Bundessozialgericht, Urteil vom 26.03.2020, Az. B 3 KR 9/19 R

3. Senat | REWIS RS 2020, 2460

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Anspruch auf Krankengeld ab dem Folgetag nach dem bis zum 22.7.2015 geltenden Recht - Verschiebung des rechtzeitigen Arzttermins durch den Vertragsarzt


Leitsatz

Ein Versicherter hat nach dem bis zum 22.7.2015 geltenden Recht auch dann Anspruch auf Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit ab dem Folgetag eines vereinbarten, zur ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit rechtzeitigen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts, wenn es zu diesem Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (Fortentwicklung von BSG vom 11.05.2017 - B 3 KR 22/15 R = BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld ([X.]) für die [X.] vom 6.1. bis 29.9.2015.

2

Dem 1968 geborenen, bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) wegen Beschäftigung in der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) pflichtversicherten Kläger wurde zum 30.11.2014 gekündigt. Der ihn behandelnde Vertragsarzt (Facharzt für Orthopädie, spezielle Unfallchirurgie und Chirurgie) bescheinigte ihm wegen einer [X.] jeweils abschnittsweise Arbeitsunfähigkeit ([X.]) durchgehend vom 15.10.2014 bis 5.1.2015. Ein vereinbarter Folgetermin bei dem Arzt am 5.1.2015 kam nicht zustande, weil der Kläger von der Arztpraxis am selben Tag telefonisch aufgefordert worden war, aus organisatorischen Gründen erst am nächsten Tag, dem [X.], zu erscheinen. An diesem Tag stellte sich der Kläger bei seinem Arzt vor, der ihm [X.] voraussichtlich bis 24.1.2015 bescheinigte.

3

Nachdem die Beklagte dem Kläger [X.] bis 5.1.2015 gezahlt hatte, lehnte sie die weitere Zahlung ab [X.] ab, weil für ihn nicht - wie für die Aufrechterhaltung seines Anspruchs erforderlich - spätestens am 5.1.2015 (= letzter Tag der von der vorangegangenen ärztlichen Bescheinigung erfassten [X.]) die weitere [X.] ärztlich bescheinigt worden sei. Seit [X.] sei der Kläger nur über seine Ehefrau ohne Anspruch auf [X.] familienversichert (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 19.2.2015).

4

Das [X.] hat die dagegen erhobene Klage auf Zahlung von [X.] für die [X.] ab [X.] abgewiesen (Urteil vom 16.3.2016). Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen: Zwar sei er auch ab [X.] arbeitsunfähig gewesen, was durch die ärztliche [X.]-Bescheinigung vom selben Tag bestätigt worden sei. Diese [X.] sei aber nicht vor Ablauf des 5.1.2015 ärztlich festgestellt worden, weshalb der [X.]-Anspruch am 5.1.2015 geendet habe. Der Kläger sei nach § 192 Abs 1 [X.] 2 [X.]B V nicht mehr mit Anspruch auf [X.] ab [X.] versichert gewesen. Anderes ergebe sich auch nicht aus der jüngeren Rechtsprechung des B[X.] (Hinweis auf Urteil des Senats vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - B[X.]E 123, 134 = [X.]-2500 § 46 [X.] 8), weil der Kläger nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare getan habe, um rechtzeitig eine ärztliche Folge-[X.]-Feststellung zu erlangen. Fehlberatungen einer vertragsärztlichen Praxis entlasteten Versicherte grundsätzlich nicht gegenüber der [X.]. Hiervon sei bei dem Kläger - mangels eines dafür nach der Rechtsprechung des B[X.] nötigen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts am 5.1.2015 - keine Ausnahme zu machen (Beschluss vom 24.7.2018).

