Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.03.2016, Az. 1 B 29/16

1. Senat | REWIS RS 2016, 14004

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Übersiedlungswillen bei Aufnahmeverfahren


Gründe

1

1. Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2

2. Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

3

2.1 Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

4

Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. April 2014 - 1 [X.] 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 [X.] 7.15 - juris).

5

a) Die [X.]eschwerde sieht zunächst rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf für die folgenden Fragen:

"Ist bei der [X.]eurteilung des zeitlichen Zusammenhangs der [X.]etätigung des [X.] durch Stellung eines Aufnahmeantrages als Willensbekundung, als [X.] unter [X.] zu leben, dann, wenn ein Antrag noch vor der Aussiedlung gestellt und abgelehnt wurde, und ein Wiederaufgreifen dieses Verfahrens betrieben wird, auf den Zeitpunkt der Stellung des ersten Antrages oder auf den Zeitpunkt des Antrages auf Wiederaufgreifen und Rücknahme des ablehnenden [X.]escheides auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß § 15 Abs.1 Satz 1, Satz 2 [X.]VFG abzustellen."

und

„ob ein einmal geäußerter Wille durch Stellung eines Antrages, der vor der Wohnsitznahme in [X.] geäußert worden ist, nach der Wohnsitznahme aufgrund eines Härtefalles erneut geäußert werden muss und ob dieser einmal geäußerte Wille dann, wenn der Aufnahmebescheid abgelehnt wurde und ein Wiederaufgreifensantrag, der erfolgreich sein könnte, gestellt worden ist, unberücksichtigt bleibt.“

6

Dies rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn durch die Urteile des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2012 - 5 [X.] 23.11 - ([X.]VerwGE 145, 248) und vom 6. November 2014 - 1 [X.] 12.14 - ([X.]uchholz 412.3 § 27 [X.]VFG Nr. 19) sind die aufgeworfenen Fragen bereits grundsätzlich geklärt. Nach diesen Urteilen muss der Spätaussiedlerwille im zeitlichen Zusammenhang mit dem Verlassen des Aussiedlungsgebiets betätigt werden, so dass es rechtlich weder auf den Zeitpunkt der Antragstellung vor Aussiedlung noch auf den Zeitpunkt der Stellung des [X.] ankommt, soweit nicht einer dieser Anträge zeitnah zur Aussiedlung gestellt wird (vgl. hierzu auch: [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 4. März 2016 - 1 [X.] 31.16 - Rn. 6).

7

b) Soweit die Klägerin auch folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig ansieht,

"ob ein [X.] [X.], der als [X.] Staatsangehöriger vor den Nationalsozialisten geflohen ist und in der [X.] bis zu seiner Rückkehr gegen seinen Willen festgehalten worden ist, [X.] Volkszugehöriger im Sinne des [X.]VFG ist und damit als Spätaussiedler anerkannt werden kann,"

führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision. Die Klägerin hat insoweit bereits nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt, inwiefern die Klärung dieser Frage für die Entscheidung in der Sache erheblich ist. Denn die Rechtsfrage war nicht Teil der tragenden [X.]egründung des angefochtenen [X.]eschlusses, das maßgeblich darauf abgestellt hat, dass der Spätaussiedlerwille nicht zeitnah zur Aussiedlung betätigt wurde.

8

2.2 Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz liegt ebenfalls nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

9

Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung der Klägerin divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt werden und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das [X.]undesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten [X.]undesgerichte oder das [X.]undesverfassungsgericht in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 8. Dezember 2005 - 1 [X.] 37.05 - juris und vom 27. Oktober 2015 - 1 [X.] 1.15 - juris). Den oben dargelegten Anforderungen genügt das [X.]eschwerdevorbringen nicht. Vielmehr wird lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt, die eine Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen vermag.

