Bundessozialgericht, Urteil vom 20.01.2016, Az. B 14 AS 35/15 R

14. Senat | REWIS RS 2016, 17412

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - Unionsbürger - Anwendung des Ausschlusses bei fehlendem materiellen Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthaltsrecht nur aus humanitären Gründen ohne längerfristige Bleibeperspektive - Sozialhilfeanspruch bei Aufenthaltsdauer von über 6 Monaten - verfassungskonforme Auslegung


Leitsatz

Nur ein Aufenthaltsrecht nach dem "Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet", das eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt, rechtfertigt eine Ausnahme vom Leistungsausschluss im Sozialgesetzbuch Zweites Buch für Ausländer aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des [X.] vom 1. Juni 2015 und des [X.] vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen gegen den Beklagten abgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, über die Ansprüche der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 14. Mai 2013 und der Kläger zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 14. Mai 2013 auf Leistungen nach dem [X.] unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden sowie ihnen vom 15. Mai 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem [X.] zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Instanzen zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger vom [X.] bis zum 30.9.2014.

2

Die Kläger sind [X.] Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1 reiste am 15.11.2012 in die [X.] ein. Sie hatte in [X.] vier Jahre die Schule besucht und ein halbes Jahr als Putzfrau gearbeitet. Sie verfügte bei ihrer Einreise über keine [X.] Sprachkenntnisse. Zu diesem [X.]punkt war sie mit den Klägern zu 2 und 3 schwanger. Bei einer Untersuchung am 4.12.2012 wurden eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko festgestellt; errechneter Geburtstermin war der 2[X.]. Die Klägerin zu 1 gebar am [X.] die Kläger zu 2 und 3.

3

Am 21.12.2012 stellte sie einen Leistungsantrag beim beklagten Jobcenter und gab an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach [X.] geflohen. Sie habe Schutz vor ihm suchen müssen und gehofft, Arbeit zu finden.

4

Ab 10.1.2013 war die Klägerin zu 1 und waren später auch die Kläger zu 2 und 3 ordnungsbehördlich untergebracht. Ein von der Ausländerbehörde der beigeladenen Stadt [X.] im April 2013 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde seit Mitte 2013 seitens der Behörde nicht weiter betrieben, nachdem die Klägerin zu 1 in diesem Verfahren ihr Schicksal geschildert hatte.

5

Den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] und 2 [X.] ab (Bescheid vom 14.2.2013; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Am [X.] stellte die Klägerin zu 1 für sich und die Kläger zu 2 und 3 einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] ablehnte (Bescheid vom 15.8.2013; Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013).

6

Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem [X.] zahlte der Beklagte der Klägerin zu 1 vom 21.2.2013 und später auch den Klägern zu 2 und 3 bis 21.8.2013 und ab [X.] ("längstens bis zum Abschluss des Rechtsstreits [X.] 1392/13") vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]. Die gegen die Ablehnungen erhobenen Klagen vor dem [X.] ([X.] 1392/13 und [X.] 4485/13) verband dieses zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und verurteilte den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin zu 1 "Leistungen" ab [X.] und den Klägern zu 2 und 3 ab [X.] "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen" (Urteil vom 19.8.2014). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] nicht anzuwenden sei, da dieser gegen höherrangiges europäisches Recht verstoße.

7

Am 27.10.2014 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte ablehnte (Bescheid vom 7.11.2014; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Hiergegen ist Klage vor dem [X.] erhoben ([X.] AS 597/15).