5

Mit seiner dagegen gerichteten Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung von § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 [X.]B V in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung: Da ein rechtzeitiger Arzttermin vereinbart gewesen sei, der durch nicht in seiner Person liegende Gründe unterblieben und auf den Folgetag verschoben worden sei, dürfe ihm nicht abverlangt werden, sich doch noch am 5.1.2015 in der Praxis seines Arztes vorzustellen oder eine andere Arztpraxis aufzusuchen. In derartigen Fällen müsse eine Ausnahme von dem Grundsatz anerkannt werden, dass eine ärztliche Folge-[X.]-Feststellung spätestens am letzten Tag der vorangegangenen [X.]-Feststellung zu erfolgen habe.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß,

        

den Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2018 und das Urteil des [X.] vom 16. März 2016 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 8. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2015 zu verurteilen, ihm Krankengeld vom 6. Januar bis 29. September 2015 in Höhe von kalendertäglich 29,77 Euro netto zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8

Sie hält den L[X.]-Beschluss für zutreffend, denn der Kläger habe nicht alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan, um eine rechtzeitige ärztliche Folge-[X.]-Feststellung zu erhalten. Die Ablehnung des [X.]-Anspruchs sei deshalb nicht unverhältnismäßig.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des [X.] und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Der Kläger hat entgegen der Auffassung der Vorinstanzen Anspruch auf Zahlung von [X.] dem Grunde nach ab dem [X.], dem Folgetag des vereinbarten rechtzeitigen, aber verschobenen Termins zur ärztlichen Feststellung der weiteren [X.]. Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] kann der Senat jedoch nicht abschließend über die Dauer und das Ende dieses Anspruchs gegen die beklagte [X.] entscheiden.

1. Der Senat konnte aufgrund des [X.] der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung nach Lage der Akten entscheiden (§ 110 Abs 1 Satz 2, § 126 iVm § 165 Satz 1, § 153 Abs 1 SGG); die Beteiligten hatten hierzu zudem vorab ihr Einverständnis erklärt.

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und der Bescheid der Beklagten vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.2.2015, durch die der vom Kläger verfolgte Anspruch auf Zahlung von [X.] ab [X.] abgelehnt worden ist. Richtige Klageart ist die auf Verurteilung der Beklagten gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG).

3. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf [X.] für beschäftigte Pflichtversicherte der [X.] sind hier § 44 Abs 1 und § 46 Satz 1 [X.] in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung (§§ 44 und 46 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009, [X.] 1990, 3578; im Folgenden: aF) iVm § 192 Abs 1 [X.], der den Erhalt der Mitgliedschaft [X.] bei Anspruch auf oder Bezug von [X.] bestimmt.

Nach § 44 Abs 1 [X.] aF haben Versicherte Anspruch auf [X.] ua dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte [X.] beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im [X.]punkt des jeweils in Betracht kommenden [X.] für das [X.] vorliegt (stRspr, vgl nur [X.] Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 37/14 R - [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]; [X.] Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 22/15 R - [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], RdNr 15). Nach § 46 Satz 1 [X.] aF entsteht dieser Anspruch auf [X.] von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der [X.] folgt. Dies gilt auch für an die ärztliche Erstfeststellung von [X.] anschließende Folgefeststellungen (stRspr, vgl nur [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 13 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

4. Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen hier vor. Von diesen ist zwischen den Beteiligten zu Recht allein im Streit, ob am [X.], dem ersten Tag nach dem Ende der zuletzt ärztlich festgestellten [X.], noch eine Versicherung mit Anspruch auf [X.] bestand. Letzteres ist zu bejahen.

a) Für den Anspruch auf [X.] ist insoweit erforderlich, dass an diesem Tag dieser Versicherungsschutz noch mit Blick auf § 192 Abs 1 [X.] fortbestand. Dies erforderte einen lückenlosen [X.]-Anspruch oder [X.]-Bezug, der nach § 46 Satz 1 [X.] aF nach stRspr des [X.] auch bei fortbestehenden Dauererkrankungen erst vom Folgetag der ärztlichen [X.]-Feststellung an entsteht. Daher muss eine erneute ärztliche [X.]-Feststellung - ohne dass ein Karenztag eintritt - spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten [X.]-[X.]raums erfolgen (s erneut [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 13 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

Im Falle des [X.] erfolgte keine erneute ärztliche [X.]-Feststellung spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten [X.]-[X.]raums, dem 5.1.2015. Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere [X.]-Gewährung nötigen [X.]-Feststellung unterbrach damit wegen der nicht eingreifenden Wirkung des § 192 Abs 1 [X.] an sich mangels aufrechterhaltener Pflichtmitgliedschaft des [X.] mit Wirkung für die Zukunft den Krankenversicherungsschutz mit [X.]-Anspruch ab dem [X.]; denn rechtlich hat grundsätzlich der Versicherte im Sinne einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche [X.]-Feststellung erfolgt (stRspr, vgl nur [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 17, 22; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0).

