Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2021, Az. EnZR 29/20

Kartellsenat | REWIS RS 2021, 2809

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Gegenstand

Konzessionsvergabeverfahren für ein Gasnetz: Auskunftspflicht der Gemeinde gegenüber den unterlegenen Bietern über die Gründe für den einem anderen Bieter erteilten Zuschlag; Darlegung der Notwendigkeit von Schwärzungen im Auswertungsvermerk; Geheimhaltungsinteresse; Erforderlichkeit einer alsbaldigen Klageerhebung nach erfolglosem Bemühen um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Konzessionsvergabe - Gasnetz Rösrath


Leitsatz

Gasnetz Rösrath

1. Die eine Konzession vergebende Gemeinde war schon vor Inkrafttreten des § 47 EnWG verpflichtet, den unterlegenen Bietern Auskunft darüber zu erteilen, aus welchen Gründen sie den Zuschlag einem anderen Bieter erteilen wollte. Dazu ist grundsätzlich die umfassende Unterrichtung über das Ausschreibungsergebnis durch Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerks erforderlich, aber auch ausreichend. Eine Ausnahme wird etwa dann in Betracht gezogen werden können, wenn der unterlegene Bieter bereits auf andere Weise alle für die wirksame Wahrung seiner Rechte erforderlichen Informationen erhalten hat oder mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Durchsetzung seiner Rechte durch die Kenntnis des vollständigen Auswertungsvermerks erleichtert wird.

2. Soweit die Gemeinde in dem Auswertungsvermerk Schwärzungen vornehmen will, hat sie deren Notwendigkeit zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jeweils für die konkrete Angabe substantiiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen.

3. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich im Auswertungsvermerk enthaltener Angaben wird nur zurückhaltend anerkannt werden können und insbesondere für die Gemeinde selbst oder den erfolgreichen Bieter nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der nach dem Vergabeverfahren erfolgreiche Bieter mittelbar oder unmittelbar, ganz oder teilweise im Eigentum der als Vergabestelle handelnden Gemeinde steht.

4. Hat sich der unterlegene Bieter zwar soweit möglich, aber erfolglos um einstweiligen Rechtsschutz gegen die Konzessionsvergabe bemüht, ist er nicht verpflichtet, die Nichtigkeit des daraufhin mit einem anderen Bieter abgeschlossenen Vertrags alsbald klageweise geltend zu machen; vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung.

Tenor

Auf die Revision wird das Urteil des 2. Kartellsenats des [X.] vom 11. März 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin war Konzessionärin für das Gasnetz im Stadtgebiet der Beklagten. Durch Bekanntmachung vom 2. Dezember 2014 leitete die Beklagte das Verfahren für die Neuvergabe der am 6. Dezember 2016 auslaufenden Konzession ein. In dem Verfahren gaben die Klägerin und die Stadtwerke [X.] (nachfolgend: Stadtwerke) Angebote ab. An den [X.] sind die Beklagte über die [X.] mit 51 % und die [X.] mit 49 % beteiligt.

2

Durch Vorabinformation vom 24. November 2015 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über ihre Absicht, die Konzession den [X.] zu erteilen; ein Akteneinsichtsgesuch der Klägerin lehnte sie ab. Am 3. Dezember 2015 beantragte die Klägerin beim [X.] eine einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten der beabsichtigte Vertragsschluss mit den [X.] untersagt werden sollte. Mit der [X.] machte die Beklagte der Klägerin eine unvollständige, teilweise geschwärzte Kopie des der beabsichtigten Entscheidung über die Konzessionsvergabe zugrunde gelegten [X.] zugänglich. Das [X.] wies den Verfügungsantrag der Klägerin am 21. Januar 2016 zurück. Noch an demselben Tag schlossen die Beklagte und die Stadtwerke den Konzessionsvertrag ab.

3

Im Laufe des Jahres 2016 führte die Klägerin mit den [X.] Verhandlungen über die [X.], wobei sie ihre Einwände gegen das [X.] gegenüber den [X.] aufrechterhielt. Nach Scheitern der Verhandlungen erhoben die Stadtwerke Klage auf Übertragung des Gasnetzes, die seit dem 29. März 2017 beim [X.] anhängig ist.

