BT-Drucksache 17/1601

Die Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen in Deutschland und der Europäischen Union tiergerechter regeln - Mindestanforderungen unverzüglich auf den Weg bringen

Vom 4. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1601
17. Wahlperiode 04. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Alexander Süßmair, Caren
Lay, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, Harald
Koch, Katrin Kunert, Sabine Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Ulla Lötzer,
Thomas Lutze, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Richard Pitterle, Ingrid
Remmers, Michael Schlecht, Dr. Herbert Schui, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Dr. Axel Troost, Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Die Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen in Deutschland und der Europäischen
Union tiergerechter regeln – Mindestanforderungen unverzüglich auf den Weg
bringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland werden nach Angaben der Bundesregierung ca. 41 000 Tonnen
Kaninchenfleisch verbraucht. Das entspricht ungefähr 30 Millionen Mast-
kaninchen. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland liegt ca. bei einem
halben Kilogramm. Etwa 27 000 Tonnen des produzierten Kaninchenfleisches
stammen aus Hobbyhaltungen oder organisierten Rassekaninchenzuchten,
7 000 Tonnen aus landwirtschaftlichen Betrieben. Zusätzlich werden etwa 6 000
bis 7 000 Tonnen Kaninchenfleisch importiert. Hauptlieferländer sind China,
Frankreich und Ungarn. Auch aus den Niederlanden, Polen, Italien und der
Tschechischen Republik wird geliefert. Kaninchenfleisch zeichnet sich durch
fettarmes, weißes Fleisch aus und ist aus ernährungsphysiologischer Sicht ein
qualitativ hochwertiges Produkt.

Immer wieder wird durch Verbraucher- und Tierschutzorganisationen auf unzu-
reichende Haltungsbedingungen von Kaninchen hingewiesen. Zuletzt sorgte ein
ARD-Beitrag in „Report Mainz“ am 22. März 2010 für Aufsehen. Verbrauche-
rinnen und Verbraucher waren empört, was das Auslisten von Kaninchenfleisch
beim Handel zur Folge hatte.

Schlechte Haltungsbedingungen können Kannibalismus, Verhaltensstörungen,
Verletzungen an den Gliedmaßen, Ballengeschwüre, Wirbelsäulenverkrümmun-
gen und Gelenkprobleme verursachen. Das liegt vor allem an zu kleinen und un-
strukturierten Käfigen, in denen die Mast- oder Zuchttiere auf Drahtgitterböden

gehalten werden. Die Käfige bieten den Tieren weder Platz für natürliche
Verhaltensweisen noch Möglichkeiten sich zurückzuziehen oder angemessene
Körperpflege zu betreiben.

Seit Jahren fehlt eine Rechtsgrundlage für die Kaninchenhaltung. Weder auf
nationaler Ebene noch in der Europäischen Union (EU) konnte sich bisher auf
Mindestanforderungen geeinigt werden. Es ist aber dringend erforderlich, dass

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eine artgerechte Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen in der Tierschutz-Nutz-
tierhaltungsverordnung geregelt wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung Mindestanforderungen an die
Kaninchenhaltung aufzunehmen, die artgerechte Verhaltensweisen ermög-
lichen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Kaninchen Lauf- und Flucht-
tiere mit entsprechendem Platzbedarf sind und natürlicherweise im Gemein-
schaftsverband leben;

2. sich auf der EU-Ebene für europaweit einheitliche Mindestanforderungen im
oben beschriebenen Sinne einzusetzen;

3. sich auf der EU-Ebene für eine Herkunfts- und Haltungskennzeichnung für
importiertes Kaninchenfleisch einzusetzen, damit Verbraucherinnen und Ver-
braucher sich bewusst für die Herkunft aus bestimmten Haltungsformen ent-
scheiden können;

4. sich für eine zentrale Datenerfassung der gewerblichen Kaninchenhaltung,
- schlachtung und des Fleischverbrauchs in Deutschland und innerhalb der
EU einzusetzen;

5. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein Förderprogramm „artgerechte
Tierhaltung“ für die gewerbliche Kaninchenhaltung zu entwickeln;

6. Forschungsgelder zur Weiterentwicklung moderner artgerechter Tierhal-
tungssysteme für die Kaninchenmast weiterhin bereitzustellen.

