Bundessozialgericht, Urteil vom 14.04.2011, Az. B 8 SO 18/09 R

8. Senat | REWIS RS 2011, 7453

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - bedarfsorientierte Grundsicherung bzw Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Unterkunft und Heizung - Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl nur bei tatsächlichen Aufwendungen - sozialgerichtliches Verfahren - Beschränkung des Streitgegenstandes - Parteifähigkeit - intertemporales Prozessrecht


Leitsatz

Lebt eine hilfebedürftige Person mit nichthilfebedürftigen verwandten oder verschwägerten Personen in einer Haushaltsgemeinschaft, setzt die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung tatsächliche Aufwendungen des Hilfebedürftigen voraus (Anschluss an BSG vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 9).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. August 2009 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 5. Januar 2007 zurückgewiesen, soweit Kosten für Unterkunft und Heizung in der [X.] vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2006 betroffen sind.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] (noch) Leistungen für Unterkunft und [X.]eizung für den [X.]raum vom [X.] bis 31.12.2004 nach dem [X.]rundsicherungsgesetz ([X.]) sowie für den [X.]raum vom 1.1.2005 bis [X.] nach dem [X.] - (S[X.]B XII).

2

Die 1969 geborene Klägerin ist schwerbehindert bei einem [X.]rad der Behinderung ([X.]dB) von 100. Bei ihr sind die Nachteilsausgleiche "[X.]", "[X.]" und "[X.]" festgestellt worden. Sie lebt bei ihren Eltern in deren Eigenheim, ohne dass ein (Unter-)Mietverhältnis begründet oder eine finanzielle Belastung der Klägerin an den [X.]esamtkosten der Unterkunft vereinbart worden wäre; vertragliche Verpflichtungen gegenüber [X.]emeinde, Energieversorger oder Versicherung im Zusammenhang mit Nebenkosten und [X.]eizung sind von der Klägerin ebenfalls nicht aufzubringen. Ab [X.] bezog sie Leistungen nach dem [X.] und ab dem 1.1.2005 nach § 41 ff S[X.]B XII (Bescheid vom [X.], 15.9.2005, zwei Bescheide vom 16.9.2005, Bescheide vom 21.9.2005 und 2.12.2005; Widerspruchsbescheid vom [X.] unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter). Die Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und [X.]eizung lehnte der Beklagte dabei mit der Begründung ab, die Klägerin habe insoweit keine Aufwendungen.

3

Die Klage, mit der die Klägerin unter anderem Leistungen für Unterkunft und [X.]eizung geltend gemacht hat, hat das Sozialgericht (S[X.]) [X.] abgewiesen, weil die Klägerin keine Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung habe (Urteil vom 5.1.2007). Das [X.] (LS[X.]) [X.] hat auf die Berufung der Klägerin den Beklagten verurteilt, "der Klägerin für die [X.] vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Januar 2006 höhere [X.]rundsicherungsleistungen für Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung zu zahlen, und zwar unter Berücksichtigung von einem Drittel der für das [X.]aus L. anfallenden Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung" (Urteil vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LS[X.] ausgeführt, dass die Aufwendungen für die Unterkunft einer hilfebedürftigen Person, die mit nicht hilfebedürftigen, mit ihr verwandten oder verschwägerten Personen in [X.]aushaltsgemeinschaft lebten, in einem Teil der angemessenen Aufwendungen bestünden, die für die Wohnung der [X.]aushaltsgemeinschaft zu entrichten seien. Die Unterkunftskosten seien dabei nach [X.] - hier drei - aufzuteilen. Dies gelte auch dann, wenn tatsächliche Aufwendungen im Sinne der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen nicht bestünden.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 3 Abs 1 Nr 2 [X.] sowie des § 42 Satz 1 Nr 2 S[X.]B XII. Übernahmefähig seien danach nur tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und [X.]eizung, die der Klägerin nicht entstanden seien.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LS[X.] aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des S[X.] zurückzuweisen, soweit Kosten für Unterkunft und [X.]eizung in der [X.] vom [X.] bis zum [X.] betroffen sind.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die Auffassung des LS[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Das [X.] hat zu Unrecht den Beklagten zur Zahlung anteiliger Aufwendungen für Unterkunft und Heizung verurteilt. Die Klägerin hat in dem streitigen [X.]raum von Januar 2003 bis Januar 2006 keinen Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung, der von dem Beklagten zu decken war.

