BT-Drucksache 16/9442

Leben am Lebensende - Bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke und Sterbende schaffen

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9442
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Renate Künast, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, Kerstin Andreae,
Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Ekin Deligöz, Dr. Thea Dückert, Dr. Uschi Eid,
Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn),
Ulrike Höfken, Markus Kurth, Jerzy Montag, Krista Sager, Elisabeth Scharfenberg,
Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Dr. Harald
Terpe, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Leben am Lebensende – Bessere Rahmenbedingungen für Schwerkranke und
Sterbende schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland findet derzeit eine intensive Debatte darüber statt, wie ein
Lebensende in Würde und Selbstbestimmung ermöglicht und gestärkt werden
kann. Diese Debatte ist ein Schritt zur Enttabuisierung des Themas Sterben und
Tod in unserer Gesellschaft.

Im Vordergrund der derzeit geführten politischen Debatte steht die Frage, ob
und wenn ja wie mit einer Gesetzesänderung rechtliche Unsicherheiten im Um-
gang mit Festlegungen und Entscheidungen von Patienten und Patientinnen für
den Fall einer Nichteinwilligungsfähigkeit (Vorsorgevollmachten und Patien-
tenverfügungen) behoben werden können.

Durch die Diskussion um Patientenverfügungen zeigt sich aber auch, dass die
Versorgung und Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden wesentlich
mehr Problembereiche und Aspekte berührt als die Angst vor der Abhängigkeit
von Apparaten ohne begründete Aussicht auf Besserung im Falle der Nicht-
einwilligungsfähigkeit. Immer mehr Menschen sprechen sich in Umfragen für
eine gesetzliche Zulassung der aktiven Sterbehilfe aus. Nach den Gründen
gefragt, nennen sie vor allem die konkreten Bedingungen, unter denen Schwer-
kranke und Sterbende in unserer Gesellschaft leben. Nur einem kleinen Teil der
Bevölkerung sind die Möglichkeiten der Palliativmedizin bekannt und die
Arbeit der Hospizbewegung vertraut. Viele Menschen haben Angst davor,

● in einem Krankenhaus oder Pflegeheim sterben zu müssen und nicht zu
Hause,
● durch eine schwere Erkrankung mittellos und sozial isoliert zu werden,

● Angehörigen zur Last zu fallen – sowohl durch die direkte Pflege als auch
durch die entstehenden Kosten der Pflege,

● zunehmend abhängig von der Hilfe anderer zu werden,

● dem pflegerischen und medizinischen Personal in Heimen oder Kliniken
lästig zu sein,

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● Schmerzen zu haben, die nicht ausreichend gelindert werden (können),

● dass die Entscheidung gegen den Einsatz einer medizinischen Therapie mit
Geräten missachtet wird,

● dass eine Therapie oder auch eine ambulante Pflege nicht bezahlt wird, auch
wenn diese die Situationen verbessern würde.

Zwar mögen manche dieser Sorgen sachlich unbegründet sein, dennoch müssen
wir akzeptieren, dass es sie gibt. Diese Ängste vieler Menschen vor Fremd-
bestimmung, Einsamkeit und Schmerzen am Ende des Lebens zeigen: Eine
rechtliche Regelung für den Umgang mit Patientenverfügungen ist wichtig zur
Stärkung der Selbstbestimmungsrechte von Schwerkranken und Sterbenden.
Sie berührt jedoch nur einen kleinen Teil der angesprochenen Probleme, unter
anderem weil sie ausschließlich die Sicherung des Selbstbestimmungsrechts der
Patientin und des Patienten für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit regelt.

