Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.10.2011, Az. B 9 SB 23/11 B

9. Senat | REWIS RS 2011, 2635

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Terminsladung - Verlegungsantrag - erheblicher Grund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 28. Februar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger beansprucht die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

2

Den vom Kläger im Dezember 2007 gestellten [X.] lehnte der beklagte [X.] durch Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2008 ab. Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) [X.] nach Einholung eines orthopädischen und eines psychiatrischen Gutachtens den Beklagten entsprechend dessen vom Kläger nicht angenommenen Vergleichsangebot durch Gerichtsbescheid vom 21.7.2009 verurteilt, den GdB ab Dezember 2007 mit 40 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen.

3

Das vom Kläger angerufene [X.] ([X.]) hat ein (weiteres) orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. L. vom [X.] eingeholt, der den GdB ebenfalls auf 40 einschätzte. Mit Verfügung vom [X.] hat das [X.] Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf Montag, 2[X.], 10.00 Uhr. Der Kläger hat am [X.] unter Vorlage der ersten Seite eines vorläufigen [X.] der Medizinischen Klinik 3 des [X.] vom [X.] über die dortige Behandlung des [X.] vom 15.6. bis 25.6.2010 (Diagnose: [X.] im Mittellappen, Poststenotische Pneumonie, Verdacht auf [X.] im mittleren Bereich der dorsalen [X.] rechts) die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Er sei am 2[X.] unabkömmlich, weil sein "Termin", den er vor ca drei Monaten bekommen habe, vom 16.2. bis 5.3.2011 sei. Der Senatsvorsitzende des [X.] hat dem Kläger sodann unter dem [X.] mitgeteilt, "dass der Sitzungstermin nicht verlegt werden kann". Dieses Schreiben hat der Kläger dem [X.] jeweils per Fax am 10. und 11.2.2011 mit unterschiedlichen Anmerkungen zurückgesandt. In der öffentlichen Sitzung des [X.] am 2[X.] ist für den Kläger niemand erschienen. Das [X.] hat aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung die Berufung des [X.] gegen den Gerichtsbescheid des SG [X.] vom 21.7.2009 zurückgewiesen.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil hat der Kläger beim [X.] ([X.]) Beschwerde erhoben, die er mit dem Vorliegen eines [X.] begründet. Das [X.] habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es seinen Terminverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des [X.] vom 2[X.] ist unter Verstoß gegen das Recht des [X.] auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) ergangen, weil das [X.] den im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 227 ZPO verletzt hat. Das [X.] war verpflichtet, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 2[X.] wegen eines erheblichen Grundes, nämlich der krankheitsbedingten Verhinderung des [X.], zu verlegen. Dieser vom Kläger schlüssig gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Er führt gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 [X.] SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

Der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 SGG) gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Liegt ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor und wird diese ordnungsgemäß beantragt, begründet dies grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (vgl [X.]-1750 § 227 [X.]; [X.] Urteil vom [X.] - B 6 [X.]/98 R - USK 99111 [X.]; [X.] Urteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr 11; [X.] Beschluss vom 7.7.2011 - [X.] [X.]/11 B - juris RdNr 7). Bei einem unvertretenen Beteiligten reicht es aus, wenn dieser entsprechend verhindert ist und seinen Willen zum Ausdruck bringt, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen (vgl [X.] Urteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr 11). Ausnahmsweise kann allerdings ein [X.] dann anders zu beurteilen sein, wenn offenkundig Verschleppungsabsicht besteht (vgl [X.] Urteil vom [X.] - B 6 [X.]/98 R - USK 99111 [X.]; [X.], 1353, 1354; [X.] Beschluss vom [X.] - B 13 R 561/09 B - juris RdNr 12; [X.] Beschluss vom 7.7.2011 - [X.] [X.]/11 B - juris RdNr 9).

7

Der Kläger hatte mit seinem unverzüglich nach Erhalt der Terminsladung gestellten [X.] einen erheblichen Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO, nämlich seine auch am [X.] stattfindende Krankenhausbehandlung, geltend gemacht. Zwar hatte er lediglich einen ärztlichen Bericht über seine Behandlung im Juni 2010 nicht jedoch eine entsprechende Bestätigung zu der bevorstehenden stationären Behandlung vom 16.2. bis 5.3.2011 ("Termin") vorgelegt. Sofern das [X.] hierzu Zweifel an den Angaben des [X.] gehabt haben sollte, hätte es indes gezielt nachfragen und den Kläger zur Vorlage von auf die bevorstehende Behandlung bezogenen Unterlagen auffordern müssen. Die an den Kläger ergangene Mitteilung des Senatsvorsitzenden vom [X.], dass der Termin nicht verlegt werden könne, lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen diese Entscheidung getroffen worden ist; insbesondere nicht, ob das [X.] den angegebenen Grund als glaubhaft angesehen hat oder nicht. Da eine Verschleppungsabsicht des [X.] nicht erkennbar ist, muss insgesamt davon ausgegangen werden, dass das [X.] im Hinblick auf die beantragte Terminverlegung den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt hat.

8

Soweit sich der Kläger nach Erhalt der gerichtlichen Mitteilung vom [X.] am 10. und am 11.2.2011 per Fax erneut an das [X.] gewandt hat, lassen diese Mitteilungen nicht erkennen, dass er sich mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 2[X.] abgefunden und seinen Terminverlegungsantrag nicht weiter verfolgt haben könnte. Der Kläger hatte als vor dem [X.] nicht rechtskundig vertretener Beteiligter mit seinem Terminverlegungsantrag hinreichend deutlich gemacht, dass er an einer mündlichen Verhandlung in seiner Sache teilnehmen wolle. Den danach gegebenen Hinweisen auf eine Rücksprache mit dem [X.] und einer "Info zum Nachdenken" ist demgegenüber nicht zu entnehmen, dass er diesen Wunsch zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung aufgegeben habe.

9

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren dürfte das [X.] im Übrigen zu prüfen haben, ob angesichts des vom Kläger vorgelegten vorläufigen [X.] des [X.] vom [X.] eine Aufklärung des Sachverhalts in internistisch-lungenärztlicher Hinsicht geboten ist.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 9 SB 23/11 B

06.10.2011

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Bayreuth, 21. Juli 2009, Az: S 12 SB 261/08, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 227 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 06.10.2011, Az. B 9 SB 23/11 B (REWIS RS 2011, 2635)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2635

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