9

Gegenstand des Verfahrens sind die [X.] vom 15.9.2005, 16.9.2005 (zwei [X.]) sowie die [X.] vom 21.9.2005 und [X.], alle in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]. Der ursprüngliche Bescheid vom [X.], mit dem Leistungen der Grundsicherung nach dem [X.] ab 1.1.2003 bewilligt wurden, ist - soweit es den streitbefangenen [X.]raum betrifft - durch die genannten [X.], die Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG geworden sind, ersetzt worden. Gegenstand des Verfahrens ist, was vom [X.] übersehen wurde, insoweit auch der Bescheid vom [X.], mit dem der Beklagte in Abänderung des Bescheids vom 15.9.2005 idF des Änderungsbescheids vom 21.9.2005 die Leistungen für den Monat Januar 2006 auf 28,26 Euro festgesetzt hat.

Der Senat hat hinsichtlich der angegriffenen [X.] nur über die Kosten von Unterkunft und Heizung zu entscheiden, nachdem die Klägerin den ursprünglichen [X.], höhere Leistungen nach dem [X.] bzw [X.], durch ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] auf die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zulässigerweise ([X.] 103, 181 ff Rd[X.] 13 = [X.]-3500 § 42 [X.] 2; zum Recht des [X.]: [X.] 97, 217 ff Rd[X.] 18 ff = [X.]-4200 § 22 [X.] 1; [X.] 104, 41 ff Rd[X.] 13 = [X.]-4200 § 22 [X.] 23; BSG, Urteil vom [X.] - B 4 [X.]/08 R - Rd[X.] 10) beschränkt hat. Bei den Ansprüchen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare selbstständige Ansprüche ([X.] 97, 217 ff Rd[X.] 18 = [X.]-4200 § 22 [X.] 1; BSG, Urteil vom [X.] - B 4 [X.]/08 R- Rd[X.] 10). Dabei spielt es keine Rolle, dass eine ausdrückliche Ablehnung von Kosten für Unterkunft und Heizung in den angegriffenen [X.]n im Sinne einer Verfügung fehlt, weil eine solche Ablehnung stillschweigend in den [X.] enthalten ist, sich hiergegen der Widerspruch richtete und in dem Widerspruchsbescheid vom [X.] ausdrücklich eine (den Widerspruch zurückweisende) Entscheidung über Kosten für Unterkunft und Heizung getroffen wurde.

Mangels in [X.] angeordneten Behördenprinzips (vgl § 70 [X.] 3 SGG) richtet sich die Klage zu Recht gegen den Rechtsträger, hier den [X.] als sachlich (§ 1 des [X.] zur Ausführung des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 20.11.2002 - [X.] und 3 [X.]; ab 1.1.2005 §§ 3 Abs 2, 97 [X.] iVm dem [X.] zur Ausführung des [X.] vom 16.12.2004 - GVBl 644) und örtlich (§ 4 Abs 1 [X.]; ab 1.1.2005 § 98 Abs 1 Satz 2 [X.]) zuständigen Träger der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem [X.] bzw nach dem [X.].

