Bundessozialgericht, Urteil vom 26.03.2020, Az. B 3 KR 10/19 R

3. Senat | REWIS RS 2020, 2243

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 23. Oktober 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld ([X.]) für die Zeit vom 3.10.2013 bis 20.10.2014.

2

Die Klägerin ist Witwe des 1957 geborenen, bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versichert gewesenen, im Verlaufe des Revisionsverfahrens verstorbenen Versicherten, mit dem sie in gemeinsamen Haushalt lebte. Bei dem Versicherten bestand seit dem 22.4.2013 Arbeitsunfähigkeit ([X.]) wegen eines Zustandes nach einer [X.] und sein Beschäftigungsverhältnis endete am 26.4.2013. Der behandelnde Orthopäde bescheinigte dem Versicherten am 16.8.2013 [X.] bis [X.]. Am Tag des vereinbarten Folge-Untersuchungstermins, dem [X.], suchte der Versicherte die Praxis auf, allerdings kam es an diesem Tag lediglich zu einem kurzen Gespräch mit dem Arzt auf dem Flur der Praxis. Die Untersuchung und [X.]-Feststellung wurde auf Bitte des Arztes wegen eines hohen Patientenaufkommens aufgrund des bevorstehenden Feiertags (3.10.2013) und einer Praxisschließung am [X.] mit Blick auf die klare Diagnose auf Montag, den 7.10.2013, verschoben. An diesem Tag stellte sich der Versicherte bei seinem Arzt erneut vor, der ihm weiterhin [X.] voraussichtlich bis 2[X.] bescheinigte.

3

Die Beklagte entschied im [X.] daran, dass die Pflichtmitgliedschaft des Versicherten und sein Anspruch auf [X.] zum [X.] geendet hätten. Spätestens an diesem Tag (= letzter Tag der in der vorangegangenen ärztlichen Bescheinigung attestierten [X.]) sei ihm die für die Aufrechterhaltung des [X.]-Anspruchs erforderliche weitere [X.] nicht ärztlich bescheinigt worden (Bescheid vom 10.10.2013). Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ([X.]) ein, welches ergab, dass der Versicherte auch über den [X.] hinaus arbeitsunfähig war. Der Widerspruch blieb aus den Gründen des angefochtenen Bescheides ohne Erfolg; auch scheide ein Anspruch auf [X.] für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft nach § 19 Abs 2 Satz 1 [X.]B V aus, da der Versicherte ab dem 3.10.2013 im Rahmen der Familienversicherung seiner Ehefrau Versicherungsschutz ohne [X.]-Anspruch erlangt habe (Widerspruchsbescheid vom 18.12.2013).

4

Die Klage des Versicherten ist in erster Instanz ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid vom 8.11.2016). Das [X.] hat seine Berufung - teilweise auf die Entscheidungsgründe des [X.] Bezug nehmend - zurückgewiesen: Der Versicherte habe trotz fortbestehender [X.] keinen Anspruch auf Gewährung von [X.] über den [X.] hinaus, weil die dafür erforderliche ärztliche [X.]-Bescheinigung nicht rechtzeitig am [X.], sondern erst am 7.10.2013 ausgestellt worden sei. Ab 3.10.2013 sei der Versicherte aber wegen § 192 Abs 1 [X.] 2 [X.]B V nicht mehr mit Anspruch auf [X.] versichert gewesen. Anderes ergebe sich auch nicht aus der jüngeren Rechtsprechung des B[X.] (Hinweis auf Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - B[X.]E 123, 134 = [X.]-2500 § 46 [X.] 8), weil der Versicherte nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan habe, um rechtzeitig eine ärztliche Folge-[X.]-Feststellung zu erlangen. Fehlberatungen einer vertragsärztlichen Praxis entlasteten Versicherte insoweit grundsätzlich nicht im Verhältnis zur [X.]. Hiervon sei bei dem Versicherten keine Ausnahme zu machen. Aus § 19 Abs 2 [X.]B V ergebe sich nichts zu Gunsten des Versicherten (Urteil vom 23.10.2018).

