Bundespatentgericht, Urteil vom 31.08.2016, Az. 3 LiQ 1/16 (EP)

3. Senat | REWIS RS 2016, 6107

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Gegenstand

Patentrecht – einstweilige Verfügung im Zwangslizenzverfahren - "Isentress" - zur Erteilung einer Zwangslizenz an einem Medikament gegen AIDS – zur Frage des erfolglosen Bemühens des Lizenzsuchers um eine Lizenz – Abstellen auf die Perspektive des Lizenzsuchers – Einräumen von Verhandlungsspielräumen - Angebot muss den Anforderungen an eine kartellrechtliche Zwangslizenz nicht genügen - prozessuale Dringlichkeit ist keine zusätzliche Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung


Leitsatz

Isentress

1. Bei der Frage, ob sich der Lizenzsucher im Rahmen eines Zwangslizenzverfahrens erfolglos bemüht hat, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen benutzen zu dürfen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG), ist in erster Linie auf die Perspektive des Lizenzsuchers abzustellen. Von ihm werden nur Bemühungen um eine Lizenz zu Bedingungen verlangt, die ein vernünftiger und wirtschaftlich handelnder Dritter an seiner Stelle zu tragen bereit wäre, wobei ihm – vorbehaltlich etwaiger Scheinbemühungen – gewisse Verhandlungsspielräume einzuräumen sind. Dabei kann er Umstände berücksichtigen, die aus seiner Sicht den Bestand des entsprechenden Patents in Frage stellen.

2. Das Angebot des Lizenzsuchers muss nicht den Anforderungen genügen, die an eine kartellrechtliche Zwangslizenz bzw. an den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand gestellt werden.

3. Neben der Dringlichkeit i. S. d. § 85 Abs. 1 PatG ist die prozessuale Dringlichkeit (i. S. d. §§ 935, 940 ZPO) keine zusätzliche Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 1 PatG.

Tenor

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

betreffend das europäische Patent 1 422 218

([X.] 602 42 459)

hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 31. August 2016 durch den Vorsitzenden [X.] sowie die [X.] [X.]. Dr. [X.], [X.], [X.]. Dr. [X.] und [X.]. Dr. Freudenreich

für Recht erkannt:

[X.] Den Antragstellerinnen wird einstweilig die Benutzung der durch den [X.] Teil des [X.]n Patents 1 422 218 ([X.] 602 42 459) geschützten Erfindung in der Weise gestattet, dass die Antragstellerinnen bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen befugt sind, das Medikament „Isentress

- 400 mg Filmtabletten, zugelassen unter den Nummern [X.]/1/07/436/001 und [X.]/1/07/436/002,

- 25 mg Kautabletten, zugelassen unter der Nummer [X.]/1/07/436/003,

- 100 mg Kautabletten, zugelassen unter der Nummer [X.]/1/07/436/004,

- 100 mg Granulat zur Zubereitung oral einzunehmender Suspensionen unter der Nummer [X.]/1/07/436/005.

I[X.] Der weitergehende Antrag der Antragstellerinnen wird zurückgewiesen.

II[X.] Die Entscheidung über die Festsetzung einer Lizenzgebühr und der Rechnungslegung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

[X.] Die Antragstellerinnen haben eine Sicherheit von 6.500.000,- [X.]RO zu leisten.

V. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

V[X.] Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,- [X.]RO vorläufig vollstreckbar.

[X.][X.] Den Antragstellerinnen wird gestattet, die Sicherheitsleistungen auch durch eine schriftliche, unwiderrufliche, unbefristete, unbedingte und selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts zu erbringen.

Tatbestand

1

Die Antragstellerinnen sind [X.] Unternehmen, die dem [X.] [X.] angehören. Sie vertreiben in [X.] das Arzneimittel „[X.]

2

Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des in [X.] Verfahrenssprache erteilten [X.]n Patents 1 422 218, das die Prioritäten der [X.] Patentanmeldungen 2001 245071 vom 10. August 2001, 2001 370860 vom 5. Dezember 2001 und 2002 191483 vom 28. Juni 2002 in Anspruch nimmt und das vom [X.] unter der Nummer 602 42 459 geführt wird (Streitpatent). Das Patent trägt in der [X.] Übersetzung die Bezeichnung „[X.] Mittel“. Das Streitpatent ist im Einspruchsverfahren von der Einspruchsabteilung des [X.] mit eingeschränktem Anspruchswortlaut aufrechterhalten worden. Über die hiergegen durch [X.], Inc. eingelegte Beschwerde hat die [X.] noch nicht entschieden.

3

Mit Schreiben vom 3. Juni 2014 wies die Antragsgegnerin das [X.] Tochterunternehmen des [X.]s ([X.]…[X.]) auf das [X.] Patent [X.] 5.207.392, einem Mitglied aus der Patentfamilie des Streitpatents, hin. Das Medikament [X.] falle in den Schutzbereich des Patents [X.] 5.207.392, man sei aber unter bestimmten Voraussetzungen zur Lizenzierung bereit. Hierauf antwortete der Senior Vice President & Assistant General Counsel der [X.] [X.]. (im Folgenden: [X.].) mit Schreiben vom 30. Juni 2014. Darin teilte er mit, dass das Patent geprüft werde und bat darum, die weitere Korrespondenz mit ihm zu führen. Sowohl die Antragsgegnerin als auch [X.]. äußerten ihr Interesse an einer weltweiten Vereinbarung ([X.] v. 25. Juli 2014, [X.] 4, S. 9).

4

Während der über ein Jahr dauernden Verhandlungen gab die Antragsgegnerin insgesamt zwei bezifferte Angebote ab, die sich am Umsatz mit dem Medikament [X.] orientierten. In beiden Angeboten schlug sie eine Pauschalsumme für die [X.] vor Inkrafttreten einer Vereinbarung (1. Angebot: … Mio. [X.]-$; 2. Angebot: … Mio. [X.]-$) und, je nach Land und Stand des jeweiligen [X.], prozentuale Lizenzgebühren am Umsatz des Medikaments vor (1. Angebot: …% bis …%; 2. Angebot: …% bis …%, vgl. Schreiben v. 5. September 2015 und v. 22. Dezember 2014, [X.] 4, S. 13 f. u. 19 f.). [X.]. wies wiederholt auf das Einspruchsverfahren vor dem [X.] wegen des [X.] und der Bestandskraft des Streitpatents hin. Sie gab ein Gegenangebot ab, das eine weltweite Einmalzahlung von … Mio. [X.]-$ vorsah (Mail v. 23. Oktober 2014, [X.] 4, S. 18), das sie bis zum Abbruch der Verhandlungen unverändert aufrechterhielt.

5

Mit Klageschrift vom 17. August 2015 hat die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerinnen vor dem [X.] Klage wegen Verletzung des Streitpatents erhoben (Az.: 4c O 48/15). Die Klage ist auf Unterlassung der Verwendung von [X.] bei der Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Verwendung als Integrase-Inhibitor zur Vorbeugung oder Behandlung einer Viruserkrankung und dessen Vermarktung sowie auf Auskunft und Rechnungslegung gerichtet. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 1. ist sie zudem auf Rückruf der seit 21. März 2012 in den Verkehr gelangten Erzeugnisse und Herausgabe der Erzeugnisse gerichtet. Das [X.] hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 13. September 2016 bestimmt.

6

Die Antragstellerin zu 1. hat mit Klageschrift vom 5. Januar 2016 vor dem [X.] Klage auf Erteilung einer Zwangslizenz gegen die Antragsgegnerin erhoben (Hauptsacheverfahren 3 Li 1/16 (EP)). Später sind die Antragstellerinnen zu 2. und 3. dem Hauptsacheverfahren auf Seiten der Antragstellerin zu 1. beigetreten. Die Antragsgegnerin hat der Klage widersprochen. Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2016, eingegangen am gleichen Tag, haben die Antragstellerinnen Antrag auf Gestattung der Benutzung der streitpatentgemäßen Erfindung durch einstweilige Verfügung gestellt.

7

In der mündlichen Verhandlung haben die Antragstellerinnen erklärt, dass das bisherige Lizenzangebot keine betragliche Obergrenze für eine gegebenenfalls zu leistende Lizenzzahlung darstelle und sie bereit seien, eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu nehmen.

8

Die Antragsstellerinnen sind der Auffassung, [X.]. habe sich über einen angemessenen [X.]raum erfolglos bemüht, von der Antragsgegnerin eine weltweite Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen mit Wirkung auch für die Antragstellerinnen zu erhalten. Die von diesem Unternehmen des [X.]…- geführten Verhandlungen über eine weltweite Lizenz seien (auch) den Antragstellerinnen zuzurechnen. Zudem sei die angebotene Lizenzgebühr in Form einer Einmalzahlung von … Mio. [X.]-$ im Hinblick auf den mangelnden Rechtsbestand des Streitpatents und dessen geringen Offenbarungsgehalt angemessen und geschäftsüblich gewesen, zumal Unternehmen des [X.] den Wirkstoff [X.] eigenständig und ohne Heranziehung einer Lehre aus dem Streitpatent entwickelt hätten. Derartige Erwägungen seien bei der Frage, ob das Bemühen um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen vorliege, ohne weiteres zu berücksichtigen. Dazu verweisen die Antragstellerinnen u. a. auf ihre Beschwerdebegründung im [X.], auf Auszüge aus der Akte des [X.] zur parallelen Patentanmeldung [X.] 10485349 sowie auf Publikationen und Laborprotokolle von Forschern der [X.]. Ergänzend haben sie Gutachten zur Berechnung der Lizenzgebühr vorgelegt.

9

Die Erteilung der Zwangslizenz sei geboten, da ein erhebliches öffentliches Interesse an einer (Weiter-) Versorgung der Bevölkerung, insbesondere der im Rahmen ihrer individualisierten Therapie mit dem Medikament [X.] behandelten [X.] und ggf. an AIDS erkrankten Patienten bestehe. Dabei liege die medizinische Versorgung jedes einzelnen Patienten im öffentlichen Interesse. Zur Gewährleistung einer individualisierten Therapie müsse eine breite Palette von Medikamenten zur Auswahl stehen, um bei möglichen Komplikationen auf andere Produkte ausweichen zu können.

Das Medikament [X.] mit seinem Wirkstoff [X.] weise gegenüber den nur zwei weiteren verfügbaren Integrase-Inhibitoren (mit den Wirkstoffen [X.] und [X.]) nicht nur erhebliche Vorteile auf, sondern müsse auch im Hinblick auf die Gewährleistung der [X.] verfügbar bleiben. Insbesondere habe [X.] ein günstigeres Nebenwirkungsprofil. Für Säuglinge und Kinder sei kein gleichwertiges Ausweichpräparat mit einem Integrase-Inhibitor verfügbar. Gleiches gelte für die Behandlung von Schwangeren. Auch für die Behandlung von Patienten mit altersbedingten Begleiterkrankungen müsse auf [X.] weiter zurückgegriffen werden können. Zudem sei [X.] als einziger Integrase-Inhibitor im Rahmen der Postexpositionsprophylaxe empfohlen.

Ein Wechsel (Switch) auf ein anderes Arzneimittel sei grundsätzlich nur aus medizinischen Gründen veranlasst und bedürfe vor allem wegen der Gefahr einer Entwicklung von Resistenzen und einem möglichen Zusammenbruch der Therapie einer Nutzen-Risiko-Abwägung. Dabei stiegen die Risiken mit jedem Therapiewechsel. Bei einigen Patienten könnten sie so hoch sein, dass kein Wechsel erfolgen dürfe.

Die Gestattung der Benutzung der Lehre des Streitpatents sei damit nach Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen sachgerecht und im öffentlichen Interesse geboten. Das monetäre Interesse der Antragsgegnerin an einer Verwertung des Streitpatents, dem durch Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr Rechnung getragen werden könne, habe gegenüber dem überwiegenden öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Gesundheitsvorsorge und den Interessen der betroffenen Patienten an einer wirksamen Behandlung ihrer Krankheit zurückzutreten.

Die sofortige Gestattung der Benutzung der Erfindung des Streitpatents sei auch dringlich, da in dem auf den 13. September 2016 anberaumten Termin vor dem [X.] die Verurteilung der Antragstellerinnen zur Unterlassung drohe und eine kurzfristige Einigung der Parteien über die Einräumung einer Lizenz an dem Streitpatent nicht zu erwarten sei.

Die Antragstellerinnen beantragen,

ihnen einstweilig die Benutzung der durch den [X.] Teil des [X.]n Patents 1 422 218 ([X.] 602 42 459) geschützten Erfindung in der Weise zu gestatten, dass die Antragstellerinnen bis zur Entscheidung über die Hauptsache einstweilen befugt sind, ihr Medikament „[X.]

Hilfsweise beantragen sie sinngemäß,

ihnen die gemäß Hauptantrag beantragte einstweilige Benutzung im Umfang der derzeit in der Bundesrepublik [X.] zugelassenen Darreichungsformen (400 mg Filmtabletten, 25 mg Kautabletten, 100 mg Kautabletten, 100 mg Granulat) zu gestatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin tritt dem Vorbringen der Antragstellerinnen entgegen. Nach ihrer Auffassung ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits wegen fehlender prozessualer Dringlichkeit zurückzuweisen, da die Antragstellerinnen ein entsprechendes Verfahren verspätet in Gang gebracht hätten. Die Antragstellerinnen hätten bereits seit August 2015 Kenntnis von der beim [X.] eingereichten Verletzungsklage. Seit September 2015 hätten sie gewusst, dass die mündliche Verhandlung im Verletzungsverfahren auf den 16. August 2016 (später auf den 13. September 2016 verlegt) anberaumt worden sei. Bis zur Einreichung des Antrags hätten sie also fast neun Monate zugewartet. Damit hätten sie gezeigt, dass es ihnen nur um die Verzögerung des [X.] gehe.

Zudem seien die gestellten Anträge unklar, da offen bleibe, für welche der derzeit vertriebenen bzw. im Zulassungsverfahren befindlichen Darreichungsformen von [X.] die Zwangslizenz begehrt werde.

