Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2016, Az. I ZB 109/15

I. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 9806

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:160616BIZB109.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I [X.]/15
vom
16. Juni 2016
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 A, Art. 19 Abs. 4; ZPO § 765a
Begründet die Einstellung der für den Schuldner lebensbedrohlichen Räu-mungsvollstreckung eine Gefahr für Leben und Gesundheit des Gläubigers, so ist im Rahmen der Entscheidung nach § 765a ZPO das Ausmaß der jeweiligen Gefährdung zu würdigen. Ist das mit einer Zwangsräumung verbundene Ge-fährdungspotential
für den Schuldner deutlich höher zu bewerten als die mit einem weiteren Vollstreckungsstillstand für den Gläubiger bestehenden Ge-sundheitsgefahren, so kommt eine befristete Einstellung der Zwangsvollstre-ckung in Betracht, mit der dem Schuldner auferlegt wird, durch geeignete Maß-nahmen an einer Verbesserung seines Gesundheitszustands zu arbeiten.
[X.], Beschluss vom 16. Juni 2016 -
I [X.]/15 -
LG [X.] (Oder)

[X.]

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Der [X.] Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni
2016 durch [X.]
Dr.
Büscher,
[X.]
Dr.
Koch, Dr.
Löffler, die Richterin Dr.
[X.] und den Richter Feddersen

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.]s [X.] (Oder) vom [X.] aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert
der
Rechtsbeschwerde wird auf
4.000

Gründe:
[X.] Die Schuldnerin wurde vom [X.] [X.] (Oder)
mit Urteil vom 23. April 2012 zur Herausgabe des auf dem Grundstück N.

in S.