5

Mit ihrer dagegen gerichteten Revision rügt nunmehr die Klägerin sinngemäß die Verletzung der § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 [X.] 2 [X.]B V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung. Dem [X.] könne nicht darin gefolgt werden, dass die gesetzlichen Vorschriften den Anspruch des Versicherten auf [X.] wegen fehlender ärztlicher Untersuchung am [X.] [X.]. Bei dem Versicherten habe zweifellos eine durchgehend ärztlich festgestellte [X.] bestanden. Der Versicherte habe auch alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan, um [X.]-Ansprüche durch eine zeitgerechte [X.]-Bescheinigung zu wahren. Er sei aber wegen eines Organisationsmangels des Arztes, den sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, auf den nächsten Werktag mit Praxisöffnung vertröstet worden. Ihm könne nach den Umständen nicht abverlangt werden, noch am [X.] eine andere Arztpraxis aufzusuchen.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

das Urteil des [X.] vom 23. Oktober 2018 und den Gerichtsbescheid des [X.] vom 8. November 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom18. Dezember 2013 zu verurteilen, ihr Krankengeld für den verstorbenen Versicherten [X.] vom 3. Oktober 2013 bis 20. Oktober 2014 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8

Sie hält das Urteil des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Die Klägerin hat als prozessführungsbefugte und aktivlegitimierte Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten (§ 56 Abs 1 Satz 1 [X.]) entgegen der Auffassung der Vorinstanzen Anspruch auf Zahlung von [X.] dem Grunde nach ab 3.10.2013. Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) kann der [X.] allerdings nicht abschließend über den von der Klägerin mit ihrem Revisionsantrag geltend gemachten Anspruch auf [X.]-Zahlung für die gesamte [X.] vom 3.10.2013 bis 20.10.2014 entscheiden.

1. Der [X.] konnte aufgrund des [X.] der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung nach Lage der Akten entscheiden (§ 110 Abs 1 Satz 2, § 126 iVm § 165 Satz 1, § 153 Abs 1 SGG); die Beteiligten hatten hierzu zudem vorab ihr Einverständnis erklärt.

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheid vom 10.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2013, gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wendet (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG).

3. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf [X.] für beschäftigte Pflichtversicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) sind hier § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 [X.] in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (§§ 44 und 46 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, [X.] 1990, 3578; im Folgenden: aF) iVm § 192 Abs 1 [X.], der den Erhalt der Mitgliedschaft [X.] bei Anspruch auf oder Bezug von [X.] bestimmt.

Nach § 44 Abs 1 [X.] aF haben Versicherte Anspruch auf [X.] ua dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte [X.] beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im [X.]punkt des jeweils in Betracht kommenden [X.] für das [X.] vorliegt (stRspr, vgl nur [X.] Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]; [X.] Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], RdNr 15). Nach § 46 Satz 1 [X.] aF entsteht dieser Anspruch auf [X.] von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der [X.] folgt. Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von [X.] anschließende Folgefeststellungen (stRspr, vgl nur [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 13 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

4. Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen hier vor. Von diesen ist zwischen den Beteiligten zu Recht allein im Streit, ob am 3.10.2013, dem ersten Tag nach dem Ende der zuletzt ärztlich festgestellten [X.], noch eine Versicherung mit Anspruch auf [X.] bestand. Letzteres ist zu bejahen.

a) Für den Anspruch auf [X.] ist insoweit erforderlich, dass an diesem Tag dieser Versicherungsschutz noch mit Blick auf § 192 Abs 1 [X.] fortbestand. Dies erforderte einen lückenlosen [X.]-Anspruch oder [X.]-Bezug, der nach § 46 Satz 1 [X.] aF nach stRspr des [X.] auch bei fortbestehenden Dauererkrankungen erst vom Folgetag der ärztlichen [X.]-Feststellung an entsteht. Daher muss eine erneute ärztliche [X.]-Feststellung - ohne dass ein Karenztag eintritt - spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten [X.]-[X.]raums erfolgen (s erneut [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 13 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

Im Falle des Versicherten erfolgte keine erneute ärztliche Feststellung der [X.] spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten [X.]-[X.]raums, dem [X.]. Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere [X.]-Gewährung nötigen [X.]-Feststellung unterbrach damit wegen der nicht eingreifenden Wirkung des § 192 Abs 1 [X.] an sich mangels aufrechterhaltener Pflichtmitgliedschaft des Versicherten mit Wirkung für die Zukunft den Krankenversicherungsschutz mit [X.]-Anspruch ab 3.10.2013; denn rechtlich hat grundsätzlich der Versicherte im Sinne einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche [X.]-Feststellung erfolgt (stRspr, vgl nur [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 17, 22; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

