Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.2020, Az. B 3 KR 5/20 R

3. Senat | REWIS RS 2020, 2482

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 11. März 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von weiterem Krankengeld ([X.]) für die [X.] vom 15.11.2014 bis 6.7.2017.

2

Die 1959 geborene Klägerin war seit [X.] als Bezieherin von Arbeitslosengeld nach dem [X.] bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) in der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) pflichtversichert bis [X.] Die behandelnde [X.] (Hausärztin, Fachärztin für Allgemeinmedizin) bescheinigte ihr am 10.10.2014 fortdauernde Arbeitsunfähigkeit ([X.]) wegen einer Entzündung der [X.] bis 30.10.2014 (zuvor jeweils abschnittsweise [X.]-Feststellungen seit Erstfeststellung von [X.] ab 10.9.2014). Ab 22.10.2014 zahlte die Beklagte der Klägerin [X.]. Auf Veranlassung der Beklagten untersuchte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung [X.] ([X.]) die Klägerin am [X.] Nach dem Gutachten vom selben Tag sei die Klägerin ausreichend belastbar für eine leichte angemessene Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und ab 8.11.2014 (insoweit) nicht weiter arbeitsunfähig. Die Beklagte stellte daraufhin das Ende der [X.] und der Zahlung von [X.] am 7.11.2014 fest (Bescheid vom 30.10.2014; Widerspruchsbescheid vom 12.12.2014).

3

Am 30.10.2014 stellte die [X.] der Klägerin eine Folge-[X.]-Bescheinigung bis 7.11.2014 aus. Am 6.11.2014 bescheinigte sie ihr auf einem Auszahlschein für [X.] fortdauernde [X.] bis 14.11.2014 (Freitag). Die nächste Folge-[X.]-Bescheinigung stellte die [X.] am 17.11.2014 (Montag) bis 25.11.2014 aus. Die Beklagte führte die Klägerin vom 8.11.2014 bis 15.6.2015 aufgrund ihres Antrags auf Rente wegen Erwerbsminderung als Rentenantragstellerin nach § 189 [X.] und nach dessen Ablehnung ab 16.6.2015 als freiwillig Versicherte nach § 188 Abs 4 [X.]. Seit 7.7.2017 ist die Klägerin als Sekretärin sozialversicherungspflichtig bei ihrem Ehemann beschäftigt.

4

Im Klageverfahren vor dem [X.] gegen den Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2014 hat die Beklagte diese Bescheide geändert und einen Anspruch der Klägerin auf [X.] auch für die [X.] vom 8. bis 14.11.2014 anerkannt; die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen. Das [X.] hat die weitergehende Klage auf Zahlung von [X.] für die [X.] über den 14.11.2014 hinaus abgewiesen (Urteil vom 18.4.2018).

5

Das L[X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Klägerin habe ab 15.11.2014 keinen Anspruch auf [X.]. Sie sei zwar auch über den 14.11.2014 hinaus weiter arbeitsunfähig, aber nach § 192 Abs 1 [X.] 2 [X.] nicht mehr mit Anspruch auf [X.] ab 15.11.2014 versichert gewesen. Die ursprüngliche, während des [X.]-Bezugs bis zum 14.11.2014 fortgesetzte Pflichtversicherung mit Anspruch auf [X.] habe ab 15.11.2014 nicht mehr bestanden, weil die fortdauernde [X.] der Klägerin nicht spätestens am 14.11.2014 ärztlich festgestellt worden sei. Anderes ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des B[X.] (Hinweis auf Urteil des Senats vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - B[X.]E 123, 134 = [X.]-2500 § 46 [X.] 8), weil die Klägerin nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan habe, um rechtzeitig eine ärztliche Folge-[X.]-Feststellung zu erlangen. Darauf, dass nach den Behauptungen der Klägerin ihr Ehemann am 13.11.2014 (Donnerstag) mit ihrer Ärztin telefoniert und diese erklärt habe, am 14.11.2014 (Freitag) nicht da zu sein und dass es ausreiche, am 17.11.2014 (Montag) zu erscheinen, weil die [X.]-Bescheinigung rückwirkend ausgestellt werden könne, komme es nicht an. Fehlberatungen einer vertragsärztlichen Praxis entlasteten Versicherte grundsätzlich nicht gegenüber der [X.]. Hiervon sei bei der Klägerin - mangels eines dafür nach der Rechtsprechung des B[X.] nötigen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts spätestens am 14.11.2014 - keine Ausnahme zu machen (Urteil vom 11.3.2020).

