BT-Drucksache 17/1172

Entschließungsantrag zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 25./26. März 2010 in Brüssel

Vom 24. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1172
17. Wahlperiode 24. 03. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
Jerzy Montag, Cornelia Behm, Dr. Gerhard Schick, Dorothea Steiner, Lisa Paus,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Britta Haßelmann,
Winfried Hermann, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom
Koenigs, Sylvia Kotting-Uhl, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid
Nouripour, Dr. Hermann Ott, Claudia Roth (Augsburg), Christine Scheel,
Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian Ströbele,
Markus Tressel, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 25./26. März 2010 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Island hat am 17. Juli 2009 einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union
gestellt. Die Europäische Kommission kommt in ihrer Stellungnahme vom
24. Februar 2010 zu der Einschätzung, dass Island insgesamt gut auf die Erfül-
lung der aus der EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen vorbereitet
sei. Auch die Bundesregierung befürwortet in ihrem Schreiben an den Präsi-
denten des Deutschen Bundestages vom 24. Februar 2010 die baldige Auf-
nahme von Beitrittsverhandlungen.

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft will unverzüglich eine Entscheidung zur
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen herbeiführen und strebt die Befassung
des Europäischen Rates am 25. März 2010 an.

II. In Ausübung seiner Rechte nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,

1. der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island ohne weitere Vorbe-
dingungen zuzustimmen,

2. dabei zum Ausdruck zu bringen, dass Zugeständnisse oder Übergangsfristen

zu Lasten des Walschutzes gegenüber Island nicht akzeptabel sind,

3. sich dafür einzusetzen, dass in der Frage der Anpassung der isländischen
Fischereiwirtschaft an die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) die Bestands-
erhaltung und Nachhaltigkeit oberste Priorität erhalten und die diesen Zielen
dienenden Rechtsnormen Islands in die anstehende Reform der GFP einbe-
zogen werden,

Drucksache 17/1172 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. die europäische Bereitschaft zur Unterstützung Islands bei der Bewältigung
der Finanzkrise zu unterstreichen,

5. Island zu ermutigen, den eingeschlagenen Weg der umfassenden strafrecht-
lichen, politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der Finanzkrise in
Island konsequent weiterzugehen und die dortigen Behörden dabei bestmög-
lich zu unterstützen,

6. sich im Rahmen der Beitrittsverhandlungen für eine konsequente, stabilitäts-
orientierte Neuausrichtung des isländischen Finanzmarkts einzusetzen und
dazu unverzüglich mit dem Beitritt den Stand der EU-Richtlinien in der
Finanzmarktregulierung und im Steuerrecht, z. B. die EU-Zinsrichtlinie, für
Island zu übernehmen.

Berlin, den 23. März 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Am 17. Juli 2009 hat Island einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union
gestellt. Gemäß Artikel 49 des EU-Vertrags kann jeder europäische Staat, der
die Werte der EU achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, beantragen, Mit-
glied der Europäischen Union zu werden. Der antragstellende Staat richtet sei-
nen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der EU-
Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Gemäß § 9
des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union hat der Bundestag das
Recht zur Stellungnahme. Dieses Recht muss er wahrnehmen, wenn er seiner
Integrationsverantwortung gerecht werden will.

Voraussetzung für eine EU-Mitgliedschaft sind die 1993 definierten Kopen-
hagener Kriterien, nach denen jeder beitrittswillige Staat eine stabile demokra-
tische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte und den
Schutz der Minderheiten garantieren muss. Darüber hinaus muss eine funk-
tionsfähige Marktwirtschaft vorhanden sein und die Fähigkeit, den mit einer
Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Der Deutsche Bundestag bekennt sich zum Fortgang des Erweiterungsprozes-
ses. Island ist eine gut funktionierende, stabile Demokratie mit leistungsfähigen
Institutionen, die die Grundrechte schützt und die Menschenrechte achtet. Als
langjähriges Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schengen-
Zusammenarbeit zum Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen, hat Island
bereits wichtige Teile des EU-Rechts übernommen. Dennoch muss der Er-
weiterungsprozess die Erfahrungen aus den vergangenen Erweiterungen wider-
spiegeln – das gilt für alle Beitrittsaspiranten gleichermaßen, auch wenn Island
allem Anschein nach bestens vorbereitet ist.

Anpassungen Islands an den gemeinschaftlichen Besitzstand werden insbeson-
dere in den Bereichen notwendig sein, die außerhalb des EWR-Abkommens
liegen und daher bislang nicht in isländisches Recht übernommen wurden. Her-
vorzuheben sind hierbei die Bereiche Wal- und Robbenfang, Fischerei und
Finanzmarktregulierung. Insgesamt erscheint ein zügiger Beitrittsprozess mög-
lich.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1172

Island ist der Internationalen Walfangkommission (IWC) beigetreten, hat aber
gegen das Moratorium für den kommerziellen Walfang (1982) Einspruch er-
hoben und sich seither unter Inanspruchnahme der verschiedenen Ausnahme-
regelungen einer Einschränkung seiner nationalen Walfangpolitik weitgehend
entzogen.

