Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2015, Az. B 14 AS 18/14 R

14. Senat | REWIS RS 2015, 514

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem [X.] - ([X.]) vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013.

2

Der 1993 geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste - nach seinen vom [X.] ([X.]) festgestellten Angaben - im Oktober 2011 nach [X.] und wohnt gemeinsam mit seiner Mutter und zeitweise seiner Schwester sowie deren Kindern in einer Wohnung in [X.] Am [X.] meldete er ein "Garten- und Landschaftsbau"-Gewerbe an und am 20.5.2012 wieder ab, ohne in diesem tätig geworden zu sein. Nach seinen Angaben war er im April 2012 fünf bis sechs Tage nicht-sozialversicherungspflichtig beschäftigt, habe sich wegen Aussichtslosigkeit aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht auf Stellenangebote beworben und verfüge über kein Einkommen oder Vermögen.

3

Den vom Kläger am 30.1.2012 beim beklagten [X.] - einem zugelassenen kommunalen Träger - gestellten Antrag auf Leistungen nach dem [X.] lehnte dieses unter Hinweis auf § 8 Abs 2 [X.] ab (Bescheid vom 23.2.2012), ebenso den am 28.3.2012 gestellten Antrag auf Überprüfung dieses Bescheides (Bescheid vom 10.4.2012). Der eingelegte Widerspruch wurde vom Kläger auf die [X.] vom 30.1.2012 bis zum 30.4.2012 beschränkt und vom Beklagten unter Verweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 4.5.2012). Hiergegen ist Klage erhoben worden zum Sozialgericht ([X.]) [X.] (Az: [X.] AS 382/12).

4

Für die [X.] ab dem 1.5.2012 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Leistungen nach dem [X.], der vom Beklagten abgelehnt wurde (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Auch hiergegen ist Klage erhoben worden zum [X.] [X.] (Az: [X.] AS 483/12).

5

Das [X.] hat die Klagen verbunden und abgewiesen (Urteil vom 12.10.2012). Das [X.] hat unter Aufhebung des Urteils des [X.] und der Bescheide des Beklagten diesen verurteilt, dem Kläger vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 "Leistungen nach dem [X.] zu gewähren" (Urteil vom 27.11.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.], insbesondere sei er mangels eigenen Einkommens und Vermögens hilfebedürftig gewesen und auch das Vermögen seiner Mutter sei Ende des Jahres 2011 erschöpft gewesen. Er habe aufgrund der erforderlichen Zukunftsoffenheit einen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] gehabt. Der Kläger sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] von Leistungen ausgeschlossen. Er könne sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs 2 [X.] 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern ([X.]/[X.]) berufen, denn er habe nicht mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit gesucht, zumal er keine dahin gehenden "Ambitionen" entfaltet habe. Er könne sich auch nicht auf ein anderes Aufenthaltsrecht zB aus den Nachwirkungen der Tätigkeit im April 2012 oder als Dienstleistungserbringer berufen (§ 2 Abs 2 [X.], 2 iVm Abs 3 [X.]/[X.]). § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] könne nicht als [X.] im Weg eines "[X.] erweiternd dahin gehend ausgelegt werden, dass er auch einen "nur" (formal-)legalen Aufenthalt umfasse, selbst wenn die Ausländerbehörde noch keine Feststellungen über den Wegfall der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts getroffen habe.

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des [X.] ([X.]) vom 11.11.2014 ([X.]/13 - [X.]) die Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]. Nach diesem Urteil hätten wirtschaftlich inaktive [X.]-Ausländer wie der Kläger keinen Anspruch auf Sozialleistungen im Aufnahmestaat.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen [X.]s vom 27. November 2013 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 12. Oktober 2012 zurückzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und rügt hilfsweise die nicht erfolgte Beiladung des Sozialhilfeträgers.

Entscheidungsgründe

Auf die zulässige Revision des Beklagten ist das Urteil des [X.] vom 27.11.2013 aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung des genannten Urteils des [X.], das den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des [X.] und der Bescheide des Beklagten verurteilt hat, den Bescheid vom [X.] zurückzunehmen und dem Kläger vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 Leistungen nach dem [X.]B II zu gewähren, und letztlich das Begehren des beklagten [X.], die Klage abzuweisen.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen, weil von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel nicht zu erkennen sind und von Seiten der Beteiligten keine Verfahrensrügen - mit Ausnahme der vom Kläger hilfsweise gerügten, nicht erfolgten Beiladung des Sozialhilfeträgers - erhoben wurden.

3. Rechtsgrundlage der vom Kläger begehrten und vom [X.] zugesprochenen "Leistungen nach dem [X.]B II" für die strittige [X.] ist neben § 40 Abs 1 [X.]B II iVm § 44 [X.] - hinsichtlich des ersten [X.]raums, in dem der bestandskräftige Ablehnungsbescheid vom [X.] zu überprüfen ist, und neben den Voraussetzungen für die einzelnen Leistungen nach §§ 19 ff [X.]B II insbesondere § 7 [X.]B II über die [X.] dem Grunde nach.

