Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. I ZB 89/16

I. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10047

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:010617BIZB89.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 89/16

vom

1. Juni
2017
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

-
2
-
Der I.
Zivilsenat des [X.] hat am
1. Juni
2017
durch [X.] Dr.
Büscher, die Richter Prof. Dr.
Schaffert, Prof. Dr.
[X.], [X.] und Feddersen

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Gläubiger gegen den
Beschluss des [X.] (Oder) -
9.
Zivilkammer -
vom 30.
August
2016 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] trägt der Schuldner.

Der Wert des [X.] wird auf 3.237,55

festgesetzt.

Gründe:
I. Der
Schuldner ist durch Urteil des [X.] (Oder) vom 29. Mai 2008 zur Herausgabe des Grundstücks W.

in S.

verurteilt
worden. Er
bewohnt
das auf diesem Grundstück von ihm errichtete Wohnhaus. Die Gläubiger betreiben gegen den
Schuldner die Räumungsvoll-streckung.
1. Mit Schreiben vom 25.
August 2008 hatte
der Schuldner beim Amtsge-richt [X.] beantragt. Das Amtsgericht hatte
die Zwangsvollstreckung zunächst unter der Auflage vorläufig eingestellt, dass der Schuldner ein amtsärztliches Attest oder Gutachten zur Möglichkeit der [X.] bei gründlicher medizinischer Begleitung vorlegt. Nachdem der Schuldner diese Auflage nicht erfüllt hatte, wurde sein Vollstreckungsschutzantrag
vom Amtsgericht
zurückgewiesen.
1
2
-
3
-
Das Beschwerdegericht hatte
ein neurologisch-psychiatrisches Gutach-ten zur Verfahrensfähigkeit des Schuldners eingeholt. Der Sachverständige
war
zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Schuldner eine krankheitsbedingte partielle Geschäftsunfähigkeit vorliegt, die sich auf die
insbesondere juristi-sche
Auseinandersetzung um das Grundstück bezieht. Das [X.] hatte
daraufhin mit Beschluss vom 25.
August 2009 die Zwangsvollstre-ckung mit der Maßgabe einstweilen eingestellt, dass sie auf Antrag fortzusetzen ist, wenn die gegenwärtige Prozessunfähigkeit des Schuldners nicht mehr fort-besteht
oder der Schuldner wirksam vertreten wird. Die Gläubiger hatten gegen diesen Beschluss die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.
Der [X.] hatte
dem Schuldner Rechtsanwältin

B.

als besondere Vertreterin (Verfahrenspflegerin) beigeordnet sowie
den
Beschluss vom 25.
August 2009 aufgehoben und die Sache an das Beschwer-degericht zurückverwiesen, weil
bei Prozessunfähigkeit des Schuldners
auf der Grundlage von §
765a ZPO keine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstre-ckung möglich ist
([X.], Beschluss vom 17.
August 2011

I
ZB
73/09, [X.] 2011, 209).
Die Verfahrenspflegerin
hatte
den
vom Schuldner selbst gestellten
Voll-streckungsschutzantrag nicht genehmigt. Mit Beschluss vom 20.
Oktober 2011 hatte
das
Beschwerdegericht
die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des [X.] vom 4.
November 2007 zurück-gewiesen.
2. Die Gläubiger
betrieben
daraufhin die Räumungsvollstreckung weiter. Unter dem 3.
Januar 2012 beantragte
die Verfahrenspflegerin für den Schuld-ner Vollstreckungsschutz nach §
765a ZPO, weil die Zwangsräumung
Leib und Leben des Schuldners
erheblich
gefährde.
3
4
5
6
-
4
-
Mit Beschlüssen vom 12.
Januar 2012
bestellte
das Amtsgericht Rechts-anwalt Bl.

anstelle von Rechtsanwältin B.

zum Verfahrenspfleger des
Schuldners
und wies
den Vollstreckungsschutzantrag vom 3.
Januar 2012 zu-rück.
Dagegen legte
der Verfahrenspfleger sofortige Beschwerde ein. Er
legte
dazu eine amtsärztliche Stellungnahme des Facharztes Dr.
H.

vor. Auf-
grund einer Untersuchung des Schuldners am 16.
Januar
2012
führte
Dr. H.