Der Wunsch, im Fall einer schweren Krankheit vorzeitig sterben zu wollen,
kann nicht losgelöst betrachtet werden von der öffentlichen Diskussion über
Missstände in unserem Gesundheits- und Pflegesystem und über den dort dis-
kutierten und bestehenden Kostendruck. Auch unser gesellschaftlicher Umgang
mit Sterben und dem Tod hat die Furcht vor einem fremdbestimmten und un-
würdigen Sterben befördert. Die Mehrheit der Bevölkerung möchte im Kreise
naher Bezugspersonen und in ihrem vertrauten Lebensumfeld sterben. Tatsäch-
lich verbringen jedoch noch immer ca. 70 Prozent ihre letzte Lebensphase oft
ohne Beistand in Kliniken und Pflegeheimen. So ist die Verantwortung für die
Begleitung Schwerkranker und Sterbender von den Familien hauptsächlich auf
das Personal stationärer Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen übergegangen.
Verbunden mit dem medizintechnischen Fortschritt, der den Prozess des Ster-
bens verändert hat, hat diese Entwicklung dafür gesorgt, dass die Angst vor
Abhängigkeit und Fremdbestimmung bei schwerer Krankheit wächst. Dass die
Auseinandersetzung mit den Themen Krankheit, Sterben und Tod, also eine
Ars moriendi im Sinne einer Kultur des Sterbens, weitestgehend aus dem All-
tag verschwunden ist, kommt erschwerend hinzu.

All diese Faktoren verdeutlichen, wie notwendig es ist, eine gesamtgesell-
schaftliche Position zur Sterbebegleitung zu entwickeln. Wir brauchen eine
vorsorgende, vorausschauende Versorgung, die sich an den individuellen Wün-
schen und Bedürfnissen, aber auch an den Wertvorstellungen der Patienten und
ihrer Angehörigen orientiert. Das Ziel der Versorgung von Schwerkranken und
Sterbenden muss sein, die Leiden zu lindern und die Lebensqualität zu ver-
bessern. Für die Politik ergibt sich daraus dringender Handlungsbedarf in unter-
schiedlichen Feldern, um eine Versorgungsstruktur zu befördern, die den ster-
benden Menschen und seine Bezugspersonen konsequent in den Mittelpunkt
stellt mit dem Ziel, bestmögliche Lebensqualität bis zum Lebensende zu garan-
tieren.

II. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregie-
rung auf,

1. sich über die ungenügenden und nicht zielführenden Ansätze des Pflege-
Weiterentwicklungsgesetzes hinaus gemeinsam mit Ländern und Kommu-
nen dafür einzusetzen, dass die pflegerische Infrastruktur hinsichtlich der
individuellen Bedarfslage am Lebensende verbessert wird, insbesondere mit
dem Ziel einer stärkeren Vernetzung, Koordination und Kooperation aller
relevanten Akteure sowie der festen Verankerung von Case-Management-
Strukturen;

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2. sich gemeinsam mit Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass auch
die Pflege Schwerkranker mit hohem Versorgungsbedarf in der eigenen
Häuslichkeit abgesichert ist – hierzu gehört die Schaffung von Vorsorge-
strukturen im Sinne von High-tech home care, so dass neben der Vor-
haltung speziell ausgebildeten Pflegepersonals auch ein schneller und
unproblematischer Zugang zu technischen Apparaturen und Hilfsmitteln
gewährleistet werden kann;

3. eine Aufklärungskampagne zu starten, in der über die Möglichkeiten der
Palliativversorgung und Hospizarbeit sowie über die rechtlichen Voraus-
setzungen im Rahmen der Versorgung von Schwerkranken und Sterbenden
umfassend informiert wird;

4. sich dafür einzusetzen, dass für die im Rahmen der Sterbebegleitung auf-
tretenden ethischen Fragestellungen Strukturen geschaffen werden, die die
Diskussion und das Abwägen aller Beteiligten über die erforderliche
Behandlung und Begleitung von Schwerkranken oder Sterbenden unter-
stützen;

5. bei der Umsetzung der beschlossenen Verbesserungen zur Palliativversor-
gung dafür Sorge zu tragen, dass sowohl bei der ambulanten wie stationä-
ren Versorgung von Schwerkranken und Sterbenden eine Schmerztherapie,
die den Betroffenen einen schmerzfreien aber dabei bewussten Abschied
aus dem Leben ermöglicht, integraler Bestandteil wird;

6. sich dafür einzusetzen, dass die Palliativmedizin und -pflege zu einem
expliziten Pflichtlehr- und Prüfungsfach des Medizinstudiums sowie auch
im Curriculum bei der Ausbildung für die Berufe in der Krankenpflege
deutlich aufgewertet wird;

7. sich dafür einzusetzen, dass menschenwürdige Sterbebegleitung ein zu
berücksichtigender Faktor bei der Zertifizierung von Pflegeeinrichtungen
wird;

