Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.04.2013, Az. 9 B 37/12

9. Senat | REWIS RS 2013, 6677

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Gegenstand

Rechtsweg bei Feststellung einer im Insolvenzverfahren angemeldeten Haftungsschuld als Verbindlichkeit aus unerlaubter Handlung


Leitsatz

Der im Verfahren nach §§ 179 ff. InsO isoliert auszutragende Feststellungsstreit um die rechtliche Einordnung einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung auf Gewerbesteuerhaftung (§ 69 AO) als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO ist im Zivilrechtsweg zu führen (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 - IX ZB 271/09 - WM 2011, 142).

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit des [X.]. Die Klägerin nahm den [X.]eklagten in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer GmbH mit Haftungsbescheid aus dem [X.] für [X.] der GmbH in Anspruch. Nachdem der (jetzige) [X.]eklagte gegen den Haftungsbescheid nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage erhoben hatte, wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete ihre Forderung gegen den [X.]eklagten zur Insolvenztabelle an und teilte der Insolvenzverwalterin mit, dass die Forderung auch auf eine unerlaubte Handlung des [X.]eklagten gestützt werde. Die Forderung der Klägerin aus dem Haftungsbescheid wurde nachträglich von der Insolvenzverwalterin anerkannt. Der [X.]eklagte widersprach dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.

2

Die Klägerin hat das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochene Klageverfahren wieder aufgenommen und die Feststellung beantragt, dass es sich bei der im Insolvenzverfahren angemeldeten Haftungsschuld um eine Verbindlichkeit des [X.]eklagten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung handele. Nach der Abtrennung des diesen Antrag betreffenden Teils des Verfahrens von der ursprünglich erhobenen Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht in dem abgetrennten Verfahren mit [X.]eschluss vom 20. März 2012 den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen.

3

Mit [X.]eschluss vom 20. August 2012 hat der [X.]hof die gegen den [X.]eschluss des [X.] gerichtete [X.]eschwerde zurückgewiesen und die [X.]eschwerde an das [X.] zugelassen.

II.

4

1. Die nach § 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 [X.] zulässige weitere [X.]eschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben den Verwaltungsrechtsweg zu Recht für unzulässig erklärt, weil es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO); vielmehr liegt eine [X.] Streitigkeit vor (§ 13 [X.]).

5

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass es sich bei der im Insolvenzverfahren angemeldeten Haftungsschuld um eine Verbindlichkeit des [X.]eklagten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gem. § 826 [X.]G[X.] bzw. § 823 Abs. 2 [X.]G[X.] handelt mit dem Ziel, diesen Zahlungsanspruch von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 [X.] auszunehmen.

6

Die Art einer Streitigkeit - öffentlich - oder bürgerlich-rechtlich - bestimmt sich, wenn wie hier eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des [X.]undes, [X.]eschluss vom 4. Juni 1974 - GmS-OG[X.] 2/73 - NJW 1974, 2087; [X.]VerwG, Urteile vom 6. November 1986 - [X.]VerwG 3 [X.] 72.84 - [X.]VerwGE 75, 109 <112> und vom 19. Mai 1994 - [X.]VerwG 5 [X.] 33.91 - [X.]VerwGE 96, 71 <73> = [X.] 436.0 § 12 [X.] Nr. 24 S. 2 f.; [X.]eschlüsse vom 30. Mai 2006 - [X.]VerwG 3 [X.] 78.05 - NJW 2006, 2568 und vom 2. Mai 2007 - [X.]VerwG 6 [X.] 10.07 - [X.]VerwGE 129, 9 = [X.] 310 § 40 VwGO Nr. 298, jeweils Rn. 4; [X.]GH, [X.]eschluss vom 7. Dezember 1999 - XI Z[X.] 7/99 - NJW 2000, 1042). Es kommt darauf an, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des öffentlichen Rechts geprägt wird, ob die an der Streitigkeit [X.]eteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich den für jedermann geltenden zivilrechtlichen Regelungen unterstellt (Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des [X.]undes, [X.]eschlüsse vom 10. April 1986 - GmS-OG[X.] 1/85 - [X.]GHZ 97, 312 <314> und vom 29. Oktober 1987 - GmS-OG[X.] 1/86 - [X.]GHZ 102, 280 <283>; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 30. Mai 2006 a.a.[X.]). Die in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das [X.] in diejenige Verfahrensordnung, die ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders geeignet sind ([X.]GH, Urteile vom 10. Januar 1984 - [X.]/81 - [X.]GHZ 89, 250 <252> und vom 23. Februar 1988 - [X.] - [X.]GHZ 103, 255 <257>).