darin
unter anderem
aus, dass im Fall der Zwangsräumung ein Suizid
des Schuldners unmittelbar absehbar sei und daran auch eine Zwangsunter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nichts ändern würde, da das psychische Krankheitsbild nicht behandelbar sei.
Das [X.] stellte
die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den Vollstreckungsschutz einstweilen ein und holte ein neurologisch-psychiatrisches
Gutachten zur Frage der
Gesundheits-
und
Lebensgefahr
im
Fall der Zwangsräumung ein. Der Gutachter Dr.
L.

konnte
den Schuldner
nicht zu einem [X.] bewegen
und erstellte sein Gutachten sodann nach Aktenlage. Er
kam
zu dem Ergebnis, dass für den Fall der Zwangsräumung eine suizidale Handlung des Schuldners wahrscheinlich sei.
Mit Beschluss vom 22.
Januar 2013 stellte
das [X.] die Zwangs-vollstreckung in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe unbe-fristet und ohne Auflagen einstweilen ein.
Auf die
vom Beschwerdegericht zugelassene
Rechtsbeschwerde der Gläubiger
hob
der [X.] den Beschluss des [X.]s vom 22.
Januar 2013 teilweise auf
und
fasste ihn
insgesamt dahin neu, dass die Zwangsvollstreckung in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe bis zum
22. Januar 2015 einstweilen eingestellt
wurde, weil nicht angenommen werden könne, dass eine Behandlung des Schuldners zur Abwendung der Sui-7
8
9
10
11
-
5
-
zidgefahr ohne weitere Prüfung auf Dauer aussichtslos bleiben werde ([X.], Beschluss vom 9.
Oktober 2013
I
ZB
15/13, NJW 2014, 2218).
3. Nach dem 22. Januar 2015 haben die Gläubiger erneut den [X.] Be.

mit der Zwangsvollstreckung beauftragt, der für den
6.
Mai 2015 einen Termin zur Zwangsräumung anberaumt
hat.
Mit Schreiben vom 10.
April 2015 hat
Rechtsanwalt Bl.

