Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2013, Az. XII ZB 569/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 999

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Gegenstand

Sorgerechtsverfahren: Sachliche Zuständigkeit des mitwirkenden Jugendamtes in Berlin


Leitsatz

Zur Bestimmung des zur Mitwirkung in einem die Personensorge betreffenden Verfahren sachlich zuständigen Jugendamts.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 16. Zivilsenats als [X.] in [X.] vom 23. August 2012 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die nach ihren Angaben 1996 in [X.] geborene Betroffene meldete sich im Februar 2012 in der örtlichen Erstaufnahme- und Clearingstelle in [X.] und bat, als minderjähriger unbegleitet eingereister Flüchtling in Obhut genommen zu werden. Die [X.] (Beteiligte zu 3) entsprach der Bitte und hat im vorliegenden Verfahren beantragt, hinsichtlich der nach ihrer Einschätzung noch minderjährigen Betroffenen das Ruhen der elterlichen Sorge der im Ausland lebenden Eltern festzustellen sowie Vormundschaft anzuordnen.

2

Das Amtsgericht (Rechtspfleger) hat das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt. Dagegen hat das Jugendamt (Beteiligter zu 4), das im Verfahren vor dem Amtsgericht nicht angehört worden ist, Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

3

Dagegen wendet sich die [X.] mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

4

1. Nach Auffassung des [X.] (ebenso [X.] 2012, 450) ist das örtliche Jugendamt beschwerdeberechtigt und vom Amtsgericht zu Unrecht am Verfahren nicht beteiligt worden. Der Beteiligung des [X.] werde nicht dadurch genügt, dass die [X.], die auch den Antrag auf Anordnung einer Vormundschaft gestellt habe, am Verfahren beteiligt worden sei. Denn eine die Zuständigkeit des [X.] verdrängende eigene Zuständigkeit der [X.] nach den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer greife nicht ein, weil es sich nicht um die Gewährung der Jugendhilfe, sondern um die Beteiligung am gerichtlichen Verfahren handele, welche von den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften nicht berührt werde.

5

Ferner habe das Amtsgericht keine weiteren Ermittlungen hinsichtlich des behaupteten Alters der Betroffenen angestellt. Die Einschätzungen der [X.] und der Ausländerbehörde wichen voneinander ab. Das [X.] habe auch die Erreichbarkeit der Sorgeberechtigten nicht von Amts wegen geklärt. Insbesondere habe es die Wohnanschrift des [X.] nicht ermittelt sowie die Angaben der Betroffenen zum Tod ihrer Mutter nicht verifiziert.

6

2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

7

a) Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht, an die der Senat gebunden ist, nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch sonst zulässig.

8

Die [X.] ist als Behörde im Rechtsbeschwerdeverfahren beschwerdeberechtigt. Unabhängig von der im vorliegenden Verfahren zu klärenden Frage, welche Behörde für die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren zuständig ist, ist für die [X.] zu unterstellen, dass die [X.] als zuständige Behörde nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG beschwerdeberechtigt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 25. August 1999 - [X.] - [X.], 219 mwN sowie [X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 74 Rn. 6 f.).

9

b) In der Sache bleibt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.

aa) Die Frage der Zuständigkeit des [X.] für die Mitwirkung im Verfahren stellt sich bereits im Rahmen der Zulässigkeit der Erstbeschwerde, weil nur das zuständige Jugendamt nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG beschwerdeberechtigt ist.

Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass in der vorliegenden [X.] gemäß § 151 Nr. 1 FamFG das Jugendamt zur Mitwirkung am Verfahren berufen ist. Die Mitwirkung des [X.] muss allerdings nicht in der (formellen) Beteiligung am Verfahren bestehen. Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist das Jugendamt in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, vom Gericht zunächst lediglich anzuhören. Das Jugendamt wird allein durch die Anhörung noch nicht zum Verfahrensbeteiligten. Erst auf seinen entsprechenden Antrag ist es vom Gericht nach §§ 7 Abs. 2 Nr. 2, 162 Abs. 2 Satz 2 FamFG am Verfahren auch formell zu beteiligen.

Das Beschwerderecht nach § 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG steht nur dem nach § 162 Abs. 1 Satz 1 FamFG anzuhörenden zuständigen Jugendamt zu ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 162 Rn. 6). Im vorliegenden Fall ist indessen nicht die örtliche Zuständigkeit nach §§ 87 b Abs. 1 Satz 1, 86 [X.] fraglich, sondern die sachliche Zuständigkeit (§ 85 [X.]).

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 [X.] unterstützt das Jugendamt das [X.] bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. Dazu gehört gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] die Mitwirkung in [X.]n nach § 162 FamFG. Nach § 85 Abs. 1 [X.] ist für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben nach dem [X.] der örtliche Träger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Örtlicher und überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des § 69 Abs. 1 [X.] ist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 des [X.] zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ([X.]) das [X.]. Nach § 33 Abs. 1 Satz 2 [X.] nehmen die Jugendämter der Bezirke die Aufgaben des örtlichen Trägers nach § 85 Abs. 1 [X.] wahr und die für Jugend und Familie zuständige [X.] ([X.]) die Aufgaben des überörtlichen Trägers nach § 85 Abs. 2 [X.]. Demnach ist hier das Jugendamt zuständig.