Der Kläger erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II, der [X.] umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen (dazu 5.), was beim Kläger der Fall ist (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das [X.] Fürsorgeabkommen ([X.]) (dazu 7.), das Recht der [X.]n Union ([X.]) (dazu 8.) oder das Grundgesetz (GG) (dazu 9.) entgegen. Für den Kläger kommen aber Leistungen der Sozialhilfe in Betracht, weswegen der Rechtsstreit mangels ausreichender Feststellungen des [X.] zurückzuverweisen und der zuständige Sozialhilfeträger auf die vom Kläger hilfsweise erhobene Rüge beizuladen ist (dazu 10.).

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II erfüllte der 1993 geborene Kläger in der strittigen [X.] vom 30.1.2012 bis zum 27.11.2013 nach den Feststellungen des [X.].

Er war erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 [X.]B II und die fehlende [X.] Staatsangehörigkeit stand seiner Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 [X.]B II nicht entgegen, weil für ihn als [X.] Staatsangehörigen die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht ([X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3 ff), worauf auch § 8 Abs 2 Satz 2 [X.]B II hinweist. Auf einen Antrag oder das Vorliegen einer "Arbeitserlaubnis [X.]" nach § 284 [X.] - kommt es in solchen Fällen nicht an.

Der Kläger war hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff [X.]B II, weil er selbst kein Einkommen oder Vermögen hatte und das Vermögen seiner Mutter, mit der er in einem Haushalt lebte und mangels eigenen Einkommens oder Vermögens eine Bedarfsgemeinschaft bildete 7 Abs 3 [X.], 4 [X.]B II), nach den Feststellungen des [X.] Ende des Jahres 2011 erschöpft war. Mögliches Einkommen oder Vermögen seiner Schwester, die zeitweise auch in dem Haushalt der Mutter lebte, wäre allenfalls nach § 9 Abs 5 [X.]B II zu berücksichtigen; dass dieses eine Höhe erreichte (vgl zur Berechnung § 1 Abs 2 [X.]/[X.]), die zu einer entsprechenden Vermutung führt, hat das [X.] verneint.

Der Kläger hatte einen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] (zu dessen Erfordernissen: § 30 Abs 3 Satz 2 [X.] -), weil er dort nicht nur vorübergehend, sondern zukunftsoffen verweilte (vgl nur B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.]-4200 § 7 [X.], Rd[X.]8 ff mwN).

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II ist auf den Kläger anzuwenden, weil dieser sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] ([X.]) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II und ohne [X.] nach dem [X.]B II - nach [X.] Ausländerinnen und Ausländer, die in [X.] keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach [X.] 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach [X.] 3 Leistungsberechtigte nach dem [X.], wobei diese letzte Variante beim Kläger von vornherein ausscheidet.

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der [X.], die keine [X.] Staatsangehörigkeit besitzen ([X.]) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des [X.], seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.]9 ff). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits [X.], die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem [X.]B II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber [X.]n, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in [X.] aufhalten, Leistungen nach dem [X.]B II zu erbringen sind.

Da die materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder das materielle Aufenthaltsrecht nach dem [X.] entscheidend sind, kommt es auf den Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach dem [X.]/[X.] nicht an, weil diese nur deklaratorische Bedeutung hat und keine materielle Freizügigkeitsberechtigung begründet (vgl nur Begründung des Gesetzentwurfs zum [X.]/[X.] in BT-Drucks 15/420 S 101 f). Im Übrigen wurde die Freizügigkeitsbescheinigung durch Änderung des § 5 [X.]/[X.] mittlerweile abgeschafft. Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem [X.]/[X.] zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für [X.], für deren rechtmäßige Einreise nach [X.] ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 [X.]/[X.]). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines [X.]s zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 [X.]/[X.] in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 [X.]/[X.] bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 [X.]/[X.] festgestellt hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] mwN).

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] kann sich der Kläger für die strittige [X.] nicht berufen.

a) [X.] als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 2 [X.] [X.]/[X.] setzt die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als Arbeitnehmer voraus, die nicht nur von geringem Umfang oder völlig untergeordneter oder unwesentlicher Bedeutung ist, wobei das erzielte Arbeitsentgelt aber nicht das Existenzminimum der betreffenden Person und ihrer Familienangehörigen vollständig abdecken muss (B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.] 21, Rd[X.]8; B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 26).

Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er im strittigen [X.]raum von mehreren Monaten nur fünf bis sechs Tage nicht-sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

b) [X.] als Selbstständiger nach § 2 Abs 2 [X.] 2 [X.]/[X.] setzt voraus, dass eine erwerbsorientierte Tätigkeit als Selbstständiger mittels einer bestimmten Einrichtung oder Organisation auf unbestimmte [X.] tatsächlich ausgeübt wird, ohne dass der erzielte Gewinn das Existenzminimum abdecken muss; die bloße Anmeldung eines Gewerbes genügt nicht (B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.] 21, Rd[X.]9; B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 28).

Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er ein "Garten- und Landschaftsbau"-Gewerbe zwar vorübergehend angemeldet hatte, in diesem aber nicht tätig war.

c) Eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer oder selbstständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] scheidet aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen aus.

d) Für eine Freizügigkeitsberechtigung als Familienangehöriger nach § 2 Abs 2 [X.] 6, § 3 [X.]/[X.] - der 1993 geborene Kläger war zu Beginn des strittigen [X.]raums am 30.1.2012 erst 19 Jahre alt - spricht nach den Feststellungen des [X.] nichts. Dasselbe gilt für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 [X.]/[X.] nach dessen [X.] 3 oder [X.] 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie [X.] 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts).

e) Ein Aufenthaltsrecht des [X.] nach dem [X.], insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 [X.]/[X.], ist nicht ersichtlich.

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] steht dem Leistungsausschluss des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nicht entgegen (vgl zum [X.] das Ausführungsgesetz vom 15.5.1956, [X.] 563; zu dessen früherer Anwendbarkeit im Rahmen des [X.]B II bei einem [X.] Staatsangehörigen: B[X.] Urteil vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - B[X.]E 107, 66 = [X.]-4200 § 7 [X.] 21; zu dessen Nichtanwendbarkeit nach dem 1.2.2012: B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.], Rd[X.]8 ff). Denn der Kläger ist [X.] Staatsangehöriger und [X.] ist kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens.

Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten [X.], die zwar (mittlerweile) größtenteils zur [X.] gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der [X.] auszudehnen (so wohl [X.] in seiner Anmerkung zu dem Urteil des B[X.] vom 19.10.2010, aaO, [X.]b 2011, 458 ff), sind nicht zu erkennen. Im Übrigen ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, auf die die dahin gehenden Überlegungen gestützt werden, ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge und in der Konsequenz müssten alle völkerrechtlichen Verträge, die [X.] geschlossen hat, automatisch auch für alle in [X.] lebenden [X.] gelten, was zB für die sozialrechtskoordinierenden Vorschriften innerhalb der [X.] erhebliche Probleme nach sich ziehen dürfte.

8. Mit [X.]-Recht ist dieser Leistungsausschluss des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des [X.] vom 11.11.2014 ([X.]/13 - [X.], NJW 2015, 145 ff) und vom 15.9.2015 ([X.]/14 - [X.], [X.]b 2015, 638 ff) ergibt. Auch wenn [X.] und Sozialgeld nach dem [X.]B II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO [X.] 883/2004/[X.] und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 [X.] 2004/38/[X.] eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b [X.] 2004/38/[X.] und Art 4 VO [X.] 883/2004/[X.] der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der [X.] 2004/38/[X.] zusteht ([X.] Urteil vom 11.11.2014, aaO, Rd[X.] 84). Gleiches gilt für Unionsbürger anderer [X.]-[X.] (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach [X.] eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist ([X.] Urteil vom 15.9.2015, aaO, Rd[X.] 63).

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil für den Kläger Leistungen der Sozialhilfe seitens des zuständigen, vom [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladenden Sozialhilfeträgers nach dem [X.] - ([X.]B XII) in Betracht kommen.

Die Leistungsvoraussetzungen nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.]B XII erfüllte der Kläger nach den Feststellungen des [X.] zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 [X.]B XII erforderlichen Kenntnis des Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten [X.] zu verweisen (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 39 mwN).

Der Kläger war nicht nach § 21 [X.]B XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen [X.]B II und [X.]B XII nicht auf das schlichte Kriterium Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 40 ff mwN; vgl aus der Literatur mit stationär Untergebrachten und Strafgefangenen als Beispielen nur: Grube in Grube/[X.], [X.]B XII, 5. Aufl 2014, § 21 Rd[X.] 5, der in Rd[X.] ff die Probleme der Abgrenzung und wiederholten Änderungen der einschlägigen Vorschriften darstellt, aber andererseits in Rd[X.] 8 fordert, die Systeme "scharf voneinander abzugrenzen"; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]B XII, 19. Aufl 2015, § 21 Rd[X.] 9: Erwerbsfähigkeit ist nicht das alleinige, ausschließliche Abgrenzungsmerkmal; Fasselt in [X.]/[X.], [X.]B XII, 4. Aufl 2009, § 21 Rd[X.] 2, die zudem Ausländer anführt, deren Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 [X.]B II ausgeschlossen ist).

