BT-Drucksache 17/1972

Friedliche Zukunft der Kyritz-Ruppiner Heide und Interessen der Region sichern

Vom 9. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1972
17. Wahlperiode 09. 06. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Jan van Aken,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen
Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Wolfgang
Gehrcke, Diana Golze, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Thomas Lutze, Kornelia Möller, Wolfgang Neskovic, Thomas Nord, Ingrid
Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair
und der Fraktion DIE LINKE.

Friedliche Zukunft der Kyritz-Ruppiner Heide und Interessen der Region sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

17 Jahre dauerte der Widerstand gegen die militärische Nutzung der Kyritz-Rup-
piner Heide durch die Bundeswehr als Bombodrom in und außerhalb der Parla-
mente und vor Gerichten. Beginnend mit der Gründung der Bürgerinitiative
FREIe HEIDe 1992 in Brandenburg, wurde er 2002 durch die Aktionsgemein-
schaft Freier Himmel aus Mecklenburg-Vorpommern und 2003 durch die
Unternehmerinitiative Pro Heide verstärkt. Darüber hinaus reihten sich weitere
Initiativen in diesen Widerstand ein, wie Pro Urlaub, bomb-o-dream, Friedens-
initiative Kyritz-Ruppiner Heide, Rosa Heide, „Bomben nein – wir gehen rein“,
Sichelschmiede und Weiße Zone. Diese breite Bürgerrechtsbewegung wurde
getragen von einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Motivationen für die Ableh-
nung. Friedenspolitische Argumente spielten neben der Ablehnung des Tiefflug-
lärms und von Natur- und Umweltzerstörungen immer eine wichtige Rolle. Auf
weit über 100 Protestveranstaltungen wurde gefordert: Kein Bombodrom.
Nirgends.

Das politische Ziel des Protestes war dabei nicht auf die Verhinderung der mili-
tärischen Tiefflüge über der betroffenen Region beschränkt, sondern immer
auch auf eine friedliche, sanfte Reintegration des Geländes in die Region unter
Erhalt der besonders wertvollen, weil unzerschnittenen und störungsarmen Na-
turlandschaft gerichtet, die nach Abzug der sowjetischen Armee durch die ge-
richtliche Verhinderung der erneuten militärischen Nutzung durch die Bundes-
wehr seit 1992 entstanden ist.

Diese Widerstandsbewegung hat dem bürgerschaftlichen Engagement ein

Denkmal der lebendigen Demokratie gesetzt.

Das Anliegen der Bürgerinnen und Bürger aufgreifend, wurden in Kommunal-
vertretungen der unmittelbar betroffenen Regionen in Brandenburg und Meck-
lenburg-Vorpommern und in den Landtagen in Potsdam und Schwerin sowie im
Berliner Abgeordnetenhaus mehrfach fraktionsübergreifende Beschlüsse gegen
das Bombodrom gefasst.

Drucksache 17/1972 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die parallel zum zivilgesellschaftlichen Widerstand geführte juristische Ausein-
andersetzungen führten schließlich zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg (verkündet am 27. März 2009; OVG 2 B 8.08 3 K 2498/03
Potsdam), dass die Verwaltungsentscheidung des Bundesministers der Verteidi-
gung der rot-grünen Koalition, Dr. Peter Struck, vom 9. Juli 2003 zur Inbetrieb-
nahme des Bombodroms rechtsstaatswidrig war und die Kläger (Musterklagen
einer Anliegergemeinde, eines Hotelbetreibers und eines landwirtschaftlichen
Betriebs) in ihren Rechten verletzte. Die Bundesregierung verzichtete schließ-
lich auf die Berufung gegen dieses Urteil. Stattdessen erklärte am 9. Juli 2009
der Bundesminister der Verteidigung der schwarz-roten Koalition, Dr. Franz-
Josef Jung, auf einer Pressekonferenz den Verzicht auf die Nutzung des Gelän-
des als Luft-Boden-Schießplatz. Mit Schreiben vom 30. März 2010 informierte
der Bundesminister der Verteidigung der schwarz-gelben Koalition, Dr. Karl-
Theodor Freiherr zu Guttenberg, das Bundesministerium der Finanzen darüber,
dass kein anderweitiger Bedarf zur militärischen Nutzung des Geländes be-
stünde. Nunmehr solle das Gelände in das allgemeine Grundvermögen des Bun-
des überführt werden.

Während dieser 17 Jahre, in denen schwarz-gelbe, rot-grüne und schwarz-rote
Bundesregierungen rechtsstaatswidrig versucht haben, ihr militärisches Nut-
zungsbegehren in der Kyritz-Ruppiner Heide rechtsstaatswidrig gegen die Inte-
ressen der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger und ihrer Gäste durchzuset-
zen, wurde die wirtschaftliche Entwicklung in der Region blockiert.

