BT-Drucksache 17/11579

Kleine und Kleinstgenossenschaften stärken, Bürokratie abbauen

Vom 20. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11579
17. Wahlperiode 20. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Ingrid Hönlinger, Kerstin Andreae,
Dr. Thomas Gambke, Daniela Wagner, Dr. Tobias Lindner, Cornelia Behm,
Ulrich Schneider, Dr. Hermann E. Ott, Harald Ebner, Sven-Christian Kindler,
Oliver Krischer, Markus Kurth, Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke,
Dr. Konstantin von Notz, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms,
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kleine und Kleinstgenossenschaften stärken, Bürokratie abbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Gemeinsam mehr erreichen“ – das ist der Grundgedanke der Genossenschaf-
ten. Nachhaltigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Selbsthilfe und Effizienz sind
seit Jahrzehnten Markenzeichen dieser demokratischen Gesellschaftsform.

Genossenschaften zielen darauf ab, die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturel-
len Belange ihrer Mitglieder zu fördern. Wie keine andere Rechtsform bieten
genossenschaftliche Unternehmen die Möglichkeit der Mitwirkung und Mit-
gestaltung. Das Prinzip „ein Mitglied eine Stimme“ entspricht dem genossen-
schaftlichen Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Selbstverwaltung. Ob
es um alternative Wohnprojekte, Wohnungsgenossenschaften, den Betrieb eines
Dorfladens, Agrargenossenschaften und nicht zuletzt die regionalen Volks- und
Raiffeisenbanken handelt, in der Gemeinschaft lassen sich Ziele leichter er-
reichen als alleine. Ein weiteres wesentliches Element des Genossenschafts-
modells ist die Unterstützung der eigenen Mitglieder, sodass bloße kurzfristige
Renditeinteressen nicht im Vordergrund stehen.

Wie viel Potenzial die Genossenschaften bergen, zeigt sich derzeit insbesondere
am Beispiel der Energiegenossenschaften: Aktuell halten mehr als 80 000 Bür-
ger in Deutschland Anteile an gemeinschaftlich betriebenen Anlagen zur rege-
nerativen Strom- und Wärmeerzeugung. Über 500 in den letzten Jahren neu ge-
gründete Energiegenossenschaften haben zusammen bereits rund 800 Mio. Euro
in erneuerbare Energien investiert.

Im Jahr 2010 haben sich über 20 Millionen Menschen in Genossenschaften
zusammengeschlossen. Am mitgliederstärksten waren Kreditgenossenschaften

mit 16,7 Millionen Mitgliedern in rund 1 100 Banken und Wohnungsgenossen-
schaften mit 2,8 Millionen Mitgliedern in 1 864 Genossenschaften.

Trotz stabiler und attraktiver Voraussetzungen ist die Zahl der Genossenschafts-
gründungen seit der Reform des Genossenschaftsgesetzes (GenG) im Jahr 2006
nur moderat angestiegen. Die bürokratischen und zum Teil kostspieligen Pflicht-
prüfungen, vor allem für Kleinstgenossenschaften hemmen die Gründungs-

Drucksache 17/11579 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

bereitschaft. Zudem gibt es für Genossenschaften keine Möglichkeit, Kredite
von Mitgliedern zur Eigenkapitalaufstockung aufzunehmen. Und nicht zuletzt
fehlt es an ausreichenden staatlichen Gründungsförderungsmöglichkeiten für
Genossenschaften. Sie werden in Wirtschafts- und Arbeitsförderprogrammen
benachteiligt, etwa bei der KfW Bankengruppe und bei der Bundesagentur für
Arbeit.

Weitere Maßnahmen sind denkbar, um das Potenzial an Neugründungen besser
zu erschließen bei gleichzeitiger Wahrung des Markenkerns und des hohen öf-
fentlichen Ansehens der Rechtsform Genossenschaft. Eine wichtige Maßnahme
liegt in der Förderung des Bekanntheitsgrades der Rechtsform an Schulen, Uni-
versitäten und Einrichtungen für Unternehmensgründungen.

