BT-Drucksache 16/5971

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/1828, 16/5939- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5971
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz
(Herborn), Monika Lazar, Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von
Neuforn, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/1828, 16/5939 –

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts
in der Informationsgesellschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der von der Bundesregierung vorgelegte und vom Deutschen Bundestag in Tei-
len korrigierte Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts
in der Informationsgesellschaft ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Rich-
tung, er weist jedoch auch einige Mängel auf.

Im September 2003 sind in einer ersten Urheberrechtsnovelle die zwingenden
Vorgaben der Richtlinie 2001/29/EG zur Regelung des Urheberrechts in der
Informationsgesellschaft im „Ersten Korb“ umgesetzt worden. In einem „Zwei-
ten Korb“ sollen nun die offengebliebenen, nicht zwingend umzusetzenden
Fragen geregelt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
enthält u. a. Regelungen zur Pauschalvergütung auf Geräte und Speichermedien,
zum Umgang mit unbekannten Nutzungsarten und zu neuen Schranken für
Bildung und Wissenschaft.

Mit dem Entwurf wird das urheberrechtliche Vergütungssystem zugunsten der
Urheber neu geregelt. Die Höhe der Pauschalvergütung hat sich bisher nach
einer Anlage zu § 54d des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) aus dem Jahr 1985 ge-
richtet. In dieser sind bestimmte vergütungspflichtige Geräte gelistet, für die
eine festgesetzte pauschale Urhebervergütung zu zahlen ist. In Abkehr von der

gesetzlich festgelegten Anlage, die durch das Erscheinen neuer zum Kopieren
geeigneter Geräte unvollständig geworden war, wählt der Gesetzentwurf ein
flexibleres Verfahren: Künftig sollen sich die Beteiligten selbst – Verwertungs-
gesellschaft und Gerätehersteller – auf die Vergütungspflichtigkeit der Geräte
und die jeweilige Vergütungshöhe einigen.

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Es ist zu begrüßen, dass künftig alle Geräte, die zum Kopieren benutzt werden,
vergütungspflichtig werden. Positiv ist ebenfalls, dass die Vergütungshöhe in ei-
nem angemessenen Verhältnis zum Preisniveau des Geräts stehen soll und nicht
länger auf höchstens 5 Prozent vom Verkaufspreis begrenzt ist. Auch das Ver-
fahren des Aushandelns von Gesamtverträgen für die Pauschalvergütung in den
§§ 13 ff. des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes (UrhWG) stellt eine begrü-
ßenswerte Neuerung dar.

Erstmals sollen gemäß § 31a UrhG des Gesetzentwurfs Verträge über unbe-
kannte Nutzungsarten zugelassen werden. Dies ist im Interesse der Urheber und
Rechteverwerter an einer umfassenden Nutzung des urheberrechtlich geschütz-
ten Werks und im Interesse der Allgemeinheit, das Werk auch in neuen Medien
nutzen zu können. Die Vorschrift hat durch das nun vorgeschlagene dreimona-
tige Widerrufsrecht des Urhebers eine wesentliche Verbesserung erfahren und
zu einem gelungenen Interessenausgleich geführt: Der Rechteverwerter muss
den Urheber stets darüber informieren, wenn er beabsichtigt, das Werk in der
neuen Art zu nutzen. Der Urheber hat dafür Sorge zu tragen, dass er erreichbar
ist.

Zugunsten von Bildung und Wissenschaft führt der Gesetzentwurf neue urhe-
berrechtliche Schranken ein. Dazu zählt die Regelung in § 52b des Gesetzent-
wurfs zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen. Die von der
Bundesregierung vorgesehene Regelung bleibt jedoch hinter den Möglichkeiten
der Richtlinie 2001/29 EG vom 21. Mai 2001 zurück. Zwar ist es künftig zuläs-
sig, veröffentlichte Werke in öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Museen und
Archiven an elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien
zugänglich zu machen. Um den Praxisanforderungen von Bildung und Wissen-
schaft besser gerecht zu werden, sollten jedoch alle öffentlich zugänglichen Bil-
dungseinrichtungen zur Einrichtung entsprechender elektronischer Leseplätze
berechtigt sein, wie es auch in Artikel 5 Abs. 2n der EU-Richtlinie vorgesehen
ist. Um eine unangemessene Benachteiligung der Schulbuchverlage zu ver-
meiden, sollen diese durch eine Schutzklausel von der Schranke ausgenommen
werden.

Die im Gesetzentwurf vorgesehene Beschränkung dahingehend, dass nur an so
vielen elektronischen Leseplätzen das Werk zugänglich gemacht werden darf,
die der Anzahl der Werke im Bestand der Einrichtung entsprechen, widerspricht
den Praxisanforderungen von Bildung und Wissenschaft. Zwar soll es bei Belas-
tungsspitzen möglich sein, jedes Exemplar an bis zu vier Leseplätzen gleichzei-
tig zur Verfügung zu stellen. Doch reicht dies nicht aus – allein weil nicht klar
ist, wie ein solcher Ausnahmefall mit Belastungsspitze definiert ist.