8. Vorschläge dafür zu entwickeln, wie die Beratung von Betroffenen und
Angehörigen hinsichtlich der Unsicherheiten im Zusammenhang mit der
Pflege von Schwerkranken und Sterbenden sowie hinsichtlich der rechtli-
chen Fragen, wie zum Beispiel zur Abfassung von Patienten- und Vorsorge-
vollmachten, sichergestellt werden kann. Hierfür sollten nicht nur Bera-
tungsstellen mit „Komm-Struktur“ vorgehalten werden, sondern auch
„zugehende“ Beratungen ermöglicht werden;

9. Vorschläge zur Verbesserung der Situation für die betreuenden Bezugs-
personen sowie ehrenamtlich tätige Hospizgruppen zu erarbeiten, wie zum
Beispiel Hilfeangebote zur psychischen und seelischen Entlastung von be-
treuenden Bezugspersonen;

10. gesetzliche Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
vorzuschlagen, indem das bestehende Teilzeitgesetz vereinfacht und an-
stelle der mit der Pflegereform eingeführten unbezahlten Pflegezeit eine
dreimonatige Freistellung zur Organisation der Pflege oder einer Sterbe-
begleitung eingeführt wird, die mit einer steuerfinanzierten Lohnersatz-
leistung verbunden ist;

11. Änderungsvorschläge vorzulegen, durch die der Eigenfinanzierungsanteil
aller stationären Hospize in § 39a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB V) auf maximal 5 Prozent begrenzt wird;

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12. sich bei den Ländern bei den anstehenden Reformen des Heimrechts dafür
einzusetzen, dass die besondere Stellung stationärer Hospize in den jeweili-
gen Gesetzen berücksichtigt wird (palliativpflegerische Versorgungsstruk-
turen, individuelle und familiäre Umgebung, psychosoziale und spirituelle
Begleitung);

13. einen Forschungsschwerpunkt „Palliativ- und Hospizversorgung“ im Ge-
sundheitsforschungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung einzurichten;

14. einen jährlichen Bericht über die Entwicklung der Versorgungsstrukturen
für schwerkranke und sterbende Menschen vorzulegen, so dass auf Grund-
lage der dort ermittelten Daten und Sachstände dieser Versorgungsbereich
qualitativ und quantitativ ausgebaut und optimiert werden kann.

Berlin, den 4. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deut-
schen Bundestages hat in ihrem Bericht zur Palliativmedizin und Hospizarbeit
in der letzten Wahlperiode (Bundestagsdrucksache 15/5858) gefordert, die
ambulante Palliativ- und Hospizarbeit sowie die Rahmenbedingungen für ein
würdevolles Lebensende in stationären Institutionen zu verbessern. Dazu gehö-
ren unter anderem die Stärkung des Patientenrechts auf eine bedarfsgerechte
Palliativversorgung sowie eine Verbesserung der Finanzierung der Palliativ-
und Hospizversorgung.

Es wurden bereits erste Schritte unternommen, um Möglichkeiten für ein Ster-
ben in der Häuslichkeit und im Kreis der Familie zu schaffen und zu ver-
bessern. Wir begrüßen, dass mit der letzten Gesundheitsreform die gesetzliche
Grundlage für die Einrichtung von ambulanten Palliativ-Care-Teams geschaf-
fen wurde. Auch mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz sind durchaus
einige positive Leistungsverbesserungen verbunden, die jedoch bei Weitem
nicht ausreichend sind.

Als problematisch erweist sich in diesem Kontext viererlei:

Erstens können zunehmend weniger Menschen auf familiäre Unterstützung bei
Pflegebedürftigkeit oder im Sterbefall zurückgreifen, beispielsweise weil sie
kinderlos sind oder weil die Kinder nicht am selben Wohnort leben.

Zweitens zerbrechen häusliche Pflegearrangements oft schon weit im Vorfeld
einer Sterbebegleitung. Dies begründet sich dadurch, dass die ambulanten Ver-
sorgungsstrukturen den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und ihrer Bezugs-
personen nicht entsprechen.