befindlichen Bungalows verurteilt. Die Schuldnerin bewohnt den Bungalow
seit dem Jahr 2002. Die Gläubiger bewohnen das unmittelbar benachbarte Grundstück. Auf dem mit dem Bungalow bebauten Grundstück befinden sich
ein
Schuppen, eine Garage, Tiere und sämtliches Gartenzubehör der [X.].
Die Gläubiger betreiben gegen die Schuldnerin die Räumungsvollstre-ckung.
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Die Schuldnerin hat mit Schreiben vom 1. August 2012 beim [X.] beantragt und mit Schreiben vom 3. Januar 2013 die Stellungnahme eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vor-gelegt, der zufolge eine Zwangsräumung zu einer für die Schuldnerin lebens-bedrohlichen Situation führen könne.
Das Amtsgericht wies den Vollstreckungs-schutzantrag am 5. Februar 2013 zurück. Im Beschwerdeverfahren stellte
das [X.] im März 2013 die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den [X.]antrag einstweilen ein
und beschloss, ein neurolo-gisch-psychiatrisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob im Falle einer Zwangsräumung für die Schuldnerin eine Gesundheits-
oder Lebensgefahr be-steht.
Das Gutachten wurde am 7. Februar 2014 erstattet.
Seit Mai 2013 wird der von der Schuldnerin bewohnte Bungalow auf Be-treiben der Gläubiger nicht mehr mit Strom, Gas und Wasser versorgt. Im [X.] 2014 schlug der Gläubiger nahezu sämtliche Fenster des Bungalows ein.
Mit Beschluss vom 4. November 2014 beschloss das [X.] die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu der Frage, ob für die Gläubiger eine Gesundheits-
oder Lebensgefahr besteht.
Dieses Gutachten wurde am 17.
Juli 2015 erstattet.
Mit Beschluss vom 1. Oktober 2015 hat das [X.] die Beschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde der Schuldnerin.
Die Gläubiger beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
I[X.] Nach Ansicht des [X.] liegen die Voraussetzungen für eine weitere Einstellung der Räumungsvollstreckung nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vor. Dazu hat es ausgeführt:
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Der Schuldnerin könne kein [X.] gewährt werden, weil dem zumindest vergleichbare Belange der Gläubiger entgegenstünden.
Grundsätzlich komme vorliegend eine befristete Einstellung der Zwangs-vollstreckung in Betracht, weil die Schuldnerin nach dem Inhalt des Sachver-ständigengutachtens derart schwer psychisch erkrankt sei, dass in unmittelba-rer Folge einer Zwangsräumung ihr Versterben einkalkuliert werden müsse. Nach
dem Gutachten
liege
bei der Schuldnerin eine Zwangsstörung mit im [X.] stehenden Zwangshandlungen ([X.] F
42.1) vor. Es handele
sich um ein schweres Krankheitsbild, welches dazu führe, dass jegliche Verände-rung bislang bestehender Abläufe mit einer massiven ängstlichen Anspannung einhergehe. Bereits die Vorstellung der Zwangsräumung verursache bei der Schuldnerin erhebliche Angstzustände mit einem ungewöhnlichen Ausmaß bis hin zur existentiellen Bedrohung. Selbst mit Unterstützung Dritter könne die Schuldnerin eine Zwangsräumung nicht bewältigen, sie sei auf den Verbleib im Bungalow angewiesen. Mit der Durchführung der Zwangsräumung sei ein Ver-lust der vermeintlichen Stabilität zu befürchten, da die Schuldnerin auf festge-legte Rituale verzichten müsse. Dies könne zu einer depressiven Störung füh-ren, wobei sich auch erst dann der Eintritt einer Suizidalität einschätzen lasse.
Jedenfalls lasse die Zwangsräumung eine Zuspitzung des [X.] befürchten. Der damit einhergehende Verlust der strengen Rituale lasse erwarten, dass wesentliche Grundbedürfnisse einschließlich der regelmäßigen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr nicht mehr wahrgenommen werden könnten, so dass ein potentiell lebensbedrohlicher Zustand drohe. Die erhebliche [X.] sei einer Behandlung nur schwer zugänglich. Allenfalls im Rahmen einer langjährigen Therapie sei eine Verbesserung in begrenztem Umfang denkbar. Aufgrund des Krankheitsbildes könne sich die Schuldnerin nicht auf eine stationäre Therapie einlassen. Es könne offenbleiben, ob darüber hinaus im Falle der Zwangsräumung auch auf-7
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grund des Aufplatzens eines -
von der Schuldnerin behaupteten -
nicht operab-len Hirnaneurysmas Lebensgefahr bestehe.
Der der
Schuldnerin
wegen Gesundheits-
oder Lebensgefahr zu gewäh-rende [X.] müsse dort seine Grenze finden, wo ein anhalten-der Stillstand der Vollstreckung zugleich für die [X.] zu ernsten ge-sundheitlichen Beeinträchtigungen führe. Hier sei nicht allein die
Schwere der sich gegenüberstehenden Erkrankungen abzuwägen. Vielmehr seien die Fol-gen einer Einstellung der Zwangsvollstreckung unzumutbar, wenn der [X.] ernstliche gesundheitliche Komplikationen erleide, die sein [X.] berührten. Verfolge der Gläubiger nur Vermögensinteressen, sei ihm regelmä-ßig eine auch langfristige Vollstreckungseinstellung zuzumuten. Wirke sich aber der jahrelange Stillstand der Vollstreckung unmittelbar und ernsthaft auf die Gesundheit des
Gläubigers
aus und sei nicht ausgeschlossen, dass er infolge der Nichtdurchsetzbarkeit des Räumungstitels versterbe, müsse die im Rahmen des § 765a ZPO zu treffende Abwägung zu seinen Gunsten ausgehen.
So ver-halte es sich vorliegend. Nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens be-stehe bei der Gläubigerin eine leichte depressive Episode ([X.] F 32.0), die die Lebensqualität erheblich beeinträchtige, weil die Gläubigerin kaum zur [X.] mit anderen Themen in der Lage sei. Ein Zusammenhang zwischen der depressiven Symptomatik und dem Vollstreckungsverfahren sei gegeben, weil es an Anzeichen dafür fehle, dass die Symptomatik auch ohne die Auseinandersetzung mit der Schuldnerin bestünde. Im Falle der Gewährung weiteren Räumungsschutzes sei eine Besserung der Symptomatik nur schwer erreichbar.
[X.] könne zu einer Verschlechterung des Krank-heitsbilds mit einhergehender Suizidalität führen.
Die gegenwärtige psychische Stabilität beruhe auf der Annahme, dass die Zwangsräumung doch noch durch-gesetzt werden könne. Der Gläubiger leide nach dem Gutachten unter einer depressiven Anpassungsstörung ([X.] F 43.2), die ebenfalls im [X.]
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hang mit dem Räumungsverfahren stehe.
Für den Gläubiger stelle der [X.] zwar nicht ausdrücklich die Möglichkeit der Suizidalität in den Raum, verweise aber auf den dynamischen Verlauf einer Anpassungsstörung, aus dem sich längerfristig durchaus ein Gefährdungsmoment für Fehlhandlun-gen mit selbstschädigendem Charakter ergeben könne
Das mit einer Zwangsräumung verbundene Gefährdungspotential für die Schuldnerin sei zwar deutlich höher zu bewerten als die mit einem weiteren Vollstreckungsstillstand für die Gläubiger bestehenden Gesundheitsgefahren.
Aber auch für die Gläubiger stünden ernste Gefahren für Leben und Gesundheit im Raum, wenn sie weiterhin für einen nicht überschaubaren Zeitraum an der Durchsetzung ihres Titels gehindert seien. Es bestehe daher nicht das für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO erforderliche krasse Missverhältnis zwischen dem Schutzbedürfnis der Gläubiger und der von der Schuldnerin hinzunehmenden Härte.
Es könne den Gläubigern nicht zugemutet werden, in den schicksalhaften
Lebensverlauf der Schuldnerin einbezogen zu werden und sich hierfür aufopfern zu müssen. In einer solchen Konstellation könne dem Lebensschutz des Schuldners nicht mehr nach § 765a ZPO Rech-nung getragen werden, weil dem Gläubiger eine an sich der Allgemeinheit ob-liegende Aufgabe jedenfalls dann nicht mehr übertragen werden dürfe, wenn hierbei seine Erkrankung oder sein Versterben in Kauf genommen werde. [X.] müsse die Schuldnerin ihr allgemeines Lebensrisiko, zu dem ein Wohn-sitzwechsel gehöre, selbst tragen und die Zwangsräumung unter Heranziehung der gegebenen Hilfsmöglichkeiten (sozialpsychiatrischer Dienst, Inanspruch-nahme ärztlicher Hilfe) hinnehmen.
II[X.] Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist [X.] (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie ebenfalls Erfolg.
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1. Ist mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, so kann dies im Hinblick auf das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die [X.] oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO rechtfertigen. Dabei ist aber stets eine Abwägung der Interessen des [X.] mit den ebenfalls grundrechtlich geschützten Vollstreckungsinteressen des Gläubigers vorzunehmen
(vgl. [X.], NJW-RR 2014, 584 Rn. 16; [X.], [X.] vom 21.
Januar 2016

