BT-Drucksache 17/3902

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -Drucksachen 17/2500, 17/2502, 17/3506, 17/3511, 17/3512, 17/3520, 17/3523, 17/3524, 17/3525- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011) hier: Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Keine Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen

Vom 22. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3902
17. Wahlperiode 22. 11. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Steffen Bockhahn, Jan Korte,
Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Roland Claus, Ulla Jelpke, Katrin Kunert,
Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Thomas Lutze, Kornelia Möller,
Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Raju Sharma, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion
DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/2500, 17/2502, 17/3506, 17/3511, 17/3512, 17/3520, 17/3523,
17/3524, 17/3525 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011
(Haushaltsgesetz 2011)

hier: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung

Keine Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen
Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Während Regierungsparteien und -vertreter mit dem Zerrbild einer vermeintlich
verbreiteten „Integrationsverweigerung“ Ausgrenzung betreiben und behaup-

Drucksache 17/3902 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ten, das Thema „Integration“ besitze für sie „höchste Priorität“ (Regierungser-
klärung der Bundeskanzlerin, Plenarprotokoll 17/3, S. 34), werden die Mittel für
Integrationsmaßnahmen gekürzt oder nur unzureichend zur Verfügung gestellt.
Eine solche unglaubwürdige Politik der staatlichen Integrationsverweigerung
bzw. einer Integration nach Kassenlage lehnt der Bundestag ab. Die Kürzungen
bei der Integration werden die sozio-ökonomische Benachteiligung von Mig-
rantinnen und Migranten weiter verfestigen und überdies mit gesellschaftspoli-
tischen Folgekosten in weit größerem Umfang als der kurzfristige Spareffekt
verbunden sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Mittel für Integrationskurse nicht auf dem derzeitigen unzureichenden
Niveau zu belassen, sondern um 100 Mio. Euro auf 318,077 Mio. Euro auf-
zustocken (Kapitel 06 33 Titel 684 02), um so einen uneingeschränkten
Zugang aller interessierten Migrantinnen und Migranten zu Deutschkursen
zu ermöglichen und eine angemessene Bezahlung der Lehrkräfte in Integra-
tionskursen sicherzustellen;

2. die Mittel für die Migrationsberatung nicht um 2 Mio. Euro zu kürzen, son-
dern um 9 Mio. Euro auf 34,277 Mio. Euro zu erhöhen (Kapitel 06 33 Titel
684 03), wie es im Jahr 2009 auch vom Bundesministerium des Innern und
dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für erforderlich gehalten
wurde, um den Erreichungsgrad der Beratung spürbar erhöhen zu können;

3. keine Kürzungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik vorzunehmen (Kapitel
11 12 Titel 685 11: „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“), da insbeson-
dere Migrantinnen und Migranten aufgrund ihrer überdurchschnittlichen
Betroffenheit von Arbeitslosigkeit auf Fördermaßnahmen angewiesen sind,
sie bislang aber nur unterdurchschnittlich berücksichtigt wurden;

4. keine Kürzungen beim Programm „Soziale Stadt“ vorzunehmen (Kapitel
12 25, Titel 882 11: „Zuweisungen an die Länder zur Förderung städtebau-
licher Maßnahmen“) und insbesondere bei den Erläuterungen zu diesem
Titel wie bisher vorzusehen, dass Modellvorhaben „auch für Zwecke wie
Erwerb der deutschen Sprache, Verbesserung von Bildungsabschlüssen, Be-
treuung von Jugendlichen sowie im Bereich der lokalen Ökonomie“ einge-
setzt werden können;

5. die Mittel für die „Verbesserung der Informations- und Beratungsstrukturen
zur Anerkennung von Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden“
nicht um 2 Mio. auf nur noch 3 Mio. Euro zu kürzen (Kapitel 30 02 Titel
685 42: „Weiterbildung und Lebenslanges Lernen“), zumal dies im Wider-
spruch steht zur öffentlich breit diskutierten Bedeutung dieses Themas;

6. die Mittel für die „berufliche Integration und Beratung von Zuwanderern“
nicht um 200 000 Euro zu kürzen (Kapitel 11 12 Titel 684 01), da im
Bereich der beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten ver-
stärkte Anstrengungen erforderlich sind.

Berlin, den 22. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3902

Begründung

Die für das Jahr 2011 vorgesehenen rund 218 Mio. Euro für Integrationskurse
werden absehbar nicht ausreichen, um ein qualitativ hochwertiges und uneinge-
schränktes Integrationskursangebot sicherzustellen. Seit längerem in Deutsch-
land lebenden Migrantinnen und Migranten erhalten derzeit häufig keinen un-
mittelbaren Zugang zu einem Sprachkurs und werden stattdessen auf Warte-
listen gesetzt. Auch die noch Anfang des Jahres vom Bundesinnenministerium
in Aussicht gestellte verbesserte Bezahlung von Lehrkräften im Integrations-
kursbereich wird sich mit diesen begrenzten Mitteln nicht realisieren lassen.
Dies bedeutet einen Bruch des schwarz-gelben Koalitionsvertrags, in dem eine
„quantitative und qualitative“ Aufwertung der Integrationskurse vereinbart
worden war. Eine Aufstockung der Mittel für Integrationskurse um 100 Mio.
Euro ist erforderlich, um einerseits die zum Mai 2010 wirksam gewordenen
Einschränkungen beim Kursangebot wieder zurücknehmen und andererseits
eine Angleichung der Bezahlung im Integrationskursbereich an die Eingangs-
entlohnung im Schuldienst vornehmen zu können (vgl. im Detail Ausschuss-
drucksache 17(4)115D).