8

Gegen seine Verurteilung durch das [X.] legte der Beklagte Berufung beim L[X.] Nordrhein-Westfalen ein. Im Berufungsverfahren lud das L[X.] die Stadt [X.] nach § 75 Abs 2 Alt 2 [X.]G bei, weil sie bei Ablehnung des Anspruchs als Träger der Sozialhilfe nach dem [X.]B XII als leistungspflichtig in Betracht komme. Die Berufung des Beklagten wies das L[X.] zurück (Urteil vom 1.6.2015), nachdem die Klägerin zu 1 ihr Leistungsbegehren auf die [X.] [X.] und das Leistungsbegehren aller Kläger auf die [X.] bis 30.9.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen hatte. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 erfülle im streitigen [X.]raum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] und sei nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] oder 2 [X.] von Leistungen ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] greife nicht ein, weil die Klägerin zu 1 am 15.11.2012 eingereist und der Dreimonatszeitraum des § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] zu Beginn des streitigen [X.]raums am [X.] bereits abgelaufen gewesen sei. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] greife nicht ein, denn die Klägerin zu 1 habe im streitigen [X.]raum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche innegehabt, weil ihre Arbeitsuche objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Ihr hätten auch keine anderen Aufenthaltsrechte zugestanden. Auch die Kläger zu 2 und 3 hätten nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 [X.] keine Anwendung. Der Klägerin zu 1 stehe deshalb [X.] und den Klägern zu 2 und 3 Sozialgeld zu, denn sie hätten mit der Klägerin zu 1 als einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 [X.] gelebt.

9

Mit seiner vom L[X.] zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 [X.], weil die Klägerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten könne. Der Ausschluss von Leistungen nach dem [X.] erfasse zudem europarechtskonform auch [X.], die wirtschaftlich inaktiv seien, ohne über ausreichende [X.] und einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 1. Juni 2015 und des [X.] vom 19. August 2014 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 30. September 2014 und den Klägern zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem [X.]B XII zu gewähren.

Sie tragen ua vor, der Aufenthalt der Klägerin zu 1 sei auch humanitär bedingt, sodass § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] keine Anwendung finde.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Die Urteile des [X.] und des [X.] sind aufzuheben und die Klagen gegen den Beklagten abzuweisen, weil dieser zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem [X.]B II abgelehnt hat. Jedoch sind die Klagen nicht insgesamt abzuweisen, sondern es ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 [X.]G die Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, den Klägern im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem [X.]B XII zu gewähren.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung der Urteile des [X.] und des [X.], durch die der Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II an die Kläger verurteilt worden ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen abzuweisen. Streitig ist nach den entsprechenden Erklärungen der Kläger vor dem [X.] nur noch der Zeitraum für die Klägerin zu 1 vom [X.] und für die Kläger zu 2 und 3 ab Geburt vom [X.] bis jeweils zum 30.9.2014.

2. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.]G). Als solche zulässig sind auch die Klagen der Kläger zu 2 und 3 gegen den Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] für den Zeitraum vom [X.] bis 31.7.2013. Dem steht nicht entgegen, dass beide in diesem Bescheid keine Erwähnung gefunden haben. Denn der Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 erfasste aufgrund von § 38 Abs 1 Satz 1 [X.]B II auch die Kläger zu 2 und 3 ab ihrer Geburt am [X.]. Damit sind sie ebenfalls Adressaten der Leistungsablehnung durch den Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.].

Zulässig ist auch der im Revisionsverfahren gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen (vgl B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3). Weder diesem Antrag noch dem mit dem Hauptantrag weiterverfolgten Leistungsantrag gegen den Beklagten steht entgegen, dass die Kläger für Teilzeiträume des streitigen Zeitraums bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten haben (vgl B[X.], aaO, Rd[X.]4).

3. Die Kläger haben im streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II. Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II (dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II, der die [X.] umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen (dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz eines in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das [X.] Fürsorgeabkommen ([X.]) (dazu 7.), das Recht der [X.]n Union ([X.]) (dazu 8.) oder das [X.] (dazu 9.) entgegen.

Doch sind den Klägern von der Beigeladenen Leistungen nach dem [X.]B XII zu gewähren. Der Anwendbarkeit des [X.]B XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 [X.]B XII nicht entgegen (dazu 10.). Die Beigeladene muss sich die Kenntnis des Beklagten vom Existenzsicherungsbedarf der Klägerin zu 1 zurechnen lassen (dazu 11.). Zwar unterliegt die Klägerin zu 1 dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII und ist dieser mit dem [X.] und dem [X.]-Recht vereinbar (dazu 12.), doch schließt dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII aus (dazu 13.). Ab [X.] kann die Klägerin zu 1 aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem [X.]B XII beanspruchen (dazu 14.). Für die Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 15. und 16.).

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II erfüllte die 1989 geborene Klägerin zu 1 in der streitigen Zeit vom [X.] bis zum 30.9.2014 nach den Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G).