Sinn und Zweck all dessen ist es, beim [X.] Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der [X.] und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten ([X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 17; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0). Hieran ist auch die ausnahmsweise Zulassung von rückwirkenden Nachholungen von [X.]-Feststellungen bzw von nicht lückenlosen [X.]-Feststellungen zu messen. Die Auslegung von Vorschriften des [X.] zur [X.]-Beschränkung, die der Vermeidung von [X.] und praktischen Schwierigkeiten dienen, wird durch diesen Regelungszweck bestimmt und begrenzt (vgl dazu zuletzt [X.] - B 3 KR 23/18 R - [X.]-2500 § 16 [X.] Rd[X.]9 f).

b) Von diesen grundsätzlichen Erfordernissen sind in der Rechtsprechung des [X.] allerdings bereits enge Ausnahmen anerkannt worden (vgl nur - jeweils mwN - [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]6 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]1 ff; vgl zuletzt - zur Meldung nach § 49 Abs 1 [X.] [X.] - [X.] Urteil vom [X.] - B 3 KR 6/18 R - juris Rd[X.]2 ff, zur [X.] in [X.] und [X.]-2500 § 49 [X.] vorgesehen).

Der [X.] hat insoweit mit seinem Urteil vom 11.5.2017 ([X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.] für die Rechtslage bis 22.7.2015) unter Fortentwicklung und Teilaufgabe früherer Rechtsprechung entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen [X.]-Feststellungen nicht nur bei medizinischen Fehlbeurteilungen ([X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]4 mwN), sondern auch bei nichtmedizinischen Fehlern eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit der [X.]-Feststellung für den Versicherten unschädlich ist, wenn sie der betroffenen [X.] zuzurechnen ist. Nach dieser Rechtsprechung steht dem [X.]-Anspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche [X.]-Feststellung nicht entgegen, wenn

1.    

der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um

        

(a) die ärztliche Feststellung der [X.] als Voraussetzung des Anspruchs auf [X.] zu erreichen, und

        

(b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den [X.]-Anspruch erfolgt ist,

2.    

er an der Wahrung der [X.]-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (zB eine irrtümlich nicht erstellte [X.]-Bescheinigung), und

3.    

er - zusätzlich - seine Rechte bei der [X.] unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 [X.] [X.], nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (so [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]4).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Versicherte so zu behandeln, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der [X.] erhalten.

c) Der [X.] entwickelt diese Rechtsprechung fort und konkretisiert sie dahin, dass es einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen [X.] gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen eine ärztliche Feststellung der [X.] als Voraussetzung des Anspruchs auf [X.] zu erhalten, es dazu aber aus dem Vertragsarzt und der [X.] zurechenbaren Gründen erst verspätet nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist.

Das ist insbesondere in Fällen - wie hier - anzunehmen, in denen die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen Folge-[X.]-Feststellung in der Sphäre des Vertragsarztes (vgl zur Einbindung der Vertragsärzte in das [X.]-System nur § 2 Abs 2, § 72 Abs 1 und 2, § 73 Abs 2, § 75 Abs 1, § 76 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.]) und nicht in derjenigen des Versicherten liegen. Dies ist typischerweise zu bejahen bei einer auf Wunsch des Vertragsarztes bzw seines von ihm angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen [X.] in der (naheliegenden) Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach den [X.] ([X.]-RL) des [X.] ([X.]) auch die begrenzte rückwirkende ärztliche [X.]-Feststellung statthaft sei.