für den
Schuldner die Gewährung von Vollstreckungsschutz im Hinblick auf dessen verschlechterten Gesundheitszustand
beantragt. Mit Schreiben vom 28.
April 2015 hat
er
nochmals für ihn
geltend
gemacht, dass für den Falle der [X.] Suizidgefahr bestehe.
Das Amtsgericht hat die Vollstreckungsschutzanträge des
Schuldners
mit Beschluss vom 28. April 2015 zurückgewiesen.
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das [X.] die Zwangsvollstreckung
für den Schuldner in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe bis zum 29. August 2018 einstweilen eingestellt.
Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechts-beschwerde der Gläubiger, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung des [X.] weiterverfolgen.
[X.] Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 ZPO statthafte und auch im Üb-rigen zulässige Rechtsbeschwerde hat
in der Sache keinen
Erfolg.
1. Nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung auf Antrag des Schuldners ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die [X.] unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz 12
13
14
15
16
17
18
-
6
-
besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht ver-einbar ist.
2. Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen [X.], die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten unvereinbar ist. Die Anwendung von § 765a ZPO kommt nur in Betracht, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstre-ckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem un-tragbaren Ergebnis für den Schuldner führen würde ([X.], Beschluss vom 14.
Januar 2010 -
I [X.], [X.], 250 Rn.
7 mwN; Beschluss
vom 20.
Januar 2011 -
I [X.], NJW-RR 2011, 300 Rn.
6).
Ist mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, kann dies die Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO [X.]. Dabei ist aber stets eine Abwägung der Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers vorzunehmen. Der Schuldner kann sich auf sein Grundrecht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) berufen. Der Gläubiger kann geltend machen, dass seine
Grundrechte
auf Schutz des
Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt
werden, wenn sein Räumungs-titel nicht durchsetzbar ist. Ferner ist zu berücksichtigen, dass dem Gläubiger keine Aufgaben überbürdet werden
dürfen, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet wer-den kann
(st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 4. Mai 2005 -
I [X.], [X.]Z 163, 66, 73 f.; Beschluss vom 22. November 2007 -
I [X.], [X.], 1000 Rn.
8
f.; Beschluss vom 13. März 2008 -
I [X.], [X.], 1742 19
20
-
7
-
Rn.
9; [X.], [X.], 250
Rn.
8; [X.], Beschluss vom 15.
Juli 2010
-
V [X.], NJW-RR 2010, 1649 Rn.
10; [X.], NJW-RR 2011, 300 Rn.
6; [X.], Beschluss vom 12. November 2014 -
I [X.], NJW-RR 2015, 393 Rn.
7; Beschluss vom 21. Januar 2016 -
I [X.], NJW-RR 2016, 583 Rn.
17; Beschluss vom 28. Januar 2016 -
V [X.], NJW-RR 2016, 336 Rn.
6).
Dabei kann
vom Schuldner erwartet werden, dass er alles ihm Mögliche und Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (vgl. [X.],
[X.], 1000 Rn.
9; [X.], 1742 Rn.
9; [X.], 250 Rn.
8; NJW-RR 2011, 300 Rn.
6; NJW-RR 2016, 583 Rn.
17). Insbesondere ist es ihm, soweit er dazu in der Lage ist, zuzumuten, fachliche Hilfe -
erforderlichenfalls
auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik -
in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern
(vgl. [X.]Z 163, 66, 74; [X.], NJW-RR 2010, 1649 Rn.
11).
Andere mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, die Ingewahrsamnahme des suizidge-fährdeten Schuldners nach polizeirechtlichen Vorschriften
oder seine Unterbrin-gung nach den einschlägigen Landesgesetzen
sowie die betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB). Kann der Gefahr eines Suizids des Schuldners auf diese Weise entgegengewirkt werden, scheidet eine
Einstellung der Zwangsvollstreckung aus. Der Verweis auf die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Gerichte ist verfassungsrechtlich allerdings nur trag-fähig, wenn diese entweder Maßnahmen zum Schutz des Lebens des [X.] getroffen haben oder eine erhebliche Suizidgefahr gerade für das diese Gefahr auslösende Moment (die Rechtskraft des [X.] oder
-
hier -
die Räumung) nach sorgfältiger Prüfung abschließend verneint haben
([X.], NJW-RR 2010, 1649 Rn.
11; NJW-RR 2015, 393 Rn.
8; NJW-RR 2016,
336 Rn.
7, jeweils mwN).

21
22
-
8
-
Im Hinblick auf eine mögliche Unterbringung ist nach dem auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachtenden Grundsatz der [X.] zu prüfen, ob deren Dauer außer Verhältnis steht zu dem damit verfolg-ten Zweck der Fortführung des [X.]. Steht fest
oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass die Anordnung der Un-terbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer führte, ist eine Freiheitsent-ziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren einzustellen. Gleiches gilt, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine außer Verhältnis stehende jahrelange Unterbringung ohne erkenn-baren therapeutischen Nutzen begegnet werden kann. Anders verhält es sich, wenn innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine Chance besteht, dass die Freiheitsentziehung zu einer Stabilisierung des [X.] führen und durch therapeutische Maßnahmen während der Unterbringung die Grundlage für ein Leben in Freiheit ohne
konkrete Suizidgefährdung gelegt werden kann (vgl. [X.], NJW-RR 2010, 1649 Rn.
14; NJW-RR 2016, 336 Rn.
8, jeweils
mwN).

