BT-Drucksache 17/11870

Für ein neues Verständnis der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe - Schulsozialarbeit an allen Schulen

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11870
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Agnes Alpers, Karin Binder,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst,
Nicole Gohlke, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Katrin Kunert,
Sabine Leidig, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann,
Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten
Tackmann, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Für ein neues Verständnis der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe –
Schulsozialarbeit an allen Schulen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Schulsozialarbeit hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen und
sich als wirksame Kooperation von Jugendhilfe und Schule in der Praxis be-
währt. Als professionelles sozialpädagogisches Angebot verbindet Schulsozial-
arbeit Elemente der Jugendsozialarbeit, Jugendarbeit sowie des erzieherischen
Kinder- und Jugendschutzes und rückt die Lebenslagen und Bedürfnisse von
Schülerinnen und Schülern in den Fokus ihrer Arbeit. Für Kinder, Jugendliche
und deren Eltern eröffnet Schulsozialarbeit als eigenständige Institution, die
dauerhaft im Schulalltag verankert ist, Zugänge zum Leistungsangebot der
Jugendhilfe und erweitert deren präventive sowie integrative Handlungsmög-
lichkeiten. Sie ist dabei mit ihren Angeboten im Alltag von Kindern und Jugend-
lichen präsent und ohne Umstände erreichbar.

In Zusammenarbeit mit der Schule fördert Schulsozialarbeit die individuelle und
soziale Entwicklung von Schülerinnen und Schülern. Sie schafft an der Schule
Angebote und Aktivitäten, die es den Schülerinnen und Schülern über das schu-
lische Angebot hinaus ermöglichen, ihre Fähigkeiten zu entfalten, Unterstützung
bei der Bewältigung alltäglicher Probleme zu erhalten, zur Selbsthilfe befähigt
zu werden und Anerkennung zu erfahren. Auf diese Weise trägt Schulsozial-
arbeit dazu bei, Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen abzubauen
und nachhaltig dem Risiko des Scheiterns in der Schule entgegenzuwirken.
Schulsozialarbeit hilft Kindern und Jugendlichen dabei, eigene Ressourcen und

Stärken zu erschließen und positive Lebensperspektiven zu entwickeln. Darüber
hinaus berät und unterstützt Schulsozialarbeit – indem sie sozialpädagogische
Handlungsorientierungen und Methoden in die Schule einbringt – Lehrkräfte,
Schulleitungen und Eltern in sozialpädagogischen Fragen. Schulsozialarbeit
trägt auch dazu bei, Schule als Lebensraum für alle Schülerinnen und Schüler zu
gestalten und dass diese sich an der Gestaltung beteiligen können.

Drucksache 17/11870 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Schulsozialarbeit kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie gleichberech-
tigte Partnerin der Schule ist. Dazu bedarf es auch einer rechtlichen Klarstellung.
Schulsozialarbeit kann die bestehenden Angebote der Jugend und Jugendsozial-
arbeit nicht ersetzen, aber punktuell ergänzen. Daher ist sicherzustellen, dass ein
Ausbau der Schulsozialarbeit die bestehenden Angebote nach den §§ 11 und 13
des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ergänzt und den Kommunen
nicht die Möglichkeit eröffnet wird, bei der kommunalen Jugendarbeit den Rot-
stift anzusetzen.

Obwohl Schulsozialarbeit als ein professionelles sozialpädagogisches Angebot
von zentraler Bedeutung bei der Weiterentwicklung zu einem konsistenten
Gesamtsystem von Bildung, Erziehung und Betreuung ist, ist Schulsozialarbeit
seitens des Bundes, der Länder und Kommunen dauerhaft unterfinanziert. Auch
die Finanzierung von zusätzlichen Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozial-
arbeitern im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaktes über die Kosten der Un-
terkunft durch den Bund führt nicht annähernd zu einer ausfinanzierten, flächen-
deckenden Schulsozialarbeit. Hierbei stellt der Bund im Rahmen des Bildungs-
paketes Mittel für rund 3 000 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter
für die Jahre 2011, 2012 und 2013 zusätzlich zur Verfügung, was einem geringen
Versorgungsgrad von rund 7,5 Prozent aller Schulen entspricht und darüber
hinaus zeitlich befristet ist. Eine einfache „Entfristung“ und Fortführung der
Mittel durch den Bund über das Bildungs- und Teilhabepaket bzw. der Quer-
finanzierung durch die Kosten der Unterkunft trägt der notwendigen Etablierung
von Schulsozialarbeit an allen Schulen keine Rechnung.

Damit die Schulsozialarbeit umfassende Angebote der Bildung, Erziehung und
Betreuung für alle Schülerinnen und Schüler machen kann, im Sozialraum agie-
ren, Lehrkräfte und Eltern unterstützen und beraten sowie sich an den Prozessen
der Schulentwicklung beteiligen kann, bedarf es einer dauerhaften, verlässlichen
Ausfinanzierung durch Bund, Länder und Kommunen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. a) Schulsozialarbeit im Jugendhilferecht des SGB VIII als Regelleistung im
Wege einer Präzisierung und Neuverortung der schulbezogenen Angebote
in Form einer eigenständigen Angebotsform vorzunehmen und dazu einen
neuen Paragraphen (Angebote der schulbezogenen Jugendarbeit/Jugend-
sozialarbeit) zu verankern. Es ist sicherzustellen, dass die schulbezogenen
Angebote auf den in § 11 Absatz 1 und 2 formulierten Grundsätzen der
Jugendarbeit aufbauen. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Ein-
führung der neuen Regelleistung ausschließlich zusätzlich und nicht zu
Lasten der bestehenden Angebote der Jugendhilfe nach § 11 Absatz 3 und
§ 13 erfolgen darf,

b) ein Bundesprogramm/Förderprogramm mit Beteiligung der Länder zur
Finanzierung flächendeckender Angebote schulbezogener Jugendarbeit/
Jugendsozialarbeit aufzusetzen;

2. unverzüglich Verhandlungen mit den Bundesländern aufzunehmen, mit dem
Ziel, die Angebote der schulbezogenen Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit an
allen Schulen unter Berücksichtigung folgender Aspekte zu gewährleisten:

a) einheitliche Qualitäts- und Ausstattungsstandards der Angebote der schul-
bezogenen Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit zu formulieren,

b) ausschließlich qualifizierte Beschäftigte einzusetzen,

c) klare Rahmenbedingungen für die Beschäftigten in diesem Bereich mit
tariflich abgesicherten und unbefristeten Arbeitsverträgen zu schaffen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11870

d) den erforderlichen Finanzierungsbedarf für die Ausweitung der Angebote
der schulbezogenen Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit sicherzustellen,

e) einen Zeitplan zu erarbeiten, der bis zum 1. Januar 2014 sicherstellt, dass
an allen Schulen verlässliche Angebotsstrukturen realisiert werden;

3. unverzüglich einen Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, mit
dem eine Kooperation von Bund und Ländern im Bereich der allgemeinen
Bildung ermöglicht wird, um die dauerhafte Absicherung der Schulsozial-
arbeit als eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern zu gewährleis-
ten;

4. bis zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung im SGB VIII und der Verab-
schiedung eines Bundesprogrammes zur Finanzierung von Schulsozialarbeit
zu gewährleisten, dass alle bereits bestehenden Stellen sowie die Angebots-
strukturen in der Schulsozialarbeit mindestens auf dem bisherigen Niveau
erhalten bleiben. Darum sollen übergangsweise auch die Leistungen über die
Kosten der Unterkunft weitergeführt werden.

Berlin, den 12. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.