Sie war trotz ihrer [X.] und Mutterschaft erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 [X.]B II und die fehlende [X.] Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 [X.]B II nicht entgegen, weil für sie als [X.] Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht (vgl B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3 ff). Die Klägerin zu 1 war auch hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff [X.]B II, weil sie selbst nicht über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die vom [X.] festgestellten Einnahmen der Klägerin zu 1 einschließlich des Elterngeldes ließen, insbesondere wegen der Höhe der festgestellten Bedarfe für Unterkunft und Heizung, ihre Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Die am 15.11.2012 in [X.] eingereiste Klägerin zu 1 hatte hier auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 1 [X.]B I).

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II und ohne Leistungsberechtigung nach dem [X.]B II - nach [X.] Ausländerinnen und Ausländer, die in [X.] keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach [X.] 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach [X.] 3 Leistungsberechtigte nach dem [X.], wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der [X.], die keine [X.] Staatsangehörigkeit besitzen ([X.]) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.] oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des [X.], seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]9 ff; so bereits Urteile des Senats vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], [X.] AS 18/14 R und [X.] [X.]/14 R). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits [X.], die [X.] über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem [X.]B II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber [X.]n, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in [X.] aufhalten, Leistungen nach dem [X.]B II zu erbringen sind.

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem [X.]/[X.] zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für [X.], für deren rechtmäßige Einreise nach [X.] ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 [X.]/[X.]). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines [X.]s zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs 4 [X.]/[X.] bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 [X.]/[X.] festgestellt und damit nach § 7 Abs 1 [X.]/[X.] die sofortige Ausreisepflicht begründet hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.] mwN).

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.], das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Klägerin zu 1 im streitigen Zeitraum nicht berufen.

a) [X.] als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 [X.] oder 2 [X.]/[X.] scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.]. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 [X.]/[X.] nach der [X.] 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie [X.] 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 [X.] 6, § 3 [X.]/[X.] sind den Feststellungen des [X.] nicht zu entnehmen. Aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] 3 [X.]B II scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin zu 1 als nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs 2 [X.] 5, § 4 [X.]/[X.] aus.

b) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem [X.], insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 Satz 11 [X.]/[X.], das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II zu rechtfertigen vermag, ist aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht ersichtlich.

Denn vorliegend kommt allenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen nach § 25 Abs 4 [X.] wegen der Risikoschwangerschaft der Klägerin zu 1 bei ihrer Einreise nach [X.] und der Geburt ihrer Kinder hier in Betracht, nicht aber ein Aufenthaltsrecht mit längerfristiger Bleibeperspektive, wie es sich [X.] aus den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung ergeben kann (vgl B[X.] Urteil vom [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 113, 60 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]; vgl auch B[X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], Rd[X.] 30 ff). Nur ein Aufenthaltsrecht, das eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt und das deshalb auch einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht entgegensteht, ist geeignet als Ausnahme zu § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II den Zugang zu Leistungen nach dem [X.]B II zu eröffnen. Ohne längerfristige Bleibeperspektive ist die Eröffnung des Zugangs zu diesen Leistungen einschließlich denen zur Eingliederung in Arbeit nicht sachgerecht. Die hier allenfalls in Betracht kommende Erteilung und ggf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 4 Satz 1 und 2 [X.] mag mit einem erlaubten, aber nur vorübergehenden Aufenthalt zwar eine Antwort des Aufenthaltsrechts auf eine Krisensituation der Klägerin zu 1 bieten, lässt die Anwendung des [X.] nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II auf sie nach dessen Sinn und Zweck indes unberührt.

