Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.02.2008, Az. XII ZB 179/07

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2008, 5450

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[X.][X.]/07 vom 20. Februar 2008 in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja ZPO § 234 Abs. 3 C a) Die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO hat als Höchstfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand absoluten Charakter und verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. b) Im Hinblick darauf ist die Vorschrift allerdings nicht anwendbar, wenn die Ur-sache der Fristüberschreitung nicht in der Sphäre der [X.] liegt, sondern [X.] dem Gericht zuzurechnen ist (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - [X.] 12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479). Das ist auch dann der Fall, wenn das Rechtsmittelgericht zwar innerhalb der Jahresfrist über einen Antrag auf Be-willigung von Prozesskostenhilfe entschieden, dies dem Antragsteller aber nicht mitgeteilt hatte und der Antragsteller auch sonst keine Kenntnis von der Entscheidung erlangt hat. [X.], Beschluss vom 20. Februar 2008 - [X.] 179/07 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 20. Februar 2008 durch [X.], [X.], Prof. Dr. [X.], Dr. Ahlt und Dose beschlossen: Dem Beklagten wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin [X.] beigeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 27. August 2007 aufgehoben. Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur [X.] und Begründung der Berufung gegen das Urteil des [X.] vom 15. November 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Wert: 635 •. Gründe: [X.] Die [X.]en streiten um Ausgleichsansprüche nach gescheiterter Ehe. Mit Urteil vom 15. November 2005 hat das Amtsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 635,02 • nebst Zinsen zu zahlen. Das Urteil wurde dem [X.] am 15. Dezember 2005 zugestellt. Mit einem am (Montag) 16. Januar 2006 1 - 3 - eingegangenen [X.] begehrte der Beklagte Prozesskostenhilfe "für die beabsichtigte Berufung" und kündigte an, das "Gesuch" weiter zu begründen. Beigefügt war ein weiterer [X.] vom 16. Januar 2006, der als "Berufung" bezeichnet, vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten aber nicht unter-schrieben war. Mit [X.] vom 15. Februar 2006 beantragte der Beklagte, "die Frist zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs vom 16.01.2006 um 1 Monat bis zum 16.03.2006 zu verlängern". Nach antragsgemäßer Verlänge-rung der "Frist zur Begründung des [X.]" begründete der Beklagte "das Prozesskostenhilfegesuch" mit einem am 16. März 2006 eingegangenen [X.] vom 15. März 2006. Mit Beschluss vom 25. August 2006 wies das [X.] den Antrag des Beklagten auf Prozesskostenhilfe zurück, weil die beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Beschluss wurde am 31. Au-gust 2006 an die Klägerin, nicht aber an den Beklagten zugestellt. In der [X.] wurden die Akten weggelegt. Auf einen [X.] des Beklagten vom 20. Juni 2007 wurde ihm am 10. Juli 2007 antragsgemäß Akteneinsicht ge-währt. Dabei stellte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten fest, dass das [X.] bereits über den [X.] entschieden hatte. Mit einem am selben Tag eingegangenen [X.] vom 13. Juli 2007 beantragte der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist. Er versicherte anwaltlich, erst durch die Akteneinsicht am 10. Juli 2007 Kenntnis von der Entscheidung des [X.]s erhalten zu haben, und legte eine eidesstattliche Versiche-rung des Beklagten vor, derzufolge auch dieser bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt habe. Mit weiterem [X.] vom 23. Juli 2007, ein-gegangen am selben Tag, legte er Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil ein. Mit [X.] vom 10. August 2007 - ebenfalls eingegangen am selben Tag - begründete er seine Berufung. 2 - 4 - Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinset-zung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, weil die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht eingehalten sei. Dagegen richtet sich die Rechts-beschwerde des Beklagten. 3 I[X.] 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entschei-dung des [X.] erfordert. 4 Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ([X.] vom 9. Februar 2005 - [X.] 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.[X.] und vom 18. Juli 2007 - [X.] 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das [X.] in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfah-rensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgrün-den nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren ([X.] 88, 118, 123 ff., [X.] 151, 221, 227 m.w.[X.]). 5 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. 6 Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hatte der Beklagte die Berufung allerdings nicht bereits rechtzeitig eingelegt und begründet. Weder ist 7 - 5 - dem [X.] vom 16. Januar 2006, der dem Prozesskostenhilfegesuch bei-gefügt war, eine wirksame Berufung zu entnehmen, noch enthält der am 16. März 2006 eingegangene [X.] vom 15. März 2006 eine wirksame Berufungsbegründung. 8 a) Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein mit einem [X.] auf Bewilligung von Pro-zesskostenhilfe verbundener weiterer Antrag als zulässiges unbedingtes Rechtsmittel oder als bedingt eingelegtes und somit unzulässiges Rechtsmittel zu werten ist. Erfüllt der weitere [X.] die gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift oder eine Berufungsbegründung, kommt die Deutung, dass der [X.] nur als - durch die Bewilligung der beantragten [X.] - bedingte Berufung oder Berufungsbegründung bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - [X.] 31/07 - FamRZ 2007, 1726, 1727 und [X.] 165, 318, 320 f. = FamRZ 2006, 400). Erfüllt der eingegangene [X.] die gesetzli-chen Anforderungen an ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbegründung hingegen nicht, spricht dies im Rahmen der Auslegung eher dagegen, dass damit ein unbedingtes wegen des Formverstoßes unzulässiges Rechtsmittel eingelegt werden sollte. In solchen Fällen ist der [X.] nur dann als unbe-dingtes Rechtsmittel oder unbedingte Rechtsmittelbegründung auszulegen, wenn sich dies aus den übrigen Umständen ergibt. b) Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung des Beklagten weder rechtzeitig eingelegt noch begründet worden. 