Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 02.05.2018, Az. 1 BvR 2420/15

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2018, 9804

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) und Grenzen eines Anspruchs auf Anhörung gerichtlicher Sachverständiger im sozialgerichtlichen Verfahren - hier: unzureichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) mangels hinreichender Auseinandersetzung mit jenen Grenzen des Anhörungsanspruchs auf Anhörung eines Sachverständigen


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die [X.]beschwerde betrifft die Feststellung einer Berufskrankheit nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, wobei der Beschwerde-führer namentlich Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht, weil das [X.] mehreren Beweisanträgen nicht entsprochen und das [X.] dies nicht korrigiert habe.

2

Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die [X.]beschwerde ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] entsprechend substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung des Beschwerdeführers in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten aufzeigt.

3

Im Ausgangspunkt zutreffend macht der Beschwerdeführer geltend, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst (vgl. hierzu und zum Folgenden: [X.], 218 <224 f.>; 20, 319 <319 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2273 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 -, [X.], [X.]>). Nach § 402 in Verbindung mit § 397 Abs. 1 ZPO, die im Verfahren vor dem [X.] über § 118 Abs. 1 und § 153 Abs. 1 SGG gelten, sind die Beteiligten berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der [X.] und ebenso das [X.] haben daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag eines Beteiligten auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. hierzu und zum Folgenden neben dem im hiesigen Verfahren ergangenen Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2012 - [X.] U 100/12 B -, [X.] 4-1500 § 160 Nr. 24 die Urteile des [X.] vom 10. Juli 1952 - [X.] -, [X.]Z 6, 398 <400 f.> und vom 17. Dezember 1996 - [X.] -, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Beteiligten den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von [X.] bitten könnten (vgl. [X.], Urteil vom 21. Oktober 1986 - [X.] -, juris, Rn. 11). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. [X.], Urteil vom 20. September 1961 - [X.] -, [X.]Z 35, 370 <371>; [X.], Beschluss vom 26. Mai 2015 - [X.] R 13/15 B -, juris, Rn. 9; vgl. zudem - auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte - [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2273 f.>).

4

Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung eines [X.] völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das [X.] ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint; dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten: Die mündliche Anhörung eines Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. [X.], 218 <225>; 20, 319 <319 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2274>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 -, [X.], [X.]>).

5

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Beteiligten vorrangig darauf verweisen, Fragen und Einwendungen schriftlich vorzutragen, um Sachverständige oder sachverständige Zeugen damit zu konfrontieren; die gegebenenfalls anschließende mündliche Befragung kann möglicherweise aber dann geboten sein, wenn sie sich nicht absehbar in der Wiederholung schriftlicher Äußerungen erschöpft, sondern darüber hinaus einen Mehrwert hat. Auch in diesem Fall ist es verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich, wenn die Fachgerichte an die Beantragung mündlicher Sachverständigenbefragungen nicht weniger Anforderungen stellen als an eine schriftliche Befragung, die die Benennung konkreter Fragen und Einwendungen voraussetzt (vgl. [X.], 319 <320>).

6

Der Beschwerdeführer hat sich mit diesen Grundsätzen nicht ausreichend befasst. Insbesondere beachtet er weder die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Grenzen für das (mündliche) Befragungsrecht noch die darin angelegten Differenzierungen zwischen dem Fachrecht und dem [X.]recht. Vielmehr scheint er davon auszugehen, dass ein Fachgericht von [X.] wegen einem Antrag, einem Sachverständigen (immer weitere) Fragen zu unterbreiten (und ihn zu deren Beantwortung mündlich anzuhören), in jedem Falle nachkommen müsse. Über diese eher grundsätzlichen Erwägungen hinaus ist auch im Einzelnen die Begründung eines möglichen [X.]verstoßes anhand der dargestellten Grundsätze nicht ausreichend ausgeführt.

7

Zudem hätte sich der Beschwerdeführer mit der Frage einer möglichen Verspätung der Beweisanträge auseinandersetzen müssen: Nachdem in der [X.] zwischen der Formulierung der Fragen und der mündlichen Verhandlung weitere Ermittlungen erfolgt waren, musste es sich dem Gericht, soweit sich dies anhand der Darlegungen des Beschwerdeführers beurteilen lässt, nicht aufdrängen, dass sich nach seiner Auffassung die zuvor, zu einem erheblichen Teil sogar vor der zwischenzeitlichen Zurückverweisung der Rechtssache vom [X.] an das [X.] aufgeworfenen Fragen weiter stellten. Dennoch kam der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erst am Tag der mündlichen Verhandlung wieder auf diese zurück, so dass die Ladung der Sachverständigen nicht mehr möglich war und die mündliche Verhandlung also hätte verschoben oder vertagt werden müssen (vgl. zu diesem regelmäßig maßgeblichen Gesichtspunkt für die Annahme einer Verspätung, gegen den aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern ist: [X.], Beschluss vom 28. September 2015 - [X.] SB 41/15 B -, juris, Rn. 12), so dass eine Verspätung der Anträge so nahe lag, dass der Beschwerdeführer sich hiermit hätte befassen müssen, obwohl das [X.] seine Entscheidung hierauf nicht gestützt hat.

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2420/15

02.05.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 10. August 2015, Az: B 2 U 20/15 C, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 118 Abs 1 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 02.05.2018, Az. 1 BvR 2420/15 (REWIS RS 2018, 9804)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9804

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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