7

Danach liegt hier eine [X.] Streitigkeit vor. Denn die Frage, ob derjenige schadensersatzpflichtig ist, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt (§ 826 [X.]G[X.]), ist in gleicher Weise nach Maßgabe des Zivilrechts zu beurteilen wie die Frage, ob derjenige zum Schadensersatz verpflichtet ist, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt (§ 823 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.]). An dieser [X.]eurteilung ändert sich nichts dadurch, dass die Klägerin, wie sie in der [X.]eschwerdebegründung hervorhebt, keinen Zahlungsanspruch aus unerlaubter Handlung erheben, sondern - wie in § 302 Nr. 1 [X.] vorgesehen - den deliktischen Rechtsgrund ihres mit Haftungsbescheid festgesetzten und zur Insolvenztabelle angemeldeten steuerrechtlichen Haftungsanspruchs aus § 69 [X.] geltend machen will. Der Senat schließt sich der Auffassung des [X.]undesgerichtshofs ([X.]eschluss vom 2. Dezember 2010 - IX Z[X.] 271/09 - [X.], 142 = juris Rn. 5) an, wonach der im Verfahren nach §§ 179 ff. [X.] isoliert auszutragende Streit um die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung als Forderung (auch) aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zivilrechtlicher Natur und daher vor den Zivilgerichten zu führen ist. Denn die für die Feststellung einer Ausnahme von der Restschuldbefreiung nach § 302 Nr. 1 [X.] maßgeblichen [X.]estimmungen (§ 823 Abs. 1, § 826 [X.]G[X.]) sind zivilrechtlicher Art und berühren das öffentlich-rechtlich geprägte [X.] der [X.]eteiligten zueinander nicht (in diesem Sinne auch [X.]GH, [X.]eschluss vom 2. Dezember 2010 a.a.[X.] unter Hinweis auf VG Schleswig, [X.]eschluss vom 25. Mai 2009 - 15 A 56/09 - [X.], 699 = juris Rn. 3 und [X.], [X.]eschluss vom 16. September 2009 - 6 [X.]/09 - [X.], 775 = juris Rn. 7).

8

Unerheblich ist für die [X.]estimmung des Rechtswegs, ob die Regelungen des öffentlichen Rechts über den Haftungsanspruch (§ 69 [X.]) die ergänzende Anwendung der §§ 823 ff. [X.]G[X.] zulassen (verneinend: [X.]FH, Urteil vom 19. August 2008 - [X.]/07 - [X.]FHE 222, 199 <201 f.>, wonach Steuer- und Haftungsansprüche eigenständige öffentlich-rechtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und keine Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung sind; vgl. auch FG [X.]aden-Württemberg, Urteil vom 25. September 1991 - 2 [X.]/85 - NVwZ-RR 1993, 61 <62 f.>; dem folgend Loose, in: Tipke/[X.], Abgabenordnung, Stand November 2012, § 69 Rn. 2; [X.]oeker, in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Dezember 2012, § 69 Rn. 8). Ob Gründe des öffentlichen Rechts den deliktischen Anspruch ausschließen, ist eine Vorfrage, die die Qualifizierung des Rechtsstreits als zivilrechtlich nicht berührt (vgl. [X.]GH, [X.]eschluss vom 2. Dezember 2010 a.a.[X.]). Gleiches gilt für die Frage, ob der Verstoß gegen steuerrechtliche Pflichten, insbesondere die Steuerhinterziehung, überhaupt in den Schutzbereich des § 823 Abs. 2 [X.]G[X.] fällt (zur fehlenden Schutzgesetzeigenschaft der Steuerhinterziehungsstraftatbestände [X.]FH, Urteile vom 24. Oktober 1996 - [X.]/94 - [X.]FHE 181, 552 <557 ff.> und vom 19. August 2008 a.a.[X.]).