4

Mit der am 21. Juni 2017 erhobenen Klage beantragt die Klägerin auf der ersten Stufe, Einsicht in die ungeschwärzte Angebotsauswertung sowie in das Angebot der Stadtwerke zu erhalten, und auf der zweiten Stufe sowie hilfsweise die Feststellung, dass der zwischen den [X.] und der Beklagten geschlossene Konzessionsvertrag nichtig ist.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

6

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Anspruch auf Akteneinsicht stehe der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Klägerin könne die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf Auskunft über den vollständigen Inhalt des Auswertungsgutachtens und des Angebots der [X.]werke in Anspruch nehmen. Der Klageantrag sei schon nicht auf Auskunftserteilung gerichtet. Zudem stehe einem Auskunftsanspruch entgegen, dass die Klägerin mit ihrem auf Feststellung der Nichtigkeit des mit den [X.] geschlossenen [X.] gerichteten Antrag nach [X.] und Glauben ausgeschlossen sei. Die Klägerin sei, nachdem die Beklagte am 21. Januar 2016 mit den [X.] den Konzessionsvertrag geschlossen habe, verpflichtet gewesen, innerhalb eines Zeitraums von höchstens sechs Monaten die Nichtigkeit des Vertrags geltend zu machen. Diese Pflicht habe sie in schwerwiegender Weise verletzt, indem sie erst am 21. Juni 2017 und damit nahezu anderthalb Jahre nach Vertragsschluss die vorliegende Klage erhoben habe. Der Klageantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des [X.] sei danach ebenfalls unbegründet.

7

II. Diese Beurteilung hat keinen Bestand.

8

1. Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Akteneinsicht gemäß § 47 Abs. 3 [X.] zu. Diese Vorschrift, die seit dem 3. Februar 2017 gilt, ist im vorliegenden Verfahren der Konzessionsvergabe, in dem die Information über die Auswahlentscheidung zugunsten der [X.]werke bereits am 24. November 2015 erfolgte, noch nicht anwendbar (vgl. [X.], Urteil vom 28. Januar 2020 - [X.] 116/18, [X.], 422 = [X.], 331 Rn. 46 - Stromnetz [X.]). Aufgrund des bei Konzessionsvergaben grundlegenden [X.], das die Prüfung der Einhaltung des bei Auswahl- und Vergabeentscheidungen allgemein bestehenden Diskriminierungsverbots sicherstellen soll (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 2013 - [X.], [X.]/[X.] 4139, Rn. 45 - Stromnetz [X.]) und auch im Hinblick auf die Gründe einer Auswahlentscheidung gilt (vgl. [X.], [X.] 2019, 35 Rn. 118), ist die eine Konzession vergebende [X.] aber verpflichtet, den unterlegenen [X.] Auskunft darüber zu erteilen, aus welchen Gründen sie den Zuschlag einem anderen Bieter erteilen will.

9

a) Als marktbeherrschender Anbieter der [X.] in ihrem Gebiet sind die [X.]n gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 Abs. 1 [X.] verpflichtet, den Konzessionär für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes in einem diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuwählen. Die Auswahl muss in einem transparenten Verfahren erfolgen und ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die die Ziele des § 1 [X.] konkretisieren. Genügt die Konzessionsvergabe diesen Anforderungen nicht, werden diejenigen Bewerber unbillig behindert, deren Chancen auf die Konzession dadurch beeinträchtigt worden sind ([X.], Urteil vom 17. Dezember 2013 - [X.], [X.]Z 199, 289 Rn. 16 - Stromnetz [X.]; st. Rspr.).