Sinn und Zweck all dessen ist es, beim [X.] Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der [X.] und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten ([X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 17; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]0). Hieran ist auch die ausnahmsweise Zulassung von rückwirkenden Nachholungen von [X.]-Feststellungen bzw von nicht lückenlosen [X.]-Feststellungen zu messen (vgl dazu, dass die Auslegung von Vorschriften des [X.] zur [X.]-Beschränkung, die der Vermeidung von [X.] und praktischen Schwierigkeiten dienen, durch diesen Regelungszweck bestimmt und begrenzt wird, zuletzt [X.] - B 3 KR 23/18 R - [X.]-2500 § 16 [X.] Rd[X.]9 f).

b) Von diesen grundsätzlichen Erfordernissen sind in der Rechtsprechung des [X.] allerdings bereits enge Ausnahmen anerkannt worden (vgl nur - jeweils mwN - [X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]6 ff; [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]1 ff; vgl zuletzt - zur Meldung nach § 49 Abs 1 [X.] [X.] - [X.] Urteil vom [X.] - B 3 KR 6/18 R - juris Rd[X.]2 ff, zur [X.] in [X.] und [X.]-2500 § 49 [X.] vorgesehen).

Der Senat hat insoweit mit seinem Urteil vom 11.5.2017 ([X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.] für die Rechtslage bis 22.7.2015) unter Fortentwicklung und Teilaufgabe früherer Rechtsprechung entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen [X.]-Feststellungen nicht nur bei medizinischen Fehlbeurteilungen ([X.], 52 = [X.]-2500 § 192 [X.], Rd[X.]4 mwN), sondern auch bei nichtmedizinischen Fehlern eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit der [X.]-Feststellung für den Versicherten unschädlich ist, wenn sie der betroffenen [X.] zuzurechnen ist. Nach dieser Rechtsprechung steht dem [X.]-Anspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche [X.]-Feststellung nicht entgegen, wenn

        

1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um

        

(a) die ärztliche Feststellung der [X.] als Voraussetzung des Anspruchs auf [X.] zu erreichen, und

        

(b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den [X.]-Anspruch erfolgt ist,

        

2. er an der Wahrung der [X.]-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (zB eine irrtümlich nicht erstellte [X.]-Bescheinigung), und

        

3. er - zusätzlich - seine Rechte bei der [X.] unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 [X.] [X.], nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (so [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]4).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Versicherte so zu behandeln, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der [X.] erhalten.

c) Der Senat entwickelt diese Rechtsprechung fort und konkretisiert sie dahin, dass es einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen [X.] gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht hat, eine ärztliche Feststellung der [X.] als Voraussetzung des Anspruchs auf [X.] zu erhalten, und es zum persönlichen [X.] aus dem Vertragsarzt und der [X.] zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist.

Das ist insbesondere in Fällen - wie hier - anzunehmen, in denen die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen Folge-[X.]-Feststellung in der Sphäre des Vertragsarztes (vgl zur Einbindung der Vertragsärzte in das [X.]-System nur § 2 Abs 2, § 72 Abs 1 und 2, § 73 Abs 2, § 75 Abs 1, § 76 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.]) und nicht in derjenigen des Versicherten liegen. Dies ist typischerweise zu bejahen bei einer auf Wunsch des Vertragsarztes bzw seines von ihm angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen [X.] in der (naheliegenden) Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach der [X.]-Richtlinie ([X.]-RL) des [X.] ([X.]) auch die begrenzte rückwirkende ärztliche [X.]-Feststellung statthaft sei.

