Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.03.2014, Az. 9 B 54/13

9. Senat | REWIS RS 2014, 7314

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Gegenstand

Antrag auf Schriftsatzfristgewährung ist wesentlicher, zu protokollierender Vorgang der Verhandlung


Leitsatz

Der Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist (§ 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO) gehört zu den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung, die in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind (§ 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO).

Gründe

1

Die auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel liegt nicht vor.

3

a) Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe gegen § 108 Abs. 2 VwGO verstoßen, weil es den Antrag des [X.] auf Gewährung einer Schriftsatzfrist zu dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegten [X.]achtvertrag aus dem Jahre 1990 abgelehnt habe. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil ausweislich des [X.]rotokolls der mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2013 ein solcher Antrag nicht gestellt wurde. Der Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist nach § 173 Satz 1 VwGO [X.]. § 283 Z[X.]O gehört zu den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung, die in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind (§ 105 VwGO [X.]. § 160 Abs. 2 Z[X.]O; vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2013 - BVerwG 9 B 7.13 - juris Rn. 10 und [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2010 - [X.]/10 - juris Rn. 3 m.w.[X.]). Ist ein derartiger Antrag nicht protokolliert, so begründet das [X.]rotokoll den vollen Beweis dafür, dass er nicht gestellt wurde. Den nach § 173 VwGO [X.]. § 415 Abs. 2 Z[X.]O zulässigen Gegenbeweis einer Unvollständigkeit des [X.]rotokolls hat der Kläger nicht führen können. Sein Antrag auf entsprechende Berichtigung des [X.]rotokolls wurde durch Beschluss des [X.] vom 8. Oktober 2013 abgelehnt.

4

Davon abgesehen legt die Beschwerde nicht dar, dass sich der behauptete Verfahrensmangel nach der maßgeblichen Würdigung des [X.]achtvertrages durch das Oberverwaltungsgericht auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann. Das Gericht wertet den [X.]achtvertrag als Indiz dafür, dass die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen - und nicht eine andere Landwirtschaftliche [X.]roduktionsgenossenschaft (L[X.]G) - bei Errichtung der [X.] auf dem Flurstück des [X.] Nutzungsberechtigte war. Demgegenüber gibt die Beschwerde an, der Kläger hätte in einem nachgelassenen Schriftsatz vorgetragen, dass der [X.]achtvertrag belege, dass seine Rechtsvorgänger Eigentümer sowohl der Grundstücksfläche als auch der darauf stehenden Gebäude gewesen seien. Danach wäre es dem Kläger also nicht darum gegangen, auf überraschendes Vorbringen des Beklagten zu erwidern. Vielmehr hätte er die Vorlage des [X.]achtvertrages durch den Beklagten dazu nutzen wollen, nach Schluss der mündlichen Verhandlung erstmals Indizien vorzutragen, die seine Klage stützen. Damit wird der Anwendungsbereich der Schriftsatzfrist als Mittel zur Sicherung des rechtlichen Gehörs verfehlt.

5

b) Die Beschwerde rügt ferner als Verstoß gegen § 86 Abs. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, das Oberverwaltungsgericht hätte den Kläger auf seine Rechtsauffassung hinweisen müssen, dass ein Nutzungsrecht bereits durch faktische Überlassung des Bodens durch den Staat begründet werden konnte und nicht nur durch vertragliche Vereinbarung. Bei entsprechendem Hinweis hätte der Kläger vorgetragen, dass auch bei bloß faktischer Überlassung des Bodens ein Nutzungsrecht nur habe begründet werden können, wenn der Staat hierzu berechtigt gewesen sei. Daran habe es hier gefehlt, weil der Staat das Nutzungsrecht am Flurstück ... selbst nur aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages erworben habe und es daher nicht einer L[X.]G habe überlassen können.

6

Damit ist kein Verfahrensfehler dargetan. Es kann keine Rede davon sein, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, mit dem der Kläger nach dem bisherigen [X.] nicht zu rechnen brauchte (vgl. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 [X.] - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19; stRspr); das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nicht anwaltlich vertreten war. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der landwirtschaftliche Betrieb samt dem Flurstück ... des [X.] durch dessen Rechtsvorgänger ursprünglich dem Rat des [X.] zur Überlassung an die damalige L[X.]G "[X.]" bzw. die [X.] "[X.]" verpachtet worden sei. Die letztgenannte L[X.]G sei in den 70er Jahren im Zuge einer in der [X.] einsetzenden Spezialisierung in eine der [X.]ierproduktion - L[X.]G ([X.]) - und in eine der [X.]flanzenproduktion - L[X.]G ([X.]) - dienende L[X.]G aufgespalten worden. Nach damaliger Rechtslage seien die Nutzungsrechte der ursprünglichen L[X.]Gs auf die so neu entstandenen L[X.]Gs übergegangen. Das sei hier die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, nämlich die L[X.]G ([X.]), gewesen, der das Grundstück zur Nutzung überlassen worden sei und die deshalb gemäß § 18 L[X.]G-Gesetz 1982 berechtigt gewesen sei, die [X.] auf dem von ihr genutzten Grundstück des [X.] zu errichten mit der Folge des Erwerbs selbständigen Gebäudeeigentums nach § 27 L[X.]G-Gesetz 1982. Diese Rechtsauffassung zur Entstehung und Zuordnung des Nutzungsrechts wurde bereits von der Widerspruchsbehörde vertreten und im Widerspruchsbescheid vom 17. November 2011 näher dargelegt. Sie wurde außerdem vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren in den Schriftsätzen vom 16. Januar 2012 und vom 24. Februar 2012 nochmals im Einzelnen dargetan, der in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich die Annahme des [X.] zurückgewiesen hat, dass Nutzungsrechte auf vertraglicher Grundlage entstanden seien. Für den Kläger konnte die Bewertung des [X.] mithin nicht überraschend sein.