Schließlich sollte der Gesetzgeber die Möglichkeiten für weitere Entlastungen
von Verwaltungsaufwand bei sehr kleinen Genossenschaften prüfen und die
Richtlinie 2012/6/EU vom 14. März 2012 (sog. Micro-Richtlinie) bzw. den ent-
sprechenden Entwurf eines Umsetzungsgesetzes* zum Anlass nehmen, eine
rechtsformspezifische Übertragung auf Genossenschaften zu überlegen.

Zudem ist festzustellen, dass sich unter der nicht unternehmerischen Rechtsform
des eingetragenen Vereins zunehmend wirtschaftliche Betätigung verbreitet.
Dies ist nicht in Einklang zu bringen mit § 21 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(BGB), nach welchem der rechtsfähige Verein gerade nicht auf einen wirtschaft-
lichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein darf. Vereine unterliegen keiner Prüfungs-
pflicht. Manche Gründer nutzen daher die Rechtsform des eingetragenen Ver-
eins für eigentlich genossenschaftliche Aktivitäten. Die Rechtsform des einge-
tragenen Vereins bietet jedoch keinen ausreichenden Schutz für Gläubiger und
Spender, da vergleichbare gesetzliche Vorschriften wie für eingetragene Ge-
nossenschaften hinsichtlich der Gründungsprüfung, der Rechnungslegungs-,
Publizitäts- und Prüfungspflichten fehlen. Insoweit besteht Handlungsbedarf
des Gesetzgebers.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Kategorie der Kleinstgenossenschaften im Sinne der Richtlinie 2012/6/
EU vom 14. März 2012 (sog. Micro-Richtlinie) in einem eigenen Absatz
unter den Vorschriften des § 53 GenG einzuführen,

a) deren Schwellenwerte sich an den Obergrenzen der Micro-Richtlinie ori-
entieren, wobei betragsmäßig geringere Schwellenwerte als eine Bilanz-
summe von 350 000 Euro und Umsatzerlöse von 700 000 Euro in Er-
wägung gezogen werden sollten, um der fehlenden Mindestkapitalausstat-
tung der Genossenschaften im Vergleich zur Gesellschaft mit beschränkter
Haftung (GmbH) Rechnung zu tragen. Entsprechend der Empfehlung der
Micro-Richtlinie, rechtsformspezifische Größenmerkmale festzulegen,
sollte zusätzlich eine Höchstzahl von zehn Mitgliedern erwogen werden,
da erfahrungsgemäß mit einer darüber hinaus gehenden Mitgliederzahl
das Interesse der Mitglieder an einer externen Prüfung der Ordnungs-
mäßigkeit der Geschäftsführung und der wirtschaftlichen Verhältnisse zu-
nimmt;

* Vergleiche den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den
Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben
(Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG), Bundesratsdrucksache 558/12

vom 21. September 2012, der Erleichterungen für Genossenschaften mit Rücksicht auf Besonderheiten
der Rechtsform explizit ausnimmt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11579

b) die Erleichterungen der Micro-Richtlinie analog auf Genossenschaften zu
übertragen, sodass

• keine Pflicht zur Erstellung eines Anhangs zum Jahresabschluss vorge-
sehen ist, wenn bestimmte Angaben (z. B. Kredite an Mitglieder des
Vorstands oder Aufsichtsorgans sowie die Haftungsverhältnisse) unter
der Bilanz vermerkt werden,

• sie von der Pflicht zur Erstellung eines Lageberichts befreit sind,

• ein vereinfachtes Gliederungsschema der Bilanz und der Gewinn- und
Verlustrechnung des Jahresabschlusses zugelassen wird,