Auch hätten sich die Antragstellerinnen entgegen § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] i. V. m. § 85 Abs. 1 [X.] nicht innerhalb eines angemessenen [X.]raumes erfolglos bemüht, von der Antragsgegnerin die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen. Bei diesem Erfordernis handele es sich um eine prozessuale Voraussetzung, die die Antragstellerinnen nicht erfüllt hätten, so dass der Antrag schon mangels [X.] als unzulässig abzuweisen sei. Nicht die Antragstellerinnen sondern die Antragsgegnerin sei im Juni 2014 an das [X.] Tochterunternehmen des [X.]s zwecks Initiierung von [X.] herangetreten. Die [X.] Konzerngesellschaft [X.]., die daraufhin die Verhandlungen übernommen und äußerst zögerlich betrieben habe, sei zunächst nicht bereit gewesen, selbst ein Angebot zu machen. Um die Sache voranzutreiben, habe die Antragsgegnerin ein erstes Angebot abgegeben, das sich aus einem (angemessenen) Fixbetrag für die Vergangenheit und einer umsatzbezogenen Lizenzgebühr für die Zukunft zusammengesetzt habe. Hierauf habe [X.]. mit E-Mail vom 23. Oktober 2014 eine Einmalzahlung in Höhe von … Mio. [X.]-$ angeboten, was angesichts der Umsatzzahlen völlig inakzeptabel gewesen sei. Auf diesem inakzeptablen Angebot habe [X.]. weiter beharrt, auch nachdem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 ein angepasstes Angebot abgegeben und das [X.] mit Entscheidung vom 12. März 2015 erstinstanzlich aufrechterhalten habe.

Das Einmalzahlungsangebot für eine weltweite Nutzung des Streitpatents sei völlig unangemessen und berücksichtige nicht die Umsätze mit dem streitgegenständlichen Medikament. Bei diesem handele es sich um einen Blockbuster, dessen weltweiter Umsatz über die Gesamtlaufzeit des Streitpatents gerechnet bei mindestens 21,6 Mrd. [X.]-$ liegen dürfte. Hieran gemessen sei das Angebot der [X.]. ein „[X.]“ gewesen. Erwägungen über den Rechtsbestand des Streitpatents seien im [X.] verfehlt, denn dort sei der Rechtsbestand zu unterstellen. Das Verhalten des [X.] zeige, dass er sich nie ernsthaft um eine Lizenz bemüht habe. Stattdessen habe er sich darauf verlassen, dass das Streitpatent schon irgendwie vernichtet werde, um so lange wie möglich das Patent kostenfrei zu nutzen.

Die Antragsgegnerin hält eine Lizenzgebühr von 10% an den Umsätzen mit dem Medikament [X.] für angemessen, wobei sie davon ausgeht, dass eine Zwangslizenz de facto eine ausschließliche Lizenz sei und daher kein Abschlag gerechtfertigt sei. Für die Frage der Angemessenheit des Angebots sei zudem auf die Rechtsprechung zum kartellrechtlichen [X.] zurückzugreifen, denn die Zwangslizenz stelle einen noch schwerwiegenderen Eingriff in die verfassungsrechtlichen Eigentumsrechte des [X.] dar als die kartellrechtliche Zwangslizenz bzw. der kartellrechtliche [X.]. Danach müsse der [X.] ein annahme- und verhandlungsfähiges, sachlich billiges Angebot i. S. v. § 145 BGB unterbreiten. Hierzu gehörten insbesondere die Bezifferung eines angemessenen Lizenzsatzes und die Anerkennung der Schadensersatzpflicht für Benutzungshandlungen in der Vergangenheit jedenfalls dem Grunde nach sowie die Verpflichtung zur üblichen Rechnungslegungspflicht. Außerdem erfordere ein Angebot zur Benutzung der Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen auch die Hinterlegung einer angemessenen Sicherheit, zumindest für die bereits vor Abschluss eines Lizenzvertrags vorgenommenen Benutzungshandlungen. Im Übrigen hätten nicht die Antragstellerinnen selbst mit der Antragsgegnerin verhandelt, so dass sie keine [X.] i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.] seien.

Das demnach ursprünglich unzureichende Angebot von [X.]. könne im gerichtlichen Verfahren auch nicht mehr mit der Folge nachgebessert werden, dass das Erfordernis der Lizenzbemühungen über einen angemessenen [X.]raum nachgeholt werden könne. Im Übrigen liege auch keine Weigerung der Lizenzerteilung durch die Antragsgegnerin vor. Sie warte bis heute auf ein substanzielles Lizenzgegenangebot der Antragstellerinnen.

Darüber hinaus bestehe kein öffentliches Interesse an der Erlaubnis der Benutzung der Erfindung, da die Verfügbarkeit des streitgegenständlichen Medikaments nicht erforderlich sei. Ein öffentliches Interesse entfalle schon dann, wenn auf dem Markt mehr oder weniger gleichartige Austauschpräparate verfügbar seien. Über das Unternehmen [X.], an dem sie zusammen mit [X.] und [X.] beteiligt sei, vertreibe die Antragsgegnerin die integrasehemmenden Arzneimittel „Tivicay“ und „Triumeq“ in [X.]. Dabei handele es sich um direkte Konkurrenzprodukte zum Medikament [X.]. Der in diesen Konkurrenzprodukten enthaltene Wirkstoff [X.] erweise sich gegenüber [X.] als vielfach überlegen. Er müsse nur einmal täglich eingenommen werden, verfüge über ein sehr gutes Nebenwirkungsprofil und weise eine hohe genetische Barriere auf. Die Versorgung im Inland sei darüber hinaus auch durch eine Vielzahl von möglichen Therapiekombinationen, einschließlich solcher ohne Integrasehemmer, sichergestellt. Ein entsprechender Therapiewechsel (Switch) sei in der HIV-Therapie regelmäßig unproblematisch und auch üblich.

Sollte es tatsächlich Patienten geben, die derart starke individuelle Unverträglichkeiten aufwiesen, dass lediglich eine Therapie mit [X.] möglich wäre, was die Antragsgegnerin bestreitet, so seien solche Fälle gerade nicht Gegenstand des öffentlichen Interesses sondern allenfalls dem jeweiligen Individualinteresse der betroffenen Patienten zuzuordnen und im Rahmen der Erteilung einer Zwangslizenz unbeachtlich. [X.]. könne die Benutzung der patentierten Erfindung durch allgemeine Rechtfertigungsgründe des Straf- und Zivilrechts gerechtfertigt sein. Zumindest jedenfalls sei der Umfang der Zwangslizenz auf bestimmte Patientengruppen und Darreichungsformen zu beschränken und nur gegen angemessene Sicherheitsleistung zu gewähren.

Schließlich würde das vorliegende Verfügungsverfahren nicht nur das Hauptsacheverfahren sondern auch die Entscheidung des [X.] im Hinblick auf die Verletzung und die Frage der Aussetzung unzulässig vorwegnehmen, denn das Gericht würde seiner ausschließlichen Entscheidungskompetenz hinsichtlich dieser Frage beraubt werden.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von PD Dr. S... Auf dessen Gutachten vom 16. August 2016 wird Bezug genommen. Außerdem hat der Sachverständige sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutert.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist zulässig. Er führt auch weitgehend zum Erfolg, da die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 24 Abs. 1 [X.] für die in der [X.] zugelassenen und vertriebenen Präparate des [X.] mit dem Wirkstoff [X.] vorliegen. Der weitergehende Antrag ist zurückzuweisen.

[X.]

1. Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist zulässig.

Insbesondere ist der Antrag, wie er im [X.] vom 7. Juni 2016 formuliert ist, hinreichend bestimmt. Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertritt, dass aus dem Antrag nicht hervorgehe, für welche der vier Varianten bzw. Abgabeformen des [X.], einschließlich des noch im Zulassungsverfahren befindlichen 1200 [X.], die Gewährung einer [X.] begehrt werde und weshalb ein öffentliches Interesse an der Verfügbarkeit aller vier Varianten bestehen solle, vermag der [X.] diese Ansicht nicht zu teilen. Nach der insoweit offenen Formulierung im Antrag („… ihr Medikament „[X.]

Im Übrigen liegt ein schriftlicher Antrag unter Wahrung der für die [X.] geltenden Förmlichkeiten vor, so dass auch den weiteren sich aus §§ 24, 85 [X.] ergebenden formalrechtlichen Erfordernissen (vgl. [X.], [X.], 11. Aufl., § 85, Rn. 4) genügt worden ist. Auch liegt die Anhängigkeit des Hauptsacheverfahrens als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung vor, nachdem die [X.] bereits am 5. Januar 2016 bei Gericht eingegangen ist.

2. Der Antrag ist auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil sich die Antragstellerinnen bzw. das verhandelnde Konzernunternehmen M2… Corp. nach Auffassung der Antragsgegnerin nicht ernsthaft und nachhaltig bemüht haben, eine Zustimmung zur Benutzung der Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu erhalten. Die Frage des Vorliegens von nachhaltigen Bemühungen des [X.] um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] i. V. m. § 85 Abs. 1 [X.]) betrifft nach Auffassung des [X.]s die Begründetheit des Antrags. Zwar hat der [X.] in der Entscheidung [X.] 1996, 190, 192 - [X.] unter A.[X.] festgestellt, dass die Erlaubnisverweigerung des [X.] gegenüber dem [X.], der sich erbietet, eine angemessene Vergütung zu zahlen, eine - im Laufe des Verfahrens nachholbare - Prozessvoraussetzung ist, was er nicht nur auf die Weigerung des [X.] sondern auch auf die Frage bezogen hat, ob das Angebot des [X.] den Erfordernissen des § 24 [X.] entspricht (vgl. [X.], a. a. O., letzter Absatz von [X.]; vgl. a. Begründung zum Regierungsentwurf des 2. PatÄndG, [X.] 1998, 400 li. [X.], 3. Abs.). Dies kann jedoch nur für das Hauptsacheverfahren nach § 24 [X.] gelten. Denn im einstweiligen Verfügungsverfahren hat der Antragsteller nach § 85 Abs. 1 [X.] glaubhaft zu machen, dass „die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 bis 6 vorliegen“, ohne dass § 85 [X.] dabei zwischen den einzelnen Voraussetzungen des § 24 [X.] unterscheidet. Die Glaubhaftmachung sämtlicher Voraussetzungen des § 24 [X.] kann aber nicht eine bloße Zulässigkeitsvoraussetzung sein, ebenso wenig wie die nach § 85 Abs. 1 [X.] ebenfalls glaubhaft zu machende Dringlichkeit. Andernfalls wäre der in dieser Vorschrift genannte Verfügungsanspruch, wohl ebenso der Verfügungsgrund, als Prozessvoraussetzung zu prüfen. Wie schon aus der Fassung des § 85 Abs. 1 [X.] deutlich wird, muss es sich dabei aber um sachliche Voraussetzungen und damit um Fragen der Begründetheit des Antrags auf einstweilige Verfügung handeln.

Letztlich kann dies dahingestellt bleiben. Sofern man davon ausgeht, dass das Vorliegen eines ernsthaften und nachhaltigen Angebots i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.] eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt, handelt es sich dabei um eine sog. doppelrelevante Tatsache, deren schlüssige Behauptung für die Zulässigkeit der Klage genügt (vgl. [X.], ZPO, 7. Aufl., § 12, Rn. 9; [X.], ZPO, 31. Aufl., § 12, Rn. 14; [X.], ZPO, 3. Aufl., § 12, Rn. 56). Vorliegend sind jedenfalls sowohl die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 [X.] als auch die Dringlichkeit i. S. d. § 85 Abs. 1 [X.] schlüssig vorgetragen und zudem glaubhaft gemacht worden (s. u. I[X.]).

I[X.]

Der Antrag auf Erlass einer [X.] im Wege der einstweiligen Verfügung ist im Umfang der Ziffer I des Entscheidungsausspruchs und damit weitgehend begründet. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 [X.] vorliegen (§ 85 Abs. 1 [X.]).

1. Mit dem Streitpatent liegt ein - seit 2012 - erteiltes Patent vor (vgl. § 24 Abs. 6 Satz 1 [X.]). Die Bestandskraft des sich derzeit im [X.] ist im [X.] zu unterstellen (vgl. B[X.]E 36, 96, 100; [X.], a. a. O., § 24, Rn. 9 a. E.).

2. Weiter haben die Antragstellerinnen die Absicht (und die Fähigkeit), die geschützte Erfindung gewerblich zu benutzen (vgl. dazu Busse, [X.], 8. Aufl., § 24, Rn. 23 ff.). Dies folgt schon daraus, dass sie das umsatzstarke Medikament [X.] mit dem Wirkstoff [X.] bereits seit 2007 in [X.] und im europäischen Wirtschaftsraum einschließlich der [X.] mit Erfolg vertreiben. Dass die beabsichtigte Benutzung in den Schutzbereich des Patents fällt, ist im [X.] zu unterstellen (vgl. Busse, a. a. O., § 24, Rn. 25; [X.], a. a. O., § 24, Rn. 11).

