BT-Drucksache 16/5981

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/5200, 16/5926- Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5981
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christine Scheel, Cornelia Behm, Grietje
Bettin, Alexander Bonde, Ekin Deligöz, Dr. Thea Dückert, Kai Gehring, Priska Hinz
(Herborn), Markus Kurth, Monika Lazar, Anna Lührmann, Jerzy Montag, Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick, Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn,
Josef Philip Winkler, Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/5200, 16/5926 –

Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt die herausragende Bedeutung des bürger-
schaftlichen Engagements für Deutschland fest. Mehr als 23 Millionen Men-
schen über 14 Jahre engagieren sich freiwillig, bürgerschaftlich und ehrenamt-
lich sowie unentgeltlich in Vereinen, Verbänden, Kirchen und Initiativen. Die
Spanne der ausgeübten Tätigkeiten reicht hierbei von Sport- und Kulturvereinen
über freiwillige Feuerwehren, den Katastrophenschutz, Nichtregierungsorgani-
sationen, direktdemokratische Bürgerbeteiligung, den Umwelt- und Natur-
schutz, die Entwicklungshilfe, den Tierschutz, das Engagement für Kinder,
Jugendliche, alte Menschen und Menschen mit Behinderungen, die Hospiz-
bewegungen, Nachbarschaftshilfen und Selbsthilfegruppen bis hin zu Gemein-
wohlorientierte Aktivitäten von Unternehmen und gemeinnützigen Stiftungen.
Diese aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am öffentlichen Leben ist
ein wesentliches Merkmal einer lebendigen Demokratie. Es sind engagierte
Menschen, die mit ihrem freiwilligen Engagement Tag für Tag die Bindekraft
unserer Gesellschaft prägen. Wir können uns freuen, dass diese Bereitschaft zum
Engagement weiter wächst. Der aktuelle Freiwilligensurvey (2004) belegt eine
deutliche Steigerung sowohl des Engagements von Menschen als auch des
Engagementpotenzials. Gerade innerhalb der Gruppen der Jugendlichen, der
älteren Menschen, der Menschen, die arbeitslos sind, und der Migrantinnen und

Migranten ist ein Anstieg der Engagementbereitschaft zu erkennen. Immer mehr
Menschen sind bereit sich für andere zu engagieren. Der Grund hierfür liegt in
erster Linie in dem Wunsch begründet, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen und teilzuhaben am gesellschaftlichen und
kulturellen Leben. Auch wird bürgerschaftliches Engagement zunehmend als
Chance erkannt, etwas für oder über sich zu lernen, sich weiterzubilden und
eigene Kompetenzen weiter zu entwickeln.

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Diese, im Vergleich zur Realität nur wenigen Beispiele machen den besonderen
Charakter des bürgerschaftlichen Engagements als integralen Bestandteil einer
lebendigen Zivilgesellschaft deutlich. Sie zeigen auf, dass die Menschen, die
mehr und mehr nach Wegen zur gesellschaftlichen Teilhabe suchen, das Enga-
gement als konkrete Möglichkeit erkennen, sich zu beteiligen.

Bürgerschaftliches Engagement ist ein emanzipatorischer Ansatz, der profes-
sionelle Infrastruktur nicht ersetzt. Aufgabe des Staates ist, das bestehende
Engagement der Bürgerinnen und Bürger in seiner Bedeutung für die Gesell-
schaft anzuerkennen, es zu stärken und zu fördern. Es muss darum gehen, die
wachsende Bereitschaft der Menschen sich einzubringen auch anzunehmen und
gemeinsam mit ihnen konzeptionelle Ideen für neue Beteiligungsmöglichkeiten
und öffentliche Teilhabe für jung und alt zu entwickeln.

In diesem Zusammenhang begrüßt der Deutsche Bundestag im Grundsatz die
vorgeschlagenen Verbesserungen des Spenden- und Gemeinnützigkeitsrechts
im Entwurf der Bundesregierung, stellt jedoch fest, dass zur weiteren Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements eine lediglich steuerliche Ausrichtung der
Fördermaßnahmen, wie im Regierungsentwurf für ein „Gesetz zur weiteren
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements“ dargelegt, nur ein Beitrag sein
kann und bei weitem nicht ausreicht, um bürgerschaftliches Engagement in
unserer Gesellschaft nachhaltig zu fördern.

Die im Dezember 1999 eingesetzte Enquete-Kommission „Zukunft des bürger-
schaftlichen Engagements“ stellte in ihrem Abschlussbericht (Bundestagsdruck-
sache 14/8900) fest, dass die Engagementförderung Querschnittsaufgabe ist, in
der die Reform des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts ein Bestandteil unter
vielen ist. Im Sinne einer aktiven Zivilgesellschaft muss es darum gehen, ein
neues Verhältnis zwischen Staat, Markt und Gesellschaft zu schaffen, in dem
bürgerschaftliches Engagement eine zentrale Rolle spielt.

