Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2015, Az. XII ZB 30/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 8174

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BUNDESGERICHTSHOF

[X.]SCHLUSS
[X.] 30/15

vom

15. Juli 2015

in der Familiensache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 63, 162; [X.] § 85; AG [X.] [X.] § 33
Zur Bestimmung des zur Mitwirkung in einem die Personensorge betreffenden Verfahren sachlich zuständigen [X.] in [X.] (im [X.] an Senatsbe-schluss vom 20.
November
2013

[X.] 569/12

FamRZ
2014, 375).
BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 -
[X.] 30/15 -
Kammergericht [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 15.
Juli
2015 durch den
Vorsitzenden
Richter Dose und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Günter, Dr.
Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 15. Zivilsenats

Senat für Familiensachen

des Kammergerichts in [X.] vom 28. November 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Betroffene reiste am 12. Dezember 2013 als minderjähriger Flücht-ling aus [X.] unbegleitet nach [X.] ein. Er meldete sich in der Erst-aufnahme-
und Clearingstelle [X.] Steglitz-Zehlendorf und wurde dort in [X.] genommen. Die Beteiligte zu 2, die [X.] für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes [X.] (im Folgenden: [X.]), hat die Anordnung einer Vormundschaft und Bestellung eines Vormunds angeregt. Das Amtsgericht hat Vormundschaft angeordnet. Der Beschluss ist der Senatsver-waltung am 18. Februar 2014
zugestellt worden.

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-
Der Beteiligte zu 1, das Bezirksamt
Steglitz-Zehlendorf (im Folgenden: Bezirksamt), ist durch das Amtsgericht weder vom Verfahren benachrichtigt noch ist ihm der Beschluss zugestellt worden. Es hat gegen den amtsgerichtli-chen Beschluss Beschwerde eingelegt, die am 30. Mai 2014 beim Amtsgericht eingegangen ist. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde
als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Be-zirksamts, das während des Beschwerdeverfahrens zum Vormund des Be-troffenen bestellt worden
ist.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Be-schwerdegericht, an die
der Senat gebunden ist, nach §
70 Abs.
1
FamFG statthaft und auch sonst zulässig.
Das Bezirksamt ist als Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren be-schwerdeberechtigt. Unabhängig von der im vorliegenden Verfahren zu klären-den Frage, welche Behörde für die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren zu-ständig ist, ist für die [X.] zu unterstellen, dass das Be-zirksamt
als zuständige Behörde nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG beschwerdeberechtigt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20.
November
2013