Kann die beim Schuldner bestehende Gefahr eines Suizids zum Zeit-punkt der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts weder durch
seine
Unter-bringung nach dem Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker noch durch andere Maßnahmen beseitigt werden, kommt grundsätzlich allein
eine befristete Einstellung des [X.] in Betracht. Das Interesse des Gläubigers an der
Fortsetzung des Verfahrens verbietet regel-mäßig eine dauerhafte Einstellung, weil die staatliche Aufgabe, das Leben des Schuldners zu schützen, nicht auf unbegrenzte Zeit durch ein Vollstreckungs-verbot gelöst werden kann
(vgl. [X.], [X.], 250 Rn.
10 f.;
NJW-RR 2015, 393 Rn.
9, jeweils mwN).
Nur in besonders gelagerten Einzelfällen kann eine unter
Beachtung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes und der dem Schuldner in der 23
24
25
-
9
-
Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte vorgenommene Würdigung aller Umstände dazu führen, dass die Zwangsvollstreckung für einen längeren Zeitraum und -
in absoluten Ausnahmefällen -
auf unbestimmte Zeit einzustellen ist ([X.], NJW-RR 2014, 1290 Rn.
11; NJW-RR 2015, 393 Rn.
9; NJW 2016, 3090 Rn.
11, jeweils mwN; [X.], [X.], 1000 Rn.
9). Auch bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit wird regelmäßig die Einstellung der Voll-streckung für einen längeren Zeitraum ausreichen, weil solche Gefahren meist mit zunehmendem Zeitablauf ausgeräumt werden können. Nur wenn die fragli-chen Umstände ihrer Natur nach keiner Änderung zum Besseren zugänglich
sind, kann die Gewährung von Vollstreckungsschutz auf Dauer geboten sein ([X.], NJW 2016, 3090 Rn.
17 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn eine Verringerung der Suizidgefahr auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Mitwirkung des Schuldners und staatlicher Stellen in Zukunft ausgeschlossen erscheint ([X.], NJW-RR 2016, 583 Rn.
17).
Eine befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung ist regelmäßig mit Auflagen zu versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wie-derherzustellen. Das gilt auch, wenn die Aussichten auf eine Besserung des Gesundheitszustands des Schuldners gering sind. Im Interesse des Gläubigers ist es dem Schuldner grundsätzlich zuzumuten, auf eine
Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken und den Stand seiner Behandlung dem [X.] nachzuweisen (vgl. [X.], [X.], 250 Rn.
10 f.
mwN).
Nur in absoluten Ausnahmefällen kann die befristete Einstellung des Verfahrens ohne derartige Auflagen erfolgen ([X.], NJW-RR 2015, 393 Rn.
9). So haben Auflagen zu unterbleiben, wenn sie keine -
auch keine noch so geringe -
Aus-sicht auf Erfolg haben ([X.], NJW-RR 2015, 393 Rn.
13).
3. Das Beschwerdegericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung, die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner in Bezug auf seine
Verurteilung zur Grundstücksherausgabe bis zum 29. August 2018 26
27
-
10
-
einstweilen einzustellen, lässt nach diesen Maßstäben keinen Rechtsfehler er-kennen.
a) Das Beschwerdegericht hat
angenommen, mit der von den Gläubigern beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme, der Räumung des Grundstücks, sei eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden. Der Schuldner leide nach den überzeugenden Ausführungen der Fachärzte [X.].

, Dr.
H.

, Dr.
L.

und Dr. K.

an einer wahnhaften Störung,
die bei einer Durchführung der Zwangsräumung sehr wahrscheinlich zu einem Suizid führe. Diese Beurteilung wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegrif-fen und lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
b) Das Beschwerdegericht hat weiter angenommen, der im Falle einer Zwangsräumung wahrscheinliche Suizid des Schuldners könne nur durch die Einstellung der Zwangsvollstreckung abgewendet werden.
Der Schuldner könne nicht darauf verwiesen werden, selbst auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken. Da ihm -
krankheits-bedingt -
die Behandlungseinsicht fehle, sei er nicht in der Lage, eine Therapie zu beginnen. Zudem erscheine aus diesem Grund nach fachärztlicher Ein-schätzung eine erfolgsversprechende Behandlung unmöglich.
Auch eine
betreuungsrechtliche Unterbringung nach § 1906 BGB könne dem Schuldner weder Schutz bieten noch Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, weil er sich krankheitsbedingt nicht auf eine Behandlung einlassen würde. [X.] habe das [X.] mit Beschluss vom 18.
November 2010 die Bestellung eines Betreuers abgelehnt.
Eine Unterbringung des Schuldners nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbrin-gung für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen im Land Bran-28
29
30
31
32
-
11
-
denburg ([X.] -
BbgPsychKG) sei gleichfalls keine vertretbare Maßnahme, um einem Suizid des Schuldners ent-gegenzuwirken.
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständi-gen Dr. K.