Ob einem Anspruch des [X.] auf Sozialhilfe der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 [X.]B XII - eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen - entgegensteht, kann mangels Feststellungen des [X.] nicht beurteilt werden. Im Weiteren ist zu beachten, dass ebenso wie nach dem [X.]B II aufgrund von § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.]B XII Ausländer, die weder materiell freizügigkeitsberechtigt nach dem [X.]/[X.] noch aufenthaltsberechtigt nach dem [X.] sind, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 48 ff). § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, jedoch nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen auf Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII vorsieht (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 51 mwN, auch auf die Rspr des [X.] zur Vorläufervorschrift in § 120 [X.]essozialhilfegesetz).

Hinsichtlich der Leistungen im Einzelnen, insbesondere ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf null vorliegen (vgl dazu B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.]-4200 § 7 [X.] 43, Rd[X.] 53 ff), sind weitere Feststellungen notwendig, die das [X.] im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen hat.

10. Aufgrund dieses möglichen Anspruchs des [X.] gegen den Sozialhilfeträger und dessen nicht erfolgter Beiladung, die der Kläger hilfsweise gerügt hat, ist das Urteil des [X.] aufzuheben und der Rechtsstreit an dieses zurückzuverweisen.

Nach § 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G ist, wenn sich in einem Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt, dieser Träger beizuladen (zur Verurteilung des Beigeladenen siehe § 75 Abs 5 [X.]G). Die im Revisionsverfahren grundsätzlich unzulässige Beiladung ist vorliegend auch nicht mit Zustimmung des Beigeladenen nachzuholen (vgl § 169 [X.]G), weil der Rechtsstreit mangels Feststellungen des [X.] ohnehin nicht entscheidungsreif, sondern zurückzuverweisen ist.

Der Beiladung der Stadt [X.] als Sozialhilfeträger steht nicht entgegen, dass sie als zugelassener kommunaler Träger zugleich Rechtsträger des beklagten [X.] ist. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass ein solcher "In-sich-Prozess", der auch das Verhältnis eines Hauptbeteiligten zu einem notwendig [X.] betreffen kann, zulässig und insbesondere ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist sowie die entsprechenden Folgen für die Beteiligtenstellung zu ziehen sind, wenn die betroffenen Behörden oder Einrichtungen desselben Rechtsträgers eine gewisse Verselbstständigung erfahren haben und Inhaber eigener Rechte und Pflichten im Verhältnis zueinander sind, über die im Streitfall von der gemeinsamen Spitze nicht verbindlich entschieden werden kann (B[X.] Urteil vom 23.4.1975 - 9 RV 136/74 - B[X.]E 39, 260 = [X.] 3100 § 52 [X.]; B[X.] Urteil vom [X.] [X.] 4/03 R - [X.]-1500 § 70 [X.] Rd[X.]8 ff; letztens etwa B[X.] Urteil vom 11.2.2015 - B 6 [X.] 4/14 R - [X.]-2500 § 80 [X.] Rd[X.]8 f; vgl nur [X.] in Breitkreuz/Fichte, [X.]G, 2. Aufl 2014, § 54 Rd[X.] 56a; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 54 Rd[X.]5; [X.]/[X.], VwGO, 21. Aufl 2015, § 63 Rd[X.] 7; [X.]/ von [X.], VwGO, 16. Aufl 2014, § 63 Rd[X.] 8 f).

Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis zwischen dem Jobcenter eines zugelassenen kommunalen Trägers und dessen Stellung als Sozialhilfeträger erfüllt. Denn ein zugelassener kommunaler Träger muss sich verpflichten, das Jobcenter als besondere Einrichtung zu errichten und zu unterhalten (§ 6a Abs 2 Satz 1 [X.] 2, Abs 5 [X.]B II), der [X.] trägt bestimmte Aufwendungen dieses zugelassenen kommunalen Trägers einschließlich der Verwaltungskosten (§ 6b Abs 2 Satz 1 [X.]B II), kann für die Bewirtschaftung der Mittel bestimmte Vorgaben machen (§ 6b Abs 2, § 46 Abs 1 Satz 4, Abs 2 [X.]B II) und hat seitens des [X.]esministeriums für Arbeit und Soziales sowie des [X.]esrechnungshofs bestimmte Aufsichts- und Kontrollrechte 6b Abs 3, 4 [X.]B II). Letztlich muss der zugelassene kommunale Träger gegenüber dem [X.] die Verwendung der erhaltenen Mittel im Rahmen des [X.]B II belegen (§ 6b Abs 5 [X.]B II; vgl letztens B[X.] Urteil vom 12.11.2015 - [X.] AS 50/14 R).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das [X.] auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 18/14 R

16.12.2015

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Wiesbaden, 12. Oktober 2012, Az: S 11 AS 382/12, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2015, Az. B 14 AS 18/14 R (REWIS RS 2015, 514)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 514

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