuarbeiten. Dabei hatte die Auseinandersetzung
mit der unvergleichlichen Verfolgung im Nationalsozialismus Priorität. Die
Aufarbeitung problematisierte jedoch von Beginn an auch die über 1945 hinaus-
weisenden strafrechtlichen Kontinuitäten.

Am 7. Dezember 2000 stufte der Deutsche Bundestag in einer einstimmig ge-
fassten Entschließung die 1935 erfolgte Verschärfung des § 175 erstmals als
„Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankenguts“ ein. In der Entschlie-
ßung heißt es weiter: „Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in
der DDR wurden auch nach 1949 Menschen wegen einvernehmlicher gleichge-

schlechtlicher Beziehungen unter Erwachsenen strafrechtlich verfolgt. In der

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Bundesrepublik Deutschland blieb der § 175 StGB bis 1969 unverändert in
Kraft.“ Der Bundestag betonte weiter, dass die „Verfolgung einvernehmlicher
gleichgeschlechtlicher Beziehungen gegen die Europäische Menschenrechts-
konvention und nach heutigem Verständnis auch gegen das freiheitliche
Menschenbild des Grundgesetzes“ verstößt, und bekannte, „dass durch die nach
1945 weiter bestehende Strafdrohung homosexuelle Bürger in ihrer Men-
schenwürde verletzt worden sind.“ (Plenarprotokoll 14/140, Bundestagsdruck-
sache 14/4894).

Am 23. Juli 2002 wurde das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Un-
rechtsurteile in der Strafrechtspflege ergänzt (NS-AufhÄndG, BGBl. I 2714).
Urteile, die in der NS-Zeit nach den §§ 175 und 175a Nummer 4 RStGB ergan-
gen waren, wurden pauschal aufgehoben. Zum 1. September 2004 erfolgte eine
Änderung der „Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer
von nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen
Kriegsfolgengesetzes (AKG) vom 7. März 1988“. Durch die Neufassung wurde
erstmals auch Opfern der §§ 175 und 175a Nummer 4 RStGB aus der NS-Zeit
ein Anspruch auf Entschädigung eröffnet. Zuvor war nur KZ-Haft entschädi-
gungsfähig, nicht aber Strafhaft nach den §§ 175 und 175a RStGB.

Am 12. Dezember 2003 hat der Deutsche Bundestag auf Antrag der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Errichtung eines Denkmals für die
im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschlossen, das am 27. Mai
2008 von Bundeskulturstaatsminister Bernd Neumann der Öffentlichkeit über-
geben wurde. Auf der dem Denkmal beigefügten Schrifttafel heißt es unter an-
derem: „Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus
aus der Gedenkkultur ausgeschlossen – in der Bundesrepublik wie in der DDR.
Hier wie dort wurden Schwule lange Zeit weiter strafrechtlich verfolgt. In der
Bundesrepublik Deutschland galt der § 175 unverändert bis 1969 fort. Aus
seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung,
Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen und Lesben entschieden ent-
gegenzutreten.“

Aus der Erkenntnis, dass es sich auch bei der strafrechtlichen Verfolgung nach
1945 um ein schweres Unrecht gehandelt hat, gilt es rechtspolitische Konse-
quenzen zu ziehen. Um die Opfer dieser ungerechtfertigten Strafverfolgung zu
rehabilitieren, sind alle Urteile aufzuheben, die im Lichte der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keinen Bestand haben kön-
nen. Dies betrifft neben den Urteilen, die in der Bundesrepublik Deutschland bis
1969 und der DDR bis 1968 aufgrund der §§ 175 und 175a Nummer 4 StGB
wegen einvernehmlicher homosexueller Kontakte unter Erwachsenen ergangen
sind, auch Urteile nach § 175 StGB und § 151 StGB-DDR, die aufgrund dis-
kriminierender Altergrenzen ergangen sind. Sofern die genannten Urteile nicht
nur einvernehmliche, durch die Menschenrechte geschützte Handlungen zum
Gegenstand hatten, sind gesetzliche Regelungen zur teilweisen Aufhebung zu
treffen.

