BT-Drucksache 16/7021

Gerechte Lösung für die rentenrechtliche Situation von in der DDR Geschiedenen

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7021
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Gregor Gysi, Klaus Ernst, Dr. Dietmar
Bartsch, Dr. Lothar Bisky, Roland Claus, Dr. Dagmar Enkelmann, Lutz Heilmann,
Cornelia Hirsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Jan
Korte, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Kersten Naumann, Petra Pau, Bodo
Ramelow, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Ilja Seifert,
Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Gerechte Lösung für die rentenrechtliche Situation von in der DDR Geschiedenen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Für in der DDR Geschiedene, insbesondere für Frauen, ist durch die Nichtbeach-
tung von DDR-typischen und mit bundesdeutschen Verhältnissen nicht ver-
gleichbaren Sachverhalten eine Überführungslücke im Rentenrecht entstanden,
die sozial ungerecht ist und finanziell schwierige Lebenslagen im Ruhestand
hervorbringt. Hier besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

spätestens bis 30. Juni 2008 eine gesetzliche Regelung vorzulegen,

die für in der DDR Geschiedene Lebensstandardsicherung und Vertrauensschutz
für die Alterssicherung gewährleistet.

Dazu gibt es mindestens zwei erfolgversprechende Lösungswege:

1. Für die Ehezeit wird ein fiktiver Versorgungsausgleich vorgenommen. Dazu
findet ein Abgleich der Anwartschaften statt. Die sich ergebende hälftige Dif-
ferenz wird der Geschiedenen mit den geringeren Anwartschaften zugerech-
net, ohne beim Geschiedenen mit den höheren Anwartschaften abgezogen zu
werden und aus Mitteln des Bundeshaushalts gedeckt.

2. Die nach DDR-Recht erworbenen Ruhestandsanwartschaften der Geschiede-
nen werden dynamisiert. Dazu wird – zeitlich unbegrenzt – der DDR-
Anspruch bei Eintritt in den Ruhestand ermittelt und nachholend mit den
halb- und jährlichen Anpassungsschritten von 1990 bis zum Inkraftsetzungs-
zeitpunkt dieser Regelung dynamisiert.
Ergibt sich aus der Neuberechnung ein höherer als der nach dem Sechsten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB VI) berechnete Zahlbetrag, ist dieser den weiteren
Rentenzahlungen und -anpassungen zugrunde zu legen.

Berlin, den 7. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/7021 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

In der DDR gab es bei Scheidungen keinen Versorgungsausgleich, der die wäh-
rend der Ehe erworbenen Ruhestandsanwartschaften teilte. Nur in seltenen Fäl-
len wurde vorübergehend und noch seltener unbefristet ein Unterhaltsanspruch
zugestanden. Dennoch war die soziale Absicherung Geschiedener, insbesondere
Frauen, die sich mehrere Jahre der Kindererziehung oder der Pflege Angehöri-
ger widmeten oder auch Auszeiten zur Unterstützung der beruflichen Entwick-
lung des Ehepartners nahmen, im Alter nach den Maßstäben der DDR gewähr-
leistet. Denn in der DDR wurde eine Rente vorrangig nach Versicherungsjahren
gezahlt, die man auch durch geringe freiwillige Beiträge erwerben konnte. So-
mit spielte die Höhe des beitragspflichtigen Einkommens eine untergeordnete
Rolle.

Die Erwerbsbiografien dieser Rentnerinnen und Rentner nun dem bundesdeut-
schen Rentenrecht zu unterwerfen, führt zu erheblichen Lücken, und es werden
nur überaus geringe Entgeltpunkte erreicht.

Eine Ausnahme bilden diejenigen, die nach einer lange zurückliegenden Schei-
dung langjährig in einer hoch qualifizierten und gut bezahlten Tätigkeit gearbei-
tet haben.

Sozial besonders krass ist die Situation insbesondere von Frauen, die aus der
Sowjetunion oder anderen osteuropäischen Staaten stammen und einen Mann
aus der DDR geheiratet hatten, in der DDR lebten und später geschieden wur-
den. Nach DDR-Recht waren auch diese Frauen rentenrechtlich gesichert. Nach
bundesdeutschem Recht fehlen sowohl die im Heimatland erworbenen renten-
rechtlichen Zeiten als auch die mit freiwilligen Beiträgen belegten DDR-Zeiten
für eine existenzsichernde Rente. Die eventuell noch absolvierten Arbeitsjahre
bringen durch niedriges Einkommen kaum Punkte für die Rente.