3. Die Antragstellerinnen haben sich auch i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.] innerhalb eines angemessenen [X.]raumes erfolglos bemüht, von der Antragsgegnerin die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen.

a) Dabei sind den Antragstellerinnen die Verhandlungen des Konzernunternehmens M2… Corp. zuzurechnen. Bei Verhandlungen, in denen weltweit geltende Regelungen getroffen werden sollen, entspricht es wirtschaftlicher und lebensnaher Betrachtung, dass nur eines der Unternehmen für den gesamten Konzern verhandelt und ggf. eine Regelung oder wenigstens eine grundsätzliche Einigung mit dem Verhandlungspartner trifft. Es wäre ein mit der Lebenswirklichkeit nicht zu vereinbarender Formalismus, wenn sich jedes einzelne Konzernunternehmen, das an einer Lizenz, ggf. einer [X.], interessiert sein könnte, selbst an den Verhandlungen beteiligen oder eine förmliche Vertretung sicherstellen müsste. Im Übrigen setzt sich die Antragsgegnerin zu ihrem Verhalten in Widerspruch, wenn sie einerseits über ein Jahr lang mit M2… Corp. über die weltweite Lizenzierung des Streitpatents verhandelt hat, sich nach dem Scheitern der Verhandlungen aber darauf beruft, dass die von ihr aus dem Streitpatent verklagten und im geografischen Schutzbereich des Streitpatents tätigen Unternehmen des M…-Konzerns nicht selbst verhandelt haben.

b) Das demnach auch für die Antragstellerinnen handelnde Konzernunternehmen M2… Corp. hat sich i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.] erfolglos bemüht, von der Antragsgegnerin die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen. Soweit die Antragsgegnerin hiergegen einwendet, dass das [X.] in Höhe von … Mio. US-$ für eine weltweite Nutzung des Streitpatents angesichts der Umsätze mit dem „Blockbuster“-Medikament [X.] völlig unangemessen sei („[X.]“), wobei Erwägungen über den Rechtsbestand des Streitpatents im [X.] verfehlt seien, vermag dies die Ernsthaftigkeit der Bemühungen des M…-Konzerns im Ergebnis nicht in Frage zu stellen.

rechtsgeschäftlichen Lizenz dienen sollen, bereits mit Blick auf die für ([X.]) [X.] geltenden rechtlichen Maßstäbe führt. Vielmehr sind die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer [X.] (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) von den Rechtsfolgen (§ 24 Abs. 6 Satz 4 [X.]) zu trennen. § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] verlangt, dass sich der [X.] zunächst innerhalb eines angemessenen [X.]raums um eine Lizenz zu angemessenen und geschäftsüblichen Bedingungen „bemüht hat“ (so auch Art. 31 b) Satz 1 [X.]: „… eine solche Benutzung darf nur gestattet werden, wenn vor der Benutzung derjenige, der die Benutzung plant, sich bemüht hat, die Zustimmung des [X.] zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu erhalten, und wenn diese Bemühungen innerhalb einer angemessenen Frist erfolglos geblieben sind.“; zur Auslegung des § 24 [X.] anhand der Vorgaben des [X.]-Übereinkommens als übergeordnetes internationales Recht vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des 2. [X.]ÄndG [X.] 1998, 398 re. [X.] - 400 li. [X.]; [X.], a. a. O., § 24, Rn. 1 u. 3).

Die Vorschrift knüpft damit an einen zeitlich vor dem [X.] liegenden Vorgang an, in dem die Verhandlungen begonnen, geführt und abgebrochen worden sind. Der [X.] muss sich zuerst um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen bemüht haben, bevor er die Erteilung einer [X.] durch st[X.]tlichen Hoheitsakt beantragt. Seine Lizenzbemühungen müssen folglich auf die Erteilung einer üblichen Lizenz gerichtet sein, wie sie im Rahmen der freien Lizenzierbarkeit (§ 15 [X.], vgl. a. Art. 28 Abs. 2 [X.]) vereinbart wird, mit anderen Worten der [X.] muss es erst einmal „auf normalem Weg“ versucht haben. Dies wird insbesondere durch die Formulierung „zu … geschäftsüblichen Bedingungen“ in § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] deutlich.

Bei der Frage, ob sich der [X.] ausreichend um eine solche Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen bemüht hat, ist naturgemäß in erster Linie auf die Perspektive des [X.] abzustellen. Von ihm werden nur Bemühungen um eine Lizenz zu Bedingungen verlangt werden können, die ein vernünftiger und wirtschaftlich handelnder Dritter an seiner Stelle zu tragen bereit wäre.

Kein Bemühen um eine Lizenz zu angemessenen und geschäftsüblichen Bedingungen i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.] würde etwa dann vorliegen, wenn das Verhalten des [X.] erkennbar von zielgerichteten Bemühungen um eine „normale“ rechtsgeschäftliche Lizenz abweicht und bei objektiver Sicht den Schluss zulässt, dass es ihm nicht darum ging, eine Lizenz zu üblichen Bedingungen zu erhalten, sondern er nur zum Schein verhandelt hat, um beispielsweise einen Rechtsstreit hinauszuzögern. Möglich wäre die Annahme solcher Scheinverhandlungen auch, wenn der [X.] erkennbar von vornherein nur an einer st[X.]tlich verliehenen [X.] interessiert war, etwa in Erwartung eines Abschlags wegen der Nichtausschließlichkeit der Lizenz oder wegen der bei [X.] nach wie vor gegebenen Möglichkeit, das Patent mit der Nichtigkeitsklage anzugreifen. Bestehen hierfür zureichende Anhaltspunkte, so werden ausreichende Lizenzbemühungen i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.] zu verneinen sein.

wesentliche Voraussetzung der [X.] im öffentlichen Interesse nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 [X.] sehen müssen (vgl. [X.], a. a. O., § 24, Rn. 3; Busse, a. a. O. § 24, Rn. 14). Demgegenüber stellt das Erfordernis der vorherigen erfolglosen Bemühungen um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen nur eine notwendige Vorstufe dar, die dem Vorrang der freien Lizenzierbarkeit (§ 15 [X.], Art. 28 Abs. 2 [X.]) Rechnung trägt. Die Anforderungen an ernsthafte Bemühungen um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen sind daher bei international geführten Verhandlungen angesichts der Vielgestaltigkeit von möglichen Verhandlungssituationen, -hintergründen, -mentalitäten, -kulturen usw. nicht zu eng anzusetzen. Insbesondere wird man jedem [X.] [X.]ielräume für individuelle unternehmerische Erwägungen ebenso wie auch Verhandlungsspielräume einräumen müssen.

Nach diesen Grundsätzen hat sich die [X.]. unter den besonderen Umstän- den des Einzelfalls in ausreichendem Maße erfolglos um eine solche Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen für den [X.] bemüht. Der Hersteller eines seit über fünf Jahren mit großem Markterfolg vertriebenen Medikaments, der von einem Patentinhaber mit dem Hinweis zu [X.] aufgefordert wird, dass das Medikament in den Schutzbereich des Patents falle, wird zunächst naheliegend eine Prüfung der patentrechtlichen Lage veranlassen, schon um einschätzen zu können, ob der Abschluss einer Lizenzvereinbarung überhaupt und ggf. zu welchen Bedingungen erforderlich ist oder ob umgekehrt die Führung von Verletzungsstreitigkeiten erfolgversprechender erscheint. Gelangt er hierbei zu der Auffassung, dass das Patent letztlich nicht Bestand haben wird, zumindest nicht in dem Umfang, der das von ihm produzierte Medikament betrifft, so wird er dies in die Verhandlungen einbringen und im Falle eines von ihm abzugebenden Angebots oder Gegenangebots einpreisen. In diesem Rahmen wird der Produkthersteller Aspekte wie die Breite des Schutzbereichs, die (mangelnde) [X.] des produzierten Wirkstoffs im Patent, eine etwaige Entwicklung dieses Wirkstoffs mit eigener Forschungstätigkeit und vor allem auch Anhaltspunkte für mangelnde Schutzfähigkeit sowie rechtliche Optionen zu deren Geltendmachung berücksichtigen. Die besonderen Bedingungen eines [X.]s, in dem der Rechtsbestand des Streitpatents zu unterstellen ist, braucht er hingegen nicht zu beachten, da dies nicht der geschäftsüblichen Lizenz i. S. d. § 15 [X.] entspricht (s. o.), ganz abgesehen davon dass er ein nationales [X.] zumeist auch noch gar nicht im Auge haben kann.

Vorliegend hat [X.]. in den Verhandlungen wiederholt Bedenken hinsichtlich des Umfangs der Patentansprüche im Hinblick auf die [X.] geäußert. Sie hat weiter auf das beim [X.] hingewiesen, in dem diese Bedenken eingehend dargestellt seien (vgl. [X.] 4, S. 8, 9, 17, 26). Zudem hat sie ihre Bereitschaft gezeigt, sich gegen etwaige [X.], die auf der Basis nicht rechtsbeständiger Patente erhoben würden, zu verteidigen (vgl. [X.] 4, S. 18), womit ersichtlich auch das Streitpatent gemeint war.

Geht man von dieser Sicht aus, so erscheint ein (Gegen-) Angebot, das eine Einmalzahlung von … Mio. US-$ für eine weltweite Lizenz an den betreffenden Patenten der Antragsgegnerin vorsieht, konsequent und entspricht damit angemessener und geschäftsüblicher Verhandlungsführung. Bei einer solchen „Lizenz“ konnte es sich wirtschaftlich nur um eine Zahlung zwecks Vermeidung oder Beendigung von Rechtsstreitigkeiten handeln. Trotz des damit dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] („…, die Erfindung … zu benutzen“) eigentlich nicht entsprechenden Angebots handelt es sich hierbei dennoch um Lizenzbemühungen i. S. d. §§ 24 Abs. 1 Nr. 1, 85 [X.]. Andernfalls wäre jeder Hersteller eines Produkts, das in den Schutzbereich eines aus seiner Sicht nicht bestandskräftigen Patents fällt, gezwungen, von vornherein vom Rechtsbestand des jeweiligen Patents auszugehen und ein entsprechendes Lizenzentgelt für eine rechtsgeschäftliche Lizenz anzubieten. Dies würde jedoch nicht dem entsprechen, was ein [X.] unter solchen Umständen als angemessen und geschäftsüblich i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ansehen darf.

Der [X.] verkennt nicht, dass bei dieser Auslegung des § 24 Abs. 1 Nr.1 [X.] die Gefahr von missbräuchlichen Scheinverhandlungen zum Zwecke der Umgehung des Erfordernisses ernsthafter Lizenzbemühungen bestehen kann, indem ein nicht ernsthaft an einer rechtsgeschäftlichen Lizenz interessierter Patentbenutzer Bedenken gegen die Schutzfähigkeit des Patents vorschiebt und auf einer künstlich niedrig angesetzten Verhandlungsposition beharrt. Allerdings dürften solchen Missbrauchsversuchen schon wegen des Risikos der Abweisung einer [X.]klage und den damit verbundenen Folgen Grenzen gesetzt sein.

Vorliegend sieht der [X.] keine Anhaltspunkte für missbräuchliche Scheinverhandlungen zur Umgehung des Erfordernisses nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Zum Beleg von [X.]smängeln des Streitpatents haben die Antragstellerinnen Auszüge aus der Erteilungsakte der parallelen [X.] vorgelegt ([X.] 7) und auf mehrfache Zurückweisungsbeschlüsse des [X.] hingewiesen. Zudem haben sie unter Vorlage der Beschwerdebegründung im Einspruchsverfahren vor dem [X.] ([X.] 6) auf Bedenken gegen die Patentfähigkeit des Streitpatents hingewiesen sowie substantiiert zu Forschungstätigkeiten und -erfolgen des [X.] in Zusammenhang mit dem gegenständlichen Wirkstoff [X.] vorgetragen (ergänzender Schriftsatz vom 7. Juni 2016, S. 17-30). Ohne eine hier nicht gebotene Prüfung der Patentfähigkeit und des [X.]sgehalts des Streitpatents vorzunehmen, erscheint dieser Vortrag dem sachkundig besetzten [X.] in Kenntnis des Streitpatents jedenfalls insoweit plausibel, als dass er bloße Scheinverhandlungen mit nur vorgeschobenen Bedenken gegen den Rechtsbestand nicht zu erkennen vermag.

Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob und unter welchen Voraussetzungen die Antragstellerinnen ein etwaiges unzureichendes Angebot noch im einstweiligen Verfügungs- und/oder im Hauptsacheverfahren nachbessern oder dort erstmalig ein Angebot zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen unterbreiten könnten (vgl. [X.], a. a. O., § 24 Rn. 12 mit nach Auffassung der Antragsgegnerin fehlerhaftem Hinweis auf [X.] 113, 115, 116).

c) Die Lizenzbemühungen der M2… Corp. erstreckten sich auch über einen an- gemessenen [X.]raum i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Sie dauerten ein Jahr bis die Antragsgegnerin durch Erhebung der [X.] deutlich machte, dass die Bemühungen erfolglos geblieben sind. Schon angesichts der betragsmäßigen Differenz der beiden völlig unterschiedlichen Verhandlungspositionen ist es dabei unschädlich, dass M2… Corp. zuvor keine Änderung ihres Angebots vorgenom- men hat. Daher braucht nicht weiter auf die Frage eingegangen zu werden, ob die nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erforderlichen Bemühungen des [X.] auch eine Bewegung bei den [X.] umfassen müssen, was eine Frage des Einzelfalls sein dürfte.

d) Schließlich betraf das [X.] von M2… Corp. u. a. auch [X.], da es nach dem Gesamtzusammenhang weltweit gelten soll, was [X.] notwendigerweise einschließt. Ob [X.] im nachträglichen wirtschaftlich-rechnerischen Rechtfertigungsversuch des Privatgutachters der Antragstellerinnen ([X.] v. 6. Juni 2016, [X.] 10) in die Berechnungen eingeschlossen worden ist oder nicht, braucht damit nicht weiter erörtert zu werden.

e) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin musste M2…Corp. für die an- gebotene Vergütung keine Sicherheitsleistung anbieten. Nach dem Wegfall einer entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung durch das 2. PatÄndG v. 16. Juli 1998 (BGBl. I S. 1827, [X.] 1998, 382) soll das Erfordernis des Erbietens einer Sicherheitsleistung nach Teilen der Literatur aufgrund der [X.] weiter gelten (vgl. Busse, a. a. O., § 24, Rn. 32; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., § 24, [X.]; anderer Ansicht: [X.], a. a. O., § 24, Rn. 13: „seit 1998 nicht mehr notwendige Bedingung“ und [X.], [X.], 4. Aufl., § 24, Rn. 11). Ob dem zu folgen ist, kann hier dahingestellt bleiben. Angesichts der bekannten wirtschaftlichen Stärke des M… bzw. seiner [X.] und [X.]n Konzernunternehmen und der verglichen mit den mit [X.] erzielten Umsätzen sehr geringen Summe von … Mio. US-$ (weltweit) ist ein ausdrückliches Anerbieten einer Sicherheitsleistung nicht erforderlich. Zudem sind sich die Verhandlungspartner zu keinem [X.]punkt bei der Lizenzhöhe als dem Kernthema der Verhandlungen auch nur ansatzweise näher gekommen, so dass Angebote oder Absprachen über Nebenpunkte, wie einer etwaigen Sicherheit, nicht erwartet werden konnten.

f) Das Angebot von M2… Corp. musste auch nicht die Anforderungen erfüllen, die an eine kartellrechtliche [X.] bzw. an den kartellrechtlichen [X.] gestellt werden. Im Kartellrecht entsteht der [X.] bzw. der kartellrechtliche [X.] des [X.] bereits mit dem Zugang seines Lizenzangebots oder -gegenangebots beim Patentinhaber (vgl. etwa [X.] 2009, 694 [X.], Rn. 29f. - [X.]). Lehnt ein Patentinhaber mit marktbeherrschender Stellung ein Angebot zum Vertragsabschluss zu nicht behindernden oder diskriminierenden Bedingungen ab, missbraucht er seine marktbeherrschende Stellung. Die Benutzung seines Patents durch ein Unternehmen, das nicht bereit ist, einen Lizenzvertrag zu solchen Bedingungen abzuschließen, muss er dagegen nicht dulden (vgl. [X.] a. a. O., Rn. 30 a. E.). Dies setzt logisch voraus, dass bereits das Angebot des [X.] bestimmte Anforderungen erfüllen muss, um solche Wirkungen zu entfalten (vgl. [X.] a. a. O., LS 2, Rn. 29 f.: „… unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages …, das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das [X.] oder das [X.] zu verstoßen …“).