6

Mit ihrer dagegen gerichteten Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 46 Satz 1 [X.] 2 [X.] in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung. Sie habe alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan, um ihre Ansprüche zu wahren, indem sie ihre Ärztin rechtzeitig persönlich habe aufsuchen wollen. Die verhinderte bzw verzögerte Feststellung der [X.] sei nicht ihrem, sondern dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen. Deren [X.] habe die Klägerin unter Hinweis auf die Zulässigkeit einer rückwirkenden Folge-[X.]-Bescheinigung davon abgehalten, noch bis spätestens 14.11.2014 die ärztliche Feststellung ihrer [X.] zu erreichen.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

        

die Urteile des L[X.] [X.] vom 11. März 2020 und des [X.] (Oder) vom 18. April 2018 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 30. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2014 in der Fassung des [X.] vom 18. April 2018 zu verurteilen, ihr Krankengeld vom 15. November 2014 bis 6. Juli 2017 zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin - über die der [X.] aufgrund des angekündigten [X.] der ordnungsgemäß geladenen Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden konnte (vgl § 227 Abs 1 [X.] iVm § 202 Satz 1 SGG) - ist iS der Aufhebung der Entscheidung des [X.] und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der [X.] kann auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen, ob die Klägerin entgegen der Auffassung der Vorinstanzen einen Anspruch auf Zahlung von [X.] ab 15.11.2014 dem Grunde nach hat.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheid der Beklagten vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2014 in der Fassung des [X.] vom 18.4.2018, durch die der von der Klägerin verfolgte Anspruch auf Zahlung von [X.] über den 14.11.2014 hinaus abgelehnt worden ist. Richtige Klageart ist die auf Verurteilung der Beklagten gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), die als auf ein Grundurteil gerichtete Klage keiner Bezifferung bedarf (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG).

2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf [X.] für beschäftigte Pflichtversicherte der [X.] sind hier § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 [X.] in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (§§ 44 und 46 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, [X.] 1990, 3578; im Folgenden: aF) iVm § 192 Abs 1 [X.], der den Erhalt der Mitgliedschaft [X.] bei Anspruch auf oder Bezug von [X.] bestimmt.

Nach § 44 Abs 1 [X.] aF haben Versicherte Anspruch auf [X.] ua dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte [X.] beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden [X.] für das [X.] vorliegt (stRspr, vgl nur [X.] Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]; [X.] Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], RdNr 15). Nach § 46 Satz 1 [X.] aF entsteht dieser Anspruch auf [X.] von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der [X.] folgt. Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von [X.] anschließende Folgefeststellungen (stRspr, vgl nur [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 13 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

3. Von diesen Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf [X.] ab 15.11.2014 dem Grunde nach ist vorliegend zwischen den Beteiligten im Streit, ob am 15.11.2014, dem ersten Tag nach dem Ende der zuletzt bis 14.11.2014 ärztlich festgestellten [X.], noch eine Versicherung mit Anspruch auf [X.] bestand.

a) Für den Anspruch auf [X.] ist insoweit erforderlich, dass an diesem Tag dieser Versicherungsschutz noch mit Blick auf § 192 Abs 1 [X.] fortbestand. Dies erforderte einen lückenlosen [X.]-Anspruch oder [X.]-Bezug, der nach § 46 Satz 1 [X.] aF nach stRspr des [X.] auch bei fortbestehenden Dauererkrankungen erst vom Folgetag der ärztlichen [X.]-Feststellung an entsteht. Daher muss eine erneute ärztliche [X.]-Feststellung - ohne dass ein Karenztag eintritt - spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten [X.]-Zeitraums erfolgen (s erneut [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 13 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

Im Falle der Klägerin erfolgte keine erneute ärztliche [X.]-Feststellung spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten [X.]-Zeitraums, dem 14.11.2014. Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere [X.]-Gewährung nötigen [X.]-Feststellung beendete damit an sich die nach § 192 Abs 1 [X.] aufrechterhaltene Pflichtmitgliedschaft und den Krankenversicherungsschutz mit [X.]-Anspruch ab dem [X.] Grundsätzlich hat der Versicherte iS einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche [X.]-Feststellung erfolgt (stRspr, vgl nur [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 17, 22; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