Für die Gleichstellung der aus den vorgenannten Gründen unterbliebenen rechtzeitigen [X.]-Feststellung aufgrund hinreichenden [X.]s mit einer zeitgerechten Feststellung der [X.] spricht, dass die Obliegenheiten des Versicherten auf das in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare beschränkt sind. Ein "[X.]", das ohnehin grundsätzlich unerwünscht ist (vgl § 76 Abs 3 Satz 1 [X.]), statt des nachvollziehbaren Wunsches, von dem mit der [X.] schon vertrauten (hier: Fach-) Arzt weiterbetreut zu werden, kann von ihm grundsätzlich nicht verlangt werden. Für Versicherte fallen zudem ihr soziales Schutzbedürfnis in der [X.] zu ihrer finanziellen Absicherung im Krankheitsfall (s auch § 2 Abs 2 und § 4 Abs 2 Satz 1 [X.], § 21 Abs 1 [X.] Buchst g SGB I) und die Verhältnismäßigkeit von leistungsrechtlichen Folgen bei tatsächlichen Fristversäumnissen ins Gewicht (verfassungsrechtliches Übermaßverbot). Diese Erwägungen waren für den [X.] schon wesentlich für die Erweiterung der Unschädlichkeit von Arztfehlern im nichtmedizinischen Bereich ([X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]5 ff). [X.] Erwägungen der Missbrauchsabwehr haben dagegen, vor allem in zweifelsfreien Folge-[X.]-Fällen, kein solch großes Gewicht, dass sie diese Schutzaspekte überlagern und verdrängen könnten.

Für die vorstehende Auslegung des § 46 Satz 1 [X.] aF und Weiterentwicklung der Rechtsprechung des [X.]s spricht darüber hinaus, dass sich Versicherungsträger in ihrem Verwaltungshandeln auch am Rechtsgedanken von [X.] (vgl § 242 [X.]) auszurichten haben, welcher auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts Anwendung findet (stRspr, aus jüngerer [X.] zB [X.] Urteil vom [X.] - B 13 R 67/09 R - [X.]-2400 § 24 [X.] Rd[X.]9 ff mit umfangreichen Rspr-Nachweisen; vgl auch zuletzt [X.] Beschluss vom [X.] 1/18 - juris RdNr 18, zur [X.] in [X.] und [X.]-2600 § 118 [X.] vorgesehen; [X.] Urteil vom [X.] - B 1 KR 3/18 R - juris Rd[X.]2, zur [X.] in [X.] und [X.]-1780 § 161 [X.] vorgesehen). Versicherungsträger aller Zweige dürfen sich daher zB nicht auf die Versäumung einer dem geltend gemachten Leistungsanspruch entgegenstehenden Ausschlussfrist berufen, wenn sie die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert haben (vgl bereits [X.] Urteil vom 17.11.1970 - 1 RA 233/68 - [X.] 32, 60, 62 = [X.] Nr 15 zu § 1286 aF [X.]; ferner zB BVerwG Urteil vom 28.3.1996 - 7 C 28.95 - BVerwGE 101, 39, 45 mwN = [X.] 428 § 30a VermG [X.]; [X.] Urteil vom 27.6.1985 - [X.] - NVwZ 1985, 938, 939 = LM [X.]6 zu § 190a [X.] 1956).

Das folgt vor allem auch aus dem Rechtsgedanken des § 162 Abs 1 [X.]. Diese Regelung bestimmt sinngemäß, dass dann, wenn der Eintritt der Bedingung von der [X.], zu deren Nachteil der Eintritt gereichen würde, wider [X.] verhindert wird, diese Bedingung (gleichwohl) als eingetreten gilt. § 162 Abs 1 [X.] liegt damit der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand - auch kein Träger öffentlicher Verwaltung - aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten, das er (oder ein seiner Sphäre zuzurechnender Dritter) einer ihm rechtlich verbundenen Person gegenüber gezeigt hat, einen Vorteil ziehen darf (vgl nur [X.] in [X.], [X.], § 162 Rd[X.], 4, 15, Stand 2015; ferner zB BVerwG Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 39.82 - BVerwGE 68, 156, 159 = [X.] 448.0 § 13a [X.]). Dem Rechtsgedanken der Regelung kommt auch im Bereich der Leistungsverwaltung des Sozialrechts Bedeutung zu, insbesondere im Zusammenhang mit der Versäumung von ([X.], die von einem Leistungsberechtigten einzuhalten sind (vgl bereits [X.] 32, 60, 62 = [X.] Nr 15 zu § 1286 aF [X.]; ferner [X.] NVwZ 1985, 938, 939 = LM [X.]6 zu § 190a [X.] 1956 = juris RdNr 14). Über den der Bestimmung zugrunde liegenden Rechtsgedanken wird dann fingiert, dass die Einhaltung der Ausschlussfrist durch den Begünstigten gewahrt ist (so [X.], ebenda, unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 15.7.1959 - [X.] 80.57 - BVerwGE 9, 89, 92 und BVerwG Urteil vom [X.] 72.63 - DVBl 1966, 857, auf [X.] 32, 60, 62 = [X.] Nr 15 zu § 1286 aF [X.] und [X.] Urteil vom 17.5.1973 - 12 RJ 354/72 - [X.] [X.] zu § 1252 [X.] = DVBl 1973, 793 sowie auf [X.], 148, 151).