• sie von der Pflicht zur Veröffentlichung des Jahresabschlusses im Bun-
desanzeiger befreit werden;

c) einer Kleinstgenossenschaft die gesetzliche Möglichkeit einzuräumen,
gegenüber dem Prüfungsverband, dem sie gemäß § 54 GenG als Mitglied
angehört, den freiwilligen Verzicht auf die gesamte bzw. Teile der Pflicht-
prüfung nach § 53 Absatz 1 GenG schriftlich zu erklären. Um weiterhin
einen adäquaten Schutz der Mitglieder und der Gläubiger der Genossen-
schaft sowie der Solidargemeinschaft aller in dem Prüfungsverband
zusammengeschlossenen Unternehmen zu gewährleisten, sollte diese Be-
freiungsmöglichkeit an die Bedingung geknüpft werden, dass die gesetz-
lich verpflichtende Führung der Bücher sowie die Erstellung des Jahres-
abschlusses durch den zuständigen Prüfungsverband erfolgt;

d) an der Gründungsprüfung unbedingt festzuhalten, um die Tragfähigkeit
des Geschäftsmodells neuer Genossenschaften präventiv zu prüfen und
dadurch die niedrige Insolvenzanfälligkeit und mehrfach höhere Über-
lebensrate von Genossenschaften im Vergleich zu anderen Rechtsformen
als vertrauensbildenden Markenkern nicht infrage zu stellen;

2. die Schwellenwerte der kleinen Genossenschaften nach § 53 Absatz 2 GenG,
deren Pflichtprüfung nicht den Jahresabschluss beinhalten muss, auf
4,84 Mio. Euro Bilanzsumme und 9,68 Mio. Euro Umsatz zu erhöhen;

3. es Genossenschaften zu ermöglichen, durch Satzung oder individualvertrag-
liche Vereinbarungen die Haftung für ehrenamtliche Vorstands- und Auf-
sichtsratsmitglieder gegenüber der Genossenschaft auf Vorsatz und grobe
Fahrlässigkeit zu beschränken oder die Haftung betragsmäßig zu reduzieren;

4. sicherzustellen, dass

a) die Benachteiligung von Genossenschaften gegenüber anderen Unterneh-
mensformen, insbesondere Kapitalgesellschaften bei Wirtschafts- und Ar-
beitsförderprogrammen beseitigt wird, bzw. passende Fördermaßnahmen
geschaffen werden;

b) Existenzgründungsprogramme für Genossenschaften eingerichtet werden,
um die Kosten einer Gründungsprüfung ganz oder teilweise aufzufangen.
Dies gilt insbesondere für Genossenschaften, die ökologische und soziale
Zwecke verfolgen;

c) Bedingungen geschaffen werden, die es Genossenschaften einschließlich
der Kooperativgesellschaften erleichtern, in begrenztem Umfang zur
Finanzierung des Genossenschaftsbetriebes Kredite ihrer Mitglieder auf-
zunehmen;

5. sich auf europäischer Ebene bei den Beratungen des Vorschlags für eine
Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über spezifische
Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem
Interesse (KOM(2011) 779) dafür einzusetzen, dass das gesetzliche Dauer-

prüfmandat der genossenschaftlichen Prüfungsverbände erhalten bleibt;

Drucksache 17/11579 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

6. zu prüfen, inwiefern in der Insolvenzordnung oder in anderen Gesetzen die
Übernahme eines Krisenbetriebes oder insolventen Unternehmens oder von
Teilen eines insolventen Unternehmens, insbesondere als Rechtsform der Ge-
nossenschaft, seitens Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefördert werden
kann;

7. der Schutz vor Verlust der Wohnung für Mitglieder von Wohnungsgenossen-
schaften im Fall einer Privatinsolvenz dem von Mieterinnen und Mietern
angeglichen wird, ohne dabei die Genossenschaft unverhältnismäßig zu be-
lasten;

8. für den Fall der Veräußerung von Wohnungsbeständen ein gesetzliches Vor-
kaufsrecht für die Bewohner, welche sich zu Wohngenossenschaften zu-
sammenschließen wollen, entsprechend § 577 BGB weiterzuentwickeln und
einzuräumen, damit eine genossenschaftliche Lösung realisiert werden kann.