XII
ZB 569/12

FamRZ 2014, 375 Rn. 8 mwN).
2. Das Rechtsmittel
ist auch begründet.
a)
Nach Auffassung des [X.] ist die Beschwerde nicht mehr innerhalb der Monatsfrist gemäß § 63 Abs. 1 FamFG eingegangen. Die 2
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Rechtsmittelfrist sei bereits durch die am 18. Februar 2014 bewirkte Zustellung an die [X.] in Gang gesetzt worden, so dass die Beschwerde bis spätestens am 18. März 2014 beim Amtsgericht habe eingehen müssen. Da die Beschwerde erst am 30. Mai 2014 eingegangen sei, sei das Rechtsmittel ver-fristet.
Soweit das Bezirksamt
nicht Verfahrensbeteiligter im formellen Sinn sei, sondern das Gesetz in § 162 Abs. 3 Satz 1 FamFG lediglich eine [X.] gegenüber dem Jugendamt [X.], [X.] auch diese Form der Einbeziehung dem Begriff der Beteiligung nach §
63 Abs.
3 Satz
1
FamFG mit der Folge, dass die gemäß § 162 Abs. 3 Satz 1 FamFG er-folgte Bekanntmachung der Entscheidung den Lauf der Beschwerdefrist [X.].
Zwar müsse die Bekanntmachung an das sachlich und
örtlich zuständige Jugendamt erfolgen. Dies sei aber hier nicht das Bezirksamt, sondern die Se-natsverwaltung gewesen. Die Zuständigkeit der [X.] ergebe sich aus Nummer 2 Abs. 1 der Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für
alleinstehende minderjährige Ausländer vom 21. Mai 2013 (AV-JAMA). Zumindest seit der Föderalismusreform richte sich die [X.] im Bundesland [X.] nicht mehr unmittelbar nach den vormals bundesweit verbindlichen Vorschriften der §§ 85 ff. [X.]. Denn nach der neu gefassten Regelung des Art. 84 Abs. 1 GG sei den Ländern, soweit sie Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführten, das Recht zugestan-den worden, von bundesrechtlichen Vorgaben zur Behördeneinrichtung und zum Verwaltungsaufbau abzuweichen. Das beinhalte auch die Bestimmung der örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit. Von dieser Option habe der [X.]er Landesgesetzgeber in Gestalt der Regelung des § 33 des [X.]er Ausführungsgesetzes zum Kinder-
und Jugendhilfegesetz (AG [X.]
[X.]) 8
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-
Gebrauch gemacht. Hiernach komme den genannten Ausführungsvorschriften (AV-JAMA) Vorrang vor den Zuständigkeitsregelungen im [X.] zu.
§ 33 Abs. 2 Satz 2 AG [X.] [X.] enthalte keine Vorgabe, Zuständigkeitsvorschriften zwingend durch Rechtsverordnung zu erlassen. §
33 Abs. 2 Satz 1 AG [X.] [X.] erkläre Verwaltungsvorschriften ausdrücklich für vorrangig, was durch den nachfolgenden Satz 2 nicht aufgehoben sei.
Während der zum Zeitpunkt der Zustellung
noch nicht abgeschlossenen Clearingphase verbleibe es somit nach Nummer 2 Abs. 1 AV-JAMA bei der [X.] der [X.]. Darin verwirkliche sich im Übrigen das in Art.
1 Abs. 1 der [X.]er Verfassung ([X.]) niedergelegte staatsorganisations-rechtliche Prinzip der Einheitsgemeinde.
b)
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Noch zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Beschwerdefrist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG nur durch die Zu-stellung an das zur Mitwirkung nach § 162 FamFG berufene sachlich und örtlich zuständige Jugendamt zu laufen beginnt (vgl. Senatsbeschluss vom 20.
November
2013

[X.] 569/12

FamRZ 2014, 375 Rn. 12 mwN).
[X.]) Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht indessen die [X.] als zuständiges Jugendamt im Sinn von § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG an-gesehen. Der [X.] fehlte die sachliche Zuständigkeit
für die Mit-wirkung am familiengerichtlichen Verfahren. Sachlich zuständig war vielmehr das Jugendamt (Bezirksamt) als die Aufgaben der örtlichen Träger der [X.] wahrnehmende Behörde. Zu der weiteren Frage, ob das im vorliegenden Fall beschwerdeführende Bezirksamt
örtlich zuständig war und ist, fehlt es an hinreichenden Feststellungen des [X.]. Dessen örtliche [X.] ist daher im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen.
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Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 [X.] unterstützt das Jugendamt das [X.], die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Dazu gehört gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] die Mitwirkung in [X.] nach § 162 FamFG. Nach § 85 Abs. 1 [X.] ist für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer [X.] nach dem [X.] der örtliche Träger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Örtlicher und überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des § 69 Abs. 1 [X.] ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 des [X.]er Gesetzes zur Ausführung des Kin-der-
und Jugendhilfegesetzes (AG [X.] [X.])

entsprechend dem landesver-fassungsrechtlichen Grundsatz der Einheitsgemeinde (vgl. BVerwG NVwZ 2013, 662 Rn. 11 ff.)

das Land [X.]. Nach § 33 Abs. 1 Satz 2 AG [X.] [X.]
nehmen die Jugendämter der Bezirke die Aufgaben
des örtlichen Trägers nach § 85 Abs. 1 [X.] wahr und die für Jugend und Familie zuständige Se-natsverwaltung (Landesjugendamt) die Aufgaben des überörtlichen Trägers nach § 85 Abs. 2 [X.]
(vgl. Senatsbeschluss vom 20.
November
2013

XII
ZB 569/12

FamRZ 2014, 375 Rn. 13). Demnach ist hier das Bezirksamt als Jugendamt nach §§ 85 [X.], 33 Abs. 1 AG [X.] [X.] sachlich zu-ständig.
Eine davon abweichende Regelung durch Verwaltungsvorschriften [X.] entgegen der Ansicht des [X.]
bereits der landesgesetzli-chen Grundlage. Das Beschwerdegericht stellt insoweit auf § 33 Abs. 2 AG [X.] [X.] als Grundlage der AV-JAMA ab. Dabei hat es verkannt, dass nach § 33 AG [X.] [X.] eine Regelung durch Verwaltungsvorschriften nur hin-sichtlich
der örtlichen
(§ 33 Abs. 2 AG [X.] [X.]), nicht aber der sachlichen Zuständigkeit (§ 33 Abs. 1 AG [X.] [X.]) vorgesehen
ist (vgl. Senatsbe-schluss vom 20. November 2013