II. Hierzu fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,

● eine Strategie zur Verbesserung und Intensivierung des bürgerschaftlichen
Engagements zu entwickeln und eine Umsetzung für alle Fachressorts zu er-
arbeiten;

● das Engagement der Freiwilligen im Sinne einer tatsächlichen Anerken-
nungskultur zu würdigen und wertzuschätzen. Hierzu gehört ein breiter
Fächer von Instrumenten und Maßnahmen, zum Beispiel zur Qualifizierung
der Engagierten, Angebote zur Fort- und Weiterbildung oder die Bereitstel-
lung von sachlichen, personellen oder finanziellen Ressourcen. Vor allem
aber müssen die Leistungen der Engagierten stärker in das Licht der Öffent-
lichkeit gerückt werden;

● die ressort- und ebenenübergreifende Vernetzung von staatlichen und zivilge-
sellschaftlichen Institutionen zu forcieren und die nötige Infrastruktur zu un-
terstützen. Dies gilt im Besonderen für engagementfördernde Einrichtungen
wie Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros, Freiwilligenagenturen und
ähnliche Einrichtungen;

● das Corporate Citizenship zu stärken und Unternehmen zu motivieren, das
bürgerschaftliche Engagement aktiv zu fördern. Durch eigenes Engagement,
wie Partnerschaftsprojekte zwischen Unternehmen und gemeinnützigen Or-
ganisationen oder regionalen Netzwerken zur Verbesserung der Bildungs-
situation, schaffen Unternehmen nicht nur einen Mehrwert innerhalb der Ge-
sellschaft, sondern profitieren auch innerhalb ihres unternehmerischen Han-
delns durch aktive und sozial engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Zielsetzung ist die Entwicklung einer Unternehmenskultur, in der die Orien-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5981

tierung auf Gewinnerzielung mit der Orientierung am Gemeinwohl und der
Übernahme sozialer Verantwortung verbunden wird;

● die staatlichen Institutionen stetig in Richtung auf eine stärkere Bürgerorien-
tierung weiterzuentwickeln. Dies gilt sowohl für die öffentlichen Verwaltun-
gen, die entbürokratisiert und im stärkeren Maße auf die Bedürfnisse der Bür-
gerinnen und Bürger ausgerichtet werden müssen, als auch für Schulen und
Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in denen Engagement und gesell-
schaftliche und politische Partizipation praktisch ermöglicht und gleichzeitig
zu einem wichtigen Bildungsziel werden müssen;

● sich für eine umfangreiche Stärkung der Stiftungskultur einzusetzen. Dies
betrifft eine weitere Verbesserung der steuerlichen Regelungen, etwa bei Stif-
tungsspenden oder Stiftungsausstattungen. Ebenso sollen bei der Reform des
Erbschaftsrechts Verbesserungen zur Stärkung der Stiftungskultur berück-
sichtigt werden. Stiften ist längst nicht mehr das Privileg von besonders Ver-
mögenden. Gerade um die aktive Stiftungslandschaft weiter zu fördern, brau-
chen wir im Interesse von Spenderinnen und Spendern ein hohes Maß an
Transparenz über die Stiftungsstruktur und öffentlich zugängliche Informa-
tionen über Mittelvergabe und Anlage des Stiftungskapitals;

● sich dafür einzusetzen, dass die Beteiligungsmöglichkeiten von Bürgerinnen
und Bürgern erweitert werden. Durch die Einführung von Volksinitiativen,
Volksbegehren und Entscheiden auf Bundesebene – bei Gewährung der
Grundrechte und des Minderheitenschutzes – können wir die direkte Demo-
kratie ausbauen. Eine beteiligungsorientierte Kultur des Planens und Ent-
scheidens, die mehr Partizipationsmöglichkeiten und Mitbestimmungsmög-
lichkeiten schafft, wie zum Beispiel in dem Bund-Länder-Programm „Soziale
Stadt“ verwirklicht, gilt es auszubauen;

● den gleichberechtigten Zugang von Frauen und Männern zum bürgerschaft-
lichen Engagement zu fördern. Denn Benachteiligungen und Machtunter-
schiede zwischen den Geschlechtern sind auch im Engagement noch nicht in
allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens abgebaut;

● auf die überdurchschnittliche Engagementbereitschaft Jugendlicher in Ko-
operation mit den Kinder- und Jugendverbänden mit gezielten Maßnahmen,
Initiativen und Programmen zu reagieren, ihre Engagementpotenziale zu we-
cken und zu heben sowie ihnen jugendgerechte und passgenaue Angebote auf
allen politischen Ebenen zu unterbreiten, um ihre Bereitschaft zur Partizipa-
tion und ihr gelebtes Engagement von Anfang an zu erhalten und früh zu för-
dern;

● vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft das umfangreiche
Erfahrungswissen älterer Menschen anzuerkennen und ihr Potenzial für den
Bereich des bürgerschaftlichen Engagements durch spezifische Angebote zu
fördern und weiter auszubauen;

● angesichts der zunehmenden, aber immer noch unterdurchschnittlichen
ehrenamtlichen Engagements von arbeitslosen Menschen sollten Barrieren,
die ehrenamtliche Tätigkeiten von arbeitslosen Menschen behindern, abge-
baut werden. Materielle Gründe sollten kein Ausschlussgrund für ehrenamt-
liche Tätigkeiten sein. Da die im Regelsatz des Arbeitslosengeldes II fest-
gelegten Bedarfe nicht zusätzliche Aufwendungen für ehrenamtliche Tätig-
keiten enthalten, muss arbeitslosen Menschen der Zugang zu ehrenamtlicher
Tätigkeit durch eine Ausweitung der Freibeträge für Aufwandsentschädigun-
gen eröffnet werden;

● verlässliche Grundlagen und breite empirische Erkenntnisse darüber zu
schaffen, wie viele Migrantinnen und Migranten sich in Vereinen und Orga-

nisationen engagieren, damit eine differenzierte Betrachtung über Partizipa-

Drucksache 16/5981 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
tion und Engagement von Migrantinnen und Migranten stattfinden kann und
somit bürgerschaftliches Engagement von und mit Migrantinnen und Mig-
ranten gezielt unterstützt werden kann.

Berlin, den 4. Juli 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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