2.3 Schließlich beruht der angefochtene [X.]eschluss auch nicht auf den behaupteten [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

a) Das [X.]erufungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der [X.]eteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 1. Februar 1978 - 1 [X.]vR 426/77 - [X.]VerfGE 47, 182 <187>; [X.]VerwG, Urteil vom 29. November 1985 - 9 [X.] 49.85 - [X.]uchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177). Die Gerichte dürfen ein Vorbringen außer [X.]etracht lassen, das nach ihrem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen hat als auch in seine Erwägungen mit einbezogen hat, so dass nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs angenommen werden kann ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 16. Oktober 2012 - 8 [X.] 34.12 - juris m.w.N.). Derartige Anhaltspunkte bestehen im vorliegenden Fall nicht. Das [X.]erufungsgericht konnte den Vortrag der Klägerin, sie habe bereits mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 30. Juni 1997 einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gestellt und das Verfahren sei bereits aufgrund dieses Antrags wiederaufgegriffen worden, schon deswegen unberücksichtigt lassen, weil es sich insoweit um offensichtlich unsubstantiierten Vortrag handelt. Denn dem Schreiben der Klägerin vom 30. Juni 1997 ([X.]l. 103 f. [X.]ehördenakte) lässt sich bereits nicht entnehmen, dass ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG gestellt wurde. Mit diesem Schreiben hatte die Klägerin lediglich den Empfang des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 1997 bestätigt und die Richtigkeit der darin enthaltenen Ausführungen bestritten. Ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wäre zu diesem Zeitpunkt auch unzulässig gewesen, da der in Frage stehende Verwaltungsakt, der [X.]escheid vom 30. Januar 1997, zu diesem Zeitpunkt noch nicht unanfechtbar war.

b) Ohne Erfolg rügt die Klägerin des Weiteren, dass das [X.]erufungsgericht einen [X.]eweisantrag, der zum [X.]eweis der Tatsache gestellt worden sei, dass die Klägerin selbst bzw. ihr Vater ihren Spätaussiedlerwillen nach außen hin durch Stellung mehrerer Anträge und Eingaben betätigt habe, [X.] abgelehnt habe.

Die Ablehnung des [X.]eweisantrags durch das [X.]erufungsgericht stellt bereits deshalb keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, weil im Rahmen einer Verfahrensrüge von der materiellen Rechtsauffassung des Tatsachengerichts auszugehen ist. Das [X.]erufungsgericht hat aber den [X.]eweisantrag mit der [X.]egründung abgelehnt, dass es auf die von der Klägerin beantragte Zeugenvernehmung rechtlich nicht ankomme. Denn die Klägerin habe nicht behauptet, dass sie ihren Spätaussiedlerwillen bei der Ausreise oder in zeitlichem Zusammenhang hierzu betätigt habe.

c) Auch der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO liegt nicht vor.

Die Klägerin ist der Auffassung, das [X.]erufungsgericht verstoße gegen die Denkgesetze, indem es einerseits vom Wiederaufgreifen des Verfahrens ausgehe und andererseits die [X.]estandskraft der [X.]escheide vom 30. Januar 1997 und 23. Juni 1997, die im wiederaufgegriffenen Verfahren ergangen seien, der Klägerin entgegenhalte.

Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt als solcher nicht zur Revision, sondern nur dann, wenn die allgemeinen Voraussetzungen einer Revision auch im Übrigen erfüllt sind (Kopp/[X.], VwGO, 21. Aufl. 2015, § 132 Rn. 11). Um als Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erheblich sein zu können, kommt eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO indes nur in [X.]etracht, wenn ein Mangel im Tatsachenbereich gesehen wird. Die Klägerin wendet sich jedoch nicht gegen die tatsächliche Grundlage für die innere Überzeugung des Gerichts, sondern gegen die rechtliche Würdigung der vorgenommenen Tatsachenfeststellungen, indem sie unter nicht zutreffender Wiedergabe des angegriffenen [X.]eschlusses rügt, das [X.]erufungsgericht sei einerseits vom Wiederaufgreifen des Verfahrens ausgegangen, habe aber andererseits der Klägerin die [X.]estandskraft der ergangenen [X.]escheide entgegengehalten; die hierauf bezogenen Ausführungen vernachlässigen zudem die vom [X.]erufungsgericht berücksichtigte Tatsache einer zwischenzeitlichen Ausreise und die hieran anknüpfenden materiellrechtlichen Erwägungen des [X.]erufungsgerichts.

3. Von einer weitergehenden [X.]egründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

1 B 29/16

23.03.2016

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. Dezember 2015, Az: 11 A 1296/14, Beschluss

§ 27 Abs 1 S 2 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.03.2016, Az. 1 B 29/16 (REWIS RS 2016, 14004)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14004

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