Bundessozialgericht, Urteil vom 20.01.2016, Az. B 14 AS 15/15 R

14. Senat | REWIS RS 2016, 17424

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - Unionsbürger - Nichtvorliegen eines materiellen Freizügigkeits- bzw Aufenthaltsrechts - Sozialhilfeanspruch im Wege der Ermessensentscheidung - Systemabgrenzung - verfassungskonforme Auslegung


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 19. März 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für einen Unionsbürger vom [X.] bis zum [X.].

2

Der 1978 geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger und lebte seit Anfang 2011 in [X.] zunächst von seinem Ersparten, ohne erwerbstätig zu sein. Schließlich besuchte er bis zum [X.] [X.] des [X.] zur Vermittlung in den Arbeitsmarkt, seine zahlreichen Bewerbungen waren aber erfolglos, zumal er kein [X.] sprach. Seinen Leistungsantrag lehnte das beklagte Jobcenter ab, weil er gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] von Leistungen ausgeschlossen sei und sich aufgrund des von [X.] erklärten Vorbehalts auch nicht auf das [X.] Fürsorgeabkommen ([X.]) berufen könne (Bescheid vom 30.9.2013, Widerspruchsbescheid vom 6.11.2013). Am 22.3.2014 verzog der Kläger zur Arbeitsaufnahme nach Schweden.

3

Das [X.] hat den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide verurteilt, dem Kläger Leistungen vom [X.] bis zum [X.] zu gewähren (Urteil vom [X.]). Das L[X.] hat auf die Berufung des Beklagten dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 19.3.2015). Der Kläger habe ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche gehabt und sei demgemäß von Leistungen des [X.]B II nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] ausgeschlossen. Dem stehe [X.] nicht entgegen. Auch aus dem [X.] folge aufgrund der Wirksamkeit des Vorbehalts kein Anspruch.

4

Mit seiner vom L[X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.], weil er mangels begründeter Aussicht auf eine Anstellung nicht als arbeitsuchend einzustufen sei und die Vorschrift nicht mittels eines "[X.]" erweiternd auszulegen sei. Zudem lägen Verstöße gegen das [X.] und das [X.] vor, weil er Ansprüche auf existenzsichernde Leistungen habe - zumindest nach dem [X.]B XII.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 19. März 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 8. Mai 2014 zurückzuweisen.

6

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Auf die zulässige Revision des [X.] ist das Urteil des [X.] vom 19.3.2015 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Zutreffend hat zwar das [X.] entschieden, dass der Kläger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ausgeschlossen ist. In Betracht kommen aber Leistungen der Sozialhilfe, über die der Senat mangels Beiladung des Sozialhilfeträgers und ausreichender Feststellungen nicht abschließend entscheiden kann.

8

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des [X.] vom 19.3.2015 und des [X.] vom 8.5.2014 sowie der Bescheid des Beklagten vom 30.9.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.11.2013, soweit der Beklagte vom [X.] verurteilt worden ist, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom [X.] bis zum [X.] zu gewähren, was der Kläger wiederherzustellen begehrt, hilfsweise unter Verurteilung des Sozialhilfeträgers.

9

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der vom Kläger hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

3. Rechtsgrundlage der dem Kläger vom [X.] zugesprochenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die [X.] ist neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff [X.] insbesondere § 7 [X.] über die [X.] dem Grunde nach.

Der Kläger erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] (dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] (dazu 5. und 6.). Dem stehen nicht das [X.] (dazu 7.), das Recht der [X.] ([X.]) (dazu 8.) oder das [X.] (dazu 9.) entgegen. Für den Kläger kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des [X.] zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die von dem Kläger hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] erfüllte der 1978 geborene Kläger in der strittigen [X.] vom [X.] bis zum [X.] nach den Feststellungen des [X.].

Er war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 [X.] und die fehlende [X.] Staatsangehörigkeit stand seiner Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 [X.] nicht entgegen, weil für ihn als [X.] Staatsangehöriger die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht (B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3 ff), worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 [X.] hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis [X.]" nach § 284 [X.]I - Arbeitsförderung - kommt es in solchen Fällen nicht an.

Der Kläger war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff [X.], weil er selbst in der strittigen [X.] über kein zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte.

Der Kläger hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 [X.]B I), weil er dort nicht nur vorübergehend, sondern bis zu seiner Ausreise zukunftsoffen verweilte (vgl nur B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]8 ff mwN).