Aus der Bindung der [X.]n an das Diskriminierungsverbot ergeben sich sowohl materielle als auch verfahrensbezogene Anforderungen an die Auswahlentscheidung. Die [X.] muss ihre Auswahlentscheidung allein nach sachlichen, vorrangig an den Zielen des § 1 Abs. 1 [X.] ausgerichteten Kriterien treffen. Die Entscheidungskriterien der [X.] und ihre Gewichtung müssen für die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen transparent sein und ihnen rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden ([X.]Z 199, 289 Rn. 34 ff. - Stromnetz [X.]), und es muss die Auswahlentscheidung am Maßstab derjenigen Kriterien erfolgen, die die [X.] den [X.] mitgeteilt hat. Diese Kriterien sind dabei, nicht anders als im Vergaberecht (vgl. dazu nur [X.], Urteil vom 18. Juni 2019 - [X.], [X.] 2019, 753, Rn. 13 mwN - Straßenbauarbeiten) so auszulegen und zu handhaben, wie sie von den an der Konzession interessierten Unternehmen verstanden werden müssen. Nur dann kann die Bekanntgabe der Kriterien die Funktion erfüllen, die Bieter darüber zu unterrichten, worauf es der [X.] bei der Auswahlentscheidung ankommt, und sie damit in die Lage zu versetzen, ihr Angebot bestmöglich an den von der [X.] gestellten Anforderungen auszurichten ([X.], [X.], 422 Rn. 16 - Stromnetz [X.]).

Damit ein unterlegener Bieter gegenüber einer (beabsichtigten) Konzessionsvergabe, die diesen Anforderungen (möglicherweise) nicht entspricht und sich damit als gesetzwidrig erweisen kann, seine Rechte wirksam wahrnehmen kann, muss ihn die [X.] jedenfalls auf sein Verlangen darüber unterrichten, aufgrund welcher Erwägungen sie zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Angebot des Bieters, dem die Konzession erteilt werden soll, nach den mitgeteilten Auswahlkriterien das bessere ist. Dazu ist grundsätzlich die umfassende Unterrichtung über das Ausschreibungsergebnis durch Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der [X.] erstellten Auswertungsvermerks erforderlich, aber auch ausreichend. Eine Ausnahme wird etwa dann in Betracht gezogen werden können, wenn der unterlegene Bieter bereits auf andere Weise alle für die wirksame Wahrung seiner Rechte erforderlichen Informationen erhalten hat oder mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Durchsetzung seiner Rechte durch die Kenntnis des vollständigen Auswertungsvermerks erleichtert wird.

Soweit die [X.] in einer danach zu übergebenden Kopie des Auswertungsvermerks Schwärzungen vornehmen will, hat sie deren Notwendigkeit zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jeweils für die konkrete Angabe substantiiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen.

Dabei ist zu beachten, dass der Grundsatz des [X.] im Fall der öffentlichen Auftragsvergabe im Wettbewerb um den jeweiligen Auftrag von vornherein durch das Transparenzgebot begrenzt wird. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich im Auswertungsvermerk enthaltener Angaben wird danach nur zurückhaltend anerkannt werden können und insbesondere für die [X.] selbst oder den erfolgreichen Bieter nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies gilt wegen des immanenten Interessenkonflikts jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - der nach dem Vergabeverfahren erfolgreiche Bieter mittelbar oder unmittelbar, ganz oder teilweise im Eigentum der als Vergabestelle handelnden [X.] steht.

Auch soweit danach eine Beschränkung des Auskunftsanspruchs ausnahmsweise in Betracht kommt, wird der Schutz eines Geschäftsgeheimnisses es grundsätzlich nicht rechtfertigen, dem auskunftsberechtigten Bieter bewertungsrelevante Erwägungen zu dem betreffenden Kriterium vollständig vorzuenthalten. Es muss grundsätzlich hingenommen werden, dass die Auskunft es gegebenenfalls ermöglichen oder erleichtern kann, das eigene Angebot in einem erfolgreich erstrittenen neuen Konzessionsverfahren an das [X.] anzupassen. Entgegen der Auffassung des [X.] geht es insoweit nicht um eine Abwägung, ob dem Gesichtspunkt des [X.] oder demjenigen des [X.] Vorrang einzuräumen ist.

b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin mache keinen Anspruch auf Auskunft über den Inhalt des Auswertungsvermerks geltend.

