Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.07.2014, Az. B 11 SF 1/14 R

11. Senat | REWIS RS 2014, 4104

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Zuständigkeit der Zivilgerichte für Streit um die rechtliche Einordnung einer Insolvenzforderung als eine auf deliktischem Handeln beruhende Forderung


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des [X.] vom 20. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten über das Beruhen einer Insolvenzforderung der Klägerin auf deliktischem Handeln als Vorfrage dazu, ob diese Forderung gemäß § 304 Abs 1 iVm § 302 [X.] ([X.]) von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt wird. Sozialgericht ([X.]) und [X.] (L[X.]) haben vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs nach § 17a Gerichtsverfassungsgesetz ([X.]) entschieden.

2

Die klagende [X.] ([X.]) hatte dem Beklagten von Januar 1998 bis Juli 2004 Arbeitslosenhilfe ([X.]) gewährt. Während derselben [X.] hatte dieser erhebliche Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit erzielt, dies der Klägerin aber verschwiegen. Die Klägerin nahm die Bewilligung der [X.] für die [X.] vom 1.1.1998 bis 31.7.2004 mit bestandskräftigem Bescheid vom [X.] zurück und forderte die Erstattung erbrachter 46 263,74 Euro. [X.] blieben erfolglos. Der Beklagte wurde vom [X.] (Urteil vom 12.12.2007) wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Im Jahre 2009 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete beim Insolvenzverwalter im Juli 2009 eine Forderung iHv 46 263,74 Euro zur Insolvenztabelle mit dem Antrag an, sie von der Erteilung der Restschuldbefreiung auszunehmen. Der Beklagte bestritt, dass die Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung [X.]. Daraufhin hat die Klägerin Klage vor dem [X.] gemäß § 184 Abs 1 S 1 [X.] auf Feststellung des [X.] der Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung erhoben.

3

Das [X.] hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als nicht gegeben angesehen und den Rechtsstreit an das [X.] ([X.]) verwiesen (Beschluss vom 4.11.2013). Das L[X.] hat die Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen und die weitere Beschwerde an das [X.] (B[X.]) gemäß § 17a Abs 4 S 5 [X.] zugelassen (Beschluss vom [X.]). Es hat maßgeblich darauf abgestellt, dass es bei der Prüfung der "Delikteigenschaft einer Insolvenzforderung" (gemeint: des [X.] einer Forderung auf deliktischem Handeln) nicht darum gehe, ob die Leistungsaufhebungs- und Erstattungsbescheide eines Sozialversicherungsträgers rechtmäßig seien; die Prüfung beschränke sich vielmehr darauf, ob die Verbindlichkeit des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung [X.]. Dieser eingeschränkte, auf § 823 Abs 2 [X.] (BGB) reduzierte Prüfungsumfang rechtfertige es, die Eröffnung des Rechtswegs zu den Zivilgerichten anzunehmen.

4

Mit ihrer Beschwerde verweist die Klägerin auf [X.]. Die sozialrechtliche Prägung der [X.]forderung folge aus der Geschlossenheit des im Einzelnen in sich abgestimmten sozialrechtlichen Erstattungs- und Schadensersatzsystems in §§ 44 ff [X.] ([X.]B X). Dieses mache es entbehrlich, einen Anspruch auf die entsprechende Anwendung des § 823 Abs 2 BGB iVm § 263 Strafgesetzbuch (StGB) zu stützen. Entsprechend sei die [X.]forderung gegenüber dem Beklagten auch auf § 45 Abs 2 S 3 [X.] 2 [X.]B X gestützt und damit begründet worden, der Beklagte habe "zumindest grob fahrlässig" falsche Angaben gemacht. Damit sei die Klägerin vorrangig von einem vorsätzlichen Verhalten des Beklagten ausgegangen, habe jedoch zugleich dargelegt, dass auf jeden Fall zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht worden seien.

5

II. [X.] ist nicht begründet. [X.] und L[X.] sind zutreffend von der Zuständigkeit des [X.] für die Frage ausgegangen, ob die betroffene Insolvenzforderung der Klägerin auf deliktischem Handeln des Beklagten beruht.