sei
eine wirksame kausale Therapie der Suizidalität nur durch eine erfolgreiche Behandlung der wahnhaften Störung möglich. Der Erfolg einer sol-chen Behandlung sei aber höchst unwahrscheinlich, weil nicht mit einer Be-handlungseinsicht
des Schuldners zu rechnen sei. Eine zwangsweise Unter-bringung
würde den Schuldner vielmehr in seinen wahnhaften Überzeugungen bestärken. Der Sachverständige habe zwar angenommen, der akuten Suizidge-fährdung könne durch eine vor Durchführung der Zwangsräumung veranlasste geschlossene Unterbringung mit kontinuierlicher
Überwachung begegnet wer-den. Eine solche Unterbringung würde aber keine erfolgreiche Behandlung des Schuldners ermöglichen, sondern wäre als bloaufzufassen, da sie nach den Angaben des Sachverständigen allenfalls eine s-

zuließe. Da die Erkrankung im Rahmen der Unterbringung nicht behandelt werden könnte, bestünde
mit der Entlassung und der Konfrontation mit dem Verlust des Eigenheims erneut die Gefahr eines Suizids. Eine Unterbringung, die einen Suizid des Betroffenen voraussichtlich nicht abwenden könne, sei
un-vertretbar. Eine Dauerunterbringung des Schuldners komme
nicht ernsthaft in Betracht.
Danach sei unter Abwägung der betroffenen Interessen des Schuldners und der Gläubiger eine Einstellung der Zwangsräumung geboten.
Bei der Abwägung der betroffenen Interessen seien
das Grundrecht des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit einerseits mit den
Grund-rechten
der Gläubiger auf Schutz ihres Eigentums und wirksamen Rechtsschutz andererseits abzuwägen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass den Gläubigern 33
34
-
12
-
grundsätzlich keine
Aufgaben überbürdet werden dürften, die aufgrund des So-zialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit oblägen.
Auf Seiten der Gläubiger sei darüber hinaus zu beachten, dass das Räumungsverfahren bereits um mehrere Jahre verzögert worden sei,
ihnen ein immer
größer
werdender Vermögensschaden entstehe und die von unerträgli-chen Beschimpfungen und -
gegebenenfalls -
tätlichen Angriffen durchzogene Führung des Verfahrens durch den Schuldner sie erheblich belaste.
Da prak-tisch nicht zu erwarten sei, dass sich das Krankheitsbild des Schuldners zukünf-tig verändere, müsse diesem
möglicherweise immer wieder und bis zu seinem Tod Vollstreckungsschutz gewährt werden. Damit werde die Vollstreckung durch die gleichfalls betagten Gläubiger möglicherweise gänzlich vereitelt.
Dennoch rechtfertigten die von den Gläubigern mit der Durchsetzung des Räumungstitels vorrangig verfolgten Vermögensinteressen es nicht, den wahr-scheinlichen
Tod des Schuldners in Kauf zu nehmen. Maßgeblich für diese Be-urteilung sei, dass ein Suizid des Schuldners nicht auf seiner freien Willensent-scheidung
beruhen würde, sondern durch seine -
nicht erfolgversprechend be-handelbare -
Krankheit bedingt wäre. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich der Schuldner
den Besitz des fremden Grundstücks zunächst nicht rechtswidrig angemaßt habe, sondern der politische Umbruch infolge der [X.] dazu geführt habe, dass er nun das von ihm zu Zeiten des Be-stehens der [X.] auf der Grundlage eines Nutzungsvertrages erbaute Eigen-heim
herausgeben müsse. Dagegen könnten die Gläubiger wieder auf Vermö-gen zugreifen, das für sie nach der Enteignung in der [X.] gleichsam verloren
gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sei es zumutbar, dass
die Gläubiger ihre Vermögensinteressen zurückstellten, um dem Schuldner wahrscheinlich sein Leben zu erhalten.
c) Die gegen diese Beurteilung gerichteten Einwände der [X.] haben keinen Erfolg.
35
36
37
-
13
-
aa) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, an der Recht-sprechung des [X.], wonach die Zwangsvollstreckung stets ein-zustellen sei, wenn der Gefahr eines Suizids des [X.] nur durch eine jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nut-zen begegnet werden könne (vgl. oben Rn.
23), sei nicht festzuhalten. Nach der Rechtsprechung des [X.] bestehe
in einem engen Kreis von Ausnahmefällen lediglich die Möglichkeit, dem Vollstreckungsschuldner dauerhaft Vollstreckungsschutz zu gewähren. Es sei danach nicht ausge-schlossen, dass die Interessen des Vollstreckungsgläubigers die Interessen des suizidgefährdeten [X.] im Einzelfall überwiegen, soweit der Gefahr eines Suizids
des [X.] durch seine dauerhafte Unterbringung
begegnet werden könne.
Damit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die von der [X.] herangezogene Rechtsprechung des [X.] betrifft allein die Frage, ob es möglich ist, die Zwangsvollstreckung nicht nur (wie regelmäßig) befristet, sondern (in besonders gelagerten Einzelfällen)
für einen längeren Zeitraum und (in absoluten Ausnahmefällen)
auf unbestimmte Zeit einzustellen (vgl. oben Rn.
24 und 25). Sie betrifft dagegen nicht die vorge-lagerte Frage, ob ein Antrag des suizidgefährdeten [X.] auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen werden darf, wenn der Gefahr eines Suizids des [X.] nur durch eine jahre-lange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nutzen begegnet wer-den kann.
Diese Frage ist zu verneinen.
Steht fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass die Anordnung der Unterbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer führte, ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhält-nismäßig
und das Verfahren einzustellen (vgl. [X.], NJW-RR 2010, 1649 Rn.
14; NJW-RR 2016, 336 Rn.
8, jeweils mwN). In einem solchen Fall kann 38
39
40
-
14
-
sich der Schuldner zwar nicht auf sein Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG) berufen, da sein
Leben durch die Unterbringung geschützt werden kann. Er kann sich aber auf sein Grundrecht auf Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) berufen, das im Falle einer dauerhaften
Unterbringung ohne therapeuti-schen Nutzen die Grundrechte des Gläubigers auf Schutz des Eigentums (Art.
14 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) in aller Regel überwiegt.
bb) Die Rechtsbeschwerde macht weiter geltend, der Annahme des Be-rufungsgerichts, eine Unterbringung hindere einen Suizid nicht, stehe das [X.] des gerichtlichen Sachverständigen Dr. K.