Berlin, den 4. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

In Deutschland ist auf Grundlage des Staatszieles Tierschutz auch ohne konkret
definierte Mindestanforderungen für die Kaninchenhaltung die Einhaltung der
grundlegenden Anforderungen an das Tierschutzgesetz zu gewährleisten. Das
Kaninchen müsste entsprechend seiner Bedürfnisse gehalten werden, vermeid-
bare Schmerzen oder Leiden sind zu verhindern. Die Realität zeigt jedoch im-
mer wieder gravierende Missstände in der Mast- und Zuchtkaninchenhaltung.
Eine klare Festlegung von Mindestanforderungen in Deutschland und der Euro-
päischen Union ist daher überfällig. Diese Forderung wird bereits seit Jahren
aufgestellt, doch die letzten drei Regierungskoalitionen CDU/CSU und FDP,
CDU/CSU und SPD sowie SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben keine
konkreten Schritte unternommen, um die Situation in der Kaninchenhaltung
deutlich zu verbessern. Eine Lösung auf nationaler Ebene ist über die Tier-
schutz-Nutztierhaltungsverordnung auch dann möglich, wenn EU-rechtliche
Regelungen aktuell nicht erreichbar sind.

Das Kaninchen ist ein Lauf- und Fluchttier. Es lebt in der freien Wildbahn in gro-
ßen Gemeinschaftsverbänden und Familiengruppen zusammen und reagiert sehr
empfindlich auf unsachgemäße und dem natürlichen Verhalten- und Bewe-
gungsspektrum nicht angepasste Haltungsformen. Sowohl in der intensiven
landwirtschaftlichen Kaninchenmast und Kaninchenzucht auch in den meisten

Heimtierhaltungen wird weder dem Bewegungsdrang und dem ausgeprägten
Sozialverhalten noch dem Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten und aktiver

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1601

Futtersuche nachgekommen. Schwere Verhaltensstörungen und Verletzungen
bis hin zu komplexen Krankheitsbildern können die Folge sein. Strukturierte
und ausgestaltete Käfige, Boden- oder Freilandhaltung bieten den Tieren die
Möglichkeit, sich von den Artgenossen zurückzuziehen sowie ungestört Futter
und Wasser aufzunehmen. Der Platzbedarf eines Kaninchens muss sich sowohl
an seiner Körpergröße als auch an seinem Bewegungsbedarf ausrichten. Die
Freilandhaltung von Kaninchen kommt den natürlichen Ansprüchen am nächs-
ten und sollte deshalb besonders hervorgehoben werden.

Importiertes Kaninchenfleisch aus europäischen Mitgliedstaaten und Dritt-
staaten sollte hinsichtlich der Haltungsform gekennzeichnet werden. Eine
Bestandserhebung aller Kaninchenfleisch liefernder Betriebe würde den Lan-
desbehörden ermöglichen, gezielt stichprobenartige Kontrollen der Haltungs-
bedingungen vorzunehmen. Die Bestands-, Schlacht- und Verzehrzahlen sollten
in einer zentralen Datenbank erfasst werden. Zur Unterstützung artgerechter
Haltungsformen und zur Umstellung auf artgerechte Kaninchenhaltung sollte in
Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein Förderprogramm „Artgerechte
Tierhaltung für die gewerbliche Kaninchenhaltung“ im Rahmen der Gemein-
schaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) entwickelt werden. Um
ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit einer artgerechten Kaninchenhaltung
beantworten zu können, sind die Forschungsaktivitäten im Auftrag des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)
zu verstärken.

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