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nicht entgegen. Denn das [X.] ist weder nach seinem sachlichen (zur Nichtanwendbarkeit des [X.] im Rahmen des [X.]B II aufgrund des von [X.] erklärten Vorbehalts B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.], Rd[X.]8 ff) noch nach seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig, weil die Klägerin zu 1 [X.] Staatsangehörige und [X.] kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

8. Mit [X.]-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des [X.] vom 11.11.2014 ([X.]/13 - [X.], NJW 2015, 145) und vom 15.9.2015 ([X.]/14 - [X.], [X.]b 2015, 638) ergibt. Auch wenn [X.] und Sozialgeld nach dem [X.]B II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO ([X.]) [X.] 883/2004 und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 [X.] 2004/38/[X.] eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b [X.] 2004/38/[X.] und Art 4 VO ([X.]) [X.] 883/2004 der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen) vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der [X.] 2004/38/[X.] zusteht ([X.] Urteil vom 11.11.2014, aaO, Rd[X.] 84). Gleiches gilt für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach [X.] eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist ([X.] Urteil vom 15.9.2015, aaO, Rd[X.] 63).

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 [X.] iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 [X.] vereinbar, weil der Klägerin zu 1 existenzsichernde Leistungen durch die Beigeladene nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII zu gewähren sind.

10. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 [X.]B XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des [X.] zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.]B II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 [X.]B XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.] 39 mwN).

11. Der Anwendbarkeit des [X.]B XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 [X.]B XII nicht entgegen.

Die Klägerin zu 1 war danach nicht von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen [X.]B II und [X.]B XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.] 40 ff; B[X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], Rd[X.] 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 [X.]B II korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 [X.]B XII sind nach dem [X.]B II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des [X.]B II von Leistungen nach dem [X.]B II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem [X.]B XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das [X.]B XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie [X.] durch § 22 [X.]B XII, der § 7 Abs 5 und 6 [X.]B II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 [X.]B XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 [X.] 3 [X.]B II entspricht).

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 [X.]B XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem [X.]B II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.], BT-Drucks 15/1514 [X.]), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des [X.]B II und des [X.]B XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

12. Die Klägerin zu 1 unterliegt indes dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

a) Zwar ist die Klägerin zu 1 nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 [X.]B XII Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.] 45 mwN). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht gegeben, denn die Klägerin zu 1 ist eingereist zu ihrem und zum Schutz ihrer ungeborenen Kinder vor ihrem Ex-Freund. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 [X.]B II nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.]B XII [X.], die weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem [X.]/[X.], die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem [X.] verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen (B[X.], aaO, Rd[X.] 48 ff).

b) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nicht entgegen (zur Anwendbarkeit des [X.] im Rahmen des [X.]B XII B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/13 R - juris Rd[X.] 20 ff), weil die Klägerin zu 1 [X.] Staatsangehörige und [X.] kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist. [X.] Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten [X.], die zwar (mittlerweile) größtenteils zur [X.] gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der [X.] auszudehnen (so wohl [X.], [X.]b 2011, 458), sind nicht zu erkennen (B[X.] Urteil vom 16.12.2015 - [X.] [X.]/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in [X.], Rd[X.]). Der Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist auch mit dem [X.]-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im [X.]B II.

13. Die Anwendung des [X.] nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII.

§ 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iS des § 23 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII vorsieht (B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.] 51 f mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 [X.]). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem [X.]B XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 [X.]B XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 [X.]B XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem [X.]B XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 [X.] iVm Art 20 Abs 1 [X.] (zu diesem grundlegend [X.] Urteil vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]2) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in [X.], gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in [X.] aufhalten, [X.] Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - [X.]E 132, 134, insbesondere Rd[X.] 63; dort auch Rd[X.] 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in [X.] von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 [X.]B XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des B[X.] keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des [X.]B XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des [X.]B XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt B[X.] Urteil vom [X.] - B 8 [X.] 30/10 R - B[X.]E 110, 301 = [X.] 4-3500 § 54 [X.] 8, Rd[X.] 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im [X.]B XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

Auf dieser Grundlage hat die Klägerin zu 1 zunächst einen Anspruch gegen die Beigeladene auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese wird über das Leistungsbegehren der Klägerin zu 1 für die Zeit vom [X.] bis 14.5.2013 eine Ermessensentscheidung dem Grunde und der Höhe nach zu treffen haben. Bei dieser ist zu berücksichtigen, dass zum einen Ermessensgesichtspunkte dafür, Leistungen ganz abzulehnen, nicht ersichtlich sind, und zum anderen, dass neben den unmittelbar existenzsichernden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff [X.]B XII auch Leistungen im Rahmen der [X.] nach §§ 47 ff [X.]B XII in Betracht kommen, zumal für die in dieser Zeit hochschwangere Klägerin zu 1, die am [X.] ihre beiden Kinder gebar.