Berlin, den 19. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Genossenschaften haben sich selbst während der Finanzkrise als stabil und kri-
senfest erwiesen. So ist die eingetragene Genossenschaft (eG) traditionell seit
vielen Jahren die mit Abstand insolvenzsicherste Rechtsform in Deutschland.
Die Insolvenzquote bei genossenschaftlichen Unternehmen lag im Jahr 2011 bei
0,13 Prozent. Zum Vergleich: Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit be-
schränkter Haftung hatten im Jahr 2011 eine mehr als zehnmal höhere Insol-
venzquote. Ein Grund dafür wird bei den gesetzlichen Prüfverbänden gesehen.
In Deutschland ist die Mitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband, dem
das Prüfungsrecht verliehen ist, verpflichtend. Im Gegensatz zu anderen Rechts-
formen muss schon die Gründung von Genossenschaften durch die genossen-
schaftlichen Prüfungsverbände umfassend begleitet werden.

Das kooperative System der Genossenschaften ermöglicht es allen Bürgerinnen
und Bürgern, sich unabhängig von betriebswirtschaftlichen Grundkenntnissen
zu engagieren. Es bedarf keines Mindesteigenkapitals zur Gründung, die Mit-
glieder haften in der Höhe ihrer Einlage, unter Umständen wird jedoch ein Nach-
schuss fällig. Anders als bei der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt),
die mit nur einem Euro Mindestkapital gegründet werden kann, sind bei der Ge-
nossenschaft die Belange der Mitglieder in besonderem Maße zu berücksich-
tigen. Es ist für den Erfolg der Genossenschaft entscheidend, ob diese aufgrund
ihrer Ausstattung auch finanziell in der Lage ist, ihre satzungsmäßigen Pflichten
gegenüber den Mitgliedern zu erfüllen. Damit vor diesem Hintergrund keine Ge-
fährdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubigerinnen und Gläubiger der
Genossenschaft entsteht, hat es sich bewährt, dass Wirtschaftsprüferinnen und
Wirtschaftsprüfer der Genossenschaftsverbände die Gründungsprüfung durch-
führen. Die Gründungsprüfung hat wesentlich dazu beigetragen, dass Genossen-
schaften entstehen, die bei ihrer Gründung versprechen, erfolgreich zu wirt-
schaften. Deshalb sollte an dieser Institution nicht gerüttelt werden. Denkbar ist
statt einer Abschaffung der Gründungsprüfung, über Existenzgründungspro-
gramme die Kosten hierfür zumindest zu einem großen Teil zu erstatten. Die

Gründungsprüfung wahrt im Sinne einer Qualitätskontrolle das berechtigte
Interesse der übrigen Mitgliedsgenossenschaften eines Prüfungsverbands an der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11579

Stabilität der Solidargemeinschaft. Die im Vergleich zur Gründungsprüfung
einer GmbH niedrigeren Prüfungsgebühren einer Genossenschaft können von
externen Beratern in vergleichbarer Qualität und mit gleicher Expertise nicht an-
geboten werden. Dennoch sollten auch hier Potenziale zur Entlastung kleiner
Genossenschaften gehoben werden, indem die Prüfungsverbände angehalten
werden, für das jeweilige Unternehmen tragbare Gebühren für die Gründungs-
prüfung anzubieten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Solidargemein-
schaft bereits heute signifikante Teile der Kosten für die Gründungsprüfung und
die Gründungsbetreuung im Interesse der Gründer wie der Öffentlichkeit zum
Schutz des Ansehens und des Markenwerts der genossenschaftlichen Rechts-
form trägt.