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] ist auf den Kläger anzuwenden, weil er sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] und ohne [X.] nach dem [X.] - nach [X.] Ausländerinnen und Ausländer, die in [X.] keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach [X.] 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach [X.] 3 Leistungsberechtigte nach dem [X.], wobei diese letzte Variante bei dem Kläger von vornherein ausscheidet.

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der [X.], die keine [X.] Staatsangehörigkeit besitzen ([X.]-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen. Der erkennende 14. Senat hat sich dem 4. Senat angeschlossen, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des [X.], seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.]9 ff; B[X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.]). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits [X.]-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem [X.], die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber [X.]-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in [X.] aufhalten, Leistungen nach dem [X.] zu erbringen sind.

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem [X.] entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem [X.]/[X.] nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum [X.]/[X.] in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 [X.]/[X.] mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem [X.]/[X.] zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für [X.]-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach [X.] ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 [X.]/[X.]). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines [X.]-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 [X.]/[X.] in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 [X.]/[X.] bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 [X.]/[X.] festgestellt hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] mwN).

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss - sei er, wie das [X.] angenommen hat, im streitbefangenen [X.]raum [X.] iS von § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.] gewesen oder nicht (dazu näher unter 10. c) - umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] kann sich der Kläger für diese [X.] nicht berufen.

a) [X.] als Arbeitnehmer oder als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 [X.] oder 2 [X.]/[X.] scheidet mangels dahingehender Aktivitäten des [X.] aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder selbstständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.]. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 [X.]/[X.] nach der [X.] 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie [X.] 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehöriger nach § 2 Abs 2 [X.] 6, § 3 [X.]/[X.] sind den Feststellungen des [X.] nicht zu entnehmen. Aufgrund seiner Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] 3 [X.] scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung des [X.] als nicht Erwerbstätiger nach § 2 Abs 2 [X.] 5, § 4 [X.]/[X.] aus.

b) Ein Aufenthaltsrecht des [X.] nach dem [X.], insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 [X.]/[X.], ist nach den Feststellungen des [X.] ebenfalls nicht ersichtlich.

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] steht dem Leistungsausschluss des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] nicht entgegen, weil sich der Kläger - bezogen auf die [X.]-Leistungen - nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] berufen kann (vgl zum [X.] das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, [X.] 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des [X.] bei einem [X.] Staatsangehörigen: B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.] 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.], Rd[X.]8 ff; B[X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], Rd[X.] 33 f).

8. Mit [X.]-Recht ist dieser Leistungsausschluss des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des [X.] vom 11.11.2014 ([X.]/13 - [X.], NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 ([X.]/14 - [X.], [X.]b 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn [X.] und Sozialgeld nach dem [X.] als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO [X.] 883/2004/[X.] und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 [X.] 2004/38/[X.] eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b [X.] 2004/38/[X.] und Art 4 VO [X.] 883/2004/[X.] der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der [X.] 2004/38/[X.] zusteht ([X.] Urteil vom 11.11.2014, aaO, Rd[X.] 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer [X.]-Staaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach [X.] eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist ([X.] Urteil vom 15.9.2015, aaO, Rd[X.] 63).

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 [X.] iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 [X.] vereinbar, weil für den Kläger Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem [X.]B XII in Betracht kommen (dazu nunmehr 10.).

10. a) Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.]B XII erfüllte der Kläger nach den Feststellungen des [X.] zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 [X.]B XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 39 mwN).

b) Der Kläger war auch nicht nach § 21 [X.]B XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen [X.] und [X.]B XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 40 ff; B[X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], Rd[X.] 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 [X.] korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 [X.]B XII sind nach dem [X.] "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des [X.] von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem [X.]B XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das [X.]B XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 [X.]B XII, der § 7 Abs 5 und 6 [X.] entspricht, oder durch § 23 Abs 2 [X.]B XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] 3 [X.] entspricht).

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 [X.]B XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem [X.] eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.], BT-Drucks 15/1514 [X.]), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des [X.] und des [X.]B XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

c) Da die Bundesregierung bezogen auf die Vorschriften der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.]B XII keinen Vorbehalt erklärt hat, sind dem Kläger Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer Gleichbehandlung mit inländischen Staatsangehörigen zu erbringen, soweit die Anwendungsvoraussetzungen nach dem [X.] vorliegen; in diesem Fall findet die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII keine Anwendung (vgl zum [X.]: B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 ff = [X.]-4200 § 7 [X.] 21, Rd[X.] 23 ff; vgl zum Gleichbehandlungsanspruch: BVerwG Urteil vom [X.] - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201; BVerwG Urteil vom 14.3.1985 - 5 [X.]/83 - BVerwGE 71, 139, 142; vgl zur Anwendbarkeit des Art 1 [X.] im [X.]B XII und zur Reichweite des erklärten Vorbehalts: Urteil des B[X.] vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.] vorgesehen, Rd[X.] 24 mwN; Urteil des B[X.] vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/13 R - juris Rd[X.] 20 mwN).