9

Die Klägerin kann die Zulässigkeit des [X.] für den vorliegenden Rechtsstreit auch nicht daraus herleiten, dass mit der Rechtsgrundfeststellungsklage eine Auseinandersetzung vorweggenommen wird, die sonst im Rahmen der Vollstreckung stattzufinden hätte und ihrerseits im Verwaltungsrechtsweg auszutragen wäre. Der Umstand, dass die deliktische Qualität der geltend gemachten Verbindlichkeit in einem anderen Rechtsbehelfsverfahren den [X.]harakter einer zivilrechtlichen Vorfrage haben könnte, ändert nichts daran, dass sie in der hier gegebenen Konstellation die Natur des Rechtsverhältnisses und damit den Rechtsweg bestimmt.

Die Zuordnung zum öffentlichen Recht folgt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus § 185 Satz 1 [X.]. Danach ist die Feststellung einer Forderung, wenn für sie der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben ist, bei dem zuständigen anderen Gericht zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Unter diese Sondervorschrift fällt die Feststellung der Delikteigenschaft einer Forderung nicht. Zwar ist die Verwaltungsbehörde nach § 185 Satz 1 [X.] i.V.m. § 251 Abs. 3 [X.] berechtigt, einen im Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung geltend gemachten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verwaltungsakt festzustellen. Das Steuerschuldverhältnis betrifft nach § 37 [X.] den Steueranspruch, den Steuervergütungsanspruch, den Haftungsanspruch, den Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, den Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 [X.] sowie die in den Steuergesetzen geregelten [X.]. Die [X.]efugnis zum Erlass des Verwaltungsaktes beschränkt sich aber auf die Anspruchsfeststellung als solche; die Feststellung des (auch) deliktischen Rechtsgrundes eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis wird von § 251 Abs. 3 [X.] nicht gedeckt ([X.], in: [X.], [X.], 13. Aufl. 2010, § 185 Rn. 5; wohl auch [X.]GH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - [X.]/08 - NJW 2009, 1280, der ansonsten die Klage mangels [X.] hätte abweisen müssen; ebenso für Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge [X.] ([X.]reisgau), [X.]eschluss vom 13. April 2011 - 3 T 23/11 - juris Rn. 14; a.A. für einen Anspruch auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen [X.], [X.]eschluss vom 18. Juli 2008 - 9 T 27/08 - juris Rn. 14 f.).

Zu einer anderen Entscheidung veranlasst entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht die [X.]egründung des Gesetzentwurfs zur Änderung der [X.] vom 28. März 2001 ([X.]TDrucks 14/5680 S. 27). Dort ist das [X.] bei Vorliegen des [X.] der unerlaubten Handlung nur verfahrenstechnisch mit der [X.]ehandlung eines Konkursvorrechts nach altem Recht verglichen worden. Der Gläubiger sowohl der [X.] wie auch der Konkursordnung nach altem Recht sollte ein beanspruchtes Vorrecht unter Angabe der Tatsachen, auf die sich gestützt wird, mit anmelden müssen, um bei der Feststellung der Forderung berücksichtigt zu werden. Eine Aussage zum Rechtsweg im Falle eines Streits um die Feststellung der unerlaubten Handlung lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen (so zutreffend [X.], [X.]eschluss vom 13. April 2011 a.a.[X.] Rn. 15).

2. Die Entscheidung über die Kosten folgt § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung ist hier nicht gemäß § 17b Abs. 2 Satz 1 [X.] entbehrlich. Denn die Kosten im "Verfahren vor dem angegangenen Gericht" sind nur die Kosten des erstinstanzlichen Gerichts. Das [X.]eschwerdegericht hat daher über die Kosten eines [X.]eschwerdeverfahrens nach § 17a Abs. 4 Satz 3 und 4 [X.] selbst eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. [X.]eschlüsse vom 15. Oktober 1993 - [X.]VerwG 1 D[X.] 34.92 - [X.]VerwGE 103, 26 <32> und vom 2. Mai 2007 - [X.]VerwG 6 [X.] 10.07 - Rn. 18 ; [X.], in: [X.] Kommentar ZPO, 3. Aufl. 2008, [X.]d. 3, § 17b [X.] Rn. 10; a.[X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl. 2010, § 41 <§§ 17 - 17b [X.]> Rn. 45).

Meta

9 B 37/12

12.04.2013

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 20. August 2012, Az: 2 S 788/12, Beschluss

§ 40 Abs 1 VwGO, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 179 InsO, §§ 179ff InsO, § 185 InsO, § 302 Nr 1 InsO, § 13 GVG, § 17a Abs 4 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.04.2013, Az. 9 B 37/12 (REWIS RS 2013, 6677)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6677

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