Auch wenn erfolgte Änderungen im Strafrecht allein keinen Anspruch auf Re-
habilitierung begründen können, ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, schwer-
wiegende Verletzungen der Menschenrechte durch gesetzliche Regelungen zur
Entschädigung zu korrigieren. Dementsprechend ist es auch möglich und ange-
messen, alle Urteile aufzuheben, die auf Gesetze zurückgehen, deren Unverein-
barkeit mit Menschen- und Grundrechten inzwischen evident ist. Hier wurden
Menschen wegen Handlungen mit Freiheitsentzug bestraft, die bei anderer sexu-
eller Orientierung ihr unbestrittenes Recht gewesen wären. Dies bedeutet einen
tiefen und durch nichts zu rechtfertigenden Eingriff in den Kernbereich der Per-
sönlichkeit.
Zwar soll die Rechtsfrieden stiftende Wirkung rechtskräftiger Urteile unabhän-
gig von ihrer materiellen Richtigkeit nicht nach Belieben in Frage gestellt wer-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4042

den, da die Rechtssicherheit und damit auch das Vertrauen in den Bestand
rechtskräftiger Urteile ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates darstellt.
Allerdings ist die Rechtssicherheit nur eine Seite des Rechtsstaatsprinzips, zu
der ebenso die materielle Gerechtigkeit gehört. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers,
einen solchen Widerstreit zu entscheiden. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass
es mit dem Gedanken der Rechtssicherheit unverträglich ist, rechtskräftige Ur-
teile nur wegen eines Wandels der Rechtsauffassung wieder zu beseitigen. Eine
Ausnahme von dieser Regel ist aber dann gerechtfertigt, wenn besonders zwin-
gende und schwerwiegende, den Erwägungen der Rechtssicherheit übergeord-
nete Gründe dazu Anlass geben (BVerfGE 2, 380, 405).

Mit der Aufhebung von Verurteilungen nach § 175 StGB und § 151 StGB-DDR
werden aber nicht allein Urteile aufgehoben, die heute so nicht mehr gefällt wür-
den, sondern auch solche, die schon damals als menschenrechtswidrig hätten er-
kannt werden müssen. Schließlich pönalisierten diese Strafnormen nicht nur ein
bestimmtes Verhalten; vielmehr sprachen sie in menschenverachtender Weise
den Betroffenen einen maßgeblichen Bestandteil ihrer Identität ab. Deshalb be-
ziehen sich gegenwärtige Antidiskriminierungsvorschriften – wie zum Beispiel
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – nicht auf Verhaltensweisen, sondern
auf die sexuelle Identität.

Die Entschädigungsleistungen sollten sich grundsätzlich an dem Gesetz über die
Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen orientieren (StrEG vom
8. März 1971, BGBl. I S. 157, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 30. Juli
2009, BGBl. I S. 2478). Die gegenwärtig in diesem diesem Gesetz vorgesehene
Entschädigung für den immateriellen Schaden aufgrund strafgerichtlich ange-
ordneter Freiheitsentziehung ist allerdings dringend zu erhöhen. Derzeit beträgt
sie lediglich 25 Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung (§ 7
Absatz 3 StrEG). Zur Änderung des StrEG hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf eingebracht, der
eine angemessene Entschädigung, mindestens aber 50 Euro pro Hafttag vorsieht
(Bundestagsdrucksache 16/11434). Zur angemessenen Entschädigung für Haft-
strafen wegen homosexueller Kontakte sind auch die Summen zu beachten, die
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Klägern in entsprechenden
Fällen zugesprochen hat.

Die Bundesregierung hat am 12. November 2010 angekündigt, dass sie eine
„Magnus-Hirschfeld Stiftung“ errichten will. Die neue Bundesstiftung soll „die
Rechte von Homosexuellen durch Bilden, Forschen und Erinnern stärken.“ Die
Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wies dabei
ausdrücklich darauf hin, dass der § 175 erst „seit 1994 abgeschafft ist“ (Presse-
mitteilung vom 12. November 2010). Von daher ist die Stiftung für die Aufgabe,
die Entschädigung der Opfer antihomosexueller Strafgesetzgebung zu betreuen,
prädestiniert. Auch in anderen Bereichen von Entschädigung hat die Bundes-
republik Deutschland den Weg über eine Stiftung gewählt, z. B. mit der Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Dies hat sich bewährt.

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