Die patentrechtliche [X.] (oder ein Anspruch hierauf) entsteht jedoch nicht bereits durch Zugang eines Lizenzangebots zu bestimmten Bedingungen beim Patentinhaber. Sie kann vielmehr nur durch st[X.]tlichen Hoheitsakt erteilt werden, dem ein gerichtliches Verfahren vorausgeht. Darin werden unter Wahrung rechtlichen Gehörs die Voraussetzungen der [X.] geprüft, wobei insbesondere die Belange der Allgemeinheit an einer Nutzung des Patents durch den [X.] und die Interessen des [X.] an der Wahrung seiner Monopolstellung gegeneinander abzuwägen sind. Im Falle der Erteilung setzt das Gericht die wesentlichen Lizenzbedingungen, insbesondere die Lizenzgebühr, selbst fest (§ 24 Abs. 6 Satz 4 [X.]). Das gerichtliche [X.] und die Rolle des Gerichts bei der Erteilung und Gestaltung der [X.] sowie die besondere Bedeutung des überwiegenden öffentlichen Interesses an der Erteilung im konkreten Einzelfall schließen es aus, an das Lizenzangebot von vornherein Anforderungen zu stellen, wie sie die Rechtsprechung zur kartellrechtlichen Lizenz und dem kartellrechtlichen [X.] entwickelt hat.

Dementsprechend verlangen Rechtsprechung und Literatur auch nur die grundsätzliche Bereitschaft des [X.], die Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu nehmen, ohne dass er gerade oder annähernd die Summe zu nennen braucht, die später vom Gericht für angemessen gehalten wird ([X.] 1996, 190, 192, li. [X.], 1. Abs. - [X.]; [X.], a. a. O., § 24, Rn. 13; [X.], [X.], 9. Aufl., § 24, Rn. 10; Busse, a. a. O. § 24, Rn. 31).

Gegen die Anwendung kartellrechtlicher Erwägungen bei der [X.] nach § 24 Abs. 1 [X.] spricht auch, dass das Gesetz nur für die [X.] auf dem Gebiet der Halbleitertechnologie nach § 24 Abs. 4 [X.] die zusätzliche Voraussetzung vorgesehen hat, dass die [X.]erteilung zur Behebung einer gerichtlich oder behördlich festgestellten wettbewerbswidrigen Praxis des [X.] erforderlich ist, während dies bei den anderen Alternativen des § 24 [X.] nicht vorausgesetzt wird.

Auch umgekehrt finden die §§ 24, 85 [X.] auf die kartellrechtliche Lizenz keine Anwendung (vgl. Busse, a. a. O., § 24, Rn. 102, letzter Satz).

Erst recht sind damit auch die Grundsätze der Entscheidung [X.] GRUR 2015, 764 - [X.] / [X.] nicht auf die patentrechtliche [X.] anwendbar. Darin hat der [X.] ein „starres [X.]“ (vgl. OLG Düsseldorf GRUR-Prax 2016, 83, [X.]) entwickelt, um den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung des Inhabers eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessentiellen Patents festzustellen, der sich gegenüber dieser Standardisierungsorganisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem [X.] eine Lizenz zu sog. [X.] zu erteilen. Weder diese besondere Fallgestaltung noch das in [X.], a. a. O., [X.], Rn. 71 entwickelte [X.] passen auf das oben dargestellte Verfahren der Beantragung und Erteilung einer (einstweiligen) [X.] nach §§ 24, 85 [X.].

g) Das Lizenzangebot musste auch keine Anerkennung der Schadensersatz- und Rechnungspflicht enthalten. Soweit die Antragsgegnerin ihre gegenteilige Auffassung aus den Grundsätzen zur kartellrechtlichen [X.] ableitet, die nach ihrer Meinung entsprechend anwendbar seien, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

Eine Obliegenheit zur Anerkennung der Schadensersatz- und Rechnungspflichten kann der [X.] auch nicht dem Erfordernis eines Lizenzangebots zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen aus § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] entnehmen. Dies gilt jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung, in der sich die Verhandlungspartner während der über ein Jahr dauernden Verhandlungen bereits im Kernbereich des [X.] nicht ansatzweise nähergekommen sind, so dass Angebote zu Nebenabreden nicht erwartet werden konnten. Zudem schließt ein (Gegen-) Angebot, mit dem patentrechtliche Ansprüche weltweit für die Vergangenheit und Zukunft mit einer Einmalzahlung abgegolten werden sollen, weitergehende Schadensersatz- oder Rechnungslegungsansprüche aus, so dass deren Anerkennung für den [X.] widersinnig gewesen wäre.

4. Die Antragstellerinnen haben auch glaubhaft gemacht, dass das öffentliche Interesse die Erteilung der [X.] gebietet.

a) Der Begriff des öffentlichen Interesses i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist ein von der Rechtsprechung auszufüllender unbestimmter Rechtsbegriff. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei ein öffentliches Interesse nicht allein schon durch die Ausschließlichkeitsstellung des [X.] begründet werden kann. Vielmehr kann das öffentliche Interesse erst dann berührt sein, wenn besondere Umstände hinzukommen, die die uneingeschränkte Anerkennung des Ausschließlichkeitsrechts und die Interessen des [X.] zurücktreten lassen, weil Belange der Allgemeinheit die Ausübung des Patents durch den [X.] gebieten ([X.] 1996, 190, 192 - [X.]). Als besondere Umstände, die die Annahme eines öffentlichen Interesses rechtfertigen, kommen unabhängig von einer etwaigen missbräuchlichen Ausübung des Patentrechts, für die vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, auch medizinische Gesichtspunkte in Betracht, wobei das Wohl der Allgemeinheit vor allem auf dem Gebiet der allgemeinen Gesundheitspflege zu berücksichtigen ist.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein öffentliches Interesse an der Erteilung einer [X.] gerade bei diesem [X.] vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist im Einzelfall unter Abwägung der schutzwürdigen Interessen des [X.] und aller die Interessen der Allgemeinheit betreffenden maßgeblichen Gesichtspunkte zu entscheiden.

Da die Erteilung der [X.] einen erheblichen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Ausschließlichkeitsrecht des [X.] bedeutet, ist bei der Interessenabwägung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Deshalb kann eine [X.] an einem Arzneimittel nicht zugesprochen werden, wenn das öffentliche Interesse mit anderen, mehr oder weniger gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden kann (vgl. [X.] 1996, 190, 192 f. - [X.]).

Nach diesen Grundsätzen besteht vorliegend ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, dass das einzig verfügbare, den Wirkstoff [X.] enthaltende Medikament [X.] den betroffenen [X.]-infizierten und/oder an AIDS erkrankten Patienten auch weiterhin zur Verfügung steht.

b) HI-Viren zählen zu den Retroviren und damit zu einer Familie von Viren, deren Erbinformation in der viralen einzelsträngigen Ribonukleinsäure (ss-RNA) gespeichert ist. Nach dem Eintritt des Retrovirus in die menschliche oder tierische Zelle wird - vereinfacht dargestellt - dessen ss-RNA mittels viraler reverser Transkriptase in doppelsträngige Desoxyribonukleinsäure (ds-DNA) umgeschrieben (reverse Transkription) und die ds-DNA mittels eines zweiten viralen Enzyms, der Integrase, in das Genom der menschlichen oder tierischen Wirtszelle eingebaut, so auch im Fall des [X.].

HI-Viren stellen – allgemein bekannt – aufgrund ihrer Infektiosität, der Zerstörung des Immunsystems nach erfolgter Infektion sowie nachfolgender opportunistischer Infektionen und Tumore eine besondere medizinische Bedrohung dar. Bei etwa 85.000 [X.]-Infizierten in [X.] werden jährlich etwa 3.000 Neuinfizierte registriert (vgl. z. B. Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 3, [X.]). Nach Angaben des gerichtlichen Sachverständigen, der sich auf Schätzungen des [X.] beruft, leben in [X.] etwa 30.000 an AIDS erkrankte Patienten. Weitere 30.000 Patienten sind bisher an AIDS verstorben. Im Vergleich zu den medizinischen Gebieten bzw. Erkrankungen, die in den bisher veröffentlichten höchstrichterlichen Leitentscheidungen zu [X.]- und einstweiligen Verfügungsverfahren eine Rolle spielten (Zahnprothetik in [X.] 1952, 393 - [X.]; Appetitzügler in [X.] 1972, 471 - Cafilon; klassische rheumatoide Arthritis in [X.] 1996, 190 - [X.]), bewegt sich die medizinische Problematik des vorliegenden Falls in einer anderen Dimension.

c) Die [X.]-Infektion und die AIDS-Erkrankung werden nach übereinstimmendem Vortrag der [X.]en mit einer antiretroviralen Therapie ([X.]) bekämpft (vgl. [X.]/Rockstroh, [X.] 2014/15, [X.] 26, S. 2 unter Ziff. 1., S. 64 ff.). Deren Ziel ist es, durch Hemmung der [X.]-Replikation (und damit Reduktion der Viruslast) infektionsbedingte Symptome zu unterdrücken, die Krankheitsprogression zu vermindern, eine Rekonstitution der zellulären Immunität zu erreichen und die chronische Immunaktivierung mit ihren resultierenden Entzündungsprozessen zu reduzieren (vgl. Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der [X.]-Infektion, [X.], S. 5 unter [X.]; Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 6, Rn. 29 und S. 7 Rn. 36).

[X.]) Seit Mitte der 90er Jahre wird die [X.] als antiretrovirale Kombinationstherapie angewendet. Durch die Kombination mehrerer Wirkstoffe konnte erstmals eine dauerhafte Unterdrückung der [X.] erreicht werden (Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 6, Rn. 30, vgl. a. [X.]/Rockstroh, [X.]26, S. 65, 3. Abs.). Daher wird heute in der Regel immer eine antiretrovirale Kombinationstherapie eingesetzt (Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 7 Rn. 33).

Dabei unterscheidet man fünf Wirkstoffklassen, die in [X.] in über 30 zugelassenen Mono- und Kombipräparaten vertrieben werden (vgl. z. B. [X.]/Rockstroh, [X.] 2014/15, [X.]26, S. 68 f.):

- nukleosidische bzw. nukleotidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren ([X.] bzw. NtRTI),

- nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (N[X.]),

- Protease-Inhibitoren (PI),

- Entry-Inhibitoren  (einschließlich der Untergruppen der [X.], [X.] und Fusions-Inhibitoren),

- Integrase-Inhibitoren ([X.]).

Da [X.]s und N[X.]s jeweils am gleichen Enzym (Reverse Transkriptase) ansetzen, ergeben sich damit insgesamt vier mögliche Angriffspunkte, an denen die verschiedenen Wirkstoffklassen den Replikationszyklus des [X.] zu unterbrechen versuchen ([X.]/Rockstroh, [X.]26, a. a. O.). Erst durch die gleichzeitige Inhibition an mindestens zwei unterschiedlichen Stellen im [X.]-Replikationszyklus gelingt eine effektive und dauerhafte Blockade der Virusvermehrung (Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.] 25, S. 17).

Fester Bestandteil bzw. Standard dieser Kombinationstherapie sind nukleosidartige oder nukleotidartige [X.] ([X.]s oder [X.]), weil sich hiermit die besten Ansprechraten erzielen lassen (Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 7 Rn. 34). Daher enthalten alle „klassischen“ [X.]-Regime bislang als Rückgrat jeweils zwei Nukleosid- bzw. Nukleotidanaloga als festen Bestandteil (Kombinationspartner 1 bzw. Backbone) einer [X.] oder Erstlinientherapie (vgl. [X.]/Rockstroh, [X.] 2014/15, [X.]26, [X.] u.). Hinzu kommt ein dritter Wirkstoff (Kombinationspartner 2 bzw. Third Agent). Dieser wird aus der Gruppe folgender Wirkstoffe ausgewählt:

- nichtnukleosidische Reverse-Transkriptaseinhibitoren (N[X.]),

- Proteaseinhibitoren (PI, je nach hinzu kombinierten Booster - [X.] oder [X.] - auch: [X.], PI/c),

- Integrase-Inhibitoren ([X.]).

Solche Kombinationen aus zwei [X.]s mit (entweder) einem N[X.], einem [X.] oder einem geboosteten PI haben sich als sehr wirksam, sicher und gut verträglich erwiesen (vgl. [X.] zur antiretroviralen Therapie der [X.]-Infektion, [X.], S. 8 unter Ziff. 2.2, S. 16, [X.]. 2; Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 29 f., Rn. 39 ff. und S. 15, Rn. 78), wobei allerdings stets Unterschiede bei den Neben- und Wechselwirkungen zu beachten sind (dazu unten).