Für die Gleichstellung des aus den vorgenannten Gründen unterbliebenen rechtzeitigen [X.]s mit einem tatsächlich erfolgten Kontakt spricht, dass die Obliegenheiten des Versicherten auf das in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare beschränkt sind. Ein "[X.]", das ohnehin grundsätzlich unerwünscht ist (vgl § 76 Abs 3 Satz 1 [X.]), statt des nachvollziehbaren Wunsches, von dem mit der [X.] schon vertrauten (hier: [X.] weiterbetreut zu werden, kann von ihm grundsätzlich nicht verlangt werden. Für Versicherte fallen zudem ihr soziales Schutzbedürfnis in der [X.] zu ihrer finanziellen Absicherung im Krankheitsfall (s auch § 2 Abs 2 und § 4 Abs 2 Satz 1 [X.], § 21 Abs 1 [X.] Buchst g SGB I) und die Verhältnismäßigkeit von leistungsrechtlichen Folgen bei tatsächlichen Fristversäumnissen ins Gewicht (verfassungsrechtliches Übermaßverbot). Diese Erwägungen waren für den Senat schon wesentlich für die Erweiterung der Unschädlichkeit von Arztfehlern im nichtmedizinischen Bereich ([X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]5 ff). [X.] Erwägungen der Missbrauchsabwehr haben dagegen, vor allem in zweifelsfreien Folge-[X.]-Fällen, kein solch großes Gewicht, dass sie diese Schutzaspekte überlagern und verdrängen könnten.

Für die vorstehende Auslegung des § 46 Satz 1 [X.] aF und Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Senats spricht darüber hinaus, dass sich Versicherungsträger in ihrem Verwaltungshandeln auch am Rechtsgedanken von [X.] (vgl § 242 [X.]) auszurichten haben, welcher auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts Anwendung findet (stRspr, aus jüngerer [X.] zB [X.] Urteil vom [X.] - B 13 R 67/09 R - [X.]-2400 § 24 [X.] Rd[X.]9 ff mit umfangreichen Rspr-Nachweisen; vgl auch zuletzt [X.] Beschluss vom [X.] 1/18 - juris RdNr 18, zur [X.] in [X.] und [X.]-2600 § 118 [X.] vorgesehen; [X.] Urteil vom [X.] - B 1 KR 3/18 R - juris Rd[X.]2, zur [X.] in [X.] und [X.]-1780 § 161 [X.] vorgesehen). Versicherungsträger aller Zweige dürfen sich daher zB nicht auf die Versäumung einer dem geltend gemachten Leistungsanspruch entgegenstehenden Ausschlussfrist berufen, wenn sie die Wahrung der Frist durch eigenes Fehlverhalten treuwidrig verhindert haben (vgl bereits [X.] Urteil vom 17.11.1970 - 1 RA 233/68 - [X.] 32, 60, 62 = [X.] Nr 15 zu § 1286 aF [X.]; ferner zB BVerwG Urteil vom 28.3.1996 - 7 C 28.95 - BVerwGE 101, 39, 45 mwN = [X.] 428 § 30a VermG [X.]; [X.] Urteil vom 27.6.1985 - [X.] - NVwZ 1985, 938, 939 = LM [X.]6 zu § 190a [X.] 1956).

Das folgt vor allem auch aus dem Rechtsgedanken des § 162 Abs 1 [X.]. Diese Regelung bestimmt sinngemäß, dass dann, wenn der Eintritt der Bedingung von der [X.], zu deren Nachteil der Eintritt gereichen würde, wider [X.] verhindert wird, diese Bedingung (gleichwohl) als eingetreten gilt. § 162 Abs 1 [X.] liegt damit der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass niemand - auch kein Träger öffentlicher Verwaltung - aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten, das er (oder ein seiner Sphäre zuzurechnender Dritter) einer ihm rechtlich verbundenen Person gegenüber gezeigt hat, einen Vorteil ziehen darf (vgl nur [X.] in [X.], [X.], § 162 Rd[X.], 4, 15, Stand 2015; ferner zB BVerwG Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 39/82 - BVerwGE 68, 156, 159 = [X.] 448.0 § 13a [X.]). Dem Rechtsgedanken der Regelung kommt auch im Bereich der Leistungsverwaltung des Sozialrechts Bedeutung zu, insbesondere im Zusammenhang mit der Versäumung von ([X.], die von einem Leistungsberechtigten einzuhalten sind (vgl bereits [X.] 32, 60, 62 = [X.] Nr 15 zu § 1286 aF [X.]; ferner [X.] NVwZ 1985, 938, 939 = LM [X.]6 zu § 190a [X.] 1956 ). Über den der Bestimmung zugrunde liegenden Rechtsgedanken wird dann fingiert, dass die Einhaltung der Ausschlussfrist durch den Begünstigten gewahrt ist (so [X.], ebenda, unter Hinweis auf BVerwG Urteil vom 15.7.1959 - [X.] 80.57 - BVerwGE 9, 89, 92 und BVerwG Urteil vom [X.] 72.63 - DVBl 1966, 857, auf [X.] 32, 60, 62 = [X.] Nr 15 zu § 1286 aF [X.] und [X.] Urteil vom 17.5.1973 - 12 RJ 354/72 - [X.] [X.] zu § 1252 [X.] = DVBl 1973, 793 sowie auf [X.] Urteil vom [X.] - VI 264/65 - [X.]E 86, 148, 151).