Sinn und Zweck all dessen ist es, beim [X.] Leistungsmissbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der [X.] und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten ([X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 17; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0; zu diesem Zweck vgl auch [X.] - B 3 KR 23/18 R - [X.]-2500 § 16 [X.] Rd[X.]9 f). Hieran ist auch die ausnahmsweise Zulassung von rückwirkenden Nachholungen von [X.]-Feststellungen bzw von nicht lückenlosen [X.]-Feststellungen zu messen.

b) Von diesen grundsätzlichen Erfordernissen sind in der Rechtsprechung des [X.] allerdings enge Ausnahmen anerkannt worden (vgl nur - jeweils mwN - [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]6 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]1 ff; vgl auch - zur Meldung nach § 49 Abs 1 [X.] - [X.] Urteil vom [X.] - B 3 KR 6/18 R - [X.] 129, 20 = [X.]-2500 § 49 [X.], Rd[X.]2 ff).

Der [X.] hat insoweit bereits mit seinem Urteil vom 11.5.2017 ([X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]5 ff für die Rechtslage bis 22.7.2015) unter Fortentwicklung und Teilaufgabe früherer Rechtsprechung entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen [X.]-Feststellungen nicht nur bei medizinischen Fehlbeurteilungen ([X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]4 mwN), sondern auch bei nichtmedizinischen Fehlern eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit der [X.]-Feststellung für den Versicherten unschädlich ist, wenn sie der betroffenen [X.] zuzurechnen ist. Nach dieser Rechtsprechung steht dem [X.]-Anspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche [X.]-Feststellung nicht entgegen, wenn

                 

1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um

                 

(a) die ärztliche Feststellung der [X.] als Voraussetzung des Anspruchs auf [X.] zu erreichen, und

                 

(b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den [X.]-Anspruch erfolgt ist,

                 

2. er an der Wahrung der [X.]-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (zB eine irrtümlich nicht erstellte [X.]-Bescheinigung), und

                 

3. er - zusätzlich - seine Rechte bei der [X.] unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 [X.], nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (so [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], RdNr 34).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Versicherte so zu behandeln, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der [X.] erhalten.

c) Der [X.] hat diese Rechtsprechung zuletzt mit seinem Urteil vom 26.3.2020 (B 3 KR 9/19 R - juris Rd[X.]2 ff für die Rechtslage bis 22.7.2015, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.]-2500 § 46 [X.] vorgesehen) fortentwickelt und sie dahin konkretisiert, dass ein Versicherter auch dann Anspruch auf [X.] bei [X.] ab dem Folgetag eines vereinbarten, zur ärztlichen Feststellung der [X.] rechtzeitigen persönlichen [X.]s hat, wenn es zu diesem Kontakt aus dem Vertragsarzt und der [X.] zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist. Denn es steht einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen [X.] zur Feststellung der [X.] gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat. Dies ist der Fall, wenn er rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der [X.] als Voraussetzung des Anspruchs auf [X.] zu erhalten, und es zum persönlichen [X.] aus dem Vertragsarzt und der [X.] zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist.

Das ist typischerweise anzunehmen in Fällen einer auf Wunsch des Vertragsarztes bzw seines von ihm angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen [X.] in der (naheliegenden) Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach der [X.]-Richtlinie ([X.]-RL) des [X.] ([X.]) auch die begrenzte rückwirkende ärztliche [X.]-Feststellung statthaft sei. Gleiches kann anzunehmen sein in Fällen, in denen ein rechtzeitiger Arzttermin vereinbart werden sollte, vom Vertragsarzt oder seinem Personal aber ein späterer Termin vergeben worden ist in der Vorstellung, dies sei für den Versicherten unschädlich. In diesen Fällen liegen die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen eines Termins zur ärztlichen Folge-[X.]-Feststellung jeweils in der Sphäre des Vertragsarztes (vgl zur Einbindung der Vertragsärzte in das [X.]-System nur § 2 Abs 2, § 72 Abs 1 und 2, § 73 Abs 2, § 75 Abs 1, § 76 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.]) und nicht in derjenigen des Versicherten. Der Versicherte ist aber selbst bei einem nicht rechtzeitig erfolgten Termin zur ärztlichen Feststellung der (Folge-)[X.] nicht von seiner Obliegenheit befreit, einen Arzttermin zur Feststellung der [X.] - wenn auch verspätet - persönlich wahrzunehmen, um seinen Anspruch auf [X.] aufrechtzuerhalten.

