Bundessozialgericht, Urteil vom 23.03.2021, Az. B 8 SO 14/19 R

8. Senat | REWIS RS 2021, 7605

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Bedarfe für Unterkunft und Heizung - Zusammenleben mit den Eltern in einer in deren Eigentum stehenden Wohnung - Fehlen einer vertraglichen Verpflichtung zur Tragung von Unterkunftskosten - Berechnung der als Bedarf anzuerkennenden Unterkunftskosten nach der Differenzmethode


Leitsatz

Ein Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der in einem Mehrpersonenhaushalt mit Familienangehörigen lebt, ohne dass tatsächlich Aufwendungen entstehen, hat Anspruch auf pauschalierte fiktive Unterkunftskosten.

Tenor

Die Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziff. 1 des Tenors des Urteils des [X.] vom 29. Juli 2019 wie folgt gefasst wird:

"1. Die Beklagte wird in Abänderung des Bescheids vom 29. August 2017, in der Fassung der Bescheide vom 17. November 2017, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2017 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis 30. September 2017 weitere Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 109,93 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

Die Beklagte hat dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem [X.] - ([X.]) im Zeitraum vom [X.] bis 30.9.2017.

2

Bei dem Kläger besteht eine autistische Persönlichkeitsstörung; neben einem Grad der Behinderung von 100 ist das [X.] festgestellt. Er bewohnt im (abbezahlten) Haus seiner Eltern einen 30 qm großen Wohnbereich im Dachgeschoss mit Schlaf- und Wohnraum und einem weiteren, überwiegend als Abstellfläche genutzten Zimmer mit ([X.] einer alten Küche. Der Kläger nutzt dort noch einen Kühlschrank, nimmt die Mahlzeiten aber gemeinsam mit seinen Eltern ein. Ein förmlicher Mietvertrag zwischen dem Kläger und seinen Eltern wurde nicht abgeschlossen.

3

Die Beklagte bewilligte ihm zunächst Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] bis 30.9.2017 in Höhe von zuletzt monatlich 390,03 [X.] (Bescheid vom [X.]). Für die [X.] bis 30.9.2017 bewilligte sie im Hinblick auf den mit Wirkung vom [X.] eingefügten § 42a [X.] monatlich 418,84 [X.] und berücksichtigte dabei erstmals Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 19,40 [X.] (Änderungsbescheid vom 29.8.2017; zwei Bescheide vom 17.11.2017 wegen Berücksichtigung von Einkommenszufluss, darin jeweils enthalten Heizkosten in Höhe von 7,40 [X.] und Nebenkosten in Höhe von 12 [X.]; Widerspruchsbescheid vom 11.12.2017). Das Sozialgericht ([X.]) [X.] hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger im streitigen Zeitraum weitere Unterkunftskosten in Höhe von 109,93 [X.] monatlich zu gewähren und die darüber hinausgehende Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es [X.] ausgeführt, mit der gesetzlichen Neuregelung zum [X.] und der pauschalierten Gewährung eines typisierten [X.] sei abweichend von § 35 [X.] ein Loslösen von dem Erfordernis des Nachweises tatsächlicher Aufwendungen beabsichtigt. Zu Unrecht habe die Beklagte unter Hinweis auf das abbezahlte Hauseigentum der Eltern die Gewährung von Unterkunftsleistungen mit der Begründung abgelehnt, dass tatsächliche Aufwendungen nicht anfielen.