So verhält es sich auch hier. In den beschriebenen Fällen kann der (rechtzeitige) Zugang der Erklärung oder Eintritt der Bedingung nach § 162 Abs 1 [X.] fingiert werden bzw es dem Empfänger oder einer [X.] nach [X.] verwehrt sein, sich auf den fehlenden oder verspäteten Zugang oder Bedingungseintritt zu berufen. In diesem Sinne dürfen auch [X.]n gegenüber dem [X.]-Anspruch ihrer Versicherten nicht einwenden, der dafür erforderliche [X.] sei nicht rechtzeitig zustande gekommen, wenn dies auf Gründen beruht, die

        

1. in der Sphäre des Vertragsarztes (und nicht des Versicherten) liegen, und die

        

2. auch den [X.]n zuzurechnen sind.

Es ist dann gerechtfertigt und vom Normzweck der gesetzlichen Regelungen zum [X.] gedeckt, dass sich die [X.] nicht auf eine dem vertragsärztlichen System anzulastende Verhinderung der rechtzeitigen [X.]-Feststellung berufen darf.

Der Senat hat diese Zurechnung fehlerhaften [X.] zu den [X.]n (bezogen auf deren Sozialversicherungsverhältnis zu ihren Versicherten) bereits für nichtmedizinische Fehler eines Vertragsarztes im Urteil vom 11.5.2017 mit einer missverständlichen Fassung der [X.]-RL des [X.] begründet. Die [X.]-RL (hier noch anzuwenden idF vom 14.11.2013, BAnz [X.], in [X.] getreten am 28.1.2014) erlaubt den Vertragsärzten als Leistungserbringern im [X.]-System in dem sie selbst betreffenden vertragsärztlichen [X.] ausdrücklich eine zeitlich begrenzte Rückdatierung und rückwirkende Bescheinigung der [X.] (§ 5 Abs 3, s auch § 6 Abs 2 [X.]-RL). Die Vertragsärzte werden in dem Regelwerk zugleich allerdings nicht - was geboten wäre - deutlich auf die damit verbundenen ganz erheblichen leistungsrechtlichen Nachteile für die [X.]-Ansprüche der sie aufsuchenden Versicherten der [X.] hingewiesen (vgl ähnlich selbst noch § 5 Abs 3 [X.]-RL in der zum Entscheidungszeitpunkt des Senats geltenden, zuletzt geänderten Fassung vom 27.3.2020, BAnz [X.], in [X.] getreten am 23.3.2020). Entsprechend hervorgerufene bzw aufrechterhaltene Fehlvorstellungen bei Vertragsärzten über deshalb auch vermeintlich den Versicherten in ihrem Verhältnis zu deren [X.] unschädliche leistungsrechtliche Folgen rückwirkender [X.]-Feststellungen sind den [X.]n als maßgebliche Mitakteure im [X.] (vgl näher § 91 [X.]) und Anspruchsgegner der [X.]-Ansprüche Versicherter zuzurechnen (vgl zum Ganzen [X.], 134 = [X.]-2500 § 46 [X.], Rd[X.]1 ff).

