BT-Drucksache 16/7031

Angemessene Altersversorgung für Professorinnen und Professoren neuen Rechts, Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Dienst, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, Beschäftigte universitärer und anderer wissenschaftlicher außeruniversitärer Einrichtungen in den neuen Bundesländern

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7031
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Lothar Bisky, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Lutz Heilmann,
Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping,
Jan Korte, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Kersten Naumann, Petra Pau,
Bodo Ramelow, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert,
Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Angemessene Altersversorgung für Professorinnen und Professoren neuen
Rechts, Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Dienst, Hochschullehrerinnen und
Hochschullehrer, Beschäftigte universitärer und anderer wissenschaftlicher
außeruniversitärer Einrichtungen in den neuen Bundesländern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Professorinnen und Professoren neuen Rechts, Ärztinnen und Ärzte im öffent-
lichen Dienst, Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, Beschäftigte anderer
wissenschaftlicher universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen in den
neuen Bundesländern mit DDR-Biografie sind gegenüber ihren Berufs- und
Altersgefährtinnen in den alten Bundesländern oder mit bundesdeutscher Bio-
grafie bei der Altersversorgung benachteiligt.

Das resultiert zum einen daraus, dass nach der Einheit Deutschlands zwar 12 Pro-
zent der zuvor in Forschung und Lehre der DDR tätigen Akademikerinnen und
Akademiker nach einer Evaluierung ihrer wissenschaftlichen Qualifikation
sowie ihrer politischen und persönlichen Eignung an universitären und außer-
universitären Einrichtungen weiterbeschäftigt wurden. Sie trugen wesentlich
zum Aufbau der Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern bei. Eine
angemessene Altersversorgung wird ihnen allerdings vorenthalten: Für die Zeit
bis 1990 wird vielfach nur eine durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzte
Rente ermittelt; für die Zeit ab 1990 wirkt sich die verspätete Verbeamtung bzw.
eine verspätete Aufnahme in die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder
(VBL) negativ aus.

Ähnlich ergeht es auch denjenigen, die – zuvor im wissenschaftlichen Mittelbau

tätig – nach 1990 neu berufen oder eingesetzt wurden. Deren DDR-Erwerbs-
biografie wird die spätere Altersversorgung mindern. Die aus den alten Bundes-
ländern stammenden Kolleginnen und Kollegen an der gleichen Einrichtung
können viel höhere Ruhestandsbezüge erwarten.

Bei gleichen bzw. ähnlichen Lebensleistungen sind unübersehbare Unterschiede
in der Altersversorgung zu verzeichnen bzw. zu erwarten, die den sozialen Frie-
den stören und zu beseitigen sind.

Drucksache 16/7031 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

spätestens bis zum 30. Juni 2008 eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die

1. den beamteten Professorinnen und Professoren neuen Rechts sowie den wei-
teren beamteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Lehre und
Forschung mit DDR-Erwerbsbiografie eine ab Oktober 1990 zählende Alters-
versorgung über das Beamtenversorgungsgesetz zuerkennt.

Damit würde ihre Dienstzeit nach Herstellung der staatlichen Einheit voll-
ständig in ihre Altersversorgung einbezogen;

2. Professorinnen und Professoren neuen Rechts sowie weitere Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftler an universitären und außeruniversitären Ein-
richtungen, die ihren Dienst nach 1990 fortgesetzt haben, aber nicht zu
Beamten ernannt wurden, nachträglich mit Wirkung ab Oktober 1990 in die
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) aufnimmt, um ihnen
damit entsprechende Ansprüche für die Berechnung der Altersrente zu ge-
währen. Die Kosten für die Nachversicherung übernimmt der Bund;

3. die Vordienstzeit bis 1990 als Beschäftigungszeit für die Altersversorgung
anerkennt.

Diese Bestimmungen gelten als Bundesrecht, insoweit die Betroffenen in Ein-
richtungen des Bundes tätig waren bzw. sind. Die Bundesregierung wird gemäß
Artikel 83 des Grundgesetzes die neuen Bundesländer über dieses Gesetz in-
formieren und sie auffordern, ähnliche Regelungen für Landesbeamtinnen und
-beamte sowie Landesangestellte zu treffen.

Berlin, den 7. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR und die darauf fol-
gende Überführung der Versorgungsansprüche allein in die gesetzliche Renten-
versicherung der Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Beitragsbemessungs-
grenze führten zu beträchtlichen Kürzungen der Ansprüche nach dem An-
spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) vom 25. Juli 1991.
Davon waren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betroffen, die vor
1990 häufig ein Einkommen hatten, das weit über dem Durchschnitt in der DDR
lag.