4

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Sprungrevision und macht eine Verletzung von § 42a Abs 3 Satz 2 und 3 [X.] in der ab [X.] geltenden Fassung geltend. Maßgeblich für die Berechnung der Unterkunftskosten müssten nach dem [X.] tatsächlich anfallende Aufwendungen sein. Der Kläger [X.] zwar dem Grunde nach dem in § 42a Abs 3 [X.] genannten Personenkreis. Da er keine mietvertraglichen Verpflichtungen habe und das [X.] abbezahlt sei, fielen aber keine mit dem [X.] vergleichbaren Kosten (Schuldzinsen), sondern nur kalte Betriebskosten sowie Heizkosten an. Die fehlerhafte Berechnung von Unterkunftsbedarfen durch das [X.] schlage auf die Heizkosten durch.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 29. Juli 2019 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision ist unbegründet und daher mit der aus dem Tenor erkennbaren Maßgabe zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Zu Recht hat das [X.] der [X.]lage teilweise stattgegeben. Zwar hat die Beklagte im Ausgang zutreffend mit dem Änderungsbescheid vom 29.8.2017 den Bescheid vom [X.] nach § 48 Abs 1 [X.] - ([X.]) zu Gunsten des [X.] abgeändert, aber dabei zu Unrecht unter Hinweis auf das abbezahlte Hauseigentum der Eltern die Gewährung (noch) höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung abgelehnt. Insoweit ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und abzuändern (§ 54 Abs 1 Satz 1 [X.]G), weshalb Ziffer 1 des Tenors des [X.], der sich ausschließlich auf die Verurteilung zur Leistung beschränkt, von Amts wegen klarstellend neu zu fassen war (vgl [X.] vom 20.5.2020 - B 13 R 9/19 R - [X.], 171 = [X.] 4-5075 § 1 [X.], Rd[X.]).

9

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 29.8.2017 in der Fassung der beiden Bescheide vom 17.11.2017, die Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sind (§ 86 [X.]G), in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2017 (§ 95 [X.]G), gegen den sich der [X.]läger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 iVm § 56 [X.]G) wendet. Die Beteiligten haben den Streitgegenstand wirksam auf den insoweit abtrennbaren Verfügungsteil der Bedarfe für Unterkunft und Heizung beschränkt (vgl zu dieser prozessualen Möglichkeit B[X.] vom 14.4.2011 - [X.] [X.] 18/09 R - [X.] 4-3500 § 29 [X.] Rd[X.]; B[X.] vom 10.11.2011 - [X.] [X.] 18/10 R - [X.] 4-3500 § 44 [X.] 2; zum Recht des [X.] <[X.]B II> vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/13 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] 78). Eine beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter vor Erlass eines Widerspruchsbescheids hatte abweichend von § 116 Abs 2 [X.]II nicht zu erfolgen (§ 9 des [X.] Gesetzes zur Ausführung des [X.]II , GBl 2004, 469, 534).

Die Beklagte ist örtlich (§ 46b Abs 1 [X.]II idF des [X.] zur Änderung des [X.] vom 1.10.2013 mWv 1.1.2013 <[X.] 3733> iVm § 2a Satz 1 und § 1 Abs 1 AG[X.]II) und sachlich (§ 97 Abs 1 [X.]II iVm § 2 und § 8 [X.] 2 AG[X.]II) für die Erbringung der begehrten Leistung zuständig. Die Zuständigkeit für den Erlass des Änderungsbescheids folgt der Zuständigkeit für die Leistung (§ 48 Abs 4 Satz 1, § 44 Abs 3 [X.]).

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 48 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 [X.] (wesentliche Änderung der Verhältnisse zugunsten des Betroffenen) iVm § 42a Abs 3 [X.]II (in der ab 1.7.2017 geltenden Fassung des Art 3a [X.] 7 des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] sowie zur Änderung des [X.] und des [X.] vom 22.12.2016, [X.] 3159), der lex specialis zu § 35 [X.]II ist (§ 42a Abs 1 [X.]II, vgl BT-Drucks 18/9984 [X.]). Die Vorschrift des § 48 Abs 1 [X.] schafft die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür, bei einer Umgestaltung des Rechts durch den Gesetzgeber auch laufende Fälle einzubeziehen, wenn und soweit der Gesetzgeber die Rechtslage neu gestaltet, wie dies vorliegend mit § 42a Abs 3 [X.]II mWv 1.7.2017 geschehen ist (vgl B[X.] vom 30.4.2020 - [X.] [X.] 1/19 R - [X.] 4-3500 § 85 [X.] 2 Rd[X.] 17 mwN). Die Übergangsregelung (§ 133b [X.]II), die der Besitzstandswahrung von leistungsberechtigten Personen dient, die in [X.]en mit nahen Angehörigen oder in Wohngemeinschaften leben und vor dem 1.7.2017 höhere als die nunmehr in § 42a Abs 3 und 4 [X.]II vorgesehenen Leistungen für Unterkunft und Heizung erhalten hatten (vgl BT-Drucks 18/10519 S 24) , ist vorliegend nicht einschlägig.

