BT-Drucksache 16/6787

UN-Wanderarbeiterkonvention endlich ratifizieren

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6787
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),
Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Ute Koczy, Monika Lazar, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg), Irmingard Schewe-Gerigk,
Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Hans-Christian Ströbele,
Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

UN-Wanderarbeiterkonvention endlich ratifizieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Modelle zur legalen, temporären, zirkulären und dauerhaften Migration sind der
wichtigste Beitrag zur Bekämpfung illegaler Migration und den damit verbun-
denen Risiken wie z. B. Ausbeutung, Menschenhandel oder Zwangsarbeit.
Gleichzeitig bedürfen Migrantinnen und Migranten einem umfassenden Schutz
der internationalen Staatengemeinschaft, da sie auf Grund ihrer spezifischen
Lage häufiger Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.

Einen wichtigen Beitrag zu einer solchen menschenrechtlichen Absicherung der
Arbeitsmigration leistet das Internationale Übereinkommen zum Schutz der
Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen (UN-Wanderarbei-
terkonvention). Diese Konvention wurde bereits 1990 von der UN-Generalver-
sammlung verabschiedet aber bislang noch nicht von Deutschland ratifiziert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die UN-Wanderarbeiterkonvention zu unterzeichnen und dem Bundestag zur
Ratifikation vorzulegen;

2. sich auch innerhalb der Europäischen Union für die Ratifikation einzusetzen,
da somit die menschenrechtliche Komponente der EU-Migrationspolitik ge-
stärkt werden kann;

3. dafür Sorge zu tragen, dass schon jetzt, auch vor der Ratifizierung der UN-
Wanderarbeiterkonvention, die folgenden Forderungen umgesetzt werden:
So sollten die Menschenrechte von Migrantinnen und Migranten in alle men-
schenrechtlichen Staatsberichtsverfahren systematisch einbezogen werden.

Insbesondere die Berichterstattung über die Lage von Menschen, die sich
illegal in Deutschland aufhalten, ist bisher nicht ausreichend;

4. eine Informationspflicht aller staatlichen Stellen einzuführen, durch die
Migrantinnen und Migranten unabhängig von ihrem rechtlichen Aufenthalts-
status über ihre Rechte informiert werden;

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5. dafür zur sorgen, dass eine zentrale Beratungs- und Dokumentationsstelle
eingerichtet wird, die Menschenrechtsverletzungen an Migrantinnen und
Migranten dokumentiert. Diese zentrale Stelle könnte bei den Wohlfahrtsver-
bänden oder Sozialpartnern angesiedelt werden;

6. sich dafür einzusetzen, dass öffentliche Stellen, die eine sozialrechtliche Auf-
gabe übernehmen, von der Wahrung ordnungsrechtlicher Aufgaben befreit
werden. Dies betrifft insbesondere Krankenhäuser, Schulen und Kindertages-
stätten. Um Migrantinnen und Migranten einen selbstverständlichen Zugang
zu diesen Einrichtungen zu ermöglichen, dürfen diese nicht zu einer Daten-
übermittlung an Ausländerbehörden verpflichtet sein;

7. auch unabhängig von der Ratifikation der UN-Wanderarbeiterkonvention
ihren Verpflichtungen aus menschenrechtlichen Verträgen nachzukommen
und die sozialen Rechte am Arbeitsplatz aller in Deutschland lebenden Men-
schen, auch illegaler Migrantinnen und Migranten, zu schützen;

8. sicherzustellen, dass – sowie es das internationale Recht vorsieht – alle Kin-
der, unabhängig ob sie legal oder illegal in Deutschland leben, einen Zugang
zu Grundschulen und weiterführenden Schulen haben und darauf hinzuwir-
ken, dass in allen Bundesländern gesetzlich klargestellt wird, dass keine Mel-
depflicht der Schulen an die Ausländerbehörden besteht.

Berlin, den 24. Oktober 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Innerhalb der Europäischen Union steht das Thema Migration oben auf der
politischen Agenda. Konkret kreist die Debatte um die Frage, wie sich die
Migration nach Europa besser steuern lässt. Daher werden derzeit intensive
Debatten über Möglichkeiten der legalen Arbeitsmigration nach Europa geführt.

Ende 2006 hat sich der Europäische Rat darauf geeinigt, vorerst lediglich
temporäre, somit zeitlich begrenzte Formen der legalen Arbeitsmigration nach
Europa zu ermöglichen, und er hat die Europäische Kommission aufgefordert,
bis Juni 2007 Vorschläge dazu auszuarbeiten. Gleichzeitig betonte der Rat je-
doch, dass ausschließlich die nationalen Regierungen über den Zugang von
Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu ihren Arbeitsmärkten bestimmten sollen.

Diese zeitlich begrenzten Formen der Arbeitsmigration sollen der Tatsache
Rechnung tragen, dass sich die Arbeitsmärkte der EU-Mitgliedstaaten in einem
Wandlungsprozess befinden, der die Zuwanderung zusätzlicher Arbeitskräfte
dringend erforderlich macht. Zugleich wird von der temporären Migration ange-
nommen, dass sie zur Entwicklung in den Herkunftsstaaten der Migranten bei-
steuert.