Darüber hinaus sind zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der
Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung alle zwei Jahre die Einrichtungen, die
Vermögenslage sowie die Geschäftsführung der Genossenschaft einschließlich
der Führung der Mitgliederliste zu prüfen (§ 53 Absatz 1 GenG). Bei Genossen-
schaften, deren Bilanzsumme 2 Mio. Euro übersteigt, muss die Prüfung in jedem
Geschäftsjahr stattfinden. Durch die verpflichtenden Prüfungen entsteht ein er-
heblicher bürokratischer und finanzieller Aufwand. Die verpflichtenden Prüfun-
gen stellen in Einzelfällen für kleinste Genossenschaften mit sehr geringen Um-
sätzen und wenig Vermögen eine erhebliche Belastung dar.

Hier sollte, wie bereits vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) in einem Be-
richt aus dem Jahr 2009 (Bericht des BMJ zur Evaluierung der neuen Regelung
über die Befreiung kleinerer Genossenschaften von der Verpflichtung zur Prü-
fung ihres Jahresabschlusses durch das Gesetz zur Einführung der Europäischen
Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts vom 14. August
2006) vorgeschlagen, keine Benachteiligung gegenüber Kapitalgesellschaften
erfolgen. Gründungen können dadurch attraktiver werden, indem im GenG eine
neue Kategorie der Kleinstgenossenschaft geschaffen wird, die gegenüber dem
zuständigen Prüfungsverband den freiwilligen Verzicht auf Teile oder die ge-
samte Pflichtprüfung nach § 53 Absatz 1 GenG erklären kann und im Übrigen
von der Jahresabschlussprüfung nach § 53 Absatz 2 befreit wäre, sofern die
Schwellenwerte von 350 000 Euro Bilanzsumme oder 700 000 Euro Umsatz an
zwei aufeinander folgenden Stichtagen nicht überschritten werden. Zudem bie-
tet sich als zusätzliches Merkmal eine Höchstzahl von zehn Mitgliedern an. Die
für die Stabilität der Genossenschaft wichtige Betreuungsfunktion des Prüfungs-
verbands sollte einerseits durch die Mitgliedschaft im Prüfungsverband und an-
dererseits durch die Zuweisung der Erstellungstätigkeiten für die Buchführung
und den Jahresabschluss an den betreuenden Verband gewährleistet bleiben. Die
für die wirtschaftliche Stabilität einer Genossenschaft bedeutsame Betreuungs-
funktion der Verbände könnte dadurch aufrechterhalten bleiben und wirtschaft-
liche Schieflagen rechtzeitig erkannt werden. Kleinstgenossenschaften würden
nicht nur von den Prüfungskosten entlastet werden, sondern die ohnehin an-
fallenden Buchführungs- und Abschlusserstellungsarbeiten würden durch den
Prüfungsverband als nicht gewinnorientierte Selbsthilfeeinrichtung der Genos-
senschaften in kostengünstiger Weise übernommen werden.

Für Kleinstgenossenschaften fällt eine Belastung durch gesetzliche Prüfungen
stärker ins Gewicht, sodass der Aufwand der Prüfung in einem anderen Verhält-
nis zur Finanzkraft der Genossenschaft steht. Diese Schwellenwerte sind auch
vom Europäischen Parlament und Rat aufgegriffen worden, welche Gesellschaf-
ten in dieser Größenordnung als „Kleinstbetriebe“ bezeichnen und für diese Ent-
lastungen hinsichtlich der Rechnungslegung zulassen (Richtlinie 2012/6/EU).
Im Regierungsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie ist die Einführung einer
„Kleinstkapitalgesellschaft“ im Handelsgesetzbuch (HGB) mit diesen Schwel-
lenwerten vorgesehen, sodass die vorgeschlagenen Schwellenwerte einer

Kleinstgenossenschaft ihre Entsprechung im sonstigen Gesellschaftsrecht finden.