I
ZB
12/15, [X.], 417 Rn. 17).
So kommt auch auf Seiten des Gläubigers das
Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG zum Tragen, wenn
die Einstellung der Zwangsvollstreckung sein Leben oder seine Gesundheit gefährdet
(vgl. [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., §
765a Rn. 31; [X.], [X.], 233, 238 f.; [X.], Rpfleger 2012, 477, 479). Ferner wird das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beein-trächtigt, wenn sein Räumungstitel nicht durchsetzbar ist
(vgl. [X.], [X.], 417 Rn. 17).
Treffen grundrechtlich geschützte Positionen verschiedener Grundrechts-träger aufeinander, ist dieser Konflikt nach der Rechtsprechung des [X.] nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. [X.]E 28, 243, 260 f.; 41, 29, 50; 52, 223,
247, 251; 93, 1, 21; [X.], [X.], 304, 306).
Schon bisher wird diesem Grundsatz im Rahmen des
§ 765a ZPO im Falle einer
konkreten
Lebensgefahr für den Schuldner durch die sorgfältige Prüfung Rechnung
getragen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann
(vgl. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2010 -
I [X.], [X.], 250 Rn. 8).
Ist die Einstellung der für den Schuldner lebensbedroh-12
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lichen Räumungsvollstreckung mit einer Gefahr für Leben oder Gesundheit
des
Gläubigers
verbunden,
stellt sich diese Frage mit noch größerer Dringlichkeit. In diesem Zusammenhang ist -
soweit feststellbar -
das Ausmaß der jeweiligen Gefährdung zu würdigen.
So kann zu berücksichtigen sein, dass einerseits die
mit der Einstellung der Zwangsvollstreckung verbundene Gefahr für
Leben oder Gesundheit des
Gläubigers noch nicht akut ist, sondern lediglich aufgrund eines längerfristigen Krankheitsverlaufs prognostiziert wird, andererseits aber die Räumung eine konkrete Lebensgefahr für den Schuldner begründet.
In einer solchen Konstellation kommt eine befristete Einstellung der Zwangsvollstre-ckung unter Auflagen in Betracht, mit denen der Schuldner zu zumutbaren, dem Vollstreckungsgericht nachzuweisenden
Maßnahmen angehalten wird, um durch eine Verbesserung seines Gesundheitszustands die mit der Räumung verbundenen Gefahren
für Leben oder Gesundheit möglichst auszuschließen
(vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2008 -
I [X.], [X.], 1742 Rn.
11; [X.], [X.], 250 Rn.
11; [X.], Beschluss vom 20.
Januar 2011

I
ZB
27/10, NJW-RR 2011, 300 Rn.
7; Beschluss vom 9.
Oktober 2013

I
ZB
15/13, NJW 2014, 2288 Rn. 25; [X.], [X.], 417 Rn. 17).