9 Gegen ein rechtzeitig eingelegtes unbedingtes Rechtsmittel spricht schon der Zusammenhang der beiden Schriftsätze vom 16. Januar 2006. Der 10 - 6 - als "Berufung" bezeichnete [X.] ist nicht unterschrieben und erfüllt damit nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Berufung ([X.] 92, 251, 255 = NJW 1985, 328, 329). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war die Unterschrift hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. insoweit [X.] Be-schluss vom 7. Juni 2006 - [X.]/05 - FamRZ 2006, 1269 f.), weil das gleichzeitig eingegangene und unterschriebene Prozesskostenhilfegesuch vom 16. Januar 2006 eindeutig dagegen spricht, dass die mit demselben Telefax übermittelte und ausdrücklich als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnete Anlage trotz fehlender Unterschrift mit dem Willen beigefügt war, sie als unbe-dingte Berufungseinlegung an das Gericht zu übermitteln. Auch wurde lediglich Prozesskostenhilfe für eine "beabsichtigte Berufung" begehrt. Im Einklang damit hat der Beklagte in der Folgezeit lediglich beantragt, "die Frist zur Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs" zu verlängern. Entsprechend hat das [X.] auch nur diese Frist bis zum 16. März 2006 verlängert. Deswegen enthält der am 16. März 2006 eingegangene [X.] vom 15. März 2006 entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch keine rechtzeitige Berufungsbe-gründung. Denn weil die Begründungsfrist nicht zugleich verlängert worden war, war sie schon am 15. Februar 2006 abgelaufen. 3. Das Berufungsgericht hat dem Beklagten allerdings zu Unrecht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. 11 a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist eine Rechtsmittel- oder -begründungsfrist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Rechtsmittelkläger innerhalb der Frist Prozesskostenhilfe beantragt hatte und auf deren Bewilligung vertrauen durfte (Senatsbeschlüsse vom 31. August 2005 - [X.] 116/05 - FamRZ 2005, 1901 f. und vom 19. Mai 2004 - [X.] ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548). Dann ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn er dies innerhalb der mit Kenntnis der Entscheidung über sein 12 - 7 - Prozesskostenhilfegesuch beginnenden Wiedereinsetzungsfrist beantragt und innerhalb der Frist auch die versäumte [X.] nachholt ([X.] vom 22. Juni 2005 - [X.] 34/04 - NJW-RR 2005, 1586 und vom 31. Januar 2007 - [X.] 207/06 - FamRZ 2007, 801, 802). 13 Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn der Kläger, der innerhalb der Berufungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt hatte, hat erst infolge seines Akteneinsichtsgesuchs am 10. Juli 2007 Kenntnis von der Entscheidung über dieses Gesuch erhalten. Bereits am 13. Juli 2007 hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und jeweils fristgerecht am 23. Juli 2007 die Beru-fung eingelegt und sie am 10. August 2007 begründet (vgl. §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO). b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht entgegen. 14 Nach ständiger Rechtsprechung hat diese Vorschrift nach ihrer Entste-hungsgeschichte zwar absoluten Charakter und verfolgt den Zweck, eine unan-gemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Im Hinblick auf diesen Zweck ist die Vorschrift aber ausnahmsweise dann nicht anwendbar, wenn die Überschreitung der Frist nicht in der Sphäre der [X.] lag, sondern allein dem Gericht zuzurechnen ist, z.B. wenn das Berufungsgericht innerhalb der Jahresfrist nicht über das [X.] entschieden hat ([X.] Beschluss vom 12. Juni 1973 - [X.]/73 - [X.] 1978, 152; vgl. auch [X.] NJW 1982, 1664). Liegt also die für die Versäumung der Jahresfrist ausschlaggebende Ursache allein beim Gericht, steht der Ablauf der Jahresfrist einer Wiedereinsetzung nicht entgegen 15 - 8 - (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - [X.] 12/03 - FamRZ 2004, 1478, 1479). 16 So liegt der Fall auch hier. Weil das Berufungsgericht die Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe zwar der Klägerin, nicht aber dem Beklagten als Antragsteller mitgeteilt hatte, hatte dieser keine Kenntnis hiervon und durfte weiter auf eine Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe vertrauen. Denn insoweit macht es keinen Unterschied, ob das Rechtsmittelgericht einen bereits ergangenen Beschluss nicht mitgeteilt oder über den Antrag auf [X.] noch nicht entschieden hat (vgl. insoweit [X.] Beschluss vom 12. Juni 1973 - [X.]/73 - [X.] 1978, 152). Auch wenn eine Entscheidung ergan-gen, diese dem Antragsteller aber nicht bekannt ist, kann es kein Mitverschul-den des Antragstellers begründen, dass er sich innerhalb der Jahresfrist nicht erkundigt hat, ob inzwischen eine Entscheidung ergangen sei. Denn mangels entgegenstehender Anhaltspunkte durfte er davon ausgehen, dass über seinen Antrag noch nicht entschieden sei. 4. Weil dem Beklagten schon wegen der schuldlosen Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, kommt es nicht darauf an, ob der angefochtene Beschluss, der sich auch im Rahmen der [X.] des § 234 Abs. 3 ZPO nicht mit der beantragten Prozesskostenhilfe 17 - 9 - auseinandersetzt, überhaupt hinreichend begründet war und schon deshalb keinen Bestand haben kann. [X.] [X.] [X.] Ahlt Dose
Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 15.11.2005 - 315a [X.] - [X.], Entscheidung vom 27.08.2007 - 309 S 43/06 -

Meta

XII ZB 179/07

20.02.2008

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.02.2008, Az. XII ZB 179/07 (REWIS RS 2008, 5450)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 5450

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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