Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.10.2012, Az. B 2 U 245/12 B

2. Senat | REWIS RS 2012, 1770

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Anspruch auf rechtliches Gehör - Antrag auf mündliche Anhörung eines Sachverständigen - Amtsermittlungsgrundsatz gem § 106 SGG)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 14. Februar 2012 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist als unzulässig zu verwerfen, weil der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens eines [X.], auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] SGG), nicht ausreichend bezeichnet ist. Die [X.]eschwerde war daher ohne Zuziehung [X.] durch [X.]eschluss zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

2

Der Kläger hat in seiner [X.]eschwerde nicht hinreichend bezeichnet, inwiefern gerade eine mündliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. A. zusätzlich zu der bereits erfolgten Übersendung und [X.]eantwortung eines Fragenkatalogs durch diesen Sachverständigen - durch das [X.] geboten gewesen wäre. Der Kläger trägt selbst vor, dass das [X.] ihn aufgefordert habe, dem Sachverständigen schriftliche Fragen vorzulegen, die dieser dann auch beantwortet hat. Dass die Antworten den Kläger inhaltlich nicht überzeugten, stellt für sich noch keine hinreichende Darlegung der Notwendigkeit dar, dass das [X.] den Sachverständigen auch noch zu einer mündlichen Erörterung der schriftlich gestellten Fragen laden musste.

3

Der Senat hat - ebenso wie andere Senate des [X.] - mehrfach betont, dass einem [X.]eteiligten das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet (vgl zuletzt [X.] vom 18.7.2012 - [X.] 2 U 105/12 [X.] -; [X.] vom [X.] - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; vgl auch [X.] vom 9.12.2010 - [X.] R 170/10 [X.] -; [X.] vom 19.11.2009 - [X.] R 247/09 [X.] -; [X.] vom 27.11.2007 - [X.]/5 R 60/07 [X.] - [X.] 4-1500 § 116 [X.] 1; [X.] vom 24.4.2008 - [X.] 9 S[X.] 58/07 [X.] - [X.] 4-1500 § 116 [X.] 2; [X.] vom 12.12.2006 - [X.] R 427/06 [X.]). Es reicht hierfür grundsätzlich aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl [X.] Urteil vom 12.4.2000 - [X.] 9 [X.] 2/99 R - [X.] 3-1750 § 411 [X.] 1 und [X.] vom 27.11.2007 - [X.]/5 R 60/07 [X.] - [X.] 4-1500 § 116 [X.] 1), z[X.] auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinzuweisen.

4

Art 103 Abs 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Maß an rechtlichem Gehör eröffnet, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht wird und den [X.]eteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl [X.]VerfGE 55, 1, 6; 60, 305, 310; 74, 228, 233). Insbesondere haben die [X.]eteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der [X.]eteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen ([X.]VerfGE 67, 39, 41; 86, 133, 146). Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist aber zugleich auch eine Verletzung des Art 103 Abs 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die [X.]edeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl [X.]VerfGE 60, 305, 310 f).

5

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger ([X.]VerfG [X.]eschluss der [X.] des [X.] - 1 [X.]vR 909/94 - NJW 1998, 2273). Nach § 118 Abs 1 SGG iVm §§ 397, 402 ZPO sind die [X.]eteiligten nach § 70 SGG berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der [X.]GH hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche [X.]efragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl [X.]GHZ 6, 398, 400 f; [X.]GH Urteil vom 21.10.1986 - [X.] - NJW-RR 1987, 339, 340; [X.]GH Urteil vom 17.12.1996 - [X.] - NJW 1997, 802, 802 f; zur Rechtsprechung des [X.] vgl [X.]eschluss vom 9.12.2010 - [X.] R 170/10 [X.] -; [X.]eschluss vom 19.11.2009 - [X.] R 247/09 [X.] -; [X.]eschluss vom 27.11.2007 - [X.]/5 R 60/07 [X.] - [X.] 4-1500 § 116 [X.] 1; [X.]eschluss vom 24.4.2008 - [X.] 9 S[X.] 58/07 [X.] - [X.] 4-1500 § 116 [X.] 2; [X.]eschluss vom 12.12.2006 - [X.] R 427/06 [X.]). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, kommt es nicht an. Es gehört zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen [X.]edenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von [X.] bitten können ([X.]GH Urteil vom 21.10.1986, aaO).

6

[X.]eachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint ([X.]VerfG [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 17.1.2012 - 1 [X.]vR 2728/10 - NJW 2012, 1346). Dagegen verlangt Art 103 Abs 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten.

7

Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche [X.]ehandlung eines derartigen Antrags im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 106 SGG ([X.]VerfG [X.]eschluss der [X.] des [X.], aaO; vgl [X.]GH Urteil vom [X.] - NJW 1992, 1459 f). Dazu bieten sich mehrere Möglichkeiten an: Das Gericht kann den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn, wenn dies zweckmäßiger erscheint, zur mündlichen Verhandlung laden und befragen. Es kann stattdessen nach § 412 ZPO auch ein weiteres Gutachten einholen (vgl [X.] vom [X.] - mwN).

8

Mithin wäre zur erfolgreichen Rüge eine Verletzung der § 118 SGG iVm §§ 397, 402, 411 ZPO, § 202 SGG erforderlich gewesen aufzuzeigen, dass die umfangreiche schriftliche [X.]efragung des Prof. Dr. A. nicht ausreichend gewesen sei. Hierfür reicht es - wie ausgeführt - nicht aus, dass der Kläger vorträgt, mit diesen Antworten (und insbesondere der Einschätzung des Stellenwerts der sog PET-Diagnostik) nicht einverstanden gewesen zu sein. Vielmehr hätte aufgezeigt werden müssen, welche zusätzlichen Erkenntnisse gerade durch eine mündliche [X.]efragung des Sachverständigen zu erzielen gewesen wären.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Meta

B 2 U 245/12 B

31.10.2012

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Dortmund, 17. März 2006, Az: S 21 U 98/05

Art 103 Abs 1 GG, § 106 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.10.2012, Az. B 2 U 245/12 B (REWIS RS 2012, 1770)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1770

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1 BvR 2728/10

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