Als Grundlage des für die Gleichstellung mit [X.]n Staatsangehörigen nach Art 1 [X.] vorausgesetzten erlaubten Aufenthalts des [X.] im [X.] in Betracht kommt hier, nachdem die Dokumentation eines sich unmittelbar aus Unionsrecht ergebenden Aufenthaltsrechts (vgl Dienelt in [X.]/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 [X.]/[X.] Rd[X.] 9) mit der Streichung der Bescheinigung nach § 5 Abs 1 [X.]/[X.] mit Wirkung ab 29.1.2013 durch das [X.]/[X.]2004uaÄndG ersatzlos entfallen ist, die materielle Freizügigkeitsberechtigung als [X.] iS von § 2 Abs 2 Satz 1 [X.]a [X.]/[X.] (vgl dazu im Einzelnen B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/13 R - juris Rd[X.] 21 ff mwN). [X.] freizügigkeitsberechtigt sind danach Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Sollte im Sinne dessen, was den Feststellungen des [X.] nicht sicher zu entnehmen ist, die Spanne von bis zu sechs Monaten tatsächlicher Arbeitsuche im hier streitbefangenen [X.]raum bereits ganz oder teilweise abgelaufen gewesen sein, so war der Kläger nach diesen Voraussetzungen nur noch solange weiterhin freizügigkeitsrechtlich als arbeitsuchend anzusehen, als begründete Aussicht bestanden hat, dass er ungeachtet der fehlenden [X.]n Sprachkenntnisse und der bereits fehlgeschlagenen Bewerbungsanstrengungen begründete Aussicht hatte, eingestellt zu werden (zur vergleichbaren Frage im Zusammenhang mit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] 2 [X.] vgl B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.]7 f). Ob es sich so verhält, wird das [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu prüfen haben.

d) Soweit der Kläger nach den noch zu treffenden Feststellungen ganz oder teilweise nicht mehr als [X.] iS von § 2 Abs 2 Satz 1 [X.]a [X.]/[X.] und damit als materiell freizügigkeitsberechtigt anzusehen ist, so hat er - der nach den bereits getroffenen Feststellungen anfangs von Ersparnissen gelebt hat und damit nicht eingereist ist, um nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 [X.]B XII Sozialhilfe zu erlangen (vgl dazu B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 45 f) - im streitbefangenen [X.]raum zwar aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.]B XII "erst recht" keinen Anspruch auf Sozialhilfe (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 48 ff). Jedoch beinhaltet § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII vorsieht (vgl B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 51 mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 [X.]). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem [X.]B XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 [X.]B XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem [X.]B XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 [X.] iVm Art 20 Abs 1 [X.] (zu diesem grundlegend [X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175 = [X.]-4200 § 20 [X.]2) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in [X.], gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in [X.] aufhalten, [X.] Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - [X.]E 132, 134, insbesondere Rd[X.] 63; dort auch Rd[X.] 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in [X.] von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 [X.]B XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des B[X.] keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des [X.]B XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des [X.]B XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt B[X.] Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 30/10 R - B[X.]E 110, 301 = [X.]-3500 § 54 [X.] 8, Rd[X.] 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im [X.]B XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 53 ff; vgl auch B[X.] Urteil vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], Rd[X.] 44 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

11. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs des [X.] gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die der Kläger hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des [X.] aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen (zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 [X.]G). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 [X.]G), weil der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen zu den Anwendungsvoraussetzungen des [X.] ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das [X.] auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 15/15 R

20.01.2016

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 8. Mai 2014, Az: S 190 AS 29699/13, Urteil

§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, § 2 Abs 2 FreizügG/EU 2004, § 2 Abs 3 FreizügG/EU 2004, § 5 FreizügG/EU 2004, AufenthG 2004, Art 1 EuFürsAbk, Art 16 EuFürsAbk, § 5 Abs 2 S 1 SGB 2, § 2 Abs 1 SGB 12, § 21 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 3 SGB 12, § 23 Abs 3 S 1 SGB 12, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 20.01.2016, Az. B 14 AS 15/15 R (REWIS RS 2016, 17424)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17424

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1 BvL 10/10

1 BvL 1/09

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