Nach § 42a Abs 1 [X.]II sind für [X.]e nach dem Vierten Abschnitt des Dritten [X.]apitels des [X.]II angemessene Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennen. [X.] sind nach § 19 Abs 2 iVm § 41 Abs 1 und Abs 3 [X.]II (idF vom 21.12.2015, [X.] 2557) ältere und dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen und Vermögen nach § 43 [X.]II bestreiten können. [X.] wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS des § 43 Abs 2 des [X.] - <[X.]B VI> ist und bei dem unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Der im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen ([X.]) beschäftigte [X.]läger ist volljährig (§ 2 [X.] ). Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] ist er auch dauerhaft voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 [X.]B VI und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch [X.] - <[X.]B I>) in S.

§ 42a Abs 3 Satz 1 [X.]II konkretisiert die Anerkennung angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung, wenn eine leistungsberechtigte Person - ohne vertraglich zur Tragung von Unterkunftskosten verpflichtet zu sein - ua mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung iS von § 42a Abs 2 Satz 2 [X.]II zusammenlebt und der Elternteil oder die Eltern Mieter oder Eigentümer der gesamten Wohnung ([X.]) sind 42a Abs 3 Satz 1 [X.] 1 und 2 [X.]II).

So liegt der Fall hier. Der [X.]läger lebt zusammen mit seinen Eltern (§§ 1591 f BGB) in einer Wohnung, die nach der gesetzlichen Definition die Zusammenfassung mehrerer Räume ist, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushaltes notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen (§ 42a Abs 2 Satz 2 [X.]II). Erfasst von dieser Definition ist auch das selbstgenutzte Eigenheim ([X.] in LP[X.]-[X.]II, 12. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 6), dessen Eigentümer die Eltern sind. Der [X.]läger lebt dort mit seinen Eltern auch in einem gemeinsamen Haushalt ([X.], § 42a Abs 3 Satz 1 [X.] 1 [X.]II). Die Bejahung eines [X.]s scheitert nicht daran, dass der [X.]läger einen 30 qm großen Wohnbereich im Dachgeschoss mit Schlaf- und Wohnraum und einem weiteren, überwiegend als Abstellfläche genutzten Zimmer mit ([X.] einer alten [X.]üche nutzt. Maßgebend ist in Abgrenzung zur Wohngemeinschaft vielmehr hierfür, dass der [X.]läger nach den den Senat bindenden Feststellungen des [X.] keinen vom Haushalt seiner Eltern unabhängigen eigenen Haushalt führt.

Als Bedarf sind diejenigen Aufwendungen für Unterkunft anzuerkennen, die sich aus der Differenz der angemessenen Aufwendungen für den [X.] entsprechend der Anzahl der dort wohnenden Personen ergeben und für einen Haushalt mit einer um eins verringerten Personenzahl (§ 42a Abs 3 Satz 2 [X.]II). Für die als Bedarf zu berücksichtigenden angemessenen Aufwendungen für Heizung ist der Anteil an den tatsächlichen Gesamtaufwendungen für die Heizung der Wohnung zu berücksichtigen, der sich für die Aufwendungen für die Unterkunft nach § 42a Abs 3 Satz 2 [X.]II ergibt (§ 42a Abs 3 Satz 3 [X.]II). Abweichend von § 35 [X.]II kommt es auf die nachweisbare Tragung von tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht an (§ 42a Abs 3 Satz 4 [X.]II).