14. Ab [X.] stehen der Klägerin zu 1 sodann nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem [X.]B XII zu.

Das Ermessen der Beigeladenen ist ab diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach auf null reduziert, weil sich der Aufenthalt der Klägerin zu 1 nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in [X.] so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl B[X.] Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in B[X.]E und [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.] 53 ff). Aufgrund dieser Anforderungen können [X.]n nach Ablauf von sechs Monaten keine oder nur verminderte existenzsichernde Leistungen im Ermessenswege allenfalls gewährt werden, wenn sich ihr Aufenthalt trotz dieses Zeitablaufs entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat oder sie sich nur noch absehbar kurzzeitig in [X.] aufhalten (vgl B[X.], aaO, Rd[X.] 58). Dies ist bei der Klägerin zu 1 nicht der Fall, nachdem die Ausländerbehörde das innerhalb der ersten sechs Monate eingeleitete Verlustfeststellungsverfahren aufgrund des Schicksals der Klägerin zu 1 nicht weiter betrieben und ihren weiteren Aufenthalt in [X.] faktisch geduldet hat. Doch steht die Einleitung dieses Verlustfeststellungsverfahrens zugleich der ausnahmsweisen Annahme einer Aufenthaltsverfestigung abweichend vom Regelfall bereits vor Ablauf von sechs Monaten entgegen; eine Ermessensreduzierung auf null vor dem [X.] scheidet aus.

Mit der Verfestigung ihres tatsächlichen, von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten Aufenthalts stehen der Klägerin zu 1 ausgehend vom Tag ihrer Einreise am 15.11.2012 nach Ablauf von sechs Monaten ab [X.] dem Grunde und der Höhe nach die gesetzlichen existenzsichernden Leistungen nach dem [X.]B XII zu. Auch insoweit gilt, dass diese Leistungen neben der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die [X.] nach dem [X.]B XII umfassen.

15. Für die am [X.] in [X.] geborenen Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.]B II.

Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 [X.]B II könnten sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.]B II nur über eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 [X.]B II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist jedoch keine leistungsberechtigte Person nach dem [X.]B II, sondern - wie oben gezeigt - von Leistungen nach dem [X.]B II ausgeschlossen.

16. Doch sind ebenso wie für die Klägerin zu 1 auch für die Kläger zu 2 und 3 im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem [X.]B XII zu gewähren. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllten sie nach den Feststellungen des [X.] zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 1, Abs 3 [X.] 4 [X.]B II.

Als Familienangehörige iS des § 3 Abs 1, Abs 2 [X.] [X.]/[X.] eines sich in [X.] aufhaltenden [X.]s unterliegen wie die Klägerin zu 1 zwar auch sie dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 [X.]B XII. Für die Zeit vom [X.] bis 14.5.2013 haben sie indes wie die Klägerin zu 1 als deren mit ihr in einem Haushalt lebende Kinder aufgrund von § 23 Abs 1 Satz 3 [X.]B XII gegen die Beigeladene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Leistungen nach dem [X.]B XII. Ab [X.] stehen sodann auch ihnen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null dem Grunde und der Höhe nach die Leistungen nach dem [X.]B XII zu. Zwar hielten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht länger als sechs Monate tatsächlich in [X.] auf, doch kommen keine Ermessensgesichtspunkte dafür in Betracht, der Klägerin zu 1, ihrer Mutter, ab diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem [X.]B XII im Wege einer Ermessensreduzierung auf null zuzuerkennen, den Klägern zu 2 und 3 aber noch nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 35/15 R

20.01.2016

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Köln, 19. August 2014, Az: S 24 AS 1392/13, Urteil

§ 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, § 2 FreizügG/EU 2004, § 25 Abs 4 AufenthG 2004, § 18 Abs 1 SGB 12, § 21 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 3 SGB 12, § 23 Abs 3 S 1 SGB 12, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 20.01.2016, Az. B 14 AS 35/15 R (REWIS RS 2016, 17412)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 17412

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