Drittens sind die nahen Bezugspersonen in der Regel auf ein Sterben ihrer
Angehörigen in der Häuslichkeit nicht vorbereitet. Ohne ihre Bereitschaft, die
Pflege eines nahe stehenden sterbenden Menschen zu übernehmen, ist eine
häusliche Sterbebegleitung bei den bestehenden ambulanten Versorgungsstruk-
turen in Deutschland kaum möglich. Die Pflege Sterbender findet kaum noch in
den Familien statt, damit fehlt auch die Auseinandersetzung mit den dazuge-
hörenden Themen Krankheit, Sterben und Tod. Zudem sind sterbende Men-

schen und auch die, die sie pflegen, häufig von gesellschaftlicher Ausgrenzung
und sozialer Isolation betroffen.

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Viertens haben Berufstätige zusätzliche Probleme, Erwerbsarbeit und Pflege
bzw. eine Sterbebegleitung von Angehörigen und Personen, zu denen ein be-
sonderes Näheverhältnis besteht, miteinander zu vereinbaren.

Daher sollte, gerade bei der häuslichen Sterbebegleitung, der Blick sowohl auf
die Verbesserung der Versorgung der schwerkranken und sterbenden Menschen
als auch auf die Personen, die die Verantwortung für einen nahe stehenden ster-
benden Menschen übernehmen, gerichtet werden.

Dem Anspruch einer Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Pflege bzw. einer
Sterbebegleitung wird die mit der Pflegereform beschlossene Einführung einer
gesetzlichen Pflegezeit nicht gerecht. Das Gesetz soll die Übernahme der
Pflege naher Angehöriger fördern. Eine sechsmonatige unbezahlte Pflegezeit
birgt jedoch angesichts mehrjähriger durchschnittlicher Pflegezeiten das Ri-
siko, dass insbesondere Frauen auf diesem Wege schleichend aus dem Erwerbs-
leben gedrängt werden, anstatt die Vereinbarkeit mit dem Beruf zu fördern.

Stattdessen sollte eine gesetzliche Pflegezeit auf drei Monate begrenzt bleiben
und insbesondere der Organisation – nicht der Übernahme – einer notwendig
gewordenen Pflege oder der Übernahme einer Sterbebegleitung dienen. Sie
sollte verbunden sein mit einem Anspruch auf eine steuerfinanzierte Lohn-
ersatzleistung, um jeder/jedem – nicht ausschließlich finanziell bessergestellten
Personen – die Pflegezeit zu ermöglichen. Die Pflegezeit muss zudem ohne
Betriebsgrößenbeschränkung gewährt werden und mit einem Rechtsanspruch
auf Rückkehr zum Arbeitsplatz sowie vollem Kündigungsschutz verbunden
sein. Nach einem erweiterten Familienbegriff soll die Pflegezeit auch von Per-
sonen ohne verwandtschaftliche Beziehung in Anspruch genommen werden
können, die bereit sind, Verantwortung für die/den Pflegebedürftige/-bedürfti-
gen zu übernehmen.

Trotz durchaus begrüßenswerter Ansätze, die ambulante Versorgung zu stär-
ken, ist davon auszugehen, dass die Versorgung Schwerkranker und Sterbender
auch in Zukunft überwiegend in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Hospizen
stattfinden wird.

Die Qualität von Kliniken wird heute vor allem an der Heilungsquote gemes-
sen. Doch auch der Umgang mit Sterbenden ist bei der Beurteilung der Qualität
von Kliniken von hoher Bedeutung. Speziell in Krankenhäusern, die zumeist
auf Kuration und nicht auf Palliation ausgerichtet sind, benötigen wir ein Um-
denken. Das Sterben eines Menschen darf nicht länger vordergründig mit be-
ruflichem Versagen von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden assoziiert
werden. Auch und vor allem in Kliniken bestehen im Rahmen der interdiszipli-
nären Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Akteuren große Defi-
zite. Die Bezugspersonen des sterbenden Menschen und/oder ehrenamtliche
Hospizgruppen werden zu wenig einbezogen. Die Aufgabe des Krankenhauses
muss sein, Verantwortung für eine adäquate Weiterversorgung des sterbenden
Menschen im Sinne einer optimierten Überleitung zu übernehmen.