Für die Gleichstellung des aus den vorgenannten Gründen unterbliebenen rechtzeitigen [X.]s mit einem tatsächlich erfolgten Kontakt spricht, dass die Obliegenheiten des Versicherten auf das in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare beschränkt sind. Ein "[X.]", das ohnehin grundsätzlich unerwünscht ist (vgl § 76 Abs 3 Satz 1 [X.]), statt des nachvollziehbaren Wunsches, von dem mit der [X.] schon vertrauten (hier: [X.] zu werden, kann von ihm grundsätzlich nicht verlangt werden. Für Versicherte fallen zudem ihr soziales Schutzbedürfnis in der [X.] zu ihrer finanziellen Absicherung im Krankheitsfall (s auch § 2 Abs 2 und § 4 Abs 2 Satz 1 [X.], § 21 Abs 1 [X.] Buchst g SGB I) und die Verhältnismäßigkeit von leistungsrechtlichen Folgen bei tatsächlichen Fristversäumnissen ins Gewicht (verfassungsrechtliches Übermaßverbot). [X.] Erwägungen der Missbrauchsabwehr haben dagegen, vor allem in zweifelsfreien Folge-[X.]-Fällen, kein solch großes Gewicht, dass sie diese Schutzaspekte überlagern und verdrängen könnten.

Für diese Auslegung des § 46 Satz 1 [X.] aF und Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung hat der [X.] sich zudem zum einen darauf gestützt, dass sich Versicherungsträger in ihrem Verwaltungshandeln am Rechtsgedanken von [X.] (vgl § 242 BGB) auszurichten haben, welcher auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts Anwendung findet. Zum anderen hat der [X.] auf den Rechtsgedanken des § 162 Abs 1 BGB Bezug genommen, dass niemand - auch kein Träger öffentlicher Verwaltung - aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten, das er (oder ein seiner Sphäre zuzurechnender Dritter) einer ihm rechtlich verbundenen Person gegenüber gezeigt hat, einen Vorteil ziehen darf (s im Einzelnen [X.] Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - juris, Rd[X.]5 f, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.]-2500 § 46 [X.] vorgesehen).

In diesem Sinne dürfen auch [X.]n gegenüber dem [X.]-Anspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche [X.] sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die

        

1. in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen, und die

        

2. auch den [X.]n zuzurechnen sind.


Es ist dann gerechtfertigt und vom Normzweck der gesetzlichen Regelungen zum [X.] gedeckt, dass sich die [X.] nicht auf eine dem vertragsärztlichen System anzulastende Verhinderung der rechtzeitigen [X.]-Feststellung berufen darf.

Der [X.] hat diese Zurechnung fehlerhaften [X.] zu den [X.]n (bezogen auf deren Sozialversicherungsverhältnis zu ihren Versicherten) in seinen Urteilen vom 11.5.2017 und 26.3.2020 mit einer missverständlichen Fassung der [X.]-RL des [X.] begründet. Die [X.]-RL (hier noch anzuwenden idF vom 14.11.2013, BAnz [X.], in [X.] getreten am 28.1.2014) erlaubt den Vertragsärzten als Leistungserbringern im [X.]-System in dem sie selbst betreffenden vertragsärztlichen [X.] ausdrücklich eine zeitlich begrenzte Rückdatierung und rückwirkende Bescheinigung der [X.] (§ 5 Abs 3, s auch § 6 Abs 2 [X.]-RL). Die Vertragsärzte werden in dem Regelwerk zugleich allerdings nicht - was geboten wäre - deutlich auf die damit verbundenen ganz erheblichen leistungsrechtlichen Nachteile für die [X.]-Ansprüche der sie aufsuchenden Versicherten der [X.] hingewiesen. Entsprechend hervorgerufene bzw aufrechterhaltene Fehlvorstellungen bei Vertragsärzten über deshalb auch vermeintlich den Versicherten in ihrem Verhältnis zu deren [X.] unschädliche leistungsrechtliche Folgen rückwirkender [X.]-Feststellungen sind den [X.]n als maßgebliche Mitakteure im [X.] (vgl näher § 91 [X.]) und Anspruchsgegner der [X.]-Ansprüche Versicherter zuzurechnen (vgl zum Ganzen [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], RdNr 31 ff; [X.] Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - juris, Rd[X.]8, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.]-2500 § 46 [X.] vorgesehen; vgl zu diesem Begründungszusammenhang auch Schifferdecker in [X.] Komm, § 46 [X.] Rd[X.]7c, Stand Mai 2020).