Hieran ändert auch nichts, dass die [X.] die ursprüngliche Entscheidung über Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung getroffen hat; dies beruhte auf § 3 Nds AG-[X.] iVm § 4 des [X.] zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (vom 20.3.1997 - GVBl 85), wonach die Landkreise zur Durchführung der ihnen als Grundsicherungsträger obliegenden Aufgaben unter anderem Samtgemeinden heranziehen können. Hiervon hatte der [X.] in der Satzung über der Heranziehung der Gemeinden und Samtgemeinden des [X.] sowie der [X.] [X.] zur Durchführung von Aufgaben nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 18.12.2002 (Amtsblatt [X.] [X.] 1 vom 2.1.2003) zunächst Gebrauch gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob die Entscheidung der Samtgemeinde eigenverantwortlich in eigenem Namen oder in einem bloßen Auftragsverhältnis zum Landkreis erging; denn die Satzung vom 18.12.2002 trat nach § 7 Abs 2 [X.] 2 der Satzung über die Heranziehung der Gemeinden und Samtgemeinden des [X.] sowie der [X.] [X.] zur Durchführung von Aufgaben nach dem [X.] - vom 8.12.2004 (Amtsblatt [X.] [X.] 48 vom 30.12.2004) am 1.1.2005 außer [X.]. Zwar sah die (neue) Satzung vom 8.12.2004 für Leistungen nach §§ 41 ff [X.] die Heranziehung der [X.] ab 1.1.2005 vor (§ 1 der Satzung). Die mit der Satzung übertragenen Aufgaben wurden aber nach § 7 Abs 1 dieser Satzung ab dem 1.1.2006 wieder vom [X.] wahrgenommen.

Wird ein Gesetz mit verwaltungsverfahrensrechtlichem Inhalt während des gerichtlichen Verfahrens geändert, so richtet sich der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes nach allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts, sofern nicht ein verfassungskonform abweichender Geltungswille des Gesetzes festzustellen ist (BSG [X.] 3-4100 § 152 [X.] 7 S 17). Danach sind Änderungen des Verfahrensrechts - soweit nichts anderes vorgeschrieben - bei bereits anhängigen Verfahren zu beachten. Deshalb ist das ab 1.1.2006 geltende Recht anzuwenden.

Ob die - vom [X.] bejahten - Voraussetzungen für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem [X.] bzw nach dem [X.] für den streitigen [X.]raum gegeben sind, kann hier dahingestellt bleiben, weil ein Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung - auf den die Klage beschränkt wurde - unabhängig vom Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen schon mangels Bedarf ausscheidet. Nach § 3 Abs 1 [X.] 2 [X.] umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Eine entsprechende Regelung für die [X.] ab 1.1.2005 sieht § 42 [X.] 2 [X.] vor. Danach umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend § 29 [X.]. Nach § 29 Abs 1 Satz 1 und [X.] werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht.

Nach den Feststellungen des [X.] hat die Klägerin jedoch keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Insoweit kommt nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen nur die Berücksichtigung tatsächlich anfallender Kosten als die Hilfebedürftigkeit begründender Bedarf in Betracht (BSG [X.]-4200 § 9 [X.] 9 Rd[X.] 14), wenn - wie hier - eine hilfebedürftige Person mit nichthilfebedürftigen verwandten oder verschwägerten Personen in [X.] lebt. Die vom [X.] herangezogene Entscheidung des [X.] (BVerwG), die eine Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen vorsah, trifft nicht den vorliegenden Sachverhalt. Dort hatte - anders als vorliegend - die Hilfebedürftige über ihren Kopfteil hinausgehende Kosten für Unterkunft und Heizung (BVerwGE 79, 17, 21 f). Die [X.] kann deshalb insbesondere zur Vermeidung eines Missbrauchs ihre Rechtfertigung erhalten, wenn überhaupt Kosten der Unterkunft anfallen, insbesondere wenn auch die übrigen Mitglieder des Haushalts hilfebedürftig sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Meta

B 8 SO 18/09 R

14.04.2011

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Stade, 5. Januar 2007, Az: S 19 SO 46/06, Urteil

§ 42 S 1 Nr 2 SGB 12 vom 27.12.2003, § 42 S 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 29 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 29 Abs 3 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 29 Abs 3 S 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 97 SGB 12, § 98 Abs 1 S 2 SGB 12, § 3 Abs 1 Nr 2 GSiG vom 26.06.2001, § 4 Abs 1 GSiG vom 26.06.2001, § 4 Abs 3 GSiG vom 26.06.2001, § 95 SGG, § 70 Nr 3 SGG, § 1 GSiGAG ND 2002, SGB12AG ND

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 14.04.2011, Az. B 8 SO 18/09 R (REWIS RS 2011, 7453)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7453

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