entgegen, der unter Be-
rücksichtigung des von Dr. L.

erstatteten Gutachtens und der von Dr. H.

abgegebenen Stellungnahme in einer Unterbringung eine nachhaltige
und erfolgversprechende Möglichkeit zur Verhinderung eines Suizids gesehen habe. Das Beschwerdegericht habe sich hierüber nicht ohne weitere sachver-ständige Abklärung hinwegsetzen
dürfen. Es sei auch nicht verständlich, wes-halb einer Suizidgefahr in einer psychiatrischen Anstalt nicht in adäquater [X.] begegnet werden könnte
und Maßnahmen zur vorübergehenden Verhinde-rung eines Suizids nicht erforderlichenfalls längerfristig angewendet werden könnten. Auch damit dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch.
Das Beschwerdegericht hat
berücksichtigt, dass der Sachverständige Dr.
K.

in einer geschlossenen Unterbringung des Schuldners eine Möglich-
keit zur Verhinderung eines Suizids gesehen hat. Es hat allerdings angenom-men, eine solche Unterbringung ermögliche
keine erfolgreiche Behandlung des Schuldners, sondern wäre als [X.] Annahme hat das Beschwerdegericht
entgegen der Darstellung der Rechtsbeschwerde nicht auf eigene Sachkunde, sondern auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. K.

gestützt. Danach ist eine wirksame kausale
Therapie der Suizidalität nur durch eine erfolgreiche Behandlung der wahnhaf-41
42
-
15
-
ten Störung möglich. Der Erfolg einer solchen Behandlung ist
aber höchst un-wahrscheinlich, weil nicht mit einer Behandlungseinsicht des Schuldners zu rechnen ist. Eine zwangsweise Unterbringung würde den Schuldner vielmehr in seinen wahnhaften Überzeugungen bestärken. Sie
ermöglichte
daher nach den Ausführungen des Sachverständigen allenfalls eine symptomatische Ruhigstel-lung des Schuldners mit medikamentösen und physikalischen