In den vergangenen Jahren wiesen Gerichte eine Vielzahl von Klagen, die einen
nachträglichen Versorgungsausgleich begehrten, mit dem Hinweis auf das
Rückwirkungsverbot ab. Das Begehren nach einer Geschiedenenwitwenrente
nach SGB VI sei ebenfalls nicht zu erfüllen, da Frauen in der Bundesrepublik
Deutschland unter den gleichen Voraussetzungen einen solchen Anspruch auch
nicht hätten.

Eine interministerielle Arbeitsgruppe gab ihre Arbeit wegen „Nichtlösbarkeit
aus grundsätzlichen rechtlichen Gründen“ auf.

Die bisherige Regelung bringt jedoch nach sozialpolitischer Bewertung eine
Vielzahl sozialer Härten hervor und ist unter rechtspolitischer Bewertung höchst
bedenklich hinsichtlich des Vertrauensschutzes.

Die vorgeschlagenen Lösungswege begründen sich wie folgt:

Gleichgestellt mit den Leidensgefährtinnen in der Bundesrepublik wären die be-
troffenen Frauen, wenn nachträglich für die gemeinsamen Ehejahre ein Versor-
gungsausgleich durchgeführt würde, und zwar fiktiv. Das heißt, die sich erge-
benden Anwartschaftsdifferenzen werden zwar der Geschiedenen zugerechnet,
nicht jedoch dem „Geber“ abgezogen. Damit können das Rückwirkungsverbot
und deren Vertrauensschutz eingehalten werden.

Vertraut haben Geschiedene auf die nach versicherten Jahren erreichbare DDR-
Rente in Höhe von 390 bis 480 Mark der DDR. Sie konnten nicht einkalkulieren
und ihr Leben danach gestalten, dass sich diese Anwartschaft entwertet. Insofern
ist eine Dynamisierung des erwarteten Zahlbetrags – ähnlich wie bei Zahlbeträ-
gen von Bestandsrenten aus Zusatzversorgungen – angezeigt.

Grobe Vergleichsberechnungen ergeben:
● Bei einer Geschiedenen mit 40 Versicherungsjahren nach DDR-Recht wür-
den sich die in letzten DDR-Zeiten erzielbaren 430 Mark auf rund 735 Euro

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7021

im Jahre 2006 erhöhen. Bei eigenen höheren Anwartschaften (beispielsweise
durch FZR-Zusatzrente) erhöht sich der Zahlbetrag entsprechend.

● Ein fiktiver Versorgungsausgleich für angenommene 20 Ehejahre mit einem
Mann, der einem Zusatzversorgungssystem angehörte, brächte – vor allem
auch durch die gegenwärtig noch wirkende teilweise Liquidierung dessen
Ansprüche durch das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz –
etwas mehr, rund 815 Euro. Anders sieht es bei Bestandsrentnern zum Zeit-
punkt der Einheit aus, weil deren DDR-Zahlbetrag geschützt ist und dynami-
siert werden muss.

● Die Berechnung nach geltendem Recht (SGB VI, Wegfall von freiwillig ver-
sicherten Jahren mit geringen Beiträgen etc.) erbrächte im angenommenen
Fall derzeit nur etwas über 400 Euro.

Einen fiktiven Versorgungsausgleich durchzuführen, wäre auch organisatorisch
machbar, denn die Daten der Geschiedenen liegen den Rentenversicherern vor;
die geschiedenen Frauen haben Belege über die gemeinsamen Ehezeiten und
eigene Anwartschaften. Spezielle Programme für die IT-Technik zu schreiben,
kann keine Hürde sein.

Den DDR-Anspruch zum Ausgangspunkt zu nehmen, ist nicht systemfremd,
war er doch Grundlage für die Vergleichsrentenberechnung bis spätestens
31. Dezember 1996. Allerdings blieben diese Zahlbeträge durch die Auffüll-
beträge ohne Dynamisierung. Durch die Abschmelzung der Auffüllbeträge
stagnierten die Zahlbeträge über viele Jahre, zum Teil bis heute.

Die anhaltende Dynamisierung geschützter Zahlbeträge hat ihr Vorbild in der
höchstrichterlich erstrittenen Dynamisierung von Bestandsrenten aus Zusatzver-
sorgungen.

Zur Lösung des Problems ist einzig der politische Wille gefragt.

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