Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2013, Az. XII ZB 576/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 973

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Personensorgeverfahren in Berlin: Vormundschaft über minderjährigen unbegleiteten Flüchtling; Beteiligung des Jugendamts; Beschwerdeberechtigung des zuständigen Jugendamtes


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats als [X.] in [X.] vom 4. September 2012 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Der nach seinen Angaben 1996 in [X.] geborene Betroffene meldete sich im März 2012 in der örtlichen Erstaufnahme- und Clearingstelle in [X.] und bat, als minderjähriger unbegleitet eingereister Flüchtling in Obhut genommen zu werden. Die [X.] (Beteiligte zu 3) entsprach der Bitte und hat im Hinblick auf den behaupteten Tod der Eltern beantragt, Vormundschaft anzuordnen, sowie empfohlen, das Jugendamt [X.] (Beteiligter zu 4, im Folgenden: Jugendamt) zum Vormund zu bestellen.

2

Das Amtsgericht hat Vormundschaft angeordnet und das Jugendamt zum Vormund bestellt. Das Jugendamt, das im Verfahren zur Anordnung der Vormundschaft vor dem Amtsgericht nicht angehört worden ist, hat Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat den zur Anordnung der Vormundschaft ergangenen Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

3

Dagegen wendet sich die [X.] mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

4

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts (ebenso [X.] 2012, 450) ist das örtliche Jugendamt beschwerdeberechtigt und vom Amtsgericht zu Unrecht am Verfahren nicht beteiligt worden. Der Beteiligung des [X.] werde nicht dadurch genügt, dass die [X.], die den Antrag auf Anordnung einer Vormundschaft gestellt habe, am Verfahren beteiligt worden sei. Denn eine die Zuständigkeit des [X.] verdrängende eigene Zuständigkeit der [X.] nach den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer greife nicht ein, weil es sich nicht um die Gewährung der Jugendhilfe, sondern um die Beteiligung am gerichtlichen Verfahren handele, die von den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften nicht berührt werde.

5

Ferner habe das Amtsgericht keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich des behaupteten Alters der Betroffenen angestellt. Die Einschätzungen der [X.] und der Ausländerbehörde wichen voneinander ab. Das [X.] habe auch den behaupteten Tod der Eltern des Betroffenen nicht verifiziert.

6

2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

7

a) Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht, an die der Senat gebunden ist, nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch sonst zulässig.

8

Die [X.] ist als Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren beschwerdeberechtigt. Unabhängig von der im vorliegenden Verfahren zu klärenden Frage, welche Behörde für die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren zuständig ist, ist für die [X.] zu unterstellen, dass die [X.] als zuständige Behörde nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG beschwerdeberechtigt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 25. August 1999 - [X.] - [X.], 219 mwN sowie [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 74 Rn. 6 f.).

9

b) In der Sache bleibt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

aa) Die Frage der Zuständigkeit des [X.] für die Mitwirkung im Verfahren stellt sich bereits im Rahmen der Zulässigkeit der Erstbeschwerde, weil nur das zuständige Jugendamt nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG beschwerdeberechtigt ist.

Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass in der vorliegenden [X.] nach § 151 Nr. 1 FamFG das Jugendamt zur Mitwirkung am Verfahren berufen ist. Die Mitwirkung des [X.] muss allerdings nicht in der (formellen) Beteiligung am Verfahren bestehen. Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist das Jugendamt in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, vom Gericht zunächst lediglich anzuhören. Das Jugendamt wird allein durch die Anhörung noch nicht zum Verfahrensbeteiligten. Erst auf seinen entsprechenden Antrag ist es vom Gericht nach §§ 7 Abs. 2 Nr. 2, 162 Abs. 2 Satz 2 FamFG am Verfahren auch formell zu beteiligen.

Das Beschwerderecht nach § 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG steht nur dem nach § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG anzuhörenden zuständigen Jugendamt zu ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 162 Rn. 6). Im vorliegenden Fall ist indessen nicht die örtliche Zuständigkeit nach §§ 87 b Abs. 1, 86 [X.] fraglich, sondern die sachliche Zuständigkeit (§ 85 [X.]).

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 [X.] unterstützt das Jugendamt das [X.] bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Dazu gehört gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] die Mitwirkung in [X.]n nach § 162 FamFG. Nach § 85 Abs. 1 [X.] ist für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben nach dem [X.] der örtliche Träger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Örtlicher und überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des § 69 Abs. 1 [X.] ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 des [X.] zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ([X.]) das [X.]. Nach § 33 Abs. 1 Satz 2 [X.] nehmen die Jugendämter der Bezirke die Aufgaben des örtlichen Trägers nach § 85 Abs. 1 [X.] wahr und die für Jugend und Familie zuständige [X.] ([X.]) die Aufgaben des überörtlichen Trägers nach § 85 Abs. 2 [X.]. Demnach ist hier das Jugendamt zuständig.