4. Gemessen an den Ausführungen unter 3. c) kann der [X.] auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen, ob die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von [X.] ab 15.11.2014 dem Grunde nach hat. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den [X.] revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des [X.] (vgl § 163 SGG) hatte die Klägerin zwar bis zum 14.11.2014 keinen zur ärztlichen Feststellung der [X.] rechtzeitigen persönlichen [X.]. Indes hat das [X.] mit der Forderung nach einer rechtzeitigen persönlichen Vorstellung der Klägerin bei einem Arzt seine rechtliche Prüfung unzutreffend vorzeitig beendet, weil es dieser noch nicht die Vorgaben aus dem erst später ergangenem Urteil des [X.]s vom 26.3.2020 ([X.] aaO) zugrunde legen konnte. Es hat das Vorbringen der Klägerin zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausnahme vom grundsätzlich erforderlichen rechtzeitigen persönlichen [X.] nicht hinreichend geprüft und hierfür erforderliche Feststellungen - ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt konsequent - nicht getroffen. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, um im wiedereröffneten Berufungsverfahren weitere tatsächliche Feststellungen treffen zu können.

5. Das [X.] wird insbesondere zu prüfen haben, ob ein - und ggf welcher - für die Feststellung der Folge-[X.] rechtzeitiger Arzttermin vereinbart worden war oder vereinbart werden sollte und aus welchen Gründen dieser Termin ggf nicht rechtzeitig, sondern erst verspätet am 17.11.2014 zustande kam. Etwaige durch vertragsärztliches Handeln bedingte Gründe wird das [X.] unter dem Gesichtspunkt zu würdigen haben, ob diese der Beklagten und nicht der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Versicherte der Beklagten zuzurechnen sind, und ob die Klägerin darauf vertrauen durfte, dass ihr die Gründe gegenüber der Beklagten in Bezug auf ihre [X.]-Ansprüche nicht schadeten (zu Kriterien hierfür s [X.] Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - juris, Rd[X.]9, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.]-2500 § 46 [X.] vorgesehen; s auch Parallelentscheidung [X.] Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 10/19 R - juris, RdNr 30; vgl zu Fragen des vertragsärztlichen Handelns, auf das Versicherte vertrauen können und das sich [X.]n zurechnen lassen müssen, auch [X.] 129, 20 = [X.]-2500 § 49 [X.], Rd[X.]9 ff). Das durchgehende Fortbestehen der tatsächlich erst am 17.11.2014 rückwirkend ab 15.11.2014 festgestellten Folge-[X.] der Klägerin hat das [X.] nicht in Zweifel gezogen.

Im Fall des Vorliegens aller Voraussetzungen eines [X.]-Anspruchs ab 15.11.2014 dem Grunde nach wird das [X.] auf der Grundlage entsprechender Tatsachenfeststellungen eine Entscheidung über die Dauer und das Ende des der Klägerin zustehenden [X.]-Anspruchs zu treffen haben, der hier wegen [X.] aufgrund unterschiedlicher Diagnosen bis zum 6.7.2017 geltend gemacht wird (zu Kriterien hierfür s [X.] Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R - juris, RdNr 30, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.]-2500 § 46 [X.] vorgesehen; s auch Parallelentscheidung [X.] Urteil vom 26.3.2020 - B 3 KR 10/19 R - juris, RdNr 31 f; vgl zum Fortbestehen und Ende des [X.]-Anspruchs auch [X.] Urteil vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - [X.] 127, 53 = [X.]-2500 § 49 [X.], RdNr 12, 15).

6. Das [X.] wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.

Meta

B 3 KR 5/20 R

29.10.2020

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Frankfurt (Oder), 18. April 2018, Az: S 27 KR 315/14, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 29.10.2020, Az. B 3 KR 5/20 R (REWIS RS 2020, 2482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2482

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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