7

c) Ohne Erfolg bleibt die Rüge, die angefochtene Entscheidung beruhe mit Blick auf eine mit den Denkgesetzen nicht zu vereinbarende Sachverhaltswürdigung auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 VwGO (vgl. Beschluss vom 13. Februar 2012 - BVerwG 9 [X.] - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7). Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe aus den Grundmittelkarten der L[X.]G ([X.]) und deren Eröffnungsbilanz vom 1. Juli 1990 nicht auf deren Nutzungsrecht schließen dürfen. Es sei nicht möglich, von einer Sache auf ein Nutzungsrecht an dem Boden zu schließen, auf dem diese Sache gelegen sei. Die genannten Dokumente ließen vielmehr denklogisch nur den Schluss zu, dass sich die landwirtschaftlichen Gebäude im Besitz der L[X.]G ([X.]) befunden hätten bzw. von der L[X.]G ([X.]) als [X.]eil ihres Vermögens angesehen worden seien. Diese Rüge geht schon im Ansatz ins Leere. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht unmittelbar aus dem Inhalt der Grundmittelkarten und der Eröffnungsbilanz ein Nutzungsrecht der L[X.]G ([X.]) hergeleitet, sondern diesen Inhalt als Indiz dafür gewertet, dass das Flurstück ... im Rahmen der Aufteilung der Flächen der [X.] "[X.]" nicht der L[X.]G ([X.]), sondern der L[X.]G ([X.]) zur Nutzung überlassen worden sei. Erst aufgrund dieses tatsächlichen Umstandes hat das Oberverwaltungsgericht in Anwendung des § 18 L[X.]G-Gesetz 1982 den rechtlichen Schluss auf ein Nutzungsrecht der L[X.]G ([X.]) gezogen. Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass das Gericht die Dokumente nicht etwa im Wege des [X.] nach § 98 VwGO [X.]. §§ 415 ff. Z[X.]O, sondern als Indizien verwertet hat, die für die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Sachverhalts - Nutzungsüberlassung an die L[X.]G ([X.]) - sprechen. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass bei diesem "[X.]" gegen Denkgesetze verstoßen wurde.

8

2. Die Frage,

"ob der Ausschluss von Eigentümern von genossenschaftlich genutztem Boden, welche zu keinem Zeitpunkt Mitglied einer L[X.]G waren, von den Rechten ausscheidender bzw. ausgeschiedener Mitglieder einer L[X.]G nach § 44 [X.] bzw. §§ 51a [X.]. 44 [X.] einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellt",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Grundsatzrüge verfehlt den hier in Rede stehenden Streitgegenstand. Dem Rechtsstreit liegt nicht die Frage zugrunde, ob der Kläger als Rechtsnachfolger des Inhabers eines landwirtschaftlichen Betriebs, der diesen ohne Begründung eines Mitgliedschaftsverhältnisses an eine L[X.]G verpachten musste, in entsprechender Anwendung des § 44 [X.] einen Anspruch auf Abfindung geltend machen kann (verneinend [X.], Urteil vom 4. November 1994 - [X.] 11/93 - [X.]Z 127, 297 und Beschluss vom 24. November 1993 - [X.] - [X.]Z 124, 210). Vielmehr geht es um die Anordnung eines Bodenordnungsverfahrens mit dem Ziel der Zusammenführung von selbständigem Gebäudeeigentum und Eigentum an Grund und Boden nach § 64 Satz 1 [X.]. § 56 [X.]. Für diesen Fall ist geregelt, dass der Eigentümer, der sein Grundstück an den Gebäudeeigentümer abtreten muss, Anspruch auf Abfindung durch Land vom gleichen Wert oder - mit seiner Zustimmung - in Geld hat (§ 64 Satz 1 [X.]. § 58 [X.]). Davon abgesehen besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der in § 44 [X.] geregelten gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung unter den Mitgliedern einer L[X.]G, die nicht nur Sach- oder Geldleistungen eingebracht, sondern durch ihre persönliche Mitarbeit das Vermögen der L[X.]G mit erwirtschaftet haben, und der Frage einer Entschädigung von Eigentümern genossenschaftlich bewirtschafteter Grundstücke, die nicht Mitglied der L[X.]G geworden sind (vgl. [X.], Urteil vom 4. November 1994 a.a.[X.]).

Meta

9 B 54/13

06.03.2014

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 30. Mai 2013, Az: OVG 70 A 6.11, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 86 Abs 3 VwGO, § 105 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 160 Abs 2 ZPO, § 283 ZPO, § 415 Abs 2 ZPO, § 44 LAnpG, § 64 S 1 LAnpG, § 56 LAnpG, § 58 LAnpG, § 18 LPGG, § 27 LPGG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.03.2014, Az. 9 B 54/13 (REWIS RS 2014, 7314)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7314

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX S 7/10

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