Es ist glaubhaft gemacht, dass im Rahmen einer wirkungsvollen und an den individuellen Bedürfnissen des Patienten ausgerichteten [X.]-Therapie die Verfügbarkeit von Medikamenten aus der Substanzklasse der [X.]s unerlässlich ist. So hat der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass insbesondere das Nebenwirkungsprofil der [X.]s gegenüber [X.] und N[X.]s nachweislich überlegen sei (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 7, 1. Abs.). Der Sachverständige verweist bezüglich der gewachsenen Bedeutung der [X.]s auf die Therapieleitlinien. So werden in den Leitlinien der [X.] ([X.]) als Primär- bzw. Erstlinientherapie nur noch Kombinationen mit [X.]s empfohlen, in den Leitlinien des [X.] ([X.]) und [X.] ([X.]) [X.]s und daneben nur noch der [X.]. Auch die [X.], darunter die die auf Erhaltung eines möglichst breiten [X.]ektrums an Medikamenten abzielenden deutsch-österreichischen Leitlinien, sehen [X.]s neben N[X.]s und [X.] zumindest als im Wesentlichen gleichwertige Alternativen für die Erstlinientherapie an (Gutachten PD Dr. S., S. 3 o.). In Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen stufen auch die Privatsachverständigen Prof. Dr. R. und Prof. Dr. B. [X.]s wegen des verbesserten Nebenwirkungsprofils und einem geringeren Wechselwirkungsprofil als wichtige und sogar überlegene Kombinationspartner 2 bzw. Third Agents in der [X.] ein (Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 17, Rn. 88; Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.] 25, S. 5, letzter Abs.). Dies schlage sich auch in der [X.] nieder, nach der – auch vom gerichtlichen Sachverständigen bestätigt (Gutachten PD Dr. S., S. 3 o.) – ein relativer Rückgang der Verschreibung von [X.] und N[X.]s zugunsten der [X.]s zu beobachten sei (Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.]4, S. 17, Rn. 88).

bb) In der Wirkstoffgruppe der Integraseinhibitoren ([X.]s) sind derzeit wiederum drei Wirkstoffe verfügbar:

- [X.] (geboostet mit [X.]),

- [X.] und

- [X.].

Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen der [X.] folgt, nehmen innerhalb dieser Wirkstoffgruppe [X.] und [X.] hinsichtlich des [X.] eine bevorzugte Stellung ein. Dies beruhe darauf, dass der weitere Wirkstoff [X.] stets mit [X.], einem Inhibitor des [X.], verabreicht werde. Da das Enzym für den Abbau anderer Medikamente in der Leber verantwortlich sei, träten regelmäßig Wechselwirkungen bei der [X.] auf. Dieses Wechselwirkungsprofil bestehe bei [X.] und [X.] nicht (Gutachten PD Dr. S., S. 5; vgl. auch Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.] 25, S. 10).

Im Einzelnen führt der gerichtliche Sachverständige überzeugend aus, dass die [X.]s [X.] und [X.] im Vergleich zueinander ein ähnliches Wechsel- und Nebenwirkungsprofil aufwiesen, wobei [X.] als das Medikament mit den wenigsten Medikamenteninteraktionen beschrieben werde, während für [X.] etwas mehr Einschränkungen durch Wechselwirkungen bestünden (Gutachten [X.], S. 5, 6 u.). Auch im klinischen Alltag würden bei [X.] etwas häufiger Nebenwirkungen beobachtet, die gegebenenfalls einen Therapiewechsel erforderlich machen könnten (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 7 bis 8). Zudem sei das länger am Markt befindliche und besser dokumentierte [X.] etwa bei gleichzeitiger Tuberkulosetherapie Mittel der Wahl und könne gleichzeitig mit Johanniskraut gegeben werden (Gutachten PD Dr. S. S. 6 o.). Auch bei der [X.] mit [X.] sei es im Vergleich zu [X.] unproblematisch (Gutachten PD Dr. S., S. 14; vgl. im Übrigen Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.]25, S. 14f. zu Vorteilen von [X.] bei Leberfunktionsstörungen und Niereninsuffizienz als Begleiterkrankungen). Andererseits sei [X.] jedenfalls bei vorbehandelten Patienten offenbar virologisch überlegen. Insbesondere wirke es häufig noch, wenn HI-Viren bereits gegen [X.] oder [X.] resistent sind (Gutachten PD Dr. S., S. 24, 25; für eine umfassendere virologische Überlegenheit hingegen: Privatgutachten Prof. Dr. R., S. 17 f., Rn. 89-94).

cc) Dies braucht vorliegend nicht vertieft zu werden, da ein detaillierter Vergleich der Eigenschaften und Wirkungen bei den gegen [X.]/AIDS eingesetzten Wirkstoffen, insbesondere der von den [X.]en schriftsätzlich intensiv diskutierte Einzelvergleich der möglichen Vor- und Nachteile von [X.] und [X.], für die Frage eines öffentlichen Interesses an der weiteren Verfügbarkeit von [X.] letztlich nicht entscheidend ist. Denn in der alltäglichen Praxis der [X.]-/AIDS-Therapie gibt es keine generelle Bevorzugung bestimmter Wirkstoffe. Insofern folgt der [X.] im Ansatz dem Vortrag der Antragsgegnerin, die von einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Wirkstoffe ausgeht. Dies gilt auch für die als Kombinationspartner 2 bzw. Third Agents verwendeten N[X.]s, [X.] und [X.]s und hierbei insbesondere innerhalb der Gruppe der [X.]s selbst. Statt genereller Empfehlungen bestimmter Wirkstoffe wird vielmehr das Konzept der individualisierten Therapie von den dazu veröffentlichten Leitlinien nahegelegt und in der klinischen Praxis umgesetzt.

Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen erfolgt die Auswahl jeweils nach individuell zu gewichtenden Faktoren, etwa möglichen Nebenwirkungen, Art etwaiger Begleiterkrankungen mit Co-Medikation und Wechselwirkungen, Stadium des Immundefekts und Höhe der genetischen Barriere des Wirkstoffs, Häufigkeit von übertragenen Medikamentenresistenzen, vor allem aber auch nach Gesichtspunkten des Lebensstils und der Compliance bzw. Adhärenz (Therapietreue), z. B. Rücksicht auf die Nahrungsaufnahme, persönliche Wünsche im Hinblick auf die Größe und Anzahl der [X.]letten sowie Häufigkeit der Einnahme (Gutachten PD Dr. S., S. 2, 16 u. f.; vgl. auch Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.] 4, S. 11 f., Rn. 52-59; Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.] 25, S. 3 f.). Für den Arzt stellt sich also in Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigen nicht die Frage der generellen Gleich- oder Besserwertigkeit, insbesondere zwischen [X.] und [X.], sondern die nach der individuellen Eignung (Gutachten PD Dr. S., S. 23)

d) Vor diesem Hintergrund sieht der [X.] unter Abwägung der schutzwürdigen Interessen der Patentinhaberin und aller die Interessen der Allgemeinheit betreffenden maßgeblichen Gesichtspunkte ein öffentliches Interesse an der weiteren Verfügbarkeit des Wirkstoffs [X.]. Als für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses sprechende Gesichtspunkte erachtet der [X.] die Erhaltung der Behandlungssicherheit und -qualität bei allen Patientengruppen, einschließlich des individuellen [X.]-infizierten und ggf. an AIDS erkrankten Patienten, sowie den Schutz der Öffentlichkeit vor Neuinfektionen mit dem HI-Virus an. Schutzwürdige Interessen der Patentinhaberin stehen dem nicht durchgreifend entgegen.

[X.]) Der [X.] geht zunächst davon aus, dass nicht jeder [X.]- oder [X.] darauf angewiesen ist, jederzeit mit dem Wirkstoff [X.] behandelt zu werden bzw. werden zu können. Dennoch bestehen Patientengruppen, die zur Erhaltung der Behandlungssicherheit und -güte, insbesondere zur Vermeidung von schwerwiegenden Neben- und Wechselwirkungen, Arzneimittel mit dem Wirkstoff [X.] benötigen, wobei durch die damit verbundene Senkung der Viruslast zugleich auch ein Schutz der Allgemeinheit vor Neuinfektionen erreicht wird.

(1) Dies gilt nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen vor allem für die Patientengruppe der Säuglinge und Kinder unter 12 Jahren. Wird bei solchen Patienten eine [X.]-Infektion festgestellt, so gilt die Empfehlung, sofort eine [X.] einzuleiten. Für Kinder, insbesondere Kleinkinder, steht danach nur eine beschränkte Auswahl an Wirkstoffen zur Verfügung. Bei Säuglingen mit einem Lebensalter ab 4 Wochen ist [X.] sogar der einzig zugelassene [X.] (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 9 o., vgl. auch Privatgutachten Prof. B., [X.] 25, S. 11). Der gerichtliche Sachverständige hat dies nachvollziehbar damit belegt, dass gemäß der [X.]n Zulassung [X.] für Säuglinge ab 4 Wochen bis 3 Monate neben dem N[X.] Nevirapin, der allerdings im Hinblick auf seine Hepatotoxizität nicht unbedenklich ist (vgl. z. [X.], [X.] 6, S. 16) und in den [X.]-Leitlinien nicht für die Erstlinientherapie empfohlen wird, die einzige Möglichkeit bietet, eine [X.] mit zwei [X.]s zusammenzustellen (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 27 u.).

Soweit Richtlinien, wie die aktuellen [X.] [X.]-Leitlinien, für Säuglinge und Kinder bis 2 Jahre neben oder (so noch ältere Leitlinien) statt [X.] auch den [X.]-geboosteten Proteaseinhibitor [X.] empfehlen würden, weise dieser Wirkstoff schon infolge des Boosters eine Vielzahl von Wechselwirkungen auf und sei in [X.] erst für Kinder ab einem Alter von 2 Jahren zugelassen. Ab dem Alter von 3 Jahren kämen neben [X.] und [X.]/[X.] weitere – ebenfalls geboostete und damit entsprechend wechselwirkungsbehaftete – [X.] sowie der N[X.] [X.] hinzu (Gutachten PD Dr. S. , S. 8 f.). Auch letzterer ist allerdings wegen Hepatotoxizität und Dyslipidämie problematisch (vgl. z. [X.], [X.] 6, S. 16). Die [X.] PENTA-Empfehlungen von 2015 führten zwar [X.] aufgrund der noch nicht ausreichenden Datenlage nicht als allgemeine Empfehlung auf, stellten aber fest, dass [X.] aufgrund der Toxizität anderer antiretroviraler Wirkstoffe oder bei übertragener Resistenz in seltenen Fällen Mittel der ersten Wahl sein kann (Gutachten PD Dr. S., a. a. O.).

Sollte [X.] nicht mehr zur Verfügung stehen, so wäre damit aus Sicht des [X.]s innerhalb des Rahmens der Arzneimittelzulassungen und Empfehlungen nur noch ein Wechsel auf einen geboosteten PI, ab einem bestimmten Alter (3 Jahre) auch noch auf einen N[X.] denkbar. Sofern hierbei allerdings z. B. untragbare Wechsel- oder Nebenwirkungen bei einem geboosteten PI oder Resistenzen gegen N[X.]s auftreten, würde bei dieser Patientengruppe ein essentieller Arzneimittelwirkstoff fehlen. Ein Ersatz durch „mehr oder weniger“ gleichwertige Ausweichpräparate wäre angesichts der tödlichen Bedrohung selbst bei Ausweichen auf einen „Off-Label-Use“ nicht zugelassener Arzneimittel nur ein spekulativer Ansatz, auf den Patienten und Ärzte nicht verwiesen werden können. Insoweit hat der gerichtliche Sachverständige überzeugend darauf hingewiesen, dass der „Off-Label-Use“ anderer Medikamente nicht nur Fragen der Kostenübernahme aufwirft, sondern zugleich auch mit unklaren, da nicht ausreichend untersuchten Risiken von Nebenwirkungen verbunden ist, so dass sich die Frage der Arzthaftung stellen kann. Darüber hinaus stünden keine Formulierungen anderer [X.]s für kleinere Kinder und Säuglinge zur Verfügung (Gutachten PD Dr. S., S. 29).

Bei Säuglingen und Kindern kommt hinzu, dass deren Virusdynamik durch eine schnell ansteigende Viruslast gekennzeichnet ist, begünstigt durch das Wachstum des lymphatischen Systems und die Unfähigkeit des unreifen Immunsystems, eine [X.]-spezifische Immunantwort zu entwickeln, so dass ein vergleichsweise höheres Sterberisiko besteht (vgl. [X.]/Rockstroh, [X.] 2014/15, [X.] 26, S. 541). Hier wird wenig [X.] für alternative Therapieversuche bestehen. Zudem stellt die Compliance und Adhärenz (Geschmack, Brechreiz, [X.]) bei Säuglingen und Kindern naturgemäß eine besondere Herausforderung dar (vgl. Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.]25, S. 11 f.). Dies würde - ohne dass es noch darauf ankommt - den ohnehin nur theoretischen Ausweichmöglichkeiten noch engere Grenzen setzen.

Damit geht der [X.] für die Patientengruppe der Säuglinge und Kinder davon aus, dass das öffentliche Interesse nicht mit anderen, „mehr oder weniger“ (vgl. [X.] 1996, 190, 192 f. - [X.]) gleichwertigen Ausweichpräparaten befriedigt werden kann. Dass ein Ersatz unter diesen Umständen „denkbar“ ist (Privatgutachten Prof. R., [X.]4, S. 25, Rn. 127) reicht angesichts der Lebensbedrohung durch eine [X.]-Infektion und der möglichen Tödlichkeit einer bei kindlichen Patienten schnell verlaufenden AIDS-Erkrankung nicht aus. Damit sprechen gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass der Wirkstoff [X.] für die Patientengruppe der Säuglinge und Kinder zur Erhaltung ihres Lebens und der Gesundheit weiter zur Verfügung stehen muss.

(2) Ähnliches gilt für die Patientengruppe der Schwangeren. Kombinationen mit [X.] werden nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen aktuell als bevorzugte Therapie für Schwangere angesehen und empfohlen (Gutachten PD Dr. S., S. 10 u., [X.]-Richtlinien 2016 ([X.] – [X.] in Pregnant [X.]-1-Infected Women …), [X.] 28, S. 10, [X.]elle unter „[X.]“). Sofern bei Feststellung der Schwangerschaft bereits eine stabile [X.] besteht, wird außerdem empfohlen bzw. als möglich angesehen, diese beizubehalten ([X.] …, [X.]28, S. 10 o., letzter Satz vor der [X.]elle; Dt.-Österr. Leitlinie zur [X.]-therapie in der Schwangerschaft …, [X.] 10, S. 9, drittletzter Abs.), was dementsprechend auch für eine [X.] mit [X.] gelten muss.

Zudem besteht nach den ebenfalls überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen der besondere Vorteil von [X.] im Vergleich zu den weiteren Substanzklassen im schnellen Abfall der Viruslast bei der Schwangeren. Dies sei besonders relevant bei erst spät in der Schwangerschaft gestellten [X.]-Diagnosen, wo durch schnelle Reduktion der Viruslast eine vollständige Unterdrückung der [X.]-Replikation bis zu Entbindung und damit die Minimierung des Risikos einer [X.]-Übertragung auf das Kind erreicht werden müsse (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 10 u.). Die als Alternative in Betracht kommenden weiteren [X.]s, [X.] und [X.], würden derzeit nicht explizit zum Einsatz in der Schwangerschaft empfohlen (Gutachten PD Dr. S., S. 11, S. 28 unter b)). Außerdem sind aus der Sicht des [X.]s auch und gerade bei Schwangeren die stärkeren Nebenwirkungen von [X.] und N[X.]s zu berücksichtigen, wobei sämtliche N[X.]s mit hepatotoxischen Nebenwirkungen verbunden sind und bei [X.] darüber hinaus auch fruchtschädigende Effekte beobachtet wurden (vgl. [X.], [X.]6, S. 16).