Eine ausnahmsweise Zuständigkeit des überörtlichen Trägers nach § 85 Abs. 2 Nr. 3 [X.] (Anregung und Förderung von Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen sowie deren Schaffung und Betrieb, soweit sie den örtlichen Bedarf übersteigen) ist nicht gegeben. Die Zuweisung der Inobhutnahme bei unerlaubt eingereisten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern und von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nach Nr. 6 Abs. 1 bis 3 des [X.] zu § 2 Abs. 4 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz des [X.] ([X.]) begründet eine sachliche Zuständigkeit der [X.] nur für die Inobhutnahme, nicht aber auch für die Mitwirkung am familiengerichtlichen Verfahren. Im Hinblick auf die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren fehlt es an einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung. Eine solche ergibt sich auch nicht aus der Natur der Sache, zumal die Inobhutnahme und die Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren verschiedene Tätigkeiten darstellen, die nicht notwendig miteinander verknüpft sein müssen. Das zeigt sich auch an der zeitlichen Beschränkung der Aufgabenzuweisung an die [X.] auf eine Höchstdauer von drei Monaten (Nr. 6 Abs. 1 bis 3 [X.]), die somit bereits nicht notwendig die gesamte Dauer des Gerichtsverfahrens abdeckt. Die vom 3. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 10. Juli 2012 - 3 [X.]) für die gegenteilige Auffassung angeführten (inzwischen geänderten) Ausführungsvorschriften über die Gewährung von Jugendhilfe für alleinstehende minderjährige Ausländer (AV-JAMA) in der Fassung vom 10. Juni 2008 enthielten in § 4 Abs. 2 Satz 2 die Regelung, dass die [X.] nach Ablauf von drei Monaten seit der Aufnahme in die Erstaufnahme- und Clearingstelle die sachliche und örtliche Zuständigkeit eines [X.] nach einem Quotenschlüssel bestimmt. Spätestens mit Ablauf von drei Monaten ist demnach das zuständige örtliche Jugendamt zur Mitwirkung am Verfahren berufen (zum Wechsel der behördlichen Zuständigkeit während des Gerichtsverfahrens vgl. auch Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - [X.] - FamRZ 2012, 1489 Rn. 11). Dass die Zuständigkeit der [X.] bis zur Bestellung eines Vormunds fortbesteht, ergibt sich aus dieser Regelung nicht. Überdies handelt es sich bei ihr lediglich um eine Verwaltungsvorschrift, welche die gesetzliche Zuständigkeitsregelung in § 85 Abs. 1, 2 [X.] nicht abändern kann, weil sie sich insoweit nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen lässt. Die vom 3. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 10. Juli 2012 - 3 [X.]) angeführte Vorschrift des § 33 Abs. 2 [X.] ist nicht einschlägig, weil diese nur die örtliche Zuständigkeit betrifft. Die sachliche Zuständigkeit ist - wie ausgeführt - in § 33 Abs. 1 [X.] geregelt, woraus sich die Zuständigkeit des [X.] ergibt. Dass vor der Bestimmung des örtlich zuständigen [X.] aufgrund allgemeiner Zuständigkeitsvorschriften möglicherweise ein anderes als das später von der [X.] bestimmte Jugendamt am Gerichtsverfahren mitzuwirken hat, kann schließlich als bloße Praktikabilitätserwägung nicht ausschlaggebend sein.

bb) Das Beschwerdegericht hat die Ermittlungen des Amtsgerichts zu den Voraussetzungen des Ruhens der elterlichen Sorge als nicht ausreichend angesehen. Es hat vor allem eine nähere Aufklärung des Alters der Betroffenen vermisst. Außerdem hat es für nicht hinreichend festgestellt erachtet, dass die Eltern die elterliche Sorge auf längere Zeit nicht ausüben können, und den von der Betroffenen angegebenen Tod ihrer Mutter nicht für genügend verifiziert gehalten.

Die Beurteilung des [X.] hält sich im Rahmen tatrichterlicher Würdigung und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde vermögen einen in der [X.] allein beachtlichen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht aufzuzeigen.

Schließlich hat das Beschwerdegericht auf Antrag des beschwerdeführenden [X.] auch zu Recht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2, 3 FamFG eine Zurückverweisung an das Amtsgericht ausgesprochen, weil eine aufwändige Beweisaufnahme notwendig wäre. Dass es inzwischen wegen des auch nach den Angaben der Betroffenen bevorstehenden Eintritts der Volljährigkeit einer Beweisaufnahme voraussichtlich nicht mehr bedarf, steht dem nicht entgegen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Dose                                [X.]                       Schilling

            [X.]                             Guhling

Meta

XII ZB 569/12

20.11.2013

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 23. August 2012, Az: 16 WF 94/12

§ 162 FamFG, § 50 Abs 1 S 1 SGB 8, § 50 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 8, § 69 Abs 1 SGB 8, § 85 Abs 1 SGB 8, § 85 Abs 2 SGB 8, § 33 Abs 1 KJHGAG BE

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.11.2013, Az. XII ZB 569/12 (REWIS RS 2013, 999)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 999

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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