.
Das Beschwerdegericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, eine sol-che Unterbringung, bei der die Erkrankung des Schuldners nicht behandelt werden könnte und die die Gefahr eines Suizids des Schuldners nach der
Ent-lassung und der Konfrontation
mit dem Verlust des Eigenheims voraussichtlich nicht abwende, wäre unzulässig. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, es sei unverständlich, weshalb Maßnahmen zur vorübergehenden Verhinderung eines Suizids nicht erforderlichenfalls längerfristig angewendet werden könnten. Das Beschwerdegericht hat mit Recht angenommen, dass eine dauerhafte Unterbringung des Schuldners, die keinen therapeutischen Nutzen hat, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht kommt.

cc) Soweit die
Rechtsbeschwerde geltend macht, eine rechtsfehlerfreie Interessenabwägung hätte zur Versagung des Vollstreckungsschutzes führen müssen, führt sie keine vom Beschwerdegericht übergangenen Gesichtspunkte auf, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Interessen der Gläubiger die Interessen des Schuldners in einer Weise überwiegen, dass dieser
eine dauerhafte Unterbringung ohne therapeutischen Nutzen hinzunehmen hat, um den Gläubigern die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen.
d) Das Beschwerdegericht hat die einstweilige Einstellung der Zwangs-vollstreckung zeitlich auf zwei Jahre befristet. Es hat angenommen, nach den fachärztlichen Feststellungen sei eine Veränderung im Krankheitsbild des Schuldners nicht gänzlich ausgeschlossen. Deshalb erscheine eine erneute Befristung von zwei Jahren erforderlich und angemessen.
Der Schuldner hat 43
44
45
-
16
-
diese Beurteilung hingenommen. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen
(vgl. oben Rn. 24 und 25).
e) Das Beschwerdegericht hat die befristete Einstellung der [X.] nicht mit Auflagen versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen Es hat angenommen, nach fachärztlicher Ein-schätzung sei eine erfolgsversprechende Behandlung des -
krankheitsbedingt behandlungsuneinsichtigen -
Schuldners
nicht möglich. Auflagen
mit dem Ziel, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen, würden daher unzweifelhaft ins Leere laufen. Unter diesen Umständen könne der Schuldner nicht auf eige-ne zumutbare Anstrengungen zur Wahrnehmung ärztlicher Hilfe verwiesen werden. Auch diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand (vgl. oben Rn.
26).
Die Rechtsbeschwerde macht vergeblich geltend, das [X.] hätte die Zwangsvollstreckung nicht ohne Auflage für den Schuldner [X.] dürfen, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben, weil eine solche Behandlung immerhin
geringe Erfolgsaussichten gehabt hätte. Die [X.] versucht damit
lediglich, die tatrichterliche Würdigung der fachärztli-chen Bewertungen, durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen, ohne einen Rechtsfehler des [X.] aufzuzeigen.
46
47
-
17
-

I[X.] Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen den angefochtenen Be-schluss zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 788 Abs. 1
ZPO. Es besteht kein Anlass, den Gläubigern gemäß § 788 Abs. 4 ZPO einen Teil der Kosten aufzuerlegen.
Büscher
Schaffert
[X.]

Löffler
Feddersen
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 28.04.2015 -
16 M 812/15 -

LG [X.] (Oder), Entscheidung vom 30.08.2016 -
19 [X.] -

48

Meta

I ZB 89/16

01.06.2017

Bundesgerichtshof I. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. I ZB 89/16 (REWIS RS 2017, 10047)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10047

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZB 89/16 (Bundesgerichtshof)

Räumungsvollstreckung für ein Hausgrundstück: Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bei konkreter Suizidgefahr des Schuldners


I ZB 15/13 (Bundesgerichtshof)

Räumungsvollstreckung: Unbefristete Einstellung bei Selbstmordgefahr des Vollstreckungsschuldners


I ZB 15/13 (Bundesgerichtshof)


I ZB 125/16 (Bundesgerichtshof)

Räumungsvollstreckung: Vollstreckungsschutz bei Suizidgefahr des Mieters


I ZB 109/15 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

I ZB 89/16

I ZB 34/09

I ZB 27/10

V ZB 1/10

I ZB 99/14

I ZB 12/15

V ZB 115/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.