Damit normiert § 42a Abs 3 [X.]II abweichend von §§ 35 f [X.]II und abweichend von der sog [X.] eine Berechnung und Anerkennung pauschalierter fiktiver Unterkunftskosten nach der [X.] bzw [X.]. Die sog [X.] besagt, dass tatsächlich anfallende [X.]osten im Regelfall unabhängig von Alter oder Nutzungsintensität anteilig pro [X.]opf aufzuteilen sind, soweit [X.]e eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen, insbesondere Familienangehörigen, bewohnen (vgl etwa B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/17 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] 96 Rd[X.] 13; so bereits [X.] vom 21.1.1988 - 5 C 68.85 - BVerwGE 79, 17 = NJW 1989, 313; zu Abweichungen von der [X.] vgl B[X.] vom [X.] - B 4 [X.]/12 R - B[X.]E 113, 270 = [X.] 4-4200 § 22 [X.] 68, Rd[X.] 18 ff). Nach der vorliegend normierten Differenzmethode hingegen bemisst sich der Bedarf, ausgehend von den nach der Personenzahl gestaffelten abstrakten [X.], nach der Differenz zwischen den abstrakt angemessenen Aufwendungen für den [X.] (nach der Anzahl der im [X.] lebenden Personen, hier: drei) und den Aufwendungen mit einer um eins verringerten Personenanzahl (hier: zwei).

Maßgeblich nach Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik des § 42a Abs 3 [X.]II ist allein - unabhängig von tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft - die nominale Differenz der abstrakten [X.] (so auch [X.] in LP[X.]-[X.]II, 12. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 17; [X.] in [X.]/[X.], [X.]II, [X.] § 42a Rd[X.] 23, 31, Stand Oktober 2017; [X.], [X.]II, 7. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 19; [X.], [X.]/[X.]B 2020, 427, 433; diese Rechtsfolge ebenfalls bejahend, aber kritisch zum gesetzgeberischen [X.]onzept [X.] in BeckO[X.] Sozialrecht, [X.]II, Stand 1.3.2021, § 42a Rd[X.] 27; Hammel, [X.] 2018, 104 f; [X.], [X.] 2018, 731 f).

Anders als § 35 Abs 1 Satz 1 [X.]II spricht § 42a Abs 3 Satz 2 [X.]II nämlich nicht von "tatsächlichen" Aufwendungen für die Unterkunft. Auch die Gesetzesbegründung zu § 42a Abs 3 [X.]II enthält keinen Hinweis auf eine konkrete Betrachtung, sondern spricht nur von dem nach der Differenzmethode "sich ergebenden Betrag“ (BT-Drucks 18/9984 [X.]), während sich bei den Heizkosten sowohl nach dem Wortlaut der Norm als auch nach der Gesetzesbegründung der übernahmefähige Bedarf nach dem Anteil an den "tatsächlichen" Gesamtaufwendungen für die Heizung der Wohnung bestimmt (§ 42a Abs 3 Satz 3 [X.]II, vgl BT-Drucks 18/9984 [X.]). Eine Auslegung dahingehend, dass die nach der Differenzmethode abstrakt ermittelten pauschalierten Aufwendungen als Deckelung von nach der [X.] ermittelten konkreten Bedarfen fungieren, ist mit dem Wortlaut der Norm ebenso wenig zu vereinbaren, wie eine Auslegung, die tatsächliche Aufwendungen bei der [X.] als [X.]orrektiv berücksichtigt. Für eine mehrschrittige Prüfung unter Berücksichtigung konkret anfallender Bedarfe gibt der Wortlaut keine Anhaltspunkte (vgl [X.] in BeckO[X.] Sozialrecht, Stand 1.3.2021, Rd[X.] 27; [X.] [X.] 2018, 731).