Angesichts dieser Situation ist der Bund noch stärker in der Pflicht, die Durch-
setzung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger der Region an einer fried-
lichen Zukunft des Geländes nun unverzüglich zu sichern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung zu folgenden ersten
Schritten auf:

Ein „Sofortprogramm Kyritz-Ruppiner Heide“ vorzulegen mit folgenden Eck-
punkten:

1. Rechtssicher und unumkehrbar auf eine militärische Nutzung der Kyritz-
Ruppiner Heide zu verzichten. Dazu ist der Truppenübungsplatz (TrÜPl)
Wittstock aus dem Standortkonzept der Bundeswehr zu streichen.

2. Unverzüglich einen verbindlichen Zeitplan zum Abzug der Bundeswehr aus
der Region vorzulegen. Alle Eigentümerverpflichtungen im Sinne des Arti-
kels 14 des Grundgesetzes zum Gemeinwohl und in enger Abstimmung mit
der Landesregierung Brandenburg, den kommunalen Vertretungen der Re-
gion, den Bürgerinitiativen und den von ihnen gebildeten Gremien zu über-
nehmen. Dabei muss die Region in die Entscheidungsfindung fest eingebun-
den werden.

3. Unverzüglich mit einer nutzungsorientierten Kampfmittel- und Altlastenbe-
seitigung auf dem Gelände zu beginnen und sie bedarfsgerecht zu finanzieren.
Zum Konversionskonzept ist Einvernehmen zwischen Grundeigentümer
(Bundesanstalt für Immobilienaufgaben – BImA bzw. Bundeswehrverwal-
tung) und den für Altlasten zuständigen Landes- und Kommunalbehörden
herzustellen. Damit sind insbesondere ein frühzeitiger Beginn der Pflege und
Bewirtschaftung der Heideflächen (Verhinderung der fortschreitenden
Verwaldung), die Sicherung des Brandschutzes und die Öffnung von sicheren
Wegen für geführte Heidewanderungen noch im Jahr 2010 zu sichern.

4. Bei Übertragung des Geländes an die BImA auf jeden Verwertungsauftrag im
Sinne einer Privatisierung der gesamten Fläche zu verzichten.
5. Alle Informationen und Daten (insbesondere nachnutzungs- bzw. natur-
schutzrelevante) zum Gelände öffentlich zugänglich zu machen bzw. zumin-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1972

dest den regionalen Körperschaften und den von ihnen gebildeten Gremien
gebührenfrei zur Verfügung zu stellen.

6. Gemeinsam mit dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin einen Managementplan
für die FFH-Flächen (Fauna-Flora-Habitat-Flächen) des Geländes vorzule-
gen, in dem Schutzziele und konkrete Maßnahmen zu ihrer Erreichung de-
finiert werden. Bis zur Vorlage dieses Managementplans sind vorsorglich
alle Maßnahmen zu unterlassen, die den aktuellen Schutzstatus in Frage
stellen könnten. Die naturschutzfachliche Überwachung ist zu sichern.

7. Gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort zu prüfen, unter
welchen Bedingungen eine Aufnahme der Fläche in das Nationale Natur-
erbe bzw. in die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ (NBS) sinn-
voll und möglich ist.

8. Jegliche Entscheidung über eine weitere Verwendung des Geländes unter
einen Zustimmungsvorbehalt der regionalen Kommunalvertretungen bzw.
der von ihnen gebildeten Gremien (z. B. Kommunale Arbeitsgemeinschaft
Kyritz-Ruppiner Heide) zu stellen.

9. Die bisherige forstliche Nutzung unter strenger Beachtung der Kriterien
einer ordnungsgemäßen also nachhaltigen Forstwirtschaft fortzuführen bis
zur endgültigen Entscheidung über die zukünftige Nutzung fortzuführen.
Auf Kahlschläge ist zu verzichten.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung beauftragt:

10. zur konzeptionellen Einbindung der Kyritz-Ruppiner Heide in die durch
naturnahen Tourismus geprägte Region Nordbrandenburg/Südmecklenburg
einen engen Konsultationsprozess mit den Landesregierungen Brandenburg
und Mecklenburg-Vorpommern und den kommunalen Vertretungen zu
führen mit dem Ziel, die durch die Jahrzehnte währende Blockade und
Unsicherheit entstandenen Defizite der regionalen Entwicklung mit einer
länderübergreifenden Konzeption für einen naturnahen Tourismus im Um-
feld des ehemals geplanten Luft-Boden-Schießplatzes zu beseitigen. Dabei
sind die bereits vorliegenden Erfahrungen und Ergebnisse der länderüber-
greifenden Projektgruppe einzubeziehen;

11. Projekte zur Entwicklung wissenschaftlicher Konzepte für eine Offenhal-
tung munitionsbelasteter Flächen zu unterstützen;

12. zu prüfen, unter welchen Bedingungen die Gerichtskosten der Bombodrom-
gegnerinnen und -gegner in den betroffenen Regionen in Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern vom Bund erstattet werden können;

13. nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz einen Zeitplan zur Schließung der
noch existierenden Luft-Boden-Schießplätze in Nordhorn (Niedersachsen)
und Siegenburg (Bayern) vorzulegen.

Berlin, den 8. Juni 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Region braucht dringend Planungssicherheit und der Bund steht in der Ver-

antwortung, sie unverzüglich herzustellen.

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