Auch bei dieser Patientengruppe sieht der [X.] damit ein erhebliches Bedürfnis an der weiteren Verfügbarkeit von [X.] zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit von [X.]-infizierten schwangeren Frauen und deren ungeborenen Kindern.

(3) Ein solches Bedürfnis besteht auch im Hinblick auf die sog. [X.], bei der nach beruflicher, sexueller oder anderer Exposition (z. B. unbeabsichtigter Kanüleneinstich beim medizinischen Personal) die Gefahr einer Infektion besteht. Hier wird [X.] nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen derzeit in [X.] als der einzige Kombinationspartner 2 bzw. Third Agent empfohlen. Eine Empfehlung der [X.] [X.] für [X.], die von den [X.] Gesundheitsbehörden übernommen worden ist, basiere hingegen nicht auf klinischen Verträglichkeitsstudien (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 18 o.). Damit besteht bei dieser Fall- bzw. Patientengruppe ein erhebliches Bedürfnis an der weiteren Verfügbarkeit von [X.] zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit.

(4) Gleiches gilt für die Gruppe der Patienten, die im Falle eines Verbots von [X.] zwangsweise eine Umstellung auf ein anderes Medikament (Switch) vornehmen und dabei erhebliche, eventuell nicht tolerable Neben- und Wechselwirkungen oder gar das Versagen neuer Therapien erdulden müssten.

Wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung schlüssig und überzeugend ausgeführt hat, ist jeder Switch mit der Möglichkeit der Veränderung zum Guten oder zum Schlechten behaftet, weshalb stets eine Abwägung zwischen dem erwartbarem Nutzen und Risiko erforderlich sei. Bei einem Switch, mag er nun medizinisch indiziert oder rechtlich erzwungen sein, bestehe immer das Risiko von neuen Neben- oder Wechselwirkungen oder gar dem Versagen der Therapie (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 19, 2. Abs.). Wechselt ein Patient von einer bisher erfolgreich und nebenwirkungsarm mit [X.] durchgeführten Therapie infolge eines rechtlich erzwungenen Wegfalls von [X.] zu einer anderen und erleidet dabei ein Therapieversagen oder intolerable Neben- oder Wechselwirkungen, so wäre eine Rückkehr zum Medikament [X.] nicht mehr möglich. Er wäre nun gezwungen, eine dritte Therapie zu beginnen. Nachdem in dieser Situation bereits zwei Medikamente bzw. damit zusammengestellte Kombinationen weggefallen sind, würden für solche Patienten nur noch begrenzt Alternativen zur Verfügung stehen. Die Gefahr, dass auch die neue Therapie wegen Resistenzen oder intolerabler Nebenwirkungen erfolglos bleibt, würde damit erheblich steigen, was auch mit einer entsprechenden psychischen Belastung für die Patienten verbunden wäre.

Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass der von der Antragsgegnerin als Alternative hervorgehobene Wirkstoff [X.] nach den mit Hinweisen auf entsprechende Studien belegten schriftlichen und überzeugenden mündlichen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen vielfach nicht als Ausweichmöglichkeit in Betracht kommen wird. Gemäß einer [X.] Beobachtungsstudie ([X.] et. al., [X.] 14/14a) musste [X.] bei 16% der Patienten und damit in erheblich höherem Ausmaß als in der klinischen Prüfung nach einem Median von 78 Tagen aufgrund von Nebenwirkungen wieder abgesetzt werden, was der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten (S. 7 vorl. Abs., S. 26 unter c)) und auf wiederholtes Nachfragen mit Erfahrungen aus seinem klinischen Alltag bestätigte.

Zudem seien im Zuge der Markteinführung von [X.] und [X.] Erfahrungen damit gemacht worden, dass Patienten vom bis dahin einzig verfügbaren [X.] ([X.]) auf die beiden neuen [X.]s ([X.] und [X.]) wechselten und teilweise wegen individueller Besonderheiten wieder zu [X.] zurückkehrten (vgl. Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung). Auch für diese Patienten wird ein rechtlich erzwungener Switch problematisch sein.

Da verminderte Nebenwirkungen eines bestimmten Medikaments u. U. ein öffentliches Interesse an der weiteren Verfügbarkeit eines Arzneimittels begründen können (vgl. [X.], a. a. O., § 24, Rn. 21 mit Hinweis auf B[X.]E 32, 184, 192 f. = GRUR 94, 98, 101), wird dieser Gesichtspunkt auch umgekehrt gelten, wenn Patienten gezwungen wären, infolge des Verbots eines Medikaments zu einem anderen Arzneimittel mit möglicherweise neuen oder erhöhten Nebenwirkungen zu wechseln.

Dies kann im Bereich der [X.] gerade auch deshalb eine Rolle spielen, da durch neu auftretende Nebenwirkungen Adhärenzprobleme verursacht werden können. Der gerichtliche Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten (z.B. S. 2 u., S. 17, 1. Abs.) sowie in der mündlichen Anhörung überzeugend und mit Nachdruck den Aspekt der Adhärenz als einen der zentralen Faktoren der Therapiewahl hervorgehoben (ähnlich Privatgutachten Prof. Dr. R., [X.] 4, S. 7, Rn. 31, S. 12, Rn. 58 f.; Privatgutachten Prof. Dr. B., [X.] 25, S. 7, 2. Abs.). Nebenwirkungen werden offenbar selbst bei einer [X.]-Infektion und der Gefahr des Auftretens von AIDS nicht von allen Patienten und im Übrigen nur innerhalb individueller Grenzen toleriert. Auch aus diesem Grund kann bei einem rechtlich erzwungenen Switch nicht nur ein Therapieversagen drohen sondern auch ein Therapieabbruch, der früher oder später einem Therapieversagen gleichkommt. Diese Risiken sprechen ebenfalls dafür, dass [X.] weiter zur Verfügung stehen muss.

(5) Eine besonders gefährdete Gruppe stellen schließlich die langjährig behandelten Patienten dar, die nach mehreren [X.] infolge bereits aufgetretener Resistenzmutationen allein noch durch den ab ca. 2007 verfügbaren (damals einzigen) Integraseinhibitor [X.] gerettet werden konnten und mit diesem bis heute leben (vgl. Privatgutachten Prof. B., [X.] 25, S. 17 letzter Abs. f.). Ein Wegfall von [X.] würde nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen voraussichtlich einen Wechsel zu [X.] oder [X.] erzwingen, was möglicherweise bei [X.] virologisch erfolgreich wäre (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 24, 1. vollst. Satz). Bei Auftreten von Resistenzen und/oder gravierenden neuen Neben- oder Wechselwirkungen blieben Patienten mit dieser Vorgeschichte aber kaum Möglichkeiten, erfolgversprechend auf andere Medikamente auszuweichen, wobei auch hier die Gefahr verminderter Therapietreue bestehen würde.

bb) Die Antragsgegnerin wendet hiergegen ein, dass bei der Würdigung des öffentlichen Interesses nicht die Belange jedes einzelnen Patienten zu berücksichtigen seien, da ansonsten eine [X.] nicht nur den individuellen „Härtefall“-Patienten zu Gute käme, sondern die Benutzung der Erfindung auch für die Vielzahl der gerade nicht auf das streitgegenständliche Medikament angewiesenen Patienten offen stehe. Bei den wenigen „Härtefall“-Patienten handele es sich um Ausnahmefälle, die kein öffentliches Interesse sondern nur Einzel- bzw. [X.]n darstellten. [X.]. könnten sich diese Einzelpersonen das Medikament mit Hilfe des Notstandsrechts (§§ 228, 904 BGB) beschaffen.

Ob die genannten Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Rechtsgrundlage für eine – wie auch immer durchgeführte – Beschaffung eines mit einem Vertriebsverbot belegten Produkts darstellen können, was schon angesichts ihres Wortlauts zweifelhaft erscheint, soll ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, welche Verhaltenspflichten diejenigen Personen hätten, die auf st[X.]tlicher oder privater Seite bei der Durchsetzung eines Vertriebsverbots des [X.] einem solchen Notstandstäter entgegenzutreten haben. Die Auffassung der Antragsgegnerin entspricht jedenfalls nicht der Rechtsprechung des [X.] zum Begriff des öffentlichen Interesses i. S. d. § 24 Abs. 1 [X.], der sich auch der [X.] angeschlossen hat. Danach kann die Bedeutung der Gesundheit jedes Menschen für die Gesellschaft insgesamt wie für das Leben jedes einzelnen bei Arzneimitteln und insbesondere bei schweren Erkrankungen aus Gründen der medizinischen Versorgung ein öffentliches Interesse begründen, dass ein bestimmtes Arzneimittel den betroffenen Patienten weiterhin zur Verfügung steht (vgl. B[X.] BlPMZ 1974, 319, [X.]; B[X.]E 32, 184, 191 unter Ziff. 3., insoweit gebilligt durch [X.] 1996, 190, 193 unter Ziff. 3. - [X.]).

Im Übrigen geht die Bekämpfung von Infektionskrankheiten stets über das [X.] einzelner infizierter Patienten hinaus. Denn indem mit der weiteren Verfügbarkeit eines von einer individuellen Person benötigten Medikaments die Viruslast bei dieser Person weiterhin gesenkt bzw. unterdrückt werden kann, wird zugleich auch ein Schutz der Allgemeinheit vor erhöhten Neuinfektionen gewährleistet. Nach alledem besteht ein erhebliches Bedürfnis an der weiteren Verfügbarkeit von [X.].

cc) Dem stehen keine gleich- oder höherwertigen Interessen der Antragsgegnerin gegenüber. Insbesondere wird durch die [X.] die Markteinführung eigener Produkte der Antragsgegnerin weder verhindert noch hinausgezögert, was sie auch nicht geltend gemacht hat. V… GmbH als [X.] Niederlassung der V…, einer Partnerschaft von G…, P…- und der Antragsgegnerin, hat bereits im Jahr 2014 zwei Arzneimittel (Tivicay und das Kombinationspräparat [X.]) mit dem Integrasehemmer [X.] erfolgreich auf dem [X.]n Markt eingeführt und damit schon im Einführungsjahr Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe erzielt (vgl. Schwabe/[X.], [X.] 2015, S. 45, 383, 1151, 1250 (zu Tivicay) und 1156 (zu [X.])). Aus dem gesamten [X.]vorbringen einschließlich der ergänzenden Privatgutachten, ebenso aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ist zu entnehmen, dass sich der Wirkstoff [X.] inzwischen als wichtiger Integrasehemmer etabliert hat und als solcher im Fokus behandelnder Mediziner steht. Die Markteinführung oder der weitere Vertrieb (als solcher) der Produkte der Antragsgegnerin bzw. eines Partnerunternehmens würden durch die beantragte [X.] also nicht verhindert oder ernsthaft gestört werden.

Soweit die Antragsgegnerin bzw. ihr Partnerunternehmen [X.] den Umsatz der o. g. Arzneimitteln Tivicay und [X.] infolge des einstweilen weiter erlaubten Vertriebs des Konkurrenzprodukts [X.] vorläufig nicht mit Hilfe eines Benutzungsverbots weiter ausbauen kann, wird ein Ausgleich hierfür in Form eines Anspruchs auf umsatzbezogene Lizenzgebühren zu erörtern sein. Weiteres bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Auch insoweit sieht der [X.] daher kein durchgreifendes schutzwürdiges Interesse der Antragsgegnerin.

Wie bereits oben erörtert, stellt außer dem [X.] kein weiteres Unter- nehmen, insbesondere nicht die Antragsgegnerin oder eines ihrer Partnerunternehmen, ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff [X.] her und und/oder vertreibt dieses in [X.]. Auch deswegen ist kein schutzwürdiges Interesse an einer patentgeschützten wirtschaftlichen Betätigung in Bezug auf dieses Produkt erkennbar.

Damit verbleibt auf Seiten der Antragsgegnerin letztlich das Interesse an der Durchsetzung des unbeeinträchtigten Ausschließlichkeitsrechts, das ihr, wie jedem Patentinhaber, nach Art. 14 Abs. 1 GG, §§ 9, 10 [X.] zusteht. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass dieses Interesse nach den genannten Vorschriften zwar schutzwürdig ist, es aber nicht höherwertiger sein kann als das öffentliche Interesse am Schutz des Lebens und der Gesundheit der betroffenen Patienten und am Schutz der Allgemeinheit vor einer Zunahme von Neuinfektionen mit einer lebensbedrohenden Krankheit. Angesichts der besonderen Bedeutung der Rechtsgüter des Lebens und der Gesundheit, aber auch der besonderen Risiken und Unwägbarkeiten die mit einer antiretroviralen Therapie verbunden sind, und der sich jede neu infizierte Person ausgesetzt sieht, besteht sogar ein sehr deutliches Überwiegen der Interessen der Allgemeinheit an der weiteren Verfügbarkeit des Wirkstoffs [X.].

5. Die Antragstellerinnen haben auch glaubhaft gemacht, dass die alsbaldige Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse dringend geboten ist.

a) Die Dringlichkeit i. S. d. § 85 Abs. 1 [X.] liegt vor, wenn ein längeres Zuwarten beim Erteilen der [X.] nicht verantwortet werden kann, um wesentliche Nachteile von der Öffentlichkeit abzuwenden ([X.] 1952, 393 – [X.]; B[X.]E 36, 96, 99, 2. Abs. – [X.]; [X.], a. a. O., § 85, Rn. 5; [X.]/[X.]/[X.], a. a. O., § 85, Rn. 8; [X.], a. a. O. § 85, Rn. 13). Dies kann etwa bei einer Gefahr der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zutreffen ([X.], a. a. O.).