Drucksache 17/11579 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Nummer 2

Um eine Benachteiligung gegenüber Kapitalgesellschaften zu verhindern, soll-
ten die Schwellenwerte der kleinen Genossenschaften, die von der Verpflichtung
zur Prüfung ihres Jahresabschlusses befreit sind, den Schwellenwerten für
Kapitalgesellschaften nach dem HGB angepasst werden. Bisher sind von der
Befreiungsregelung nach § 53 Absatz 2 GenG nur kleine Genossenschaften er-
fasst, deren Bilanzsumme nicht 1 Mio. Euro und deren Umsatzerlöse nicht
2 Mio. Euro übersteigen. Der Schwellenwert für kleine Kapitalgesellschaften,
für die Erleichterungen vorgesehen sind, liegt nach § 267 HGB dagegen bei
4,84 Mio. Euro Bilanzsumme und 9,68 Mio. Euro Umsatz. Durch die Befreiung
von der Jahresabschlussprüfung sinken die Prüfkosten im Rahmen der Pflicht-
prüfung für kleine Genossenschaften. Nach der Evaluierung des BMJ aus dem
Jahr 2009, hat sich die Regelung über die Befreiung kleiner Genossenschaften
von der Verpflichtung zur Jahresabschlussprüfung bewährt. Für die genossen-
schaftliche Prüfung ohne Einbeziehung der Jahresabschlussprüfung wurden von
den Verbänden eigene Prüfungsstandards entwickelt, die stärker auf die Belange
der Genossenschaften zugeschnitten sind und den Genossenschaften größeren
Nutzen bringen, ohne dass dadurch die Qualität der Prüfung verschlechtert
würde. Bereits bei den Beratungen zur Reform des Genossenschaftsrechts im
Jahr 2006 war der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages der Ansicht,
dass langfristig die für Kapitalgesellschaften geltenden Schwellenwerte des
§ 267 Absatz 1 HGB auch für die Genossenschaften gelten sollten (Bundestags-
drucksache 16/1524). Es bleibt den Genossenschaften unbenommen, freiwillig
eine Jahresabschlussprüfung durchzuführen.

Zu Nummer 3

Nach den §§ 34, 41 GenG sind Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, die ihre
Pflichten verletzen, der Genossenschaft zum Ersatz des daraus entstehenden
Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Dies gilt gleichermaßen für vergü-
tete als auch für ehrenamtliche Vorstände. Die Organhaftung ist zwingend. Von
dieser Vorschrift darf weder per Satzung noch individualvertraglich abgewichen
werden, da § 18 Absatz 2 GenG eine solche Abweichung von Bestimmungen
des GenG für unzulässig erklärt. Es sollte den Genossenschaften selbst überlas-
sen sein, ob sie, für diejenigen, die ehrenamtlich Leitungsaufgaben in der Ge-
nossenschaft übernehmen, eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und
grobe Fahrlässigkeit oder zumindest eine betragsmäßige Begrenzung der Haf-
tung in diesen Fällen einräumen wollen. Dies kann die Bereitschaft zur ehren-
amtlichen Übernahme von Vorstandsmandaten in Genossenschaften fördern.
Für Vereine ist die Haftung der ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder nach § 31a
BGB gesetzlich auf Fälle grober Fahrlässigkeit und Vorsatz eingeschränkt. Eine
solche kategorische Haftungsbeschränkung bietet sich für Genossenschaften
nicht an, da Genossenschaften im Gegensatz zu Vereinen auch auf wirtschaftli-
che Gewinne durch die Wirtschaftsförderung ihrer Mitglieder ausgerichtet sein
können. Um der Gefahr, dass bei der Haftungsbeschränkung das Schadensrisiko
ungewollt auf die Genossenschaftsmitglieder verlagert wird, entgegenzuwirken,
sollte jede Genossenschaft selbst bestimmen können, ob sie eine Haftungsbe-
schränkung für ehrenamtlich tätige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ein-
führen möchte.