Schließlich bestimmt § 42a Abs 3 Satz 4 [X.]II abschließend, dass es abweichend von § 35 [X.]II auf die nachweisbare Tragung von "tatsächlichen" Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht ankommt. Zwar kann dies auch so verstanden werden, dass ausschließlich auf den Nachweis verzichtet wird, dass vom [X.]en Aufwendungen getragen werden. Allerdings ist bei einem Verzicht auf den Nachweis von Aufwendungen nicht mehr zu prüfen, ob und ggf in welcher Höhe der [X.]e tatsächlich selbst [X.]osten für Unterkunft und Heizung erbringt. Im Ergebnis stellt die Beklagte auch nicht darauf ab, ob der [X.]läger als [X.]er [X.]osten der Unterkunft und Heizung (zB Miete) aufbringen muss, sondern ob seine Eltern, die selbst gar nicht leistungsberechtigt sind, noch Aufwendungen für das Eigenheim tragen (ebenso Bindig in jurisP[X.]-[X.]II, 3. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 78 f, 85; anders dagegen [X.] in LP[X.]-[X.]II, 12. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 17; [X.] in [X.]/[X.], [X.]II, [X.] § 42a Rd[X.]1, Stand Oktober 2017; [X.], [X.]II, 7. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 19; [X.], [X.]/[X.]B 2020, 427, 433). Wie sich aber aus § 42a Abs 3 Satz 5 [X.]II ergibt, sind Aufwendungen der nahen Angehörigen, mit denen der [X.]e zusammenlebt, nach § 42a Abs 3 [X.]II nur dann von Bedeutung, wenn sie ihren Lebensunterhalt einschließlich der ungedeckten angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung aus eigenen Mitteln nicht decken können. Dies setzt aber voraus, dass die nahen Angehörigen selbst bedürftig sind und hat zur Folge, dass die (tatsächlichen) [X.]osten der Unterkunft nach [X.]opfteilen bemessen werden. Dieser Fall liegt hier aber nicht vor.

Auch nach Sinn und Zweck der Regelung ist kein Raum für die Berücksichtigung tatsächlicher Unterkunftskosten, sondern spricht alles für eine pauschalierende Betrachtungsweise. Nach früherem Recht mussten auch die mit nahen Angehörigen zusammenlebenden [X.]en für die Anerkennung von Aufwendungen für [X.]osten der Unterkunft und Heizung den Nachweis führen, dass sie rechtlich wirksam zur Zahlung eines Anteils an den Unterkunftskosten verpflichtet waren und tatsächlich entsprechende Zahlungen leisteten (vgl B[X.] vom 14.4.2011 - [X.] [X.] 18/09 R - [X.] 4-3500 § 29 [X.]; B[X.] vom 25.8.2011 - [X.] [X.] 29/10 R - FEVS 63, 442) oder dass sie die Aufwendungen für die Wohnung zumindest faktisch mitgetragen haben, auch ohne dass eine entsprechende rechtliche Verpflichtung bestand (B[X.] vom 17.12.2015 - [X.] [X.] 10/14 R - [X.] 4-3500 § 35 [X.] 4). Um der damit einhergehenden Prüfungsdichte und dem Verwaltungsaufwand entgegenzuwirken und für den betroffenen Personenkreis einen vereinfachten Zugang zu Leistungen für Unterkunft und Heizung zu schaffen, hat der Gesetzgeber bewusst eine pauschalierte Bedarfsermittlung gewählt und dies nicht nur mit Aspekten der Verwaltungsvereinfachung begründet, sondern auch damit, dass eine Anlehnung an tatsächliche Gegebenheiten für die Betroffenen einen erheblichen Aufwand darstellten und den betroffenen Familien meist zusätzliche Schwierigkeiten bereiteten (vgl BT-Drucks 18/9984 [X.] f).

Auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht für das gefundene Ergebnis. Die denkbaren Folgen der typisierenden pauschalierten Bedarfsermittlung sind im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens angesprochen und benannt worden. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Neuregelung sich "als für den leistungsberechtigten Personenkreis vorteilhaft" darstelle (vgl [X.] 18[11]849 vom 25.11.2016, [X.], Sachverständiger [X.]) und dass sich eine Leistungsbewilligung ergeben könne, auch wenn Bedarfe gar nicht anfielen (vgl [X.] 18[11]849 vom 25.11.2016, [X.], Stellungnahme [X.] und [X.]: "Das [X.] hat mit Urteil vom 17.12.2015 den Anspruch daran geknüpft, dass tatsächlich entsprechende Beträge fließen. Jetzt sollen Beträge pauschal anerkannt werden, auch wenn diese gar nicht anfallen"). In verschiedenen Stellungnahmen wurde die Anwendung der [X.] empfohlen, auch um etwaige Verschlechterungen bei den Familien zu vermeiden ([X.] 18[11]849 [mit Zusammenführung mehrerer Stellungnahmen/Drucksachen] vom 25.11.2016, [X.], 116 f, 130, 145, 151; so auch Empfehlungen des [X.] und Weiterentwicklung des [X.]II, [X.] 2019, 511, 516). Der Gesetzgeber ist diesen Einwänden im Rahmen seines ihm zustehenden Gestaltungsspielraums (dazu sogleich) nicht gefolgt (vgl die nach Abschluss und in [X.]enntnis der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung verabschiedete Beschlussempfehlung des [X.], in der die Anwendung der Differenzmethode für Sachverhalte bekräftigt wird, in denen keine Verpflichtung zur Tragung von Unterkunftskosten bestehe, BT-Drucks 18/10519 23).

Systematische Erwägungen stützen das gefundene Ergebnis. Die pauschalierte Berechnung nach § 42a Abs 3 Satz 2 [X.]II kann im Einzelfall durch Berücksichtigung tatsächlicher Unterkunftsbedarfe durchbrochen werden, um das Existenzminimum sicherzustellen. Zum einen ist mit § 133b [X.]II eine Besitzstandsregelung geschaffen worden, da der Gesetzgeber erkannt hat, dass eine pauschalierte Leistungsgewährung nach § 42a Abs 3 Satz 2 und 3 [X.]II wegen der typisierenden Betrachtungsweise auch zu Verschlechterungen führen kann (vgl BT-Drucks 18/10519 S 24). Legen die mit der leistungsberechtigten Person zusammenlebenden Personen dar, dass sie ihren Lebensunterhalt einschließlich der ungedeckten angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - insbesondere wegen des pauschalen Anteils für Unterkunftsbedarfe - aus eigenen Mitteln nicht decken können, findet zum anderen die Berechnung entsprechend § 42a Abs 4 Satz 1 [X.]II statt (§ 42a Abs 3 Satz 5 [X.]II). Dabei handelt es sich um die Rückkehr zur [X.], um Bedarfsunterdeckungen zu vermeiden (vgl [X.], info also 2018, 6, 9; Hammel, [X.] 2018, 102). Diese Regelungen wären bei einer Berücksichtigung konkreter Unterkunftsbedarfe im Rahmen von § 42a Abs 3 Satz 2 [X.]II nicht erforderlich gewesen (s schon oben).