Eine ausnahmsweise Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach § 85 Abs. 2 Nr. 3 [X.] (Anregung und Förderung von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen sowie deren Schaffung und Betrieb, soweit sie den örtlichen Bedarf übersteigen) ist nicht gegeben. Die Zuweisung der Inobhutnahme bei unerlaubt eingereisten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern und von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nach Nr. 6 Abs. 1 bis 3 des [X.] zu § 2 Abs. 4 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz des [X.] ([X.]) begründet eine sachliche Zuständigkeit der [X.] nur für die Inobhutnahme, nicht aber auch für die Mitwirkung am familiengerichtlichen Verfahren. Im Hinblick auf die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren fehlt es an einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung. Eine solche ergibt sich auch nicht aus der Natur der Sache, zumal die Inobhutnahme und die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren verschiedene Tätigkeiten darstellen, die nicht notwendig miteinander verknüpft sein müssen. Das zeigt sich auch an der zeitlichen Beschränkung der Aufgabenzuweisung an die [X.] auf eine Höchstdauer von drei Monaten (Nr. 6 Abs. 1 bis 3 [X.]), die somit bereits nicht notwendig die gesamte Dauer des Gerichtsverfahrens abdeckt. Die vom 3. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 10. Juli 2012 - 3 [X.]) für die gegenteilige Auffassung angeführten (inzwischen geänderten) Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer (AV-JAMA) in der Fassung vom 10. Juni 2008 enthielten in § 4 Abs. 2 Satz 2 die Regelung, dass die [X.] nach Ablauf von drei Monaten seit der Aufnahme in die Erstaufnahme- und Clearingstelle die sachliche und örtliche Zuständigkeit eines [X.] nach einem Quotenschlüssel bestimmt. Spätestens mit Ablauf von drei Monaten ist demnach das zuständige örtliche Jugendamt zur Mitwirkung am Verfahren berufen (zum Wechsel der behördlichen Zuständigkeit während des Gerichtsverfahrens vgl. auch Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - [X.] - FamRZ 2012, 1489 Rn. 11). Dass die Zuständigkeit der [X.] bis zur Bestellung eines Vormunds fortbesteht, ergibt sich aus dieser Regelung nicht. Überdies handelt es sich bei ihr lediglich um eine Verwaltungsvorschrift, welche die gesetzliche Zuständigkeitsregelung in § 85 Abs. 1, 2 [X.] nicht abändern kann, weil sie sich insoweit nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen lässt. Die vom 3. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 10. Juli 2012 - 3 [X.]) angeführte Vorschrift des § 33 Abs. 2 [X.] ist nicht einschlägig, weil diese nur die örtliche Zuständigkeit betrifft. Die sachliche Zuständigkeit ist - wie ausgeführt - in § 33 Abs. 1 [X.] geregelt, woraus sich die Zuständigkeit des [X.] ergibt. Dass vor der Bestimmung des örtlich zuständigen [X.] aufgrund allgemeiner Zuständigkeitsvorschriften möglicherweise ein anderes als das später von der [X.] bestimmte Jugendamt am Gerichtsverfahren mitzuwirken hat, kann schließlich als bloße Praktikabilitätserwägung nicht ausschlaggebend sein.

bb) Das Beschwerdegericht hat eine nähere Aufklärung des Alters der Betroffenen vermisst. Außerdem hat es den vom Betroffenen angegebenen Tod seiner Eltern für nicht genügend verifiziert erachtet. Das hält sich im Rahmen tatrichterlicher Würdigung und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde vermögen einen in der [X.] allein beachtlichen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht aufzuzeigen.

Schließlich hat das Beschwerdegericht auf Antrag des beschwerdeführenden [X.] auch zu Recht nach § 69 Abs. 1 Satz 2, 3 FamFG eine Zurückverweisung an das Amtsgericht ausgesprochen, weil eine aufwändige Beweisaufnahme notwendig wäre.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Dose                               [X.]                        Schilling

           Nedden-Boeger                               [X.]

Meta

XII ZB 576/12

20.11.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 4. September 2012, Az: 16 UF 124/12

§ 70 Abs 1 FamFG, § 151 Nr 1 FamFG, § 162 Abs 1 S 1 FamFG, § 162 Abs 3 S 2 FamFG, § 50 Abs 1 S 1 SGB 8, § 59 Abs 3 SGB 8, § 69 Abs 1 SGB 8, § 85 Abs 1 SGB 8, § 87b Abs 1 SGB 8, § 33 Abs 1 KJHGAG BE

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2013, Az. XII ZB 576/12 (REWIS RS 2013, 973)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 973

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 569/12 (Bundesgerichtshof)

Sorgerechtsverfahren: Sachliche Zuständigkeit des mitwirkenden Jugendamtes in Berlin


XII ZB 30/15 (Bundesgerichtshof)

Vormundsbestellungsverfahren für einen minderjährigen, ausländischen Flüchtling: Bestimmung des zur Mitwirkung sachlich zuständigen Berliner Jugendamts


XII ZB 576/12 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 30/15 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 569/12 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 576/12

Zitiert

XII ZR 89/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.