Unbefriedigend ist zudem die fehlende Entfristung der seit dem „Ersten Korb“
bestehenden Schrankenregelung in § 52a UrhG. Danach ist es zulässig, für Un-
terricht und Forschung kleine Teile eines Werks und einzelne Beiträge aus Zei-
tungen für den Gebrauch in Schule und Wissenschaft zugänglich zu machen. Die
Bundesregierung ist in der Pflicht, die Evaluation der Auswirkungen dieser
neuen Schrankenregelungen unverzüglich vorzulegen.

Öffentliche Bibliotheken erhalten mit § 53a des Gesetzentwurfs erstmal das
Recht, einzelne in Zeitungen und Zeitschriften erschienene Beiträge sowie
kleine Teile eines erschienenen Werks zu vervielfältigen und zu übermitteln
(Kopienversand auf Bestellung). Damit wird der bereits nach der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs zulässige analoge Kopienversand gesetzlich ver-
ankert.

Die Regelung zum elektronischen Kopienversand geht im Entwurf jedoch nicht
weit genug. Die Vervielfältigung und Übermittlung in elektronischer Form ist
nur als graphische Datei und nur dann zulässig, wenn der Verlag kein eigenes

elektronisches Angebot bereithält. Der Verlag hat zwar dafür zu sorgen, dass

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sein Online-Angebot offensichtlich ist, so dass die Bibliotheken keinen erheb-
lichen Rechercheaufwand betreiben müssen. Ferner soll nun gesetzlich festge-
legt werden, dass der elektronische Kopienversand der Bibliotheken nur dann
nicht erfolgen darf, wenn das Angebot des Verlags zu angemessenen Bedingun-
gen erfolgt.

Es ist jedoch unklar, wann Bibliothek und Nutzer davon ausgehen dürfen, dass
das Online-Angebot zu angemessenen Konditionen erfolgt. Diese Rechts-
unsicherheit kann nur durch das Streichen des Verlagsprivilegs beendet werden.
Andernfalls wären bewährte, kostengünstig arbeitende und zentral zugängliche
Dokumentenlieferdienste der Bibliotheken (wie SUBITO) bedroht, die nicht nur
von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, sondern gerade auch von Stu-
dierenden in großem Umfang genutzt werden. Die Begrenzung darauf, dass
Kopien ausschließlich als graphische Datei (E-Mail) und damit z. B. ohne wei-
tere Suchfunktionen verschickt werden dürfen, führt zu einem vernünftigen In-
teressenausgleich zwischen Wissenschaftsverlagen und Bibliotheken. Dafür
spricht auch, dass der wirtschaftliche Nachteil durch den Kopienversanddienst
der Bibliotheken für die Verlage derart gering ist, dass das im Gesetzentwurf
vorgesehene Verlagsprivileg nicht gerechtfertigt ist.

Die neuen Regelungen im Bereich Wissenschaft und Bildung gehen deshalb ins-
gesamt nicht weit genug. Es ist daher zu befürchten, dass die Kooperation von
Wissenschaftlern insbesondere über moderne Medien sowie die Bereitstellung
und Nutzung digitaler Informationsmaterialien für Bildung und Wissenschaft
behindert wird. Darunter leidet die Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts-
standortes Deutschland.

Keine Fortschritte bringt der Gesetzentwurf für Verbraucherinnen und Verbrau-
cher im Bereich der Privatkopie. Bereits nach geltendem Recht ist es zulässig,
zu privaten Zwecken Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken anzufer-
tigen. Dies gilt grundsätzlich auch für digitale Datenträger. Allerdings dürfen
Rechteinhaber ihre Werke mit technischen Schutzmaßnahmen versehen, die ein
Kopieren verhindern. Für die Ungleichbehandlung von analoger und digitaler
Privatkopie besteht aber kein sachlicher Grund. Verwendet der Rechteinhaber
Kopierschutz auf CDs oder DVDs ist es Nutzerinnen und Nutzern nicht möglich
eine Sicherheitskopie ihrer rechtmäßig erworbenen digitalen Werke anzuferti-
gen. Eine Umgehung des Kopierschutzes ist nach § 108b UrhG sogar strafbar.

Zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse der Informationsgesell-
schaft zählt notwendigerweise eine durchsetzungsstarke digitale Privatkopie.
Deshalb ist sie mit der analogen Privatkopie gleichzustellen.