So verhält es sich auch hier. In den beschriebenen Fällen kann der (rechtzeitige) Zugang der Erklärung oder Eintritt der Bedingung nach § 162 Abs 1 [X.] fingiert werden bzw es dem Empfänger oder einer [X.] nach [X.] verwehrt sein, sich auf den fehlenden oder verspäteten Zugang oder Bedingungseintritt zu berufen. In diesem Sinne dürfen auch [X.]n gegenüber dem [X.]-Anspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche [X.] sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die

1.    

in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen, und die

2.    

auch den [X.]n zuzurechnen sind.

Es ist dann gerechtfertigt und vom Normzweck der gesetzlichen Regelungen zum [X.] gedeckt, dass sich die [X.] nicht auf eine dem vertragsärztlichen System anzulastende Verhinderung der rechtzeitigen [X.]-Feststellung berufen darf.

Der [X.] hat diese Zurechnung fehlerhaften [X.] zu den [X.]n (bezogen auf deren Sozialversicherungsverhältnis zu ihren Versicherten) bereits für nichtmedizinische Fehler eines Vertragsarztes im Urteil vom 11.5.2017 mit einer missverständlichen Fassung der [X.]-RL des [X.] begründet. Die [X.]-RL (hier noch anzuwenden idF vom 1.12.2003, zuletzt geändert am [X.], BAnz [X.], in [X.] getreten am 3.7.2013) erlaubten den Vertragsärzten als Leistungserbringern im [X.]-System in dem sie selbst betreffenden vertragsärztlichen [X.] ausdrücklich eine zeitlich begrenzte Rückdatierung und rückwirkende Bescheinigung der [X.] (§ 5 Abs 3, s auch § 6 Abs 2 [X.]-RL). Die Vertragsärzte werden in dem Regelwerk zugleich allerdings nicht - was geboten wäre - deutlich auf die damit verbundenen ganz erheblichen leistungsrechtlichen Nachteile für die [X.]-Ansprüche der sie aufsuchenden Versicherten der [X.] hingewiesen (vgl ähnlich selbst noch § 5 Abs 3 [X.]-RL in der zum Entscheidungszeitpunkt des [X.]s geltenden, zuletzt geänderten Fassung vom 27.3.2020, BAnz [X.], in [X.] getreten am 23.3.2020). Entsprechend hervorgerufene bzw aufrechterhaltene Fehlvorstellungen bei Vertragsärzten über deshalb auch vermeintlich den Versicherten in ihrem Verhältnis zu deren [X.] unschädliche leistungsrechtliche Folgen rückwirkender [X.]-Feststellungen sind den [X.]n als maßgebliche Mitakteure im [X.] (vgl näher § 91 [X.]) und Anspruchsgegner der [X.]-Ansprüche Versicherter zuzurechnen (vgl zum Ganzen [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]1 ff).