Soweit in der Literatur (rechtspolitische) [X.]ritik an einer "besonderen Anerkennungsprämie" für die Aufnahme enger Angehöriger bei alters- oder behinderungsbedingter Hilfebedürftigkeit geübt wird, die nicht am fürsorgerechtlich anerkennenswerten individuellen Bedarf orientiert sei (so Hammel, [X.] 2018, 105), führt dies nicht zu einer anderen Auslegung der Norm. Der Gesetzgeber hat mit der in Frage stehenden Norm in der vorliegenden Fallkonstellation einen vereinfachten Zugang zu (erweiterten) Leistungen geschaffen; dafür steht ihm im Bereich der steuerfinanzierten Leistungen ein Gestaltungsspielraum zu (vgl zum [X.]inder- und Erziehungsgeld [X.] <[X.]> vom 29.10.2002 - 1 BvL 16/95 ua - [X.] 106, 166 = [X.] 3-5870 § 3 [X.] 4; [X.] vom 6.7.2004 - 1 BvL 4/97 - [X.] 111, 160 = [X.] 4-5870 § 1 [X.] 1; [X.] vom 6.7.2004 - 1 BvR 2515/95 - [X.] 111, 176 = [X.] 4-7833 § 1 [X.] 4; zum engeren Gestaltungsspielraum bei existenzsichernden Leistungen vgl [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.] 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.] 12 Rd[X.] 133; zur erlaubten Typisierung bei der realitätsgerechten Ausgestaltung von Sozialleistungen vgl [X.] vom 4.5.2020 - 2 BvL 4/18 - [X.], 316 - juris Rd[X.] 52). Er hat außerdem im Hinblick auf das grundsicherungsrechtlich relevante Erfordernis tatsächlicher Bedarfsdeckung mit § 42 Abs 3 Satz 5 [X.]II eine Regelung geschaffen, die eine Unterdeckung existenznotwendiger Bedarfe vermeidet (s oben). Dass er typisierend davon ausgeht, die Aufnahme einer leistungsberechtigten Person lasse im Regelfall einen zusätzlichen Bedarf entstehen (vgl BT-Drucks 18/9984 S 28, wo als Beispiel [X.] genannt wird), erscheint nicht willkürlich, sondern lebensnah und steht insofern gerade nicht im Widerspruch zu Grundsätzen der individuellen Bedarfsdeckung. Der pauschalierten Gewährung von [X.]osten der Unterkunft und Heizung aufgrund eines vermuteten, typisierten Bedarfs liegen damit ähnliche Erwägungen wie der Gewährung des Regelbedarfs zugrunde, worauf das [X.] zutreffend hingewiesen hat. Dass dadurch im Einzelfall eine "[X.]" entstehen kann (vgl Hammel, [X.] 2018, 105; Empfehlungen des [X.] und Weiterentwicklung des [X.]II, [X.] 2019, 511, 516), ist dem Wesen der Pauschale und der abstrakten typisierenden Bedarfsermittlung geschuldet und de lege lata hinzunehmen ([X.], [X.]II, 7. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 19).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der [X.]läger im streitigen Zeitraum Anspruch auf weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 109,93 [X.]. Die von der Beklagten ermittelten abstrakten [X.], in die neben der [X.]altmiete auch die kalten Betriebskosten einzustellen sind (vgl zum auf der Grundlage von Daten eines qualifizierten Mietspiegels erarbeiteten "schlüssigen [X.]onzept" der Beklagten etwa L[X.] Baden-Württemberg vom [X.] AS 2354/15 - mit [X.], [X.] [X.] 6; zum qualifizierten Mietspiegel als Erkenntnisquelle vgl B[X.] vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] 42 Rd[X.]1; B[X.] vom 3.9.2020 - [X.] [X.]/19 R - juris Rd[X.] 26, zur Veröffentlichung in [X.] 4 vorgesehen und zum Rückgriff auf einen qualifizierten Mietspiegel zur Herstellung von [X.] im Streitfall vgl B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] - B[X.]E 127, 214 = [X.] 4-4200 § 22 [X.]1, Rd[X.]0) betragen nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] monatlich 675 [X.] für einen Drei- und 564 [X.] für einen Zweipersonenhaushalt, woraus sich die vom [X.] errechnete Differenz von 111 [X.] ergibt. Zwar hat das [X.] weder deutlich gemacht, ob in den bezeichneten [X.] auch die kalten Betriebskosten enthalten sind und keine weiteren Feststellungen zur Rechtmäßigkeit des schlüssigen [X.]onzepts der Beklagten und den darin bestimmten abstrakten [X.] getroffen, obgleich dies aufgrund des erstinstanzlichen klägerischen Begehrens, höhere Leistungen unter Zugrundelegung höherer abstrakter [X.] zu erhalten, erforderlich gewesen wäre (zur Bestimmung abstrakter [X.] durch die Gerichte trotz begrenzter Amtsermittlungspflicht vgl B[X.] vom 3.9.2020 - [X.] [X.]/19 R - juris Rd[X.] 26 mwN, zur Veröffentlichung in [X.] 4 vorgesehen). Da der [X.]läger aber gegen das [X.]-Urteil und die teilweise [X.]lageabweisung kein Rechtsmittel eingelegt hat, kommt eine Verurteilung der Beklagten über den genannten Betrag hinaus - etwa unter Berücksichtigung vom [X.] möglicherweise zu Unrecht nicht eingerechneter kalter Betriebskosten - nicht in Betracht (vgl § 123 [X.]G, "ne ultra petita", vgl B[X.] vom 30.4.2020 - [X.] [X.] 1/19 R - [X.] 4-3500 § 85 [X.] 2 Rd[X.] 22; B[X.] vom 27.5.2014 - B 5 RE 6/14 R - [X.] 4-2600 § 106 [X.] 4 Rd[X.] 19).