1992 ist Island aus der Internationalen Walfangkommission ausgetreten mit der
Begründung, das Walfangmoratorium sei nicht länger erforderlich; es ist 2002
wieder beigetreten, allerdings mit einem Vorbehalt hinsichtlich des Moratori-
ums. In der Beitrittsurkunde hat Island erklärt, dass es den kommerziellen Wal-
fang 2006 wieder aufnehmen werde. Laut Mitteilung der Europäischen Kom-
mission vom 19. Dezember 2007 hat Island den wissenschaftlichen Walfang im
Jahr 2003 und den kommerziellen Walfang im Jahr 2006 wieder aufgenommen.
Insgesamt 161 Zwergwale (Balaenoptera acutorostrata) wurden seit Beginn des
isländischen Forschungsprogramms im Jahr 2003 getötet, obwohl das Wal-
fangmoratorium auch für den Zwergwal gilt. Nach Angaben der Europäischen
Kommission gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Island Sondergenehmigungen
für den Walfang im Rahmen von sog. Wissenschaftlichen Programmen in der
Antarktis erteilt hat und dass die dort erlegten Wale nicht ausschließlich zu wis-
senschaftlichen Zwecken verwendet wurden. Außerdem hat Island 2009 insge-
samt 250 Wale – 150 Finnwale (Balaenoptera physalus) und 100 Zwergwale
(Balaenoptera acutorostrata) – zur Tötung für kommerzielle Zwecke freigege-
ben. Finnwale stehen als gefährdete Art auf der roten Liste der Weltnaturschutz-
union für vom Aussterben bedrohte Arten.

Das Ziel der gemeinschaftlichen Umweltpolitik in Bezug auf Wale ist auf den
größtmöglichen Schutz dieser Tiere gerichtet. Dazu wurden verschiedene
Legislativmaßnahmen ergriffen – insbesondere der Schutz aller Walarten durch
Anhang IV der FFH-Richtlinie (FFH: Flora Fauna Habitat) innerhalb von Ge-
meinschaftsgewässern, die Verordnung zur Umsetzung des Übereinkommens
über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten und die Genehmigung
des Übereinkommens zum internationalen Delphinschutzprogramm (Beschluss
2005/938/EG des Rates).

Die GFP mit ihrem bisherigen System von Gesamtfangmengen (TACs) und
nationalen Quoten hat die Fischbestände bisher nicht ausreichend gesichert.
Die EU-Flotte fischt mit sehr hohen Beifängen und Rückwürfen. Für zahlreiche
Arten wurden die Gesamtfangmengen regelmäßig zu hoch festgelegt. Beides
hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich ein großer Teil der Fischbestände au-
ßerhalb biologisch sicherer Grenzen befindet. Insgesamt muss die GFP daher
als gescheitert und dringend reformbedürftig angesehen werden. Diese Ein-
schätzung wird in weiten Teilen von der EU-Kommission geteilt. Eine tiefgrei-
fende Reform der GFP steht daher für 2013 auf der Agenda der europäischen
Politik.

Die isländische Fischereipolitik wird demgegenüber von der EU-Kommission
in ihrem Analysebericht zum Antrag Islands auf Beitritt zur Europäischen
Union im Hinblick auf die Bestandserhaltung in vielen Bereichen als erfolgrei-
cher beschrieben. So hat Island bereits Rückwurfverbote eingeführt, die die EU
erst noch plant.

In einer solchen Situation sollte Island nicht gezwungen werden, zügig und vor
Abschluss der GFP-Reform sämtliche Rechtsnormen der reformbedürftigen
GFP zu übernehmen. Vielmehr sollten auf der Grundlage einer gründlichen
Evaluation der verschiedenen Rechtsnormen diejenigen zur Anwendung kom-
men, welche hinsichtlich der Bestandserhaltung und der nachhaltigen Fische-
reipolitik erfolgreicher sind. Die Ergebnisse dieser Evaluation sollten dann wie-
derum bei der Reform der GFP Berücksichtigung finden.

Drucksache 17/1172 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Die Aufarbeitung der Finanzkrise in Island ist beispielhaft: Eine Parlaments-
kommission, eine Spezialeinheit der Strafverfolgungsbehörden und die Finanz-
aufsicht decken die Missstände auf und fragen konsequent nach der juristi-
schen, politischen und moralischen Verantwortung. Deutschland sollte diese
Aufklärungsarbeit bei Bedarf nach Kräften unterstützen. Auch die Behörden
anderer Länder, wie jene in Großbritannien und Luxemburg, kooperieren be-
reits mit den Stellen in Reykjavik.

Bisher sind aus der Tatsache, dass manche Banken „too big to be saved“ sind,
noch keine echten Konsequenzen gezogen worden – in Island nicht, aber im
Rest der Welt auch nicht. Damit ist gemeint, dass manche Institute eine Grö-
ßenordnung haben, die es den Heimatstaaten nicht mehr erlaubt, sie zu retten.
So zogen die isländischen Banken Island mit in den finanziellen Abgrund.
Beispiel Kauphting Bank: Bei einem isländischen Bruttoinlandsprodukt von
11,5 Mrd. Euro im Jahr 2008 betrug die Bilanzsumme unglaubliche 56,3 Mrd
Euro, war also fast fünfmal so hoch. Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen ist
nun darauf zu achten, dass eine konsequente, stabilitätsorientierte Neuausrich-
tung des isländischen Finanzsektors auf den Weg gebracht wird. Dazu gehört
eine konsequente Wettbewerbspolitik und eine Kontrolle des Größenwachs-
tums der Institute, damit künftig sichergestellt ist, dass Island – soweit nicht
europäische Mechanismen zur Bankenrettung greifen – seine Banken im Falle
von Schieflagen aus eigener Kraft retten kann.

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