5. Gemessen an den Ausführungen unter 4. c) hat der Kläger Anspruch auf [X.] ab [X.]. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des [X.] (vgl § 163 SGG) hatte der Kläger für den letzten Tag der zuletzt ärztlich festgestellten [X.] am 5.1.2015 einen rechtzeitigen Termin bei seinem ihn behandelnden Vertragsarzt vereinbart, der zur Erhaltung der [X.]-Ansprüche ausreichend war. Dieser Termin kam nicht rechtzeitig zustande, weil der Kläger am 5.1.2015 von der Praxis seines Vertragsarztes telefonisch aufgefordert worden war, aus organisatorischen Gründen erst am Folgetag zu erscheinen. Diese praxisinternen Gründe sind dem Kläger in seiner Eigenschaft als Versichertem der Beklagten nicht zuzurechnen. Er durfte darauf vertrauen, dass ihm die von dem sein Praxispersonal anleitenden Vertragsarzt veranlasste - leistungsrechtlich objektiv schädliche - Terminverschiebung gegenüber der Beklagten in Bezug auf seine [X.]-Ansprüche nicht schadete (vgl zu Fragen des vertragsärztlichen Handelns, auf das Versicherte vertrauen können und das sich [X.]n zurechnen lassen müssen, zuletzt auch [X.] Urteil vom [X.] - B 3 KR 6/18 R - juris Rd[X.]9 ff, zur [X.] in [X.] und [X.]-2500 § 49 [X.] vorgesehen). Der Kläger musste nicht entgegen dem Ansinnen seines Arztes auf dem Termin am 5.1.2015 beharren oder an diesem Tag statt des ihn wegen seiner [X.] laufend behandelnden Facharztes einen anderen Arzt zur Feststellung der Folge-[X.] aufsuchen. Beides war ihm hier nicht zuzumuten. Vielmehr ist der Kläger so zu behandeln, als habe er seinen Arzt am 5.1.2015 tatsächlich aufgesucht und als habe dieser rechtzeitig die weitere [X.] festgestellt. Das durchgehende Fortbestehen der tatsächlich erst am [X.] festgestellten Folge-[X.] des [X.] zieht auch die Beklagte nicht in Zweifel. Anhaltspunkte für sonstige Gründe, die einem [X.]-Anspruch ab [X.] entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

6. Dem Senat selbst ist allerdings eine abschließende Entscheidung über die Dauer und das Ende des dem Kläger ab [X.] zustehenden [X.]-Anspruchs verwehrt (vgl zum Fortbestehen und Ende des [X.]-Anspruchs zuletzt [X.] Urteil vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - juris RdNr 12, 15, zur [X.] in [X.] und [X.]-2500 § 49 [X.] vorgesehen). Nach den Feststellungen des [X.] ist dem Kläger [X.] zuletzt nur bis voraussichtlich 24.1.2015 bescheinigt worden. Feststellungen zu Folge-[X.]-Bescheinigungen und den darin dokumentierten Endzeitpunkten für den streitigen [X.]raum bis 29.9.2015 hat das [X.] - ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt konsequent - nicht getroffen. Die zuletzt vom Kläger im Revisionsverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste über seine [X.], die nicht selbst [X.]-Bescheinigungen sind, erlauben dem Senat mangels fehlender entsprechender Feststellungen in den Tatsacheninstanzen revisionsrechtlich keine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf [X.] für den gesamten streitigen [X.]raum. Das [X.] wird Feststellungen hierzu im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben, um über die Dauer und das Ende des [X.]-Anspruchs ab [X.] entscheiden zu können.

7. Das [X.] wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.

Meta

B 3 KR 9/19 R

26.03.2020

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Berlin, 16. März 2016, Az: S 143 KR 777/15, Urteil

§ 44 Abs 1 SGB 5, § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 vom 20.12.1988, § 92 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB 5, § 192 Abs 1 Nr 2 SGB 5, § 5 Abs 3 AURL vom 14.11.2013, § 6 Abs 2 AURL vom 14.11.2013, § 162 BGB, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.03.2020, Az. B 3 KR 9/19 R (REWIS RS 2020, 2460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2460

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