5. Gemessen an den Ausführungen unter 4. c) hat die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten Anspruch auf [X.] ab 3.10.2013 bis zum Ende der letzten vom [X.] festgestellten [X.]-Bescheinigung vom 7.10.2013, also bis 2[X.]. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den [X.] revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des [X.] (vgl § 163 SGG) hatte der Versicherte für den letzten Tag der zuletzt ärztlich festgestellten [X.] am [X.] einen rechtzeitigen Termin bei seinem ihn behandelnden Vertragsarzt vereinbart, der zur Erhaltung der [X.]-Ansprüche ausreichend gewesen wäre. Dieser Termin kam nicht rechtzeitig zustande, weil der Versicherte am [X.] in der Praxis von seinem Vertragsarzt gebeten worden war, aus Gründen der [X.] an diesem Tag vor dem Feiertag, 3.10.2013, und der für Freitag, den [X.], vorgesehenen Praxisschließung noch einmal am Montag, den 7.10.2013, zu erscheinen. Diese praxisinternen Gründe sind dem Versicherten in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigter der Beklagten nicht zuzurechnen. Er durfte darauf vertrauen, dass ihm die von seinem Vertragsarzt veranlasste - leistungsrechtlich objektiv schädliche - Terminverschiebung gegenüber der Beklagten in Bezug auf seine [X.]-Ansprüche nicht schadete (vgl zu Fragen des vertragsärztlichen Handelns, auf das Versicherte vertrauen können und das sich [X.]n zurechnen lassen müssen, zuletzt auch [X.] Urteil vom [X.] - B 3 KR 6/18 R - juris Rd[X.]9 ff, zur [X.] in [X.] und [X.]-2500 § 49 [X.] vorgesehen). Der Versicherte musste nicht entgegen dem Ansinnen seines Arztes auf dem Termin am [X.] beharren oder an diesem Tag einen anderen Arzt zur Feststellung der Folge-[X.] aufsuchen. Beides war ihm nicht zuzumuten. Vielmehr ist der Versicherte so zu behandeln, als habe sein Arzt am [X.] rechtzeitig die weitere [X.] festgestellt. Das durchgehende Fortbestehen der tatsächlich erst am 7.10.2013 festgestellten [X.] des Versicherten zieht die Beklagte nicht in Zweifel (Stellungnahme ihres [X.]). Anhaltspunkte für sonstige Gründe, die einem auf die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin übergegangenen [X.]-Anspruch ab 3.10.2013 des Versicherten entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

6. Dem [X.] selbst ist allerdings eine abschließende Entscheidung über die Dauer und das Ende des ab 3.10.2013 einsetzenden [X.]-Anspruchs verwehrt (vgl zum Fortbestehen und Ende des [X.]-Anspruchs zuletzt [X.] Urteil vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - juris RdNr 12, 15, zur [X.] in [X.] und [X.]-2500 § 49 [X.] vorgesehen). Für die [X.] vom 3.10.2013 bis 2[X.] drängt sich zwar bereits jetzt die Abgabe eines (Teil-)Anerkenntnisses der Beklagten (vgl § 101 Abs 2 SGG) auf. Feststellungen zu Folge-[X.]-Bescheinigungen über dieses Enddatum hinaus und zu den in weiteren Bescheinigungen dokumentierten Endzeitpunkten hat das [X.] - ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt konsequent - allerdings nicht getroffen. Das ist nachzuholen für das klägerische Begehren auf [X.]-Zahlungen bis 20.10.2014; dies gilt sowohl in Bezug auf die Berechtigung des Endzeitpunkts als auch für die bis zu diesem [X.]punkt jeweils zu erfüllenden Anspruchsvoraussetzungen (vgl ua auch § 46 Satz 1 [X.] Satz 2, § 49 Abs 1 [X.] [X.]). Darüber hinaus kommt die Prüfung der möglicherweise zu einem bestimmten [X.]punkt ausgeschöpften Anspruchshöchstdauer (§ 48 Abs 1 [X.] ) sowie die Prüfung der Anrechnung von Geldleistungen anderer Leistungsträger im Falle von medizinischer Rehabilitation (§ 49 Abs 1 [X.] [X.]) oder Rente wegen Erwerbsminderung (§ 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 [X.]) in Betracht.

Das [X.] wird Feststellungen hierzu im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben, um über die Dauer und das Ende bzw über Ausschluss, Kürzung und Ruhen des [X.]-Anspruchs ab 3.10.2013 entscheiden zu können.

7. Das [X.] wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.

Meta

B 3 KR 10/19 R

26.03.2020

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Braunschweig, 8. November 2016, Az: S 31 KR 21/14, Gerichtsbescheid

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.03.2020, Az. B 3 KR 10/19 R (REWIS RS 2020, 2243)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2243

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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