Allgemein gilt jedoch, dass sich die Zielländer im Prozess der Öffnung für neue
Formen der legalen Arbeitsmigration den menschenrechtlichen Anforderungen
bewusst sein müssen. Somit wird auch von Deutschland erwartet, sich für eine
Einhaltung der menschenrechtlichen Anforderungen von Arbeitsmigration zu
engagieren, so wie es die UN-Wanderarbeiterkonvention vorsieht.

Die Bundesregierung begründet ihre ablehnende Haltung gegenüber der Ratifi-
zierung dieser Konvention folgendermaßen: Die Wanderarbeiterkonvention

führe zu einer Gleichstellung von irregulären und regulären Migrantinnen und

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Migranten und schaffe somit Anreize für die irreguläre Migration; den Staaten
würden ihre Möglichkeiten genommen, den Zugang und den Aufenthalt von
Wanderarbeitern in ihrem Staatsgebiet wirksam zu gestalten; der Personenkreis
der zu schützenden Personen sei zu weit; die Konvention enthalte technische
Details ohne diese zu konkretisieren; die Konvention enthalte zudem Regelun-
gen, die mit dem deutschen Recht nicht übereinstimmen. Schließlich argumen-
tiert die Bundesregierung auch, dass sie isoliert von den anderen europäischen
Staaten handeln würde, wenn Deutschland die Konvention als einziger EU-Mit-
gliedstaat ratifiziert. Dies würde einem Harmonisierungsprozess auf europäi-
scher Ebene konträr gegenüberstehen.

Diese Vorbehalte halten einer genaueren Prüfung nicht stand. Die Wanderarbei-
terkonvention geht nicht über den durch andere menschenrechtliche Verträge
garantierten Schutz für Migrantinnen und Migranten hinaus. Zudem schafft sie
keine Anreize zur irregulären Migration, sie erkennt lediglich an, dass auch
Irreguläre unveräußerliche Menschrechte haben, die ein Staat achten muss. Es
lässt sich aus der Konvention auch nicht ableiten, dass der Kreis der zu schüt-
zenden Personen zu weit ist, da diese Personen im Rahmen des Migrationspro-
zesses eines besonderen Schutzes bedürfen. Gleichzeitig betont die Konvention
das Recht der einzelnen Staaten, den Zugang zu ihrem Staatsgebiet und zu ihrem
Arbeitsmarkt frei zu regeln. Die Tatsache, dass die Konvention neben men-
schenrechtlichen Grundsätzen auch technische Details enthält, entspricht dem,
was auch in anderen internationalen Menschrechtsverträgen üblich ist. Zudem
steht die Ratifizierung der Wanderarbeiterkonvention auch nicht den europäi-
schen Harmonisierungsbestrebungen der Migrationpolitik entgegen.

Die UN-Wanderarbeiterkonvention hat vielmehr eine klarstellende Funktion, in-
dem sie aufzeigt, welche speziellen Gewährleistungen sich aus den allgemeinen
Menschenrechten für Migrantinnen und Migranten ergeben.

Der Schutz der Konvention bezieht sich auf Wanderarbeitnehmerinnen und
Wanderarbeitnehmer sowie ihre Familien, d. h. all diejenigen Migrantinnen und
Migranten, die in einem Land wohnen, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht be-
sitzen und in dem sie arbeiten wollen, bereits arbeiten oder gearbeitet haben. Zu-
dem erstreckt sich der Schutz durch die Konvention auf den gesamten Prozess
der Migration und adressiert somit Staaten in ihrer Funktion als Herkunfts-,
Transit-, oder Zielland. Die Konvention erkennt an, dass bestimmte fundamen-
tale Rechte auch für diejenigen, die sich illegal in einem Land aufhalten oder
arbeiten, gewahrt werden müssen. Bei der Bestimmung des Schutzumfanges
unterscheidet die Konvention zwischen regulären und irregulären Migrantinnen
und Migranten.

Konkret schreibt die Konvention eine umfassende Informationspflicht der Ver-
tragsstaaten gegenüber allen Migrantinnen und Migranten hinsichtlich ihrer
Rechte und die Vorraussetzungen der Einreise und des Aufenthaltes vor. Damit
erkennt sie an, dass gerade Migrantinnen und Migranten in einem fremden Land
mit fremder Sprache häufig über ihre Rechte nicht ausreichend informiert sind.
Die Auskünfte sollen in den Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten kostenlos und
in einer für die Migrantin oder den Migranten verständlichen Sprache zur Ver-
fügung gestellt werden. Zudem sieht die Konvention ein Staatenberichtsverfah-
ren vor. Die Vertragsstaaten sind somit aufgefordert, einem spezialisierten Ver-
tragsorgan über die Verwirklichung der Rechte von Migrantinnen und Migran-
ten zu berichten.

Es gilt jedoch grundsätzlich zu bedenken: Unabhängig von den Vorteilen, die die
temporäre Migration bringen kann, wenn die menschenrechtlichen Anforderun-
gen erfüllt werden, gilt es jedoch, diese zeitlich begrenzten Migrationskanäle
mit Möglichkeiten der permanenten Migration zu ergänzen. Geschieht dies

nicht, werden Menschen mit der Absicht dauerhafter Einwanderung über die
Wege zeitlich begrenzter Migration einwandern. Dies allerdings wäre ein Zu-

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rück in die gescheiterte deutsche „Gastarbeiterlogik“ der sechziger Jahre. Ein
fortschrittlicher migrationspolitischer Ansatz muss daher auch auf diejenigen
eingehen, die eine dauerhafte Immigration anstreben.

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