Zu Nummer 4

Das Kapital von neu gegründeten, kleinen Genossenschaften ist oft sehr gering.
Wächst die Genossenschaft aber, indem immer mehr Mitglieder hinzukommen,
wächst auch der organisatorische Aufwand. Genossenschaften, die Darlehen
ihrer Mitglieder aufnehmen möchten, betreiben Bankgeschäfte nach dem Kre-

ditwesengesetz. Neben regelmäßigen Meldungen an die Bankenaufsicht muss
damit beispielsweise der Vorstand über die Bankleiterqualifikation verfügen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11579

Gerade in kleinen Genossenschaften ist dies oft sehr schwer erfüllbar. Genossen-
schaften sollten deshalb vereinfacht Kredite von ihren Mitgliedern aufnehmen
können. Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) gibt es eine ver-
gleichbare Möglichkeit, das Gesellschafterdarlehen.

Die staatliche Gründungsförderung für diese zukunftsfähige Rechtsform ist im
Vergleich zu anderen Rechtsformen derzeit völlig unzureichend. Fördermittel
(zum Beispiel Gründercoaching, Gründungszuschuss, Gründerkredite) werden
in der Regel vergeben, um einzelne Unternehmer zu unterstützen. Das können
Einzelunternehmer sein, persönlich haftende Gesellschafter von Personenge-
sellschaften oder Geschäftsführer einer GmbH. Für Genossenschaften ist diese
Förderung in der Regel uninteressant, da die Vorstandsmitglieder nicht selbst
mit erheblichem Kapital an der Finanzierung des Unternehmens beteiligt sind.
Andere Länder, wie beispielsweise Schweden, betreiben öffentlich finanzierte
Gründungsagenturen für neue Genossenschaften. Auch Deutschland wäre gut
beraten, eine gerechte Förderstruktur für Genossenschaften zu schaffen. Vorbil-
der können die Förderprogramme der KfW Bankengruppe zu Energieeffizienz
und Umweltschutz im Unternehmen, erneuerbaren Energien oder zur kommuna-
len und sozialen Infrastruktur sein. Die Förderprogramme sollten so eingerichtet
werden, dass damit die Kosten der Gründungsprüfung aufgefangen werden,
sofern entsprechende soziale und/oder ökologische Bedingungen erfüllt werden.

Zu Nummer 5

Die Europäische Kommission hat neben dem Richtlinienvorschlag zur Ände-
rung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüs-
sen und konsolidierten Abschlüssen eine Verordnung über spezifische Anforde-
rungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse
entworfen. Erfasst werden sollen von der Verordnung vor allem Finanzinstitute
und andere große kapitalmarktorientierte bzw. börsennotierte Unternehmen,
einschließlich Kreditgenossenschaften. Dies soll zur Verbesserung der Qualität
der Abschlussprüfungen und Wiederherstellung des Vertrauens des Marktes in
die geprüften Abschlüsse beitragen. Unter anderem werden dabei eine manda-
tierte Rotation der Abschlussprüfer und die gesetzliche Ausschreibung des Prü-
fungsmandats vorgeschlagen. In dem Vorschlag der Kommission wird aber die
bisher von der Abschlussprüferrichtlinie 2006/43/EG zugelassene gesetzliche
Bestellung der Prüferinnen und Prüfer von Kreditgenossenschaften durch die
Verbände nicht berücksichtigt. Das System der gesetzlichen Bestellung von Prü-
ferinnen und Prüfern von Genossenschaften hat sich in Deutschland – gerade
auch in der jüngsten Finanzkrise bewährt und sollte im reformierten Recht er-
halten bleiben.

Zu Nummer 6

Die Übernahme und Weiterführung eines insolventen Unternehmens oder von
Teilen eines insolventen Unternehmens durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
ist bisher nur sehr begrenzt möglich. Ambitionierte Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter eines insolventen Unternehmens, die dieses ganz oder zum Teil weiter-
führen wollen, müssen gezielt unterstützt werden. Dadurch können Arbeits-
plätze erhalten und das Unternehmen wieder zukunftsfähig gemacht werden.
Als Rechtsform bietet sich hier vor allem die Form der Genossenschaft an. Da-
her soll geprüft werden, inwieweit die Fortführung eines Unternehmens oder
von Teilen eines Unternehmens durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch
Gesetzesänderungen gefördert und unterstützt werden kann, sofern eine positive
Fortführungsprognose besteht.

