Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.03.2013, Az. 1 BvR 2635/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 7289

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung verwaltungsgerichtlicher Klagen, mit denen die Verhängung von in drei Verfassungsbeschwerdeverfahren festgesetzten Missbrauchsgebühren überprüft werden sollte – zum Mitwirkungsverbot wegen Vorbefassung in derselben Sache iSv § 18 Abs 1 Nr 2 BVerfGG


Leitsatz

1. Die Mitwirkung an einer unanfechtbaren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (hier: Festsetzung einer Missbrauchsgebühr) führt nicht zu einem gesetzlichen Mitwirkungsausschluss wegen richterlicher Vorbefassung, wenn die Entscheidung folglich unzulässig vor einem Fachgericht angefochten worden ist und gegen dessen Prozessentscheidung anschließend Verfassungsbeschwerde erhoben wird.

Tenor

1. [X.] und [X.] sowie die Richterin [X.] sind von der Ausübung ihres Richteramtes in dieser Sache nicht ausgeschlossen.

2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, die seine dort erhobenen Klagen gegen die Festsetzung von [X.]en durch eine Kammer des [X.]als unzulässig erachtet haben. Damit stellt sich die Frage, ob die drei Mitglieder des Senats, die in der dazu damals berufenen Kammer die Nichtannahmeentscheidung sowie die Entscheidung über die [X.]en getroffen haben, von der Mitwirkung an der Entscheidung über die nunmehrige Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen sind.

I.

2

Die [X.] des [X.] hat unter Mitwirkung [X.] und [X.] sowie der [X.]in [X.] in drei Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen den als Bevollmächtigten für seine Mandanten tätigen Beschwerdeführer im Rahmen von [X.] gemäß § 34 Abs. 2 [X.] [X.]en in Höhe von 250 € (1 BvR 2805/10), von 500 € (1 BvR 824/11) sowie von 1.000 € (1 [X.]1127/11) festgesetzt. Dagegen wandte sich der Beschwerdeführer mit Klagen vor dem Verwaltungsgericht. Dieses wies seine Klagen als unzulässig ab, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei. Es handele sich nicht um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Vielmehr gehe es um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Die Entscheidung von [X.] sei erst- wie letztinstanzlich dem [X.] vorbehalten. Die Verwaltungsgerichte könnten Entscheidungen über [X.] nicht überprüfen oder gar aufheben. Die dagegen vom Beschwerdeführer gestellten Anträge auf Zulassung der Berufung hatten beim [X.]hof keinen Erfolg. Auch die vom Beschwerdeführer dort beanstandeten Verfahrensmängel wurden für nicht durchgreifend erachtet.

II.

3

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des [X.] und des [X.]hofs; er hält die Rechtsgrundlage für die [X.] und deren Festsetzung gegen ihn für verfassungswidrig.

III.

4

[X.] und [X.] sowie die [X.]in [X.] sind von der Mitwirkung an der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht ausgeschlossen. Das gilt auch für die Entscheidung über ihre [X.] selbst (§ 18 Abs. 1 [X.]).

5

1. Der Senat hat von Amts wegen über seine ordnungsgemäße Besetzung zu befinden. Das schließt die Entscheidung über einen kraft Gesetzes greifenden Mitwirkungsausschluss nach § 18 [X.] ein (vgl. [X.] 65, 152 <154>; 89, 359 <362>). Die Frage, ob die Mitwirkung an der Festsetzung einer [X.] in einem früheren Verfassungsbeschwerdeverfahren, die unzulässigerweise vor den Verwaltungsgerichten angefochten wird, bei einer Verfassungsbeschwerde gegen diese verwaltungsgerichtliche Entscheidung zum Ausschluss des [X.]s wegen einer vorangegangenen Tätigkeit "in derselben Sache" (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) führt, ist bislang noch nicht entschieden.

6

2. Ein Mitwirkungsausschluss folgt aus der Beteiligung einer [X.]in oder eines [X.]s an der Sache ([ref=[X.]-4b3a-8674-0d8b5cd8927f]§ 18 Abs. 1 Nr. 1 [X.][/ref]) oder aus einer vorangegangenen Tätigkeit in derselben Sache (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Die Ausschlussregelung ist als Ausnahmetatbestand konstruiert und deshalb eng auszulegen. Das Tatbestandsmerkmal "derselben Sache" in [[X.]-48e9-92eb-29ba40980084]§ 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.][/ref] ist stets in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinne zu verstehen. Zu einem Ausschluss kann deshalb regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen (vgl. [X.] 47, 105 <108>; 72, 278 <288>; 78, 331 <336>; 82, 20 <35 f.>; 109, 130 <131>).