Namhafte Verfassungsrechtler sprachen sich für eine Regelung aus, die den
Leistungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entsprochen hätte.
Das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch am 28. April 1999: „Es ist ver-
fassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die in der DDR bestehenden Zu-
satz- und Sonderversorgungssysteme geschlossen und die darin erworbenen An-
sprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung überführt
werden“. Das Bundesverfassungsgericht anerkannte aber im Urteil, dass diese
Systementscheidung „sich für viele Angehörige der Versorgungssysteme nach-
teilig aus (wirkt) … und hohe Arbeitsverdienste kappt“. Die Betroffenen seien
dadurch jedoch „nicht unverhältnismäßig belastet“.

Eine andere Lösung zu finden, die zu gleicher Altersversorgung bei gleicher Le-

bensleistung führte, wäre ebenfalls verfassungsgemäß und gerechter.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7031

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betraf außerdem die zu-
rückliegende Zeit, nicht jedoch die durch Tätigkeit in den neuen Bundesländern
seit Oktober 1990 erworbenen neuen Ansprüche.

Die Verbeamtung erfolgte schrittweise von 1992 bis 1996. Die Aufnahme in die
VBL war erst ab 1. Januar 1997 möglich. Damit werden die Leistungen nach
dem Beamtenversorgungsrecht oder den Bestimmungen der VBL erst ab diesen
Zeitpunkten gewährt bzw. berechnet. Hinzu kommt, dass für die Aufnahme in
beide Versorgungssysteme fünf Jahre Mindestzeit vor Ruhestandsbeginn zu-
rückgelegt werden müssen. Nicht wenige der Akademikerinnen und Akademi-
ker konnten infolge dieser Stichtagsregel wegen ihres Lebensalters nicht mehr
in die Altersversorgungen aufgenommen werden und dadurch auch keine An-
sprüche erwerben. Denn die meisten als leitende Professorinnen und Professo-
ren sowie leitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übernommenen
Akademikerinnen und Akademiker waren zwischen 50 und 60 Jahren alt. Nur
selten wurden sie in ein Beamtenverhältnis aufgenommen, in der Regel nur die,
die bis zum 3. Oktober 1990 das 50. Lebensjahr noch nicht überschritten hatten.
Diejenigen, die bis zum 1. Dezember 1996 noch nicht das 60. Lebensjahr über-
schritten hatten, wurden in die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder
aufgenommen. Für Ältere bestanden keinerlei Möglichkeiten.

Außerdem hat die Bundesregierung noch nicht von der bis zum 31. Dezember
2009 begrenzten Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 73 des Bundesbesol-
dungsgesetzes die Altersversorgung für die Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, die ihre Tätigkeit nach 1990 fortgesetzt haben, neu zu regeln.

Pikanterweise erzielen im Vergleich zu diesen Betroffenen nicht nur die Berufs-
kolleginnen und -kollegen aus den alten Bundesländern, sondern auch An-
spruchsberechtigte in den neuen Bundesländern mit Renteneintritt bis 1990,
denen durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999
eine Vergleichsberechnung der letzten 20 Jahre vor Rentenbeginn zugestanden
wurde, eine zum Teil beträchtlich höhere Altersversorgung.

Hier sechs Beispiele für die Schlechterstellung derjenigen, die nach 1996 in den
neuen Bundesländern in den Ruhestand gegangen sind:

Professor neuen Rechts – Gehalt C 4, Lehrstuhlleiter an einer Hochschule, Spe-
zialisierung auf dem Gebiet der Baustoffverarbeitungstechnik, in den 80er-Jah-
ren erstmalige Entwicklung von Verfahrenstechniken zum Energieverbrauch an
Wohngebäuden, wissenschaftliche Leitung einer Experimentalbaus, internatio-
nale Kooperation mit ausländischen Universitäten, zahlreiche Publikationen im
In- und Ausland, Leitung einer Personalkommission zur Evaluierung für die
weitere Tätigkeit an der Hochschule (1991 bis 1993),
letztes Gehalt: 9 339 DM (4 775 Euro, mit Zuschlägen 4 857 Euro),
gegenwärtige Rente: 1 708 Euro,
keine Ernennung zum Beamten, keine Aufnahme in die VBL.

Professur für Biochemie an einer Universität in Ostdeutschland – Gehalt C 4,
vorher Professor an einer Medizinischen Hochschule in Westdeutschland. Spe-
zialisierung: Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Ursachen des Diabetes
mellitus auf zellulärer und molekularer Ebene, Leiter von sechs internationalen
Symposien, mehr als 250 Publikationen, Lehrverpflichtungen für jährlich 450
Studenten, Betreuung von 39 Promotionen,
letztes Gehalt: 11 513 DM (5 887 Euro),
gegenwärtige Rente: 1 726 Euro,
keine Verbeamtung, keine Aufnahme in die VBL.

