BT-Drucksache 16/7022

Schaffung einer gerechten Versorgungslösung für die vormalige berufsbezogene Zuwendung für Ballettmitglieder in der DDR

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7022
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Lothar Bisky, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Lutz Heilmann,
Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping,
Jan Korte, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Kersten Naumann, Petra Pau,
Bodo Ramelow, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert,
Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Schaffung einer gerechten Versorgungslösung für die vormalige berufsbezogene
Zuwendung für Ballettmitglieder in der DDR

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Tanzberuf erfährt in vielen Ländern der Welt eine besondere Absicherung,
weil er Besonderheiten unterliegt. In der Regel wird er nicht bis zum Rentenalter
ausgeübt; zumeist scheiden Tänzerinnen und Tänzer um das 40. Lebensjahr aus
der aktiven Berufsausübung aus.

In der DDR gab es nach einer Anordnung des Ministers für Kultur (vom 1. Sep-
tember 1976, geändert am 1. Juli 1983) für Ballettmitglieder, die ihren Beruf
nicht mehr ausüben konnten, eine berufsbezogene Zuwendung, unabhängig von
späteren Einkünften.

In der Bundesrepublik Deutschland sind Tänzerinnen und Tänzer über die Ver-
sorgungsanstalt der Deutschen Bühnen bei Berufsunfähigkeit, bei Beendigung
der Berufsausübung oder im Alter gesichert, ebenfalls unabhängig von späteren
Einkünften.

Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 bestimmte, dass die DDR-Regelung
bis zum 31. Dezember 1991 fortzuführen ist (vgl. Anlage II, Kapitel VIII, Sach-
gebiet H, Abschnitt III, Nr. 6).

Das Rentenüberleitungsgesetz unterließ jegliche Regelung für die Zeit ab
1. Januar 1992. Dadurch verschlechterte sich die Lebenssituation der bereits
ausgeschiedenen Ballettmitglieder abrupt. Die Betroffenen waren und sind zu-
meist auf das Sozialamt angewiesen.
Dieser Zustand ist untragbar, zumal Tänzerinnen und Tänzer auf die für DDR-
Verhältnisse existenzielle Sicherung nach ihrer Berufsausübung vertrauten. Hier
besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

spätestens bis 30. Juni 2008 eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die für
Ballettmitglieder aus der DDR, für die mit der Einheit Deutschlands eine Ver-

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sorgungslücke entstanden ist, die in der DDR gemachte Versorgungszusage in
einer für jetzige Verhältnisse mindestens existenzsichernden Höhe garantiert.

Berlin, den 7. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die berufsbezogene Zuwendung für Ballettmitglieder war eine spezielle Form
der Absicherung bei Berufsunfähigkeit. Darüber hinaus stellte sie einen Aus-
gleich dar, wenn die ausgeschiedenen Ballettmitglieder – mit rund 20 Jahren
Verzug gegenüber anderen – in einen zweiten Beruf oder in eine neue Tätigkeit
wechselten.

Ballettmitglieder haben nach DDR-Recht auf eine existenzielle Sicherung nach
Beendigung der Berufsausübung vertraut. Die Zuwendung betrug 50 Prozent
der arbeitsvertraglich festgelegten monatlichen Brutto-Gage, das waren rund
300 bis 450 Mark monatlich; die maximale monatliche Zuwendung betrug
800 Mark. Sie wurden von der Einrichtung gezahlt, mit der bei Ausscheiden aus
dem Tanzberuf ein Arbeitsrechtsverhältnis bestand. Nach Erreichen des Ren-
tenalters oder bei Eintritt der Invalidität übernahm die Staatliche Versicherung
der DDR die Weiterzahlung.

Diejenigen, die bei Herstellung der Einheit noch aktiv waren, konnten sich ab
1. Januar 1991 in der Versorgungsanstalt der Deutschen Bühnen versichern. Für
die bereits Ausgeschiedenen wurde aus den Formulierungen des Einigungsver-
trages abgeleitet, die berufsbezogene Versorgung zum 31. Dezember 1991 er-
satzlos einzustellen. Dieses Rechtskonstrukt ist hinterfragungswürdig.

Auch das Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass die Formulierung im Eini-
gungsvertrag „anzuwenden ist“ (z. B. bis 31. Dezember 1991) nicht bedeutet,
diesen Sachverhalt „zu löschen“ (BVG 1. Senat Az: 1 BvL 32/95 BvR 2105/95).

Als Zeitzeuge hat Lothar de Maizière im November 1998 brieflich der Interes-
sengemeinschaft ehemaliger Ballettmitglieder der DDR bestätigt, dass, wenn „in
Rechtsvorschriften, die im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen
Einheit gesetzt wurden, eine Frist zum 31. Dezember 1991 genannt wurde, …
diesseits davon ausgegangen (wurde), dass dies der Zeitraum sein sollte, inner-
halb dessen die Neuregelung gefunden und beschlossen sein sollte. Nicht ge-
meint war mit einer solchen Fristsetzung, dass die entsprechenden Leistungen zu
diesem Zeitpunkt auslaufen oder ersatzlos gestrichen sein sollten.“

Aus besagtem Schreiben geht auch hervor, dass im Rentenangleichungsgesetz
vom 28. Juni 1990 (GBl. I Nr. 38 S. 495 ff.) „in § 33 ausdrücklich die berufs-
bezogenen Zuwendungen für Ballettmitglieder sowie andere aus betrieblichen
Mitteln gezahlte Renten oder Pensionen genannt“ sind, und vom „Einigungsver-
trag ins fortgeltende Recht der BRD übernommen“ wurden, weil der Bestand
der Versorgungsansprüche gesichert werden sollte, „die die Volkskammer als
sicherungswürdig ansah“.

Um das Vertrauen nicht zu brechen, wäre ab 1. Januar 1992 also auch eine an-
dere, an bundesdeutsche Gegebenheiten angelehnte Regelung notwendig gewe-
sen, z. B. eine mit Steuermitteln unterstützte Nachversicherung bei der Münche-
ner Künstlerversicherung für die Versorgungsanstalt der Deutschen Bühnen.

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Soziale Verwerfungen sollten zumindest heute beseitigt werden, zumal es sich
um eine kleine Gruppe von Betroffenen handelt – etwa 950 erhielten zu DDR-
Zeiten eine berufsbezogene Zuwendung und bei etwa 400 dürften noch Anwart-
schaften bestehen. Eine Anwartschaft bestand, wenn Ballettmitglieder bei Aus-
scheiden mindestens 35 Jahre alt waren, den Beruf 15 Jahre ausgeübt hatten und
das Ensemble zu einer Einrichtung gehört hatte, die dem Ministerium für Kultur,
dem Ministerium für Nationale Verteidigung, dem Staatlichen Komitee für
Fernsehen der DDR sowie den Räten der Bezirke, Kreise oder Städte unterstand.

Gerichtlich wurden die Klagen zwischen der Zuständigkeit von Sozial- und
Arbeitsgerichten hin- und hergeschoben. Das Bundesverfassungsgericht lehnte
die Beschwerde als „rechtlich bedenkenfrei“ ab und verwies darauf, dass die
Zuwendung nicht auf Beitragszahlungen beruhte und so eine besondere Begüns-
tigung gewesen sei.

Der Sachverhalt muss aber als DDR-typisch und mit bundesdeutschen Verhält-
nissen nicht vergleichbar gewertet werden und stellt so eine Überführungslücke
dar, die sozial ungerecht ist, finanziell schwierige Lebenslagen im Ruhestand
hervorbringt und der Korrektur bedarf.

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