Für die als Bedarf zu berücksichtigenden Heizungskosten ist der Anteil an den tatsächlichen Gesamtaufwendungen für die Heizung der Wohnung zu berücksichtigen, der sich für die Aufwendungen für die Unterkunft ergibt (§ 42a Abs 3 Satz 3 [X.]II). Dazu muss zunächst der prozentuale Anteil des sich nach § 42a Abs 3 Satz 2 [X.]II ergebenden Betrags (hier: 111 [X.]) an den abstrakt angemessenen Unterkunftskosten bestimmt werden; der so bestimmte Prozentsatz (16,44 % nach der Berechnung des [X.], das von 675 [X.] monatlich für einen Dreipersonenhaushalt ausgegangen ist) ist dann von den (berücksichtigungsfähigen) tatsächlichen Heizkosten zu tragen (vgl BT-Drucks 18/9984 [X.]; [X.] in LP[X.]-[X.]II, 12. Aufl 2020, § 42a Rd[X.] 19). Nach den bindenden Feststellungen des [X.] betragen die berücksichtigungsfähigen Heizkosten vorliegend monatlich 111,49 [X.] und damit der auf den [X.]läger entfallende Anteil (16,44 % von 111,49 [X.]) 18,33 [X.]. Damit besteht ein monatlicher Anspruch für die [X.]osten der Unterkunft und Heizung insgesamt in Höhe von 129,33 [X.] (111 [X.] pauschale Leistung für die Unterkunft und 18,33 [X.] anteilige Heizkosten). Da die Beklagte monatlich 19,40 [X.] gewährt hat, ergibt sich ein weiterer Anspruch in Höhe monatlich 109,93 [X.] im streitigen Zeitraum.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 8 SO 14/19 R

23.03.2021

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Stuttgart, 29. Juli 2019, Az: S 16 SO 279/18, Urteil

§ 41 Abs 1 SGB 12 vom 21.12.2015, § 41 Abs 3 SGB 12 vom 20.04.2007, § 42a Abs 1 SGB 12, § 42a Abs 2 S 2 SGB 12, § 42a Abs 3 S 1 SGB 12 vom 22.12.2016, § 42a Abs 3 S 2 SGB 12 vom 22.12.2016, § 42a Abs 3 S 4 SGB 12 vom 22.12.2016, § 35 Abs 1 S 1 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.03.2021, Az. B 8 SO 14/19 R (REWIS RS 2021, 7605)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7605

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1 BvL 4/97

1 BvR 2515/95

1 BvL 1/09

2 BvL 4/18

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