Drucksache 17/11579 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Zu Nummer 7

Mitglieder in Wohnungsgenossenschaften sind Mieterinnen und Mietern im In-
solvenzverfahren nicht gleichgestellt. Nach § 109 Absatz 1 Satz 2 der Insolvenz-
ordnung darf der Insolvenzverwalter keine mietrechtliche Kündigung der Woh-
nung des Schuldners vornehmen. Entsprechend der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs (Az. IX ZR 58/08 vom 19. März 2009) kann diese Regelung
nicht auf Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften übertragen werden, weil
der Verlust des Genossenschaftsanteils nicht zwingend zum Verlust der Woh-
nung führt. Gleichwohl bildet die Grundlage für die Nutzung einer Genossen-
schaftswohnung die Mitgliedschaft in der Genossenschaft basierend auf den Ge-
nossenschaftsanteilen. Der Insolvenzverwalter kann zwar das Nutzungsverhältnis
nicht kündigen, wohl aber die Mitgliedschaft in der Wohnungsgenossenschaft.
Es droht also bei der Privatinsolvenz eines Mitglieds in einer Wohnungsgenos-
senschaft die Kündigung des Nutzungsverhältnisses durch die Genossenschaft
und damit der Wohnungsverlust. Aufgrund der nicht vorhandenen Regelung be-
steht die Gefahr des Verlusts der Wohnung für Genossenschaftsmitglieder, aber
auch ein finanzielles Risiko für die Genossenschaft als Ganzes. Deswegen muss
eine Prüfung erfolgen, wie den unterschiedlichen Bedürfnissen entsprochen
werden kann.

Zu Nummer 8

Denkbar sind Neugründungen von Hausgenossenschaften innerhalb einer Haus-
gemeinschaft oder die Übernahme von Beständen durch bestehende Wohnungs-
genossenschaften mit Hilfe des Vorkaufsrechts (unter anderem Dachgenossen-
schaften). Solch ein Vorkaufsrecht käme für bundes- oder landeseigene,
kommunale und private Wohnungsbestände infrage und würde sich an das in
Dänemark praktizierte Modell anlehnen. Die Weitergabe solcher Bestände an
eine Wohnungsgenossenschaft könnte, ähnlich der in Hamburg praktizierten
„Anhandgabe“ von Baugrundstücken vonstatten gehen. Durch die Anhandgabe
der betroffenen Objekte an eine Dachgenossenschaft, die die Planungen einer
interessierten Hausgemeinschaft unterstützt, könnte der Bewohnerschaft zur
Klärung der Finanzierung des Erwerbs und eventueller baulicher Maßnahmen
die nötige Zeit eingeräumt werden. Ein Vorkaufsrecht stärkt das Wohnungs-
genossenschaftswesen, indem Bewohnerinnen bzw. Bewohnern die Übernahme
von Wohnungsbeständen in Genossenschaftsform überhaupt ermöglicht wird.
Damit können die Leistungspotenziale von Wohnungsgenossenschaften für die
Stadtentwicklung genutzt werden. Wohnungsgenossenschaften bieten aufgrund
ihrer Organisationsform besondere Leistungspotenziale für die Lösung aktueller
wohnungs- und gesellschaftspolitischer Aufgaben. Diese sind Bereitstellung
preisgünstigen und sicheren Wohnraums zur Sicherung der Wohnkostenreduzie-
rung im Alter, die Förderung einer sozialen Quartiersentwicklung und der Erhalt
preiswerten und sicheren Wohnraums für einkommensschwächere Gruppen und
Gruppen mit Marktzugangsproblemen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.