2. Mit diesen Grundsätzen steht die Entscheidung des [X.] nicht in Einklang.
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen und von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffenen Feststellungen des [X.] besteht im Falle der Räumung eine konkrete Lebensgefahr für die Schuldnerin. Gleicher-maßen nicht zu beanstanden sind die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Gläubiger. Danach kann fortgesetzter Stress zu einer Verschlechterung des Krankheitsbilds der Gläubigerin mit einhergehender Suizidalität führen und be-ruht ihre gegenwärtige psychische Stabilität auf der Annahme, dass die Zwangsräumung doch noch durchgesetzt werden kann. Im Falle des [X.]s kann sich danach bei dynamischem Verlauf seiner Anpassungsstörung 14
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längerfristig ein Gefährdungsmoment für Fehlhandlungen mit selbstschädigen-dem Charakter ergeben. Nicht zu beanstanden ist auch die Feststellung des [X.], das mit einer Zwangsräumung verbundene Gefährdungs-potential für die Schuldnerin sei deutlich höher zu bewerten als die bei einem weiteren Vollstreckungsstillstand für die Gläubiger bestehenden Gesundheits-gefahren.
Zu beanstanden ist allerdings die Beurteilung des [X.], bei dieser Sachlage könne [X.] nicht gewährt werden. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, es könne den Gläubigern nicht zugemutet werden, in den schicksalhaften Lebensverlauf der Schuldnerin einbezogen zu werden und sich hierfür aufopfern zu
müssen. In einer solchen Konstellation könne dem Lebensschutz des Schuldners nicht mehr nach § 765a ZPO Rech-nung getragen werden, weil dem Gläubiger eine an sich der Allgemeinheit ob-liegende Aufgabe jedenfalls dann nicht mehr übertragen werden dürfe, wenn hierbei seine Erkrankung oder sein Versterben in Kauf genommen werde. [X.] müsse die Schuldnerin ihr allgemeines Lebensrisiko, zu dem ein Wohn-sitzwechsel gehöre, selbst tragen und die Zwangsräumung unter Heranziehung der gegebenen Hilfsmöglichkeiten (sozialpsychiatrischer Dienst, Inanspruch-nahme ärztlicher Hilfe) hinnehmen.
b) Die vorgenannten
Feststellungen tragen das Abwägungsergebnis des [X.] nicht. Seine Annahme, das mit einer Zwangsräumung ver-bundene Gefährdungspotential für die Schuldnerin sei deutlich höher zu [X.] als die mit einem weiteren Vollstreckungsstillstand für die Gläubiger beste-henden Gesundheitsgefahren, gründet auf den Feststellungen des Sachver-ständigen. Dieser hat
einerseits im Falle der Räumung eine konkrete Lebensge-fahr für die Schuldnerin attestiert und anderseits die Gefahr suizidaler Handlun-gen der Gläubiger als zukünftig mögliche Folge einer Verschlechterung des Krankheitsbildes der Gläubigerin sowie eines dynamischen Verlaufs der Anpas-16
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sungsstörung des Gläubigers beschrieben.
Im Rahmen der Abwägung kann dieser unterschiedliche Gefährdungsgrad nicht unberücksichtigt bleiben. Ist das mit einer Zwangsräumung verbundene Gefährdungspotential für die Schuldne-rin deutlich höher zu bewerten als die mit einem weiteren Vollstreckungsstill-stand für die Gläubiger bestehenden Gesundheitsgefahren, so kommt entgegen der Auffassung des [X.] eine befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht, mit der der Schuldnerin auferlegt wird, durch geeignete
Maßnahmen an einer Verbesserung ihres Gesundheitszustands zu arbeiten.
Es handelt sich nicht um einen Fall, in dem eine Verringerung der Le-bensgefahr der Schuldnerin auch unter Berücksichtigung ihrer Mitwirkung und der Hilfe staatlicher Stellen in Zukunft ausgeschlossen ist (vgl. [X.], [X.], 417 Rn. 17 [X.]). Vielmehr hat das Beschwerdegericht auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens festgestellt, dass im Rahmen einer [X.] Therapie eine Verbesserung des Zustands der Schuldnerin in begrenztem Umfang denkbar sei, sofern ein Therapeut gefunden werden könne, der die [X.] ausschließlich durch Hausbesuche gewährleiste.
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II[X.] Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben; er ist aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zu-rückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Richter am [X.] Prof. Dr. Koch

ist in Urlaub und daher gehindert

zu unterschreiben.
Büscher

Büscher

Löffler
[X.]

Feddersen
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 05.02.2013 -
16 M 1985/12 -

LG [X.] (Oder), Entscheidung vom 01.10.2015 -
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19

Meta

I ZB 109/15

16.06.2016

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2016, Az. I ZB 109/15 (REWIS RS 2016, 9806)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9806

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I ZB 109/15

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