Auch im Bereich der strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzun-
gen unterhalb der Bagatellgrenze stellt der Gesetzentwurf keine Verbesserung
für die Nutzerinnen und Nutzer dar. Die noch im Referentenentwurf enthaltene
sog. Bagatellklausel muss wieder aufgenommen werden. Danach wird von einer
Bestrafung im Fall unerlaubter Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke ab-
gesehen, wenn nur eine geringe Zahl von Werken und ausschließlich zum eigenen
privaten Gebrauch oder mit dem Täter persönlich verbundenen Personen ver-
vielfältigt wird. Dies entspricht auch der Straflosigkeit der Umgehung von
Kopierschutz zur Anfertigung von legalen Sicherheitskopien für den privaten
Gebrauch, wo es bereits eine Bagatellklausel gibt (§ 108b UrhG). Wer in gerin-
gem Umfang für private Zwecke und ohne gewerblichen Nutzen Musik oder
Filme aus Tauschbörsen bezieht, muss straffrei bleiben. Die Klausel entspricht
der Praxis der Staatsanwaltschaften, im privaten Bereich nicht jede einzelne un-
zulässige Kopie zu verfolgen, würde aber umfangreiche Ermittlungen ersparen,
die völlig unnötig Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden bindet.

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Durch die Einführung der Bagatellklausel entsteht auch kein rechtsfreier Raum,
denn zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz sind jetzt
schon möglich.

Zu bemängeln ist schließlich die Tatsache, dass der Gesetzentwurf in den §§ 88,
89 kein Widerrufsrecht bei Verträgen über unbekannte Nutzungsarten für Film-
schaffende vorsieht. Damit werden Filmschaffende anders als andere Urheber
behandelt. Begründet wird dies damit, dass im Filmbereich typischerweise eine
Vielzahl von Urhebern beteiligt sei, so dass jeder einzelne durch sein Veto die
Verwertung in neuen Nutzungsarten verhindern könne. Dies sei nicht gewollt.
Andere urheberrechtlich geschützte Werke kennen jedoch u. U. auch eine Viel-
zahl von Urhebern. Deshalb sieht der Gesetzentwurf in § 31a Abs. 3 UrhG vor,
dass das Widerrufsrecht in einem solchen Fall nicht wider Treu und Glauben
ausgeübt werden darf. Zumindest diese eingeschränkte Widerrufsmöglichkeit
muss den Filmschaffenden eingeräumt werden. Andernfalls kann es zu einem
gefährlichen Ungleichgewicht zwischen Verwertern und Kreativen kommen.

Positiv zu bewerten ist, dass dem Urheberrecht zugunsten der Wissenschaft und
Forschung neue Schranken gesetzt worden sind. In Bereichen der Neuordnung
der Pauschalvergütung und der Vereinbarung über unbekannte Nutzungsarten ist
ein fairer Interessenausgleich gelungen. Mit den Unzulänglichkeiten in den Be-
reichen elektronische Leseplätze, Kopienversand, Privatkopie, Bagatellgrenze
und Widerrufsrecht von Filmschaffenden bei unbekannten Nutzungsarten bleibt
der zweite Korb insgesamt jedoch hinter den Erwartungen und Bedarfen einer
modernen Informations- und Wissensgesellschaft zurück.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zeitnah einen Entwurf für einen „Dritten Korb“ zur Regelung des Urheber-
rechts in der Informationsgesellschaft vorzulegen und in diesem Rahmen

● allen öffentlich zugänglichen Bildungseinrichtungen die Einrichtung von
elektronischen Leseplätzen zu ermöglichen und die Anzahl der gleichzei-
tig zugänglichen Leseplätze den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer
flexibel anzupassen;

● die Überprüfung des § 52a UrhG (öffentliche Zugänglichmachung für Un-
terricht und Forschung) zügig abzuschließen und die bestehende Befris-
tung gemäß § 137k UrhG ggf. zu streichen;

● das Verlagsprivileg beim elektronischen Kopienversanddienst zu strei-
chen;

● die digitale Privatkopie durchsetzungsstark zu gestalten und mit der ana-
logen Privatkopie gleichzustellen;

● die Verletzung von Urheberrechten unterhalb der Bagatellgrenze nicht
strafrechtlich zu verfolgen;

● auch die Urheber des Filmwerks den anderen Urhebern gleichzustellen
und zumindest ein Widerrufsrecht wider Treu und Glauben zuzugestehen.
Wenn sich das Widerrufsrecht im Filmbereich wegen der Vielzahl der Ur-
heber wider Erwarten als problematisch herausstellt, muss korrigierend
eingegriffen werden;

2. im Rahmen eines „Dritten Korbs“ zur Regelung des Urheberrechts in der In-
formationsgesellschaft

● ein Zweitveröffentlichungsrecht („Open Access“) für Urheber von wis-
senschaftlichen Beiträgen, die überwiegend im Rahmen einer mit öffent-
lichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind

(§ 38 UrhG), einzuführen;

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● die bestehende Regelung der Kabelweitersendung (§ 20b Abs. 2 UrhG)
technologieneutral auszugestalten;

● eine Regelung des Handels mit gebrauchter Software im Urheberrechtsge-
setz zu prüfen;

● auf die Prüfung eines Verbotes intelligenter Aufnahmesoftware ebenso zu
verzichten wie auf eine weitere Begrenzung der Privatkopie auf Kopien
nur vom Original oder des Verbots der Herstellung einer Kopie durch
Dritte.

Berlin, den 4. Juli 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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