6

Dass der im Verfahren nach §§ 179 ff [X.] isoliert auszutragende Streit um die rechtliche Einordnung der angemeldeten Forderung als eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung vor den Zivilgerichten zu führen ist, ist in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte - unter Beachtung der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ([X.]) zur Einordnung einer Streitigkeit als öffentlich- oder bürgerlichrechtlich - geklärt (vgl [X.] <[X.]> Beschluss vom 2.12.2010 - [X.] 271/09 - FamRZ 2011, 476 und Juris; [X.] <[X.]> Beschluss vom 12.4.2013 - 9 B 37/12 - [X.] 310 § 40 VwGO [X.]; [X.] Beschluss vom 29.10.1987 - [X.] 1/86 - [X.] 1500 § 51 [X.]). In übereinstimmender Begründung stellen [X.] und [X.] entscheidungserheblich darauf ab, dass für die Zuordnung des klägerischen Anspruchs aus unerlaubter Handlung allein die Natur des Rechtsverhältnisses entscheidend ist, aus dem der [X.] hergeleitet wird ([X.] [X.]Z 102, 280, 283; [X.] Beschluss vom 2.4. 2009 - [X.] 182/08 - ZIP 2009, 825 und Juris, Rd[X.] 10; [X.] Beschluss vom 12.4.2013 - 9 B 37/12 - [X.] 310 § 40 VwGO [X.] = Juris, Rd[X.] 6 und 8).

7

Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Das tatbestandliche Vorliegen einer Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, welches allein Gegenstand der Vorfrage nach § 304 Abs 1 S 1, § 302 [X.] 1 [X.] und damit der Feststellungsklage nach § 184 S 1 [X.] ist, beurteilt sich nach den Normen des Zivilrechts, hier nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 263 StGB. Dabei hat § 302 [X.] 1 [X.] nicht zur Voraussetzung, dass ein Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung auch als solcher gerichtlich durchsetzbar sein müsste. Das Verbraucherinsolvenzverfahren soll den insolventen Schuldner davor bewahren, "zeitlebens" Schulden abtragen und dauerhaft unter dem [X.] leben zu müssen. Daher wird der Schuldner bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen im Regelfall von seinen restlichen Schulden befreit (Restschuldbefreiung). Dies gilt nicht für bestimmte, in § 302 [X.] angesprochene, von der Restschuldbefreiung ausgenommene Fälle. Der Gesetzgeber bringt mit § 302 [X.] 1 [X.] zum Ausdruck, dass der besondere Unwertgehalt einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung weiterhin mit dem regulären Zugriff auf gegenwärtiges und künftiges Einkommen und Vermögen zu belegen ist. Gleichgültig muss dabei sein, auf welchen rechtlichen Grundlagen dieser Zugriff beruht (zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Inanspruchnahme). § 302 [X.] 1 [X.] stellt in dieser Hinsicht ein besonderes Billigkeitsrecht dar (vgl [X.] Urteil vom [X.] - [X.], 532 = NJW 2007, 2854; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.], 3. Aufl 2014, § 302 Rd[X.] 4; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl 2010, § 302 Rd[X.] 1 mwN).

8

Dahingestellt bleiben kann daher, ob die zur Insolvenztabelle angemeldete - hier bestandskräftig gewordene - ([X.])Forderung lediglich auf die öffentlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 45, 50 [X.]B X gestützt werden kann, oder ob der klagenden [X.] daneben in [X.] ein auf entsprechende Zahlung gerichteter zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 263 StGB zusteht (ablehnend [X.], NJW 1985, 1872; vgl auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.] VwVfG 7. Aufl 2008, § 49a Rd[X.] 36 mwN). Die das Feststellungsverfahren entscheidende Frage ist, ob die angemeldete Forderung aus einem Verhalten resultiert, das tatbestandlich, unabhängig von gerichtlicher Durchsetzbarkeit, eine unerlaubte Handlung darstellt und es insoweit keiner Abmilderung seiner Haftungsfolgen bedarf. Diese spezifisch insolvenzrechtliche Wertung nach § 302 [X.] 1 [X.] zu treffen ist den hierzu berufenen Zivilgerichten als Insolvenzgerichte vorbehalten.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G. Das Verfahren ist für den Beklagten kostenfrei nach § 183 S 1 [X.]G, weil er auch hinsichtlich der zu entscheidenden Vorfrage des Insolvenzrechts in seiner Eigenschaft als Leistungsempfänger betroffen ist.

Meta

B 11 SF 1/14 R

14.07.2014

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Hannover, 4. Oktober 2013, Az: S 9 AL 527/09, Beschluss

§ 17a GVG, § 13 GVG, § 304 Abs 1 S 1 InsO, § 302 Nr 1 InsO, § 184 Abs 1 S 1 InsO, § 823 Abs 2 BGB, § 263 StGB, § 51 Abs 1 SGG, SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.07.2014, Az. B 11 SF 1/14 R (REWIS RS 2014, 4104)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4104

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Vorsätzliche unerlaubte Handlung, Feststellungsklage, Insolvenzgläubiger, Erstattungsforderung, Feststellung der Forderung, Sozialgerichte, Im Insolvenzverfahren, Restschuldbefreiung, Insolvenzordnung, Sozialrechtsweg, …


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