Drucksache 16/7031 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Professorin neuen Rechts – Promotionen auf dem Gebiet der Kunstgeschichte
und Germanistik, wissenschaftliche Tätigkeit an staatlichen Museen, danach an
einer Universität in Berlin, von 1990 bis 1995 Herausgeberin einer (bundes-
republikanischen) Fachzeitschrift, Übernahme in das Wissenschaftsintegra-
tionsprogramm, ab 1994 Professorin für Kunstgeschichte an einer Universität in
Ostdeutschland. Emeritierung 2005,
letztes Gehalt: 4 957 Euro,
Rentenanspruch bis Oktober 2005: 1 057 Euro,
Pension ab Oktober 2005: 1 397 Euro.

Professor für Pharmakologie, Forschung auf dem Gebiet der Peptidpharmakolo-
gie, Mitglied der Akademie der Wissenschaften (bestätigt durch Ministerpräsi-
dent de Maizière), Aufbau und Leitung eines Instituts für Wirkstoffforschung in
Berlin, etwa 300 Publikationen im In- und Ausland, Veranstaltung von Sympo-
sien u. a. in England, den USA, Österreich, Australien, 1992 Leitung einer For-
schungsgruppe für Molekulare Pharmakologie (jetzt das größte deutsche Institut
der pharmakologischen Grundlagenforschung), Berentung 2002,
letztes Bruttogehalt: 4 517 Euro,
gegenwärtige Rente: 1 568 Euro,
Zusatzversorgung (VBL): 63 Euro.

Professor für Physik ohne Zusatzversorgung VBL, Tätigkeiten in der Bundes-
republik: Hochschullehrer und Forscher, Leiter eines Instituts für Experimen-
telle Physik und eines Wissenschaftsbereichs, Leiter von zahlreichen For-
schungsprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des
Ministeriums für Bildung und Technik, Initiator und Sprecher des ersten Sonder-
forschungsbereichs (17 Forschungsprojekte mit 55 Wissenschaftlern, darunter
Professoren aus den alten Bundesländern), Mitglied nationaler und internationa-
ler Wissenschaftsgremien (Deutsches Komitee „Forschung mit Neutronen“,
Verbindungsausschuss der Zusammenarbeit deutscher Einrichtungen mit dem
VIK/Dubna des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Programm
Advisory Commitee „Condensed Matter Physics“ am VIK, Scientific Counsil
am ILL, Grenoble/Frankreich), Eintritt in den Ruhestand 1998,
letztes Gehalt: 9 209 DM (4 708 Euro),
gegenwärtige Rente: 1 703 Euro.

Dr.-Ing., angestellter leitender Wissenschaftler an einer außeruniversitären For-
schungseinrichtung mit VBL, Tätigkeiten in der Bundesrepublik: Ab 1992 Ab-
teilungsleiter (ca. zehn Wissenschaftler und sieben technische Beschäftigte) in
einem neu gegründeten Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektrosko-
pie, von 1992 bis 2002 Leiter von zwei DFG-Forschungsprojekten, von einem
Teilprojekt eines EU-Projektes, von drei größeren Projekten des Bundesminis-
teriums für Forschung und Technologie, im Rahmen dieser Projekte auch enge
Kooperation mit der Industrie, mit Hochschulen und Instituten (Siemens, Rofin-
Sinar, Hass Laser, Universität Stuttgart, TU Berlin u. a.), Vorträge auf nationalen
und internationalen Beratungen, zum Beispiel Physikertagungen in Hamburg,
Regensburg und Stuttgart sowie Konferenzen in San Diego und Las Vegas, auf
Hawaii, in Bologna und in Cambridge, Mitautor von über 50 Veröffentlichun-
gen, Eintritt in den Ruhestand 2002,
letztes Gehalt: 3 855 Euro,
gegenwärtige Rente: 1 556 Euro,
Zusatzversorgung (VBL): 118 Euro.

Ordentliche Professorinnen und Professoren erhielten in der DDR ein Grund-
gehalt von monatlich 2 450 Mark der DDR mit einem Steigerungssatz von

200 Mark, meist alle zwei Jahre. Die hier genannten Professorinnen und Profes-
soren erhielten das Höchstgehalt von 3 600 Mark. Daraus entstand nach 20-jäh-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7031

riger Tätigkeit als ordentliche Professorin bzw. ordentlicher Professor nur eine
Rente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) von 2 668 DM
(1995), 1 364 Euro.

Die mit diesem Antrag vorgeschlagenen Veränderungen wären zugleich ein Aus-
gleich im Sinne einer Härtefalllösung bzw. im Sinne des Gleichbehandlungs-
grundsatzes. In gleichen Funktionen tätige Berufskolleginnen und -kollegen aus
den alten Bundesländern erhalten für eine gleiche Arbeit und bei gleicher Qua-
lifikation bereits ein um durchschnittlich 20 Prozent höheres Gehalt. Deren
Altersversorgung ist zweifelsfrei geregelt und die Pensionen liegen bis zu 50 Pro-
zent höher.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.