Dabei kann dahinstehen, ob ein Antrag auf Auskunft als Minus in einem Antrag auf Akteneinsicht enthalten ist (so [X.], [X.] 2019, 35 Rn. 115). Denn die Klägerin hat, wie die Revision zutreffend geltend macht, bereits in der Klage deutlich gemacht, dass sie ihren Klageantrag als Auskunfts- und Akteneinsichtsgesuch verstanden wissen will, und für den Fall einer anderen Beurteilung durch das Berufungsgericht einen Hinweis erbeten.

2. Dem Auskunftsanspruch steht auch weder entgegen, dass die Wirksamkeit des [X.] feststünde (nachfolgend zu a), noch ist die Klägerin gehindert, die Nichtigkeit des [X.] geltend zu machen (nachfolgend zu b). Für die Beurteilung maßgeblich sind dabei die für die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 47 [X.] am 3. Februar 2017 geltenden Grundsätze, die der [X.] in den Entscheidungen "Stromnetz [X.]" ([X.]Z 199, 289) und "Stromnetz [X.]" ([X.], [X.]/[X.] 4139) entwickelt hat.

a) Da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist für das Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass die Beklagte ihre Pflicht zur diskriminierungsfreien Auswahl des Konzessionärs verletzt und die Klägerin dadurch unbillig behindert hat. [X.], deren Abschluss andere Bewerber entgegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB unbillig behindert, sind grundsätzlich nichtig. Eine andere Beurteilung kommt nur dann in Betracht, wenn alle diskriminierten Bewerber um die Konzession ausreichend Gelegenheit haben, ihre Rechte zu wahren, diese Möglichkeit aber nicht nutzen. Denn in diesem Fall kann und muss die fortdauernde Behinderung durch einen fehlerhaft abgeschlossenen Konzessionsvertrag im Interesse der Rechtssicherheit hingenommen werden (vgl. [X.]Z 199, 289 Rn. 103, 108 - Stromnetz [X.]). So liegt der Sachverhalt im Streitfall jedoch nicht.

b) Eine Einschränkung der Nichtigkeitsfolge bei fehlerhafter Konzessionsvergabe aufgrund unterlassener Rechtewahrung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die [X.] alle Bewerber um die Konzession in Textform über ihre beabsichtigte Auswahlentscheidung unterrichtet und den Konzessionsvertrag erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information abschließt ([X.]Z 199, 289 Rn. 109 - Stromnetz [X.]).

aa) Die [X.] hat hier zwar die Vorabinformation über die geplante Vergabe am 24. November 2015 erteilt. Die Klägerin ist daraufhin aber nicht untätig geblieben, sondern hat bereits am 3. Dezember 2015 beim [X.] eine einstweilige Verfügung beantragt, mit der der beabsichtigte Vertragsschluss zwischen der Beklagten und den [X.] untersagt werden sollte. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, trifft den Antragsteller grundsätzlich die Obliegenheit, sich dagegen mit der Berufung zu wenden. Diesen Weg hatte die Beklagte der Klägerin aber nach Verkündung der den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Entscheidung des [X.] verschlossen, indem sie sofort den Konzessionsvertrag mit den [X.] abgeschlossen hatte. Die Klägerin hatte, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, danach keinen Anlass mehr, das Verfügungsverfahren in zweiter Instanz fortzusetzen, da sie den Vertragsschluss damit nicht mehr verhindern und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch keine Feststellung der Nichtigkeit des Vertrages erreichen konnte.

bb) Damit ist im Streitfall die Grundlage dafür entfallen, den Grundsatz der Nichtigkeit des unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot abgeschlossenen [X.] ausnahmsweise zurücktreten zu lassen. Ist der Vertrag danach schon bei seinem Abschluss nichtig, kann diese Rechtsfolge durch kein späteres Verhalten eines unterlegenen Bieters in Frage gestellt werden.

c) Die Klägerin ist auch nicht gehindert, sich auf die Nichtigkeit des [X.] zu berufen.

aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist sie nicht nach dem in § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB und Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2007/66/[X.] zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken mit ihren Einwendungen gegen die Konzessionsvergabe ausgeschlossen. Diese vergaberechtlichen Präklusionsvorschriften können nicht isoliert bei der Konzessionsvergabe entsprechend herangezogen werden ([X.]Z 199, 289 Rn. 111 bis 113 - Stromnetz [X.]; [X.], Beschluss vom 3. Juni 2014 - [X.] 10/13, [X.]/[X.] 4322 Rn. 61 - Stromnetz [X.]; [X.], Urteil vom 18. November 2014 - [X.] 33/13, [X.] 2015, 125 Rn. 24 - Stromnetz Schierke).

bb) Ein Einwendungsausschluss zulasten der Klägerin ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt unzulässiger Rechtsausübung wegen Verletzung vorvertraglicher Rügepflichten. Zwar entsteht durch die Teilnahme eines Bieters an einem [X.] ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit Sorgfalts- und Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB; vgl. [X.], Urteil vom 3. April 2007 - [X.], [X.] 2007, 750 Rn. 7, für öffentliche Ausschreibungen). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht aber ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung weder aus [X.] und Glauben noch aus "Gründen des Vertrauensschutzes, der Beschleunigung und der Rechtssicherheit" eine besondere Verpflichtung des unterlegenen Bieters, die Nichtigkeit des mit einem anderen Bieter abgeschlossenen Vertrags alsbald klageweise geltend zu machen. Vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung.

(1) Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten ([X.], Urteil vom 27. Juni 1957 - [X.], [X.]Z 25, 47, 51 f.) setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit der Entstehung des Anspruchs zu laufen beginnt, ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen [X.] und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (st. Rspr., vgl. [X.], Urteile vom 16. Juni 1982 - [X.], [X.]Z 84, 280, 281; vom 7. Mai 2014 - [X.], [X.]Z 201, 101 Rn. 39; und vom 12. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 105 Rn. 40).

(2) Einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen die Beklagte annehmen durfte, die Klägerin werde die Nichtigkeit des [X.] nicht mehr geltend machen, hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gesetzt. Nach Zurückweisung ihres Antrags auf einstweilige Verfügung und Abschluss des [X.] am 21. Januar 2016 hielt die Klägerin bei den Verhandlungen über die [X.] mit den [X.] im Laufe des Jahres 2016 ihre [X.] gegen das [X.] vielmehr aufrecht. Die Beklagte hatte als mittelbare Mehrheitsgesellschafterin der [X.]werke schon im Hinblick auf die wirtschaftliche und kommunalpolitische Bedeutung der angestrebten Netzübernahme durch die [X.]werke Anlass, sich hierüber unterrichtet zu halten. Nachdem die Verhandlungen zur [X.] zu Beginn des Jahres 2017 scheiterten und die [X.]werke die Klägerin Ende März 2017 auf Übertragung des [X.] verklagten, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Juni 2017 die vorliegende Klage erhoben. Dieser zeitliche Ablauf und der noch fehlende [X.] konnten bei der Beklagten kein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, die Klägerin werde die Nichtigkeit des [X.] nicht mehr geltend machen.

(3) Ist die [X.] durch den erfolglosen Versuch eines Bieters, eine gerichtliche Untersagung des Vertragsschlusses zu erreichen, darüber unterrichtet, dass der Bieter den beabsichtigten Vertragsschluss für rechtswidrig hält, schließt den Vertrag jedoch gleichwohl ab, muss sie ebenso wie der Bieter das rechtliche Risiko tragen, dass sich der eigene Rechtsstandpunkt als unzutreffend erweist, und gegebenenfalls selbst ein gerichtliches Verfahren anstrengen, das geeignet ist, eine rechtskräftige Entscheidung über die Wirksamkeit der Konzessionsvergabe herbeizuführen. Ob und gegebenenfalls inwieweit für die Rechtslage nach Inkrafttreten des § 47 [X.] etwas anderes gilt (dazu KG, [X.] 2020, 382, Rn. 52; [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl., § 47 [X.] Rn. 30; [X.]/[X.] in [X.]/Kühling, Energierecht, [X.], § 47 [X.] Rn. 51 bis 53; [X.] in Säcker, [X.] Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 47 [X.] Rn. 47 f.), bedarf im Streitfall keiner Erörterung.