Die Versorgung sterbender Menschen und die Begleitung ihrer Bezugspersonen
erfordert ein hohes Maß an fachlichem Wissen und Können ebenso wie eine
umfassende interdisziplinäre Zusammenarbeit. Vielfach jedoch gibt es hierzu-
lande noch immer erhebliche Mängel innerhalb der primär in die Versorgung
involvierten Akteurinnen und Akteure aus Medizin und Pflege. Neben der Wei-
terentwicklung ist die flächendeckende Bereitstellung einer effizienten
Schmerztherapie sowie der spezialisierten Palliativpflege erforderlich. Des
Weiteren müssen Fachkräfte aus den Bereichen Medizin, Pflege und Soziales in
ihrer Gesprächsführung und Kommunikationsfähigkeit, in der Aufklärung, Be-
ratung und Begleitung der Betroffenen und ihrer Bezugspersonen geschult wer-
den, um auf deren Ängste und Sorgen aber auch auf deren (Informations-)Be-

dürfnisse sensibel und adäquat reagieren zu können.

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Die Hospizbewegung in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten Beacht-
liches für die Versorgung sterbender Menschen erreicht. So entstanden in rela-
tiv kurzer Zeit bundesweit stationäre Hospize und im ambulanten Bereich bil-
deten sich Hospizgruppen heraus. Dennoch gibt es Mängel. Die Ausstattung
mit stationären Hospizen ist im gesamten Bundesgebiet sehr unterschiedlich
und zumeist hinsichtlich des Bevölkerungsbedarfs nicht ausreichend. Über
§ 39a SGB V wurde zwar eine Rahmenvereinbarung über die Versorgung in
stationären Hospizen ausgehandelt, diese aber muss keine flächendeckende
Versorgung sicherstellen. Der Hauptteil der Finanzierung für einen sterbenden
Erwachsenen im Hospiz setzt sich derzeit aus Leistungen der Kranken- und der
Pflegeversicherung, Eigenanteilen des Betroffenen und mindestens 10 Prozent
Spendenaufkommen des Hospizträgers zusammen. Diese Art der Finanzierung
birgt zwei Probleme. Zum einen ergibt sich durch den zu erbringenden Eigen-
anteil ein wirtschaftliches Kalkulationsrisiko, besonders vor dem Hintergrund,
dass das Spendenaufkommen in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten
Jahren auch für Hospizeinrichtungen deutlich zurückgegangen ist. Um das
wirtschaftliche Kalkulationsrisiko abzusenken, sollte darum der Spendenanteil
auf 5 Prozent abgesenkt werden. Bessere Rahmenbedingungen für den unprob-
lematischen Zugang von ambulant tätigen Hospizgruppen in stationäre Einrich-
tungen müssen geschaffen werden.

Weiterhin besteht dringender Aufklärungs- und Beratungsbedarf. Heute fehlt
häufig die Aufklärung über den zu erwartenden Krankheits- und Behandlungs-
verlauf in den unterschiedlichen Stadien des Sterbeprozesses und über den
Umgang mit möglichen Krisensituationen. Es gibt zu wenig Wissen über die
Möglichkeiten der ambulanten Versorgung und darüber, welche Form sich im
Individualfall eignet.

Eine andere Form von Beratung bezieht sich auf Hinweise hinsichtlich der
Möglichkeiten der Palliativversorgung und Hospizarbeit sowie der rechtlichen
Möglichkeiten, mit denen Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung im Rah-
men der Versorgung am Lebensende sicherstellen können. Vielen Menschen ist
nicht bewusst, dass alle medizinischen Eingriffe nur nach einer Einwilligung
zulässig und ohne Einwilligung strafbar sind. Weitgehend unbekannt ist auch,
dass es über eine Vorsorgevollmacht möglich ist, die Gesundheitsfürsorge in
die Hände einer persönlich bekannten und vertrauten Person zu legen. Zudem
kommt es auch im Umgang mit Vorsorgevollmachten oftmals in der Praxis zu
Problemen, entweder weil sie von Ärzten oder vom Pflegepersonal – auch aus
Angst vor vermeintlichen rechtlichen Konsequenzen – nicht anerkannt werden
oder weil es den Bevollmächtigten an Wissen fehlt, wie sie sich gegenüber Ärz-
ten und dem Pflegepersonal durchsetzen können.

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