Noch im Jahr 2009 hatten sich das Bundesinnenministerium und das Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge für eine Erhöhung der Mittel für die Migra-
tionsberatung um 8,5 Mio. Euro auf 34,277 Mio. Euro eingesetzt. Nach der nun
vorgeschlagenen Kürzung um 2 Mio. Euro läge der Haushaltsansatz um etwa
neun Millionen Euro unterhalb dieses Betrages. Laut Schwerpunktepapier zum
Einzelplan 06 (Ausschussdrucksache 17(4)90, S. 256) trägt die Migrations-
beratung dazu bei, „die Abhängigkeit der Zuwanderer von sozialen Transfer-
leistungen zu verringern“ – die vorgesehene Kürzung ist damit auch in sich
widersprüchlich und äußerst kurzsichtig (vgl. im Detail Ausschussdrucksache
17(4)115E).

Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel erklärte auf der Pressekonferenz zum
4. Integrationsgipfel am 3. November 2010, dass „nur 10 Prozent der Men-
schen mit Migrationshintergrund […] an den arbeitsmarktpolitischen Maßnah-
men“ teilnähmen, obwohl sie „30 Prozent der Arbeitsuchenden“ stellten (vgl.
auch die Unterrichtung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur
Situation von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt;
Ausschussdrucksache 17(11)285). Nicht zuletzt die notwendige gezielte Ar-
beitsförderung für Migrantinnen und Migranten und interkulturelle Qualifizie-
rung des Fachpersonals in den Arbeitsagenturen lassen Kürzungen in diesem
Bereich nicht zu. Auch die geplanten Mittelkürzungen bei der „beruflichen In-
tegration und Beratung von Zuwanderern“ sowie im Bereich der „Verbesserung
der Informations- und Beratungsstrukturen zur Anerkennung von Qualifikatio-
nen, die im Ausland erworben wurden“ sind angesichts der Probleme in diesen
Bereichen nicht zu rechtfertigen.

Schließlich sind die vorgesehenen Kürzungen bei Stadtentwicklungsprogram-
men und insbesondere die Streichung der Modellvorhaben und sozial-integra-
tiven Projekte im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ unverantwortlich.
Vor dem Hintergrund, dass laut dem Achten Bericht über die Lage der Aus-
länderinnen und Ausländer in Deutschland drei Viertel dieser Projekte der Inte-
gration von Migrantinnen und Migranten dienen (vgl. Bundestagsdrucksache
17/2400, S. 141), überrascht es nicht, dass sich unter anderem die Bezirksver-
ordnetenversammlung Berlin-Neuköllns mit den Stimmen der Fraktionen
CDU, SPD, DIE LINKE., Grünen und GRAUEN nahezu einvernehmlich (mit
Ausnahme der Fraktion der FDP) gegen die geplanten Kürzungen aussprach:
Durch das Programm sei es gelungen, eine „drohende Abwärtsspirale […] auf-
zuhalten“, „diese positiven Entwicklungen dürfen nicht aufs Spiel gesetzt
werden“, heißt es in der entsprechenden Entschließung „Städtebauförderung

nicht kürzen!“ vom 15. September 2010. Auch der Präsident des GdW Bundes-

Drucksache 17/3902 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
verbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Lutz Freitag,
forderte in einer Presseerklärung vom 21. Oktober 2010, durch den Ausbau
bzw. eine ausreichende Mittelausstattung für das Programm „Soziale Stadt“
„einen konkreten Beitrag zur besseren Integration zu leisten, statt sich an einer
Sarrazinisierung der – notwendigen – Debatte zu beteiligen“.

Im Ersten Fortschrittsbericht zum Nationalen Integrationsplan war zum Thema
„Integration vor Ort“ noch auf breiter Ebene auf das Programm „Soziale Stadt“
hingewiesen worden, von dem es im 8. Lagebericht hieß: „Das erfolgreiche
Programm wird in der laufenden Legislaturperiode fortgeführt“ (a. a. O.).

Die vorgesehenen Kürzungen bei Integrationsmaßnahmen widersprechen ekla-
tant den öffentlichen Stellungnahmen der Bundesregierung zum Thema „Inte-
gration“ und auch der von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble am
14. September 2010 bei der ersten Beratung des Bundeshaushalts vorgenom-
menen Schwerpunktsetzung, wonach die Leistungen für „Integration nicht ver-
ringer[t], sondern verstärk[t]“ würden (Plenarprotokoll 17/57, S. 5909).

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