[X.] 569/12

FamRZ 2014, 375 Rn. 14).
Der genaue Regelungsinhalt der
vom Beschwerdegericht angeführten
Rege-14
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-
lung in Nr. 2 Abs. 1 AV-JAMA, der indessen jedenfalls nicht weiter reichen dürf-te als die ausdrücklich (nur) auf § 33 Abs. 2 AG [X.] [X.]
Bezug nehmenden Verwaltungsvorschriften, kann demnach offenbleiben.
Die Auffassung des Be-schwerdegerichts, die [X.] ziehe die Aufgaben des örtlichen Trä-gers der Kinder-
und Jugendhilfe während der Clearingphase an sich, findet jedenfalls in den Vorschriften der AV-JAMA nicht die erforderliche gesetzliche Grundlage.
Mangels einer landesrechtlichen Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit an die [X.] stellt sich mithin auch die vom Beschwerdegericht be-handelte Frage des Verhältnisses von Bundes-
und Landesrecht nicht
(vgl. da-zu Senatsbeschluss vom 27.
Juni
2012

XII
ZR
89/10

FamRZ 2012, 1489 Rn. 27; zu den Auswirkungen der Föderalismusreform durch das Gesetz zur Ände-rung des Grundgesetzes vom 28.
August
2006

BGBl. I S.
2034

Wiesner [X.] 4. Aufl. § 69 Rn. 5 ff.).
cc) Die Beschwerdefrist ist demnach durch die Zustellung an die Senats-verwaltung nicht in Gang gesetzt worden.
Der angefochtene Beschluss erweist sich auch nicht deswegen als rich-tig, weil das beschwerdeführende Bezirksamt etwa örtlich unzuständig wäre. Die [X.] hat allerdings im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf verwiesen, dass sie durch Schreiben vom 16. Dezember 2013 das [X.] als örtlich zuständiges Jugendamt bestimmt habe, was auch die örtli-che Zuständigkeit für die Mitwirkung am familiengerichtlichen Verfahren
hätte
begründen können (Nr. 3 Abs. 4 AV-JAMA). Aus dem genannten Schreiben geht indessen nicht hervor, dass die Zuständigkeit des [X.] auch mit sofortiger Wirkung begründet werden sollte. In dem Schreiben ist das [X.] vielmehr gebeten
worden, die Zuständigkeit "spätestens 16
17
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ab dem 13. März 2014"
zu übernehmen, was in Anbetracht der Einreise des Betroffenen am 12. Dezember 2013 ersichtlich erst auf den Ablauf der dreimo-natigen Clearingphase bezogen
ist.

Die Frage, ob das beschwerdeführende Bezirksamt für die Mitwirkung am
erstinstanzlichen Verfahren als auch für die Bekanntgabe des amtsgerichtli-chen Beschlusses vom 12. Februar 2014 das örtlich zuständige Jugendamt gewesen
ist und ob die örtliche Zuständigkeit bis zur Entscheidung des
Be-schwerdegerichts etwa

gemäß Nr. 3 Abs. 4 AV-JAMA abweichend von § 87 b Abs. 2 Satz 1 [X.]

gewechselt hat, hat das Beschwerdegericht nicht ge-prüft. Die örtliche Zuständigkeit kann daher im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht abschließend beurteilt werden.
19
-
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-
dd) Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Da das Be-schwerdegericht
bislang noch keine Feststellungen dazu getroffen hat, welches Bezirksamt örtlich zuständig ist, ist die Sache an dieses zurückzuverweisen.

Dose
Klinkhammer
Günter

Botur

Guhling

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.02.2014 -
173 [X.]/14 -

KG [X.], Entscheidung vom 28.11.2014 -
15 UF 27/14 -

20

Meta

XII ZB 30/15

15.07.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.07.2015, Az. XII ZB 30/15 (REWIS RS 2015, 8174)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8174

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 576/12 (Bundesgerichtshof)


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