Vorliegend droht die baldige mögliche Verurteilung der Antragstellerinnen zur Unterlassung des Vertriebs von [X.] im [X.] vor dem [X.]. Sollten die Antragstellerinnen hierzu verurteilt werden, und das Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt werden, so ist mit dem Eintritt der medizinischen Folgen bei Patienten zu rechnen, die nicht erfolgreich auf ein Ausweichmedikament umgestellt werden können oder die unter keinen Umständen eventuell damit verbundene Nebenwirkungen ertragen wollen und/oder keine entsprechende Therapietreue zeigen (s. o.). Bei diesen Patienten würde sich damit die Viruslast erhöhen, früher oder später die Krankheit AIDS ausbrechen und damit (weiter nicht oder unzureichend behandelt) zum sicheren Tod führen. Zugleich wäre mit einer zunehmenden Zahl von Neuinfektionen zu rechnen.

Sollte das anhängige Hauptsacheverfahren mit der Erteilung einer [X.] rechtskräftig beendet werden, so könnte der oben beschriebene Zustand nicht sofort sondern erst mit Verzögerung wieder auf das derzeit bestehende Niveau zurückgeführt werden, wobei es für die zwischenzeitlich infolge der vorübergehenden Nichtverfügbarkeit von [X.] irreversibel an AIDS erkrankten oder verstorbenen Patienten zu spät wäre. Auch für Personen, die sich in dieser Phase infolge der Nichtverfügbarkeit von [X.] neu infizieren, würden irreversible Folgen eintreten, da sie nunmehr eine lebenslange Medikation mit in der Regel drei Wirkstoffen samt deren Nebenwirkungen in Kauf nehmen müssten und zudem potentieller Infektionsüberträger wären. Ein längeres Zuwarten kann unter diesen Umständen nicht verantwortet werden, um wesentliche Nachteile von der Öffentlichkeit abzuwenden. Die Dringlichkeit i. S. d. § 85 Abs. 1 [X.] liegt damit vor.

b) Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist nicht wegen mangelnder prozessualer Dringlichkeit i. S. d. §§ 935, 940 ZPO (i. V. m. § 99 Abs.1 [X.]) zurückzuweisen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin, die meint, dass die Antragstellerinnen mit dem eingereichten Antrag zu lange zugewartet hätten (nämlich acht bzw. neun Monate nach der Terminierung bzw. Umterminierung durch das Verletzungsgericht), ist die prozessuale Dringlichkeit keine (zusätzliche) Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 85 Abs. 1 [X.].

[X.]) Mit Teilen der Literatur ([X.], a. a. O., § 85, Rn. 3; [X.], a. a. O., § 85, Rn. 15) vertritt die Antragsgegnerin die Auffassung, dass neben dem tatbestandlichen Erfordernis des § 85 Abs. 1 [X.], wonach die alsbaldige Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse dringend geboten sein muss (s. o.), zusätzlich auch das Erfordernis einer prozessualen Dringlichkeit für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bestehen müsse. Dieser Auffassung vermag sich der [X.] nicht anzuschließen.

Nach der Rechtsprechung und Literatur zum einstweiligen Rechtsschutz im Zivilprozessrecht fehlt ein Verfügungsgrund, wenn der Antragsteller trotz ursprünglich bestehendem Regelungsbedürfnis längere [X.] zugewartet hat, bevor er die einstweilige Verfügung beantragt. Durch langes Zuwarten und dringlichkeitsschädliches Verhalten werde insbesondere eine gesetzliche Dringlichkeitsvermutung (z. B. § 12 Abs. 2 UWG) widerlegt ([X.], a. a. O., § 940, Rn. 4 m. w. N.). Die Dringlichkeit fehle, wenn der Antragsteller in Kenntnis der maßgeblichen Umstände untätig bleibt und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung erst nach längerer [X.] stellt, z.B. in [X.] nach fünf Wochen (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 37. Aufl., § 940, Rn. 5 m. w. N.; vgl. a. [X.], Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., 2016, [X.] Rz. 118, zitiert im Schriftsatz der Antragsgegnerin v. 30. Juni 2016, S. 65: Faustregel von einem Monat in Patentverletzungsverfahren).

bb) Die prozessuale Dringlichkeit ist im Verfahren nach § 85 [X.] jedoch weder Prozessvoraussetzung (so aber [X.], a. a. O.) noch ein weiterer Anspruchsgrund, der neben das dringende Gebotensein im öffentlichen Interesse tritt (vgl. Busse, a. a. O., § 85, Rn. 9).

Ein Grund hierfür liegt zunächst im Wesen der [X.], die eine erhebliche Einschränkung des mit dem Patent verbundenen [X.] bzw. Ausschließlichkeitsrechts darstellt und daher Ausnahmecharakter hat. Grundsätzlich gewährt das Patent ein ausschließliches Recht, mit dem der Patentinhaber andere von der Benutzung der patentgeschützten Erfindung ausschließen kann (§§ 9, 10 [X.]). Außerdem kann er rechtsgeschäftlich frei Lizenzen erteilen (§ 15 [X.]), was im Rahmen der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG ebenso das Recht zur Verweigerung von Lizenzen, insbesondere gegenüber Konkurrenten, einschließt. Mit der Erteilung einer [X.] wird das mit dem Patentschutz eigentlich gewährte [X.] jedoch erheblich beeinträchtigt, wenn nicht sogar entwertet, da eine [X.] regelmäßig von einem mit dem Patentinhaber konkurrierenden Betrieb der gleichen Branche nachgesucht wird. Damit kommt der [X.] ein Ausnahmecharakter im System des Patentrechts zu.

Es entspricht daher dem aus Art. 14 Abs. 1 GG, §§ 9, 10, 15, 24, 85 [X.] entnehmbaren Willen des Gesetzgebers, eine [X.] nur unter strengen Voraussetzungen und in einem begrenzten Umfang zu erteilen, was auch eine zeitliche Begrenzung einschließt. Schon um der grundsätzlich vorrangigen freien rechtsgeschäftlichen Lizenzierbarkeit (§ 15 [X.]) Rechnung zu tragen, darf die [X.] daher nicht unnötig früh erteilt werden sondern, wenn überhaupt, dann möglichst spät. Dies zeigt sich nicht nur im Erfordernis vorheriger Bemühungen um eine rechtsgeschäftliche Lizenz (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) sondern auch in der ungewöhnlichen, vom einstweiligen Rechtsschutz nach der Zivilprozessordnung regelmäßig abweichenden Konstruktion nach § 85 Abs. 1 [X.], wonach die [X.] bereits anhängig sein muss, bevor das einstweilige Verfügungsverfahren eingeleitet werden darf.

Zudem passt die prozessuale Dringlichkeit i. S. d. §§ 935, 940 ZPO auch nicht zur einstweiligen Verfügung nach § 85 [X.], die sich nach Zielrichtung und Interessenlage von der einstweiligen Verfügung des Zivilprozessrechts unterscheidet. Zweck der zivilprozessualen einstweiligen Verfügung ist es, die Verwirklichung eines Rechts dadurch zu sichern, dass der bestehende Zustand in Bezug auf einen bestimmten Streitgegenstand erhalten bleibt ([X.]/[X.], a. a. O., § 935, Rn. 3) bzw. durch eine vorübergehende Regelung den Rechtsfrieden bis zur Entscheidung des streitigen Rechtsverhältnisses zu sichern ([X.]/[X.], a. a. O., § 940, Rn. 1). Der einstweilige Rechtsschutz nach der Zivilprozessordnung hat damit einen rechtssichernden Charakter. Arrest und einstweilige Verfügung dienen der Sicherung des Gläubigeranspruchs (vgl. [X.]/[X.], a. a. O., vor § 916, Rn. 1), speziell die einstweilige Verfügung der Sicherung von Individualansprüchen (vgl. [X.], a. a. O., § 935, Rn. 1). Die Zivilprozessordnung gewährt hierfür einen sog. vorbeugenden negatorischen Rechtsschutz ([X.], a. a. O., § 940, Rn. 1). Auch wenn damit Rechtsverhältnisse neu begründet werden können (bei der Sicherungsverfügung nach § 940 ZPO z. B. Verpflichtung zur Herausgabe, Duldung, Unterlassung, bei der [X.] unter strengen Bedingungen sogar Leistungen wie Unterhaltsleistungen), bezweckt der einstweilige Rechtsschutz nach der Zivilprozessordnung letztlich eine Sicherung bzw. Gefahrenabwehr.

Das [X.] zielt dagegen unter Eingriff in das Eigentumsrecht auf eine Neu- und Umgestaltung der Rechtslage ab, nämlich auf die Verleihung eines Nutzungsrechts am Streitpatent ([X.] 1996, 190, 195, li. [X.] u. - [X.]). Zugleich wird ein privatrechtliches Schuldrechtsverhältnis zwischen den [X.]en begründet ([X.], a. a. O., § 24, Rn. 3 a. E.; Busse, a. a. O., § 24, Rn. 14, 70, [X.], a. a. O., § 24, Rn. 43), in das der Patentinhaber durch Gestaltungsurteil hineingezwungen wird. Da die einstweilige Verfügung nach § 85 [X.] die Entscheidung in der Hauptsache für die Dauer des Schwebens des Hauptsacheverfahrens praktisch vorweg nimmt (vgl. [X.] 1952, 939, 934 li. [X.] u. – [X.]; B[X.]E 36, 96, 99, 2. Abs. – [X.]; [X.]/[X.]/[X.], a. a. O., § 85, Rn. 9), begründet auch sie bereits durch Gestaltungsurteil ([X.], § 85, Rn. 21) ein [X.] (Busse, § 85, Rn. 16).

Damit gewährt § 85 Abs. 1 [X.] nicht etwa einen nur vorbeugenden negatorischen Rechtsschutz. Vielmehr ermöglicht er eine einstweilige hoheitliche Rechtsgestaltung in Fällen, die keinen weiteren Aufschub dulden (vgl. [X.] 1952, 939, 934 li. [X.] u. – [X.]; B[X.]E 36, 96, 99, 2. Abs. – [X.]; [X.]/[X.]/[X.], § 85 Rn. 9) und die im öffentlichen, nicht aber (allein) im Interesse des Antragstellers liegt. Dementsprechend muss das Hauptsacheverfahren bereits anhängig sein, sämtliche Voraussetzungen für den Erlass einer [X.] nach § 24 [X.] müssen zumindest glaubhaft gemacht sein und die alsbaldige Erteilung der [X.] muss im öffentlichen Interesse geboten sein, bevor eine einstweilige [X.] erlassen werden darf (§ 85 Abs. 1 [X.]).

Der in der prozessualen Dringlichkeit zum Ausdruck kommende Gedanke einer prozessualen Verwirkung infolge abwartenden Hinnehmens der Gefährdung oder Beeinträchtigung des Gläubigeranspruchs passt hierzu nicht. Würde man ergänzend zur Dringlichkeit i. S. d. § 85 [X.] auch das Vorliegen einer prozessualen Dringlichkeit verlangen, so würde man dem Antragsteller – da beide Dringlichkeiten zeitlich gegenläufig sind – ein praktisch nicht zu prognostizierendes [X.]fenster aufbürden, innerhalb dessen er seinen Antrag nicht zu spät für die prozessuale Dringlichkeit, zugleich aber auch nicht zu früh für die Dringlichkeit i. S. d. § 85 [X.] stellen müsste. Dies wäre eine erhebliche Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten.

Vor allem aber ist es nicht mit dem Institut der [X.] vereinbar, wenn eine einstweilige Benutzungsgestattung mit der Erwägung versagt würde, dass der Antragsteller zu lange zugewartet habe, während gleichzeitig die Dringlichkeit der alsbaldigen Erteilung im öffentlichen Interesse von Tag zu Tag größer wird. Dies zeigt sich am Beispiel einer tödlichen, sich extrem schnell ausbreitenden Infektionskrankheit, etwa im möglichen Fall einer auf den Menschen umschlagenden tödlichen Vogelgrippe. Würde man in einem solchen Fall dem Antrag auf einstweilige Anordnung der [X.] für ein lebensrettendes Medikament entgegenhalten, dass er mehrere Wochen oder Monate zu spät gestellt und folglich mangels prozessualer Dringlichkeit zurückzuweisen sei, so wäre dies schlechterdings nicht mit den höherrangigen öffentlichen Interessen i. S. d. §§ 24, 85 [X.] vereinbar. Selbst ein rechtsmissbräuchlich gewählter [X.]punkt der Einreichung des Antrags dürfte deshalb kaum zu einer Zurückweisung des Antrags führen, da dies stets zu Lasten dringender, u. U. lebenserhaltender Bedürfnisse des Allgemeinwohls ginge.

Der [X.] folgt damit [X.], [X.], 8. Aufl., § 85 Rn. 9, der die Dringlichkeit i. S. d. §§ 935, 940 ZPO angesichts des Umstands, dass die Regelung ein eigenständiges [X.] Dringlichkeitserfordernis aufstellt, nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung ansieht. Ergänzend ist anzumerken, dass sie auch keinen (weiteren) Verfügungsgrund darstellt. Soweit [X.], a. a. O. § 85 Rn. 3 mit Hinweis auf [X.] 1972, 471 - Cafilon die Dringlichkeit „wie bei jeder einstweiligen Verfügung“ als Voraussetzung ansieht und dazu auf das „gleiche Erfordernis gemäß §§ 935, 940 ZPO“ verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass der [X.], a. a. O., S. 472 li. [X.] unter Ziff. 1, zwar ausgeführt hat, dass das Erfordernis der Dringlichkeit „wie bei jeder einstweiligen Verfügung“ eine selbständige Voraussetzung für deren Erlass darstelle. In der weiteren Entscheidungsbegründung hat er jedoch erkennen lassen, dass er die Dringlichkeit vor allem als besonders intensives Gebotensein im Lichte des öffentlichen Interesses, nicht unbedingt aber als Erfordernis einer frühzeitigen Antragsstellung ansieht (vgl. [X.] a. a. O., unter Ziff. 2: „… Die Frage der Dringlichkeit stellt sich demnach im konkreten Fall dahin, ob es im Interesse der Volksgesundheit dringend geboten ist, der Ast. für die kurze Restlaufzeit von einem Monat die Benutzung des geschützten Verfahrens zu gestatten. …“). Eine Entscheidung über die Frage, ob die prozessuale Dringlichkeit i. S. d. §§ 935, 940 ZPO auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung zur Erteilung einer [X.] Anwendung findet, hat der [X.] damit nicht getroffen.

6. Gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung spricht auch nicht der Einwand der Antragsgegnerin, dass eine einstweilige Benutzungsgestattung die Hauptsache vorwegnehmen würde. Zwar ist der Antragsgegnerin darin zuzustimmen, dass die einstweilige Verfügung die Entscheidung in der Hauptsache für die Dauer des Schwebens des Hauptsacheverfahrens praktisch vorwegnimmt. Dies ist in der Rechtsprechung und Literatur auch längst erkannt worden (vgl. [X.] 1952, 393, 394 li. [X.] u. – [X.]; B[X.]E 36, 96, 100, 2. Abs. – [X.]; [X.]/[X.]/[X.], a. a. O., § 85 Rn. 9), weshalb es einer sorgfältigen Prüfung bedarf, ob wirklich die alsbaldige Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse dringend geboten ist ([X.], a. a. O. – [X.]). Wie sich aus dem Verhältnis der §§ 24 und 85 [X.] zueinander ergibt, ist die zeitlich begrenzte Vorwegnahme der bereits anhängigen Hauptsache aus Gründen des öffentlichen Interesses offensichtlich als systembedingt vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden. Dann kann sie aber auch kein Grund sein, vom Erlass der einstweiligen Verfügung abzusehen.

Nach alledem sieht sich der [X.] trotz aller gebotenen Zurückhaltung bei der Gewährung einer (vorläufigen) [X.], die im System der Art. 14 Abs. 1 GG, §§ 9, 10, 15 [X.] eine Ausnahme, wenn nicht gar einen Fremdkörper darstellt, unter den besonderen Umständen des Falls gehalten, dem Antrag auf Erteilung einer einstweiligen Benutzungsgestattung grundsätzlich zu entsprechen.

7. Die einstweilige Benutzungsgestattung war für die vier in Ziffer [X.] des Entscheidungsausspruchs genannten Abgabeformen zu erteilen, da in diesem Umfang das öffentliche Interesse und die Dringlichkeit an der weiteren Verfügbarkeit von [X.] mit dem Wirkstoff [X.] besteht. Die 400 mg Filmtablette wird von erwachsenen Patienten benötigt, die weiteren Abgabeformen (25 mg Kautabletten, 100 mg Kautabletten, 100 mg Granulat) von Säuglingen und Kindern (je nach Alter bzw. Gewicht), bei denen schon wegen der bei dieser Patientengruppe schwierigen Adhärenz eine Auswahl von mehreren Abgabeformen erforderlich ist. Die einstweilige Benutzungsgestattung erfasst daher alle drei Abgabeformen, so dass die weitere medizinische Versorgung sichergestellt ist.

Eine weitere Beschränkung der vorläufigen [X.], insbesondere eine Beschränkung der Benutzung nur für bestimmte Gruppen von erwachsenen Patienten, kam nicht in Betracht. Eine solche Beschränkung wäre jedenfalls bei den Patientengruppen, die wegen der Problematik des virologischen Versagens und/oder Neben- und Wechselwirkungen von möglichen [X.] auf das Medikament [X.] angewiesen sind (vgl. oben unter 4. d) [X.]) (4) und (5)), nicht eingrenzbar.

Dies gilt zunächst für die Gruppe der Patienten, die derzeit mit [X.] behandelt werden, die aber wegen Unverträglichkeiten oder mangelnder Akzeptanz von [X.] nicht erfolgreich auf letztere umgestellt werden können. Die Unverträglichkeit und/oder die mangelnde Patientenakzeptanz bezüglich eines Ausweichmedikaments können sich aufgrund zahlreicher individueller Faktoren ergeben. Hierzu gehören neben dem virologischen Versagen bzw. der Gefahr des virologischen Versagens unter Berücksichtigung der medizinischen Vorgeschichte, die Art und Schwere von Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen, die wiederum von der individuellen Konstitution und etwaigen Nebenerkrankungen sowie der [X.] abhängt und nicht zuletzt die individuelle Adhärenz beim jeweiligen Patienten mit den dafür maßgeblichen Kriterien, wie etwa Lebensstil, Rücksicht auf Nahrungsaufnahme o. Ä. (s. o. 4.c) cc)).

Ob ein Patient im Falle eines erzwungenen Therapiewechsels von [X.] auf ein Ausweichmedikament umgestellt werden kann oder nicht, ist damit selbst beim einzelnen Patienten nicht prognostizierbar, sondern kann erst im Laufe der Behandlung individuell abgeklärt werden. Bei einer Umstellung müsste zunächst der virologische Erfolg eines Ausweichmedikaments festgestellt werden. Bereits dies ist selbst bei einer Umstellung auf den einzigen weiteren nicht geboosteten [X.] ([X.]) nicht sicher prognostizierbar (vgl. Gutachten PD Dr. S., S. 23 u./24 o.). Ist das Ausweichmedikament virologisch erfolgreich, so müsste festgestellt werden, welche (neuen oder veränderten) Neben- und/oder Wechselwirkungen sich beim individuellen Patienten ergeben haben und ob und inwieweit der Patient bereit ist, diese zu akzeptieren. Sodann müssten Arzt und Patient eine individuelle Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Therapie mit dem Ausweichmedikament treffen und gegebenenfalls - sofern noch möglich - auf ein weiteres wechseln. Unter Umständen könnte sich ein Patient über den Rat seines Arztes hinwegsetzen und sich schließlich wegen nicht tolerierter Nebenwirkungen für einen Therapieabbruch entscheiden.

Angesichts der Vielgestaltigkeit der Faktoren, die – jeweils individuell – darüber entscheiden, ob ein konkreter Patient in seiner individuellen Situation auf den Wirkstoff [X.] angewiesen ist oder nicht, handelt es sich nicht um eine „im Voraus“ eingrenzbare Patientengruppe. Die Gefahr, nicht wirksam auf ein Ausweichmedikament umgestellt werden zu können, besteht vielmehr im Prinzip bei jedem Patienten, der derzeit mit [X.] behandelt wird. Ob sie sich dann verwirklicht und der Patient somit tatsächlich in diese Gruppe fallen würde, hängt – wie oben dargelegt – von zahlreichen individuellen und nicht prognostizierbaren Faktoren ab. Dies lässt eine Eingrenzung der Patientengruppe nicht zu. Schon deshalb kann eine Begrenzung der [X.] für ein lebenserhaltendes Medikament nicht vorgenommen werden.

Dies gilt ebenso für die Patienten, die nach mehreren [X.] infolge bereits aufgetretener Resistenzmutationen allein noch durch den (damals einzigen) Integraseinhibitor [X.] gerettet werden konnten und die bei Auftreten von Resistenzen und/oder gravierenden neuen Neben- oder Wechselwirkungen angesichts ihrer Vorgeschichte kaum Ausweichmöglichkeiten hätten. Diese Patientengruppe müsste zunächst anhand ihrer medizinischen Vorgeschichte eingegrenzt werden, was zur praktikablen Beschränkung einer [X.] bereits nicht möglich ist. Im Übrigen würden auch hier Unwägbarkeiten hinsichtlich der virologischen Prognosen ebenso wie der Frage der etwaigen Akzeptanz von [X.] bestehen.

II[X.]

Die (mit Hauptantrag) begehrte einstweilige Gestattung der Benutzung des Streitpatents war hingegen zurückzuweisen, soweit der [X.] über die vier oben genannten, bereits auf dem Markt befindlichen Abgabeformen hinausgeht. Weitere Abgabeformen, die sich derzeit allenfalls in der Planungsphase bzw. im Zulassungsverfahren befinden, sind nicht erforderlich, um die Aufrechterhaltung der bisherigen Versorgung der Patienten mit [X.] zu gewährleisten. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass und warum über die bloße Aufrechterhaltung der bisherigen Patientenversorgung hinaus eine Verbesserung so dringend erforderlich ist, dass ein öffentliches Interesse i. S. d. § 24 Abs. 1 Nr. 2 [X.] und zudem die besondere Dringlichkeit i. S. d. § 85 Abs. 1 [X.] an der sofortigen Verfügbarkeit von weiteren Präparaten besteht, sobald diese zugelassen sind. Dem auf unbeschränkte Benutzung gerichteten Hauptantrag konnte daher nicht entsprochen werden.

IV.

Die Beweisanträge beider [X.]en, den jeweils von ihnen benannten [X.] (Prof. Dr. B. für die Antragstellerinnen und Prof. Dr. R. für die Antragsgegnerin) als Zeugen und Sachverständigen zu vernehmen, waren zurückzuweisen.

Dies gilt für die gegenseitigen Anträge auf Vernehmung der [X.] als (sachverständige) Zeugen schon deshalb, weil nicht vorgetragen und auch nicht ansatzweise erkennbar ist, zu welchen streitigen Tatsachen die benannten Personen eigene Wahrnehmungen gemacht haben, zu denen sie als Zeuge aussagen könnten. Insoweit handelt es sich allenfalls um Anträge auf Erhebung unzulässiger Ausforschungsbeweise, bei denen erst die Vernehmung des Zeugen den benötigten Tatsachenvortrag beschaffen soll (vgl. [X.]/[X.], a. a. O., § 284, Rn. 3 m. w. N.).

Eine Bestellung der Privatgutachter Prof. Dr. R. und Prof. Dr. B. jeweils als gerichtliche Sachverständige kam nicht in Betracht. Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozessgericht, wobei es sich auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken kann (§ 404 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 ZPO). Ungeachtet der allein dem Gericht vorbehaltenen Bestimmung der Anzahl an Sachverständigen müsste das Gericht einer Benennung von bestimmten Sachverständigen durch die [X.]en nur dann Folge leisten, wenn sich beide [X.]en über die jeweilige Person einigen (§ 404 Abs. 4 ZPO). Dies ist vorliegend nicht der Fall gewesen, da sich beide [X.]en der Benennung des Privatsachverständigen der jeweils anderen [X.] widersetzt haben. Der [X.], der damit nach eigenem Ermessen die Person des Sachverständigen auswählen konnte, hatte schon deshalb davon abzusehen, einen oder beide Personen als Sachverständige zu ernennen, da diese in der vorliegenden Sache bereits jeweils ein Privatgutachten für „ihre“ [X.] erstattet und damit einen Ablehnungsgrund nach § 406 Abs. 1 ZPO geschaffen haben (vgl. ([X.]/[X.], a. a. O., § 406, Rn. 2; [X.]/[X.], ZPO, 70. Aufl., § 406 Rn. 13 – „Privatgutachten“; [X.], ZPO, 31. Aufl., § 402, Rn. 2 a. E.). Die Auswahl solcher Privatgutachter wäre daher ermessensfehlerhaft gewesen (vgl. [X.], a. a. O., § 404, Rn. 1).

Auch soweit die Beweisanträge der [X.]en sinngemäß darauf abzielten, die erstatteten Privatgutachten als [X.] zu verwerten, hätte dies jeweils nur mit Zustimmung beider [X.]en erfolgen können (vgl. [X.] NJW 1993, 2382; [X.]/[X.], a. a. O., § 402, Rn. 5), die in beiden Fällen aber ebenfalls nicht vorlag.

V.

1. Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit des Verfahrens der einstweiligen Verfügung und die damit verbundene Möglichkeit der ausführlichen Gewährung rechtlichen Gehörs sowie für den Fall etwaiger von Amts wegen zu treffender Feststellungen (vgl. [X.], a. a. O. § 24, Rn. 35) hat der [X.] die Entscheidung über die Festsetzung der Lizenzgebühr und der Rechnungslegung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. Busse, a. a. O., § 85, Rn. 14; [X.], a. a. O., § 85, Rn. 9; [X.]/[X.]/[X.], a. a. O., § 85, Rn. 13 jew. unter Hinweis auf [X.] 171, 227, 237 = RG GRUR 1943, 288, 292 (li. [X.]) u. 293 (li. [X.] u.) – Kohlenstaubmotor).

2. Die Höhe der Sicherheitsleistung richtet sich nach einem etwaigen Schadensersatzanspruch nach § 85 Abs. 5 [X.], der sich wiederum nach dem Schaden bemisst, der der Antragsgegnerin aus der Durchführung der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache entsteht. Hierbei waren die mögliche Verfahrensdauer und mögliche entgangene Absatzsteigerungen zu berücksichtigen, die der Antragsgegnerin entstehen, wenn das Produkt [X.] der Antragstellerinnen trotz eines im [X.] ausgesprochenen Verbots infolge der einstweiligen Verfügung weiter vertrieben werden kann (vgl. [X.]/[X.]/[X.], a. a. O., § 85, Rn. 14, 22).

Da nicht einfach davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche Patienten, die derzeit [X.] erhalten, im Falle der Nichtverfügbarkeit dieses Medikaments im Verhältnis 1:1 zu [X.] wechseln, waren hierzu Schätzungen anzustellen. Der [X.] hat dabei Überlegungen zum möglichen Zuwachs an Marktanteilen für [X.] enthaltende Arzneimittel berücksichtigt, wie sie im Gutachten [X.] 10a ([X.] v. 6. Juni 2016), S. 6 unter Ziff. 16 angestellt worden sind. Anhaltspunkte für den möglichen Schaden können auch marktübliche Lizenzgebühren darstellen, wobei von der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents auszugehen ist ([X.], a. a. O., § 24 Rn. 9) und dementsprechende [X.]n anzusetzen sind. Mit der Festsetzung dieser Absicherung ist keine Vorwegnahme der sich möglicherweise im Hauptsacheverfahren stellenden Frage der Berücksichtigung möglicher Bedenken gegen den Rechtsbestand und der [X.] des Streitpatents verbunden. Zusätzlich waren die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin für das Verfahren der einstweiligen Verfügung in die Festlegung der Sicherheitsleistung einzubeziehen.

3. [X.] beruht auf §§ 85 Abs. 3, 84 Abs. 2 [X.], § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

4. Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung und über die Art der Sicherheitsleistungen folgen aus § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 Satz 1 ZPO und § 108 Abs. 1 ZPO.

Meta

3 LiQ 1/16 (EP)

31.08.2016

Bundespatentgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: LiQ

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 31.08.2016, Az. 3 LiQ 1/16 (EP) (REWIS RS 2016, 6107)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6107


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 LiQ 1/16 (EP)

Bundespatentgericht, 3 LiQ 1/16 (EP), 31.08.2016.


Az. X ZB 2/17

Bundesgerichtshof, X ZB 2/17, 11.07.2017.


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