III. Das Berufungsurteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 561 ZPO).

Die Feststellungsklage, deren Grundlage die Klägerin mit der Auskunftsklage substantiieren und erweitern möchte, ist zulässig. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, weil diese jedenfalls gegenüber der beklagten [X.] die Verpflichtung ausschließt, den [X.] das Gasnetz zu übertragen, und sie auf dieser Grundlage zudem die Durchführung eines neuen [X.]s erreichen kann. Der Vorrang einer Leistungsklage steht dem jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil die Klägerin kein Leistungsbegehren in der erforderlichen Weise konkretisieren kann. Denn der Beklagten stehen nach Feststellung einer fehlerhaften Konzessionsvergabe grundsätzlich verschiedene Handlungsoptionen offen. Sie könnte das Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen aufheben oder mit dem Ziel der Konzessionsvergabe fortsetzen; unter Umständen kommt auch eine teilweise Rückversetzung des Verfahrens in Betracht (vgl. [X.], Urteil vom 9. März 2021 - [X.], juris Rn. 44 f. - Gasnetz Berlin).

Zudem kann von der Beklagten als Gebietskörperschaft erwarten werden, dass sie einer rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung in der gebotenen Weise Folge leisten wird.

IV. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 ZPO). Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil es weiterer Feststellungen zum Umfang des Auskunftsanspruchs der Klägerin bedarf. Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren weist der [X.] auf Folgendes hin:

1. Sollte es zum Schutz eines Geschäftsgeheimnisses nach den in dieser Entscheidung erläuterten Maßstäben ausnahmsweise unerlässlich erscheinen, bestimmte Einzelheiten des Auswertungsvermerks nicht oder nicht in vollem Umfang mitzuteilen, obwohl sie für die rechtliche Bewertung relevant sind oder dies jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, wird zunächst zu prüfen sein, ob sie in einer Form wiedergegeben werden können, die sowohl dem Informationsinteresse des unterlegenen Bieters als auch dem Geheimhaltungsinteresse bestmöglich Rechnung trägt. Soweit auch dies nicht möglich sein sollte, wird dem Informationsinteresse des unterlegenen Bieters regelmäßig der Vorrang einzuräumen sein, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass die Aufdeckung eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung der [X.] nicht daran scheitert, dass der unterlegene Bieter die rechtsfehlerhafte Bevorzugung eines Mitbewerbers mangels hinreichenden Einblicks in die vergleichende Bewertung der Gebote nicht erkennen kann.

2. Sollte die Klägerin mit ihren Anträgen weiterhin nicht nur Einsicht in den Auswertungsvermerk, sondern zugleich auch in das Angebot der [X.]werke begehren, wird die Zuerkennung eines solchen weitergehenden Auskunftsanspruchs nur dann in Betracht kommen, wenn die Klägerin substantiiert darlegt, wieso dies neben der Kenntnis des Auswertungsvermerks notwendig ist, um erkennen zu können, aufgrund welcher Erwägungen die [X.] zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Angebot der [X.]werke nach den mitgeteilten Auswahlkriterien das bessere ist.

[X.]     

      

[X.]     

      

Deichfuß

      

[X.]     

      

Tolkmitt     

      

Meta

EnZR 29/20

07.09.2021

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 11. März 2020, Az: 2 U 1/18 (Kart), Urteil

§ 47 Abs 3 EnWG, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2021, Az. EnZR 29/20 (REWIS RS 2021, 2809)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2809


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. EnZR 29/20

Bundesgerichtshof, EnZR 29/20, 07.09.2021.


Az. 2 U 1/18

Oberlandesgericht Köln, 2 U 1/18, 18.06.2018.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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X ZR 86/17

IV ZR 76/11

XI ZR 501/15

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