7

Eine richterliche Vorbefassung mit einer Sache führt nur dann zum Ausschluss, wenn sie in einem früheren Rechtszug erfolgt ist und eine Mitwirkung an der aktuell mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hat. So ist etwa im fachrechtlichen Verfahren anerkannt, dass [X.] in der Sache dann nicht ausgeschlossen ist, wenn er ein Versäumnisurteil in derselben Instanz erlassen oder an einer zurückverweisenden Rechtsmittelentscheidung mitgewirkt hat. [X.] wirkt nur eine richterliche Tätigkeit, die im Ausgangsverfahren erfolgte und die Gegenstand der anstehenden verfassungsrichterlichen Überprüfung ist (vgl. [X.] 78, 331 <337 f.>).

8

Entsprechend ist - zumindest in verfassungsgerichtlichen Verfahren - auch eine Mitwirkung an solchen Entscheidungen nicht mehr eine Tätigkeit in derselben Sache, die endgültig ein Verfahren abschließen und gegen die unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Rechtsmittel gegeben sind. Werden gegen solche Entscheidungen dennoch Rechtsbehelfe eingelegt, gilt für die hierüber zu treffenden Entscheidungen und die hierbei durchzuführenden Verfahren auch kein Mitwirkungsausschluss. Durch den Schlusspunkt einer endgültig abschließenden Entscheidung soll ein Regress ad infinitum abgeschnitten werden. Dieser Regress ad infinitum ist auch nicht in der Form möglich, dass gegen abschließende Entscheidungen des [X.]s entgegen dem Prozessrecht Rechtsbehelfe bei anderen Gerichten eingelegt werden, um gegen diese dann unter Mitwirkungsausschluss der zuvor befassten [X.]innen und [X.] eine neue Entscheidung des [X.]s herbeizuführen.

9

3. Bei den [X.] einer Kammer des [X.]s, in denen die vom Beschwerdeführer bekämpften [X.]en festgesetzt worden sind, und die dem Ausgangsverfahren vor den Verwaltungsgerichten vorgelagert waren, handelt es sich nicht um "dieselbe Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.].

Gegen Entscheidungen des [X.]s ist fachgerichtlicher Rechtschutz ausgeschlossen. Auch eine etwa durch den Senat festgesetzte [X.] ist vor den Fachgerichten nicht anfechtbar. Für stattgebende oder nichtannehmende Entscheidungen der Kammer statuiert das Gesetz ebenfalls deren Unanfechtbarkeit (§ 93d Abs. 1 Satz 2 [X.]) und stellt damit klar, dass richterlicher Rechtsschutz gegen eine solche Entscheidung im Rahmen der nationalen Rechtsordnung nicht mehr gegeben ist. Die Regelung zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung der Kammer in § 93d Abs. 1 Satz 2 [X.] bezieht sich ausdrücklich zwar nur auf ihre Nichtannahme- und Stattgabebefugnis nach §§ 93b, 93c [X.]. Da den Kammern aber auch die [X.]enkompetenz zukommt, die nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 [X.] uneingeschränkt für die Verfassungsbeschwerde gilt, erfasst die Unanfechtbarkeit auch den Ausspruch über die [X.]. Somit kann die Entscheidung über die [X.] nicht Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sein. Eine Vorbefassung "mit derselben Sache" im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] in einem weiteren Verfahren ist damit von vornherein ausgeschlossen.

Aus den angeführten Gründen scheidet auch die Annahme eines Mitwirkungsausschlusses unter dem Gesichtspunkt einer Beteiligung an der Sache im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aus.

4. [X.] und [X.] sowie die [X.]in [X.] sind damit an der Mitwirkung bei der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht gehindert. Sie können darüber hinaus an der Entscheidung über die Frage des [X.]selbst mitwirken. Das folgt daraus, dass die wegen nicht gegebenen Rechtsweges offensichtlich unzulässigen Klagen zum Verwaltungsgericht in Ansehung der unanfechtbar abgeschlossenen vorgelagerten Verfahren völlig eigenständige, neue [X.] bilden und von vornherein nicht geeignet sind, einen Mitwirkungsausschluss zu begründen (vgl. ähnlich zur Handhabung bei offensichtlich unzulässigen Ablehnungsgesuchen nach § 19 [X.], die für unbeachtlich gehalten werden: [X.] 11, 1 <3>; [X.], [X.], S. 547 <551>).

IV.

Im Übrigen liegen Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a [X.]). Die Möglichkeit einer Verletzung verfassungsmäßiger Rechte des Beschwerdeführers durch die Entscheidungen über die Unzulässigkeit seiner Klagen und die zugrunde liegenden Verfahren ist auf der Grundlage seines Vorbringens nicht erkennbar (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]). Auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Verfassungsbeschwerde und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt es deshalb nicht mehr an.

Meta

1 BvR 2635/12

19.03.2013

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 10. Oktober 2012, Az: 1 S 265/12, Beschluss

§ 18 Abs 1 Nr 2 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.03.2013, Az. 1 BvR 2635/12 (REWIS RS 2013, 7289)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